Und mal etwas ernster: ich finde den Metal-Anteil beim neuen Album insgesamt deutlich höher als beispielsweise auf "Mosquito", wo es auch viel Psychedelisches, leichte Einflüsse aus der Alternative- oder Grunge-Ecke und sogar Reggae zu hören gibt.
Sehe ich auch so.
Mir fehlen da halt lediglich mal schrägere Taktarten oder eine größere Varianz im Tempo (aber das meinte
Auchentoshan ja anscheinend auch), aber "Metal" sicher nicht (und "härtere Riffs" finde ich auch recht schwammig - die gibt es für mein Empfinden auf jedem PW-Album).
Habe vorhin nochmal die erste LP gehört, also bis "Spiders spin". Wenn man nur mal "Stranded" nimmt, da ist soviel Binnenvarianz, sind soviel Rhythmuswechsel und knapp hinter dem Takt gespielte Grooves, daß ich jedem nur nochmal empfehlen kann, sich auf das Abenteuer Detailebene einzulassen. Da passiert so vieles, was mir hier evtl. nicht genügend gewürdigt wird.
TGSV ist sehr weit davon entfernt eine Mainstream-Metal-Platte zu sein. Wirklich sehr weit. Die Differenz zur 4/4-Takt-Humta-Humta-Tätärä-Fraktion im Metal-Sektor ist ganz gewiß nicht so auffällig wie bei anderen Prog-Metal-Bands, aber sie ist deshalb nicht weniger vorhanden. Zumindest ist das meine Wahrnehmung, die natürlich nicht jeder teilen muß.
Ich kann verstehen, daß Dir weiter ausgreifende Tempowechsel u. dergl. fehlen, lieber Acry, aber diese Kunst der Komprimierung ist bei Waltz ja so neu nicht. Sie haben sich nunmal Anfang/Mitte der 90er dazu entschlossen, künftig nicht mehr gleichsam
ausgestellte Progressivität zu fabrizieren (wie u.a. die auch hier im Thread vielzitierten DT), sondern zurückhaltendere. Und
das machen sie quasi in ihrer eigenen Liga.
Für manche klingt das dann evtl. ein wenig gesetzter. Traditioneller sogar. Und vielleicht ist es das am Ende auch. Ob ich noch einmal ein extremeres Album von Waltz haben wollen würde, eines, das mehr in Richtung "Social Grace" ginge, weiß ich nicht. Ich glaube, das würde
heute ziemlich aufgesetzt wirken. Der Prog-Metal muß sich eben auch mit seiner eigenen ca. 35-jährigen Geschichte auseinandersetzen. Die Antworten darauf fallen verschieden aus.
Petrucci hat in einem Interview sinngemäß gesagt, niemand könne heute mehr so leicht etwas tatsächlich Neues machen, auch DT nicht. Wenn das stimmen würde, stellte sich allein die Frage, wie damit umzugehen ist. Bei Waltz stand ja niemals Virtuosität als Selbstzweck im Vordergrund. Wenn sie etwas beizutragen gehabt hat, war Virtuosität sicherlich willkommen, aber meiner Empfindung nach hat die Band von Anfang an ihren Fokus auf den Hörer gelegt, was wahrscheinlich erstmal gewisse Selbstbeschränkungen mit sich bringt, immerhin waren alle Prog-Metal-Bands der ersten Generation zunächst mal ein paar ungestümte Kids , die im Proberaum loslassen wollten. Keiner von denen hat, wie heutige jüngere Musiker oft, mit YT-Videos und Tutorials diszipliniert und durchgetaktet auf sein Ziel hingelernt.
Die haben das damals alles aus der Taufe gehoben, und Waltz waren eine weitere Stimme im Spektrum, neben Fates, Queensryche, Watchtower, Dream Theater & Co. Da mußte man sich irgendwann halt fragen, welche Existenzberechtigung haben wir jetzt? Wer wird das wohl hören wollen? DT haben zwischen ihren ersten beiden Alben genau diesen Cut gemacht, Waltz entweder von Anfang an oder bis heute nicht (je nach Sichtweise). Sie haben nie auf den Maistream geschielt, sich andererseits aber nach meiner Wahrnehmung immer gefragt, ob Hörer von dem wirklich berührt werden können, was sie anbieten.
In Interviews mit Devon kommt das sehr, sehr deutlich raus. Underground, in Ordnung, aber nicht um den Preis der Unverständlichkeit oder der Selbstreferenzialität. Ich denke, das Ergebnis solcher oder ähnlicher Überlegungen hören wir auch auf der neuen Platte. Mir ist das nicht zu wenig von irgendwas. Nicht zu wenig Metal, nicht zu wenig Komplexität, nicht zu wenig Abwechslungsreichtum und damit auch nicht zu wenig Herausforderung für den Hörer. Im Gegenteil, ich entdecke weiterhin immer etwas Neues, wie z.B. die Tatsache, daß der kleine Passus "Blame it on the bad men..." ganz stark zum Chorus des folgenden Songs hinleitet: "We are the fallen".