Ich hab mir den besagten Artikel und das Gedicht nun durchgelesen und muss sagen, dass es mich, ehrlich gesagt, ziemlich kalt lässt. Ich hab nun die Beiträge hier dazu gelesen, und ein wenig über etliche Punkte nachgedacht, und wollte meine Gedanken hier ein wenig teilen. Ob sie was zur Diskussion beitragen sei nun dahingestellt, aber darum geht es ja auch nicht immer
(Ein wenig geht es mir auch darum was zu tun, während ich hier in der Nacht sitze... so what?)
Herr Lindemann geht nun mittlerweile stramm auf die 60 zu, kann das? Irgendwie ist mir das immer nie so richtig klar. Von jugendlichem Leichtsinn kann da nicht mehr die Rede sein. Klingt natürlich schon toll, wenn man sich Dichter oder Lyriker nennen kann. Klingt besser wie "Sänger einer Rockband". Ich frage mich tatsächlich, wer denn nun mit diesen Gedichtbänden angesprochen werden soll. Sind die für Rammsteinfans gemacht? Für Menschen, die die Texte von Rammstein kennen und sich mehr Texte erhoffen, die in eine entsprechende Richtung gehen? Oder möchte Herr Lindemann damit Menschen ansprechen, die regelmäßig Gedichtbände kaufen? Wer tut denn sowas? Butter bei die Fische: Der durchschnittliche Rammstein-Hörer weiß worauf er sich einlässt und wird, denke ich, nicht aus allen Wolken fallen, wenn er/sie so einen Text liest. Till Lindemann und Rammstein, sind, meiner Meinung nach, mittlerweile selbst Kunstfiguren, wie es hier auch schon erwähnt wurde. ein interessanter Gedanke ist dann nun also, wer schreibt diese Gedichte... Herr Lindemann selbst oder die Kunstfigur Till Lindemann? Wie ist das, kann man auch in so einer Kunstfigur gefangen sein? Nicht mehr da raus kommen? Wäre auch scheiße...
Zurück zu dem Gedicht, wie gesagt, es hat mich kalt gelassen. Der Aufschrei, die Schlagzeilen, ich habe irgendwie "mehr" erwartet. Stimmt nun etwas mit mir nicht deswegen? Es sind, im Grunde, harmlose Worte die benutzt werden, um einen widerlichen Vorgang zu beschreiben. Das Erschreckende passiert im Kopf, es wird nicht explizit beschrieben. Diese paar Zeilen schaffen es, dass ein Film im Kopf abläuft, sie erschaffen eine komplette Geschichte: Davon wie eine, womöglich, junge Frau, mit ein paar Tropfen im Glas gefügig gemacht wird, vergewaltigt wird... Man könnte jeden Schritt explizit beschreiben, wirklich widerlich und widerwärtig werden. Aber das tut der Autor nicht. Das ist nicht nötig. denn jeder weiß sofort worum es geht und wie so etwas wohl abläuft. Diese paar, objektiv betrachtet, harmlosen Worte, schaffen es, dass man sich einfühlen kann in das Opfer. Mag sein, dass sich der ein oder andere auch in den Täter einfühlen kann...sogar Spaß daran hat... Aber objektiv betrachtet sind die Worte, nahezu, harmlos. Ich finde es schlimmer, dass jeder sofort ein Bild davon im Kopf hat, sich vorstellen kann was dort passiert. Dass man sich direkt in eine solche Situation einfinden kann. Wenn man mit einer kindlichen Unschuld an das Gedicht herangeht stellen sich 2 Fragen:
"Warum überall anfassen?" und "Was ist Rohypnol?" Aber diese Unschuld existiert nicht mehr...
Das ist, für mich, dann auch der Grund, warum ich dieses Gedicht nicht als so verachtenswert erachte, wie es manch einer dargestellt hat. Sollte ein Autor zu sehr ins Detail gehen, keine Frage, weg mit dem Schund. Sowas braucht kein Mensch. Aber hier passiert, das meiste im Kopf, es passiert zwischen den Zeilen, davor und danach. Das Gedicht triggert, keine Frage, aber an sich ist es, wie gesagt, beinahe harmlos. Der Autor kann nichts für das was in unseren Köpfen passiert. Für mich ist das ein bisschen so wie mit nem Horrorfilm, in dem angedeutet wird was passiert... aber bevor es kritisch und explizit wird kommt ein Schnitt... Am Ende ist der Film maximal FSK 16, vielleicht kommt er sogar mit ner FSK 12 raus, wenn nicht wirklich gezeigt wird was passiert. Ganz ehrlich, wenn in irgendnem Thriller sich ein Typ für den Discoabend fertig macht, vorm Spiegel steht und das vor sich hinreden würde... Es würde kein Hahn danach krähen. Man nähme es zur Kenntnis, und würde es als Unterstüzung zur Charakterentwicklung hinnehmen. Ganz ehrlich, das würd, wahrscheinlich ohne irgendwelche Bedenken, zur Prime-Time laufen, wer weiß, wahrscheinlich auch schon nachmittags am frühen Abend in irgendner Soap oder so...
Was nun bleibt ist die Frage, worum geht es dem Autor wirklich? Ich hab keinen Schimmer ob Herr Lindemann so weit denkt... Eigentlich hab ich immer das Gefühl, dass der Mann nicht blöd ist, und würde ihm, denke ich, sowas schon zutrauen. aber ganz ehrlich... Wenn man selbst mal was schreibt, manchmal schreibt man einfach... ohne sich da groß Gedanken drüber zu machen, ohne große Intention oder sonstwas. Einfach des Schreiben wegens. Manchmal erkundet man die andere Perspektive, versucht sich einzudenken, einzufühlen in jemand anderen, eine hypothetische Person, das lyrische Ich. ich kann mir bis heute nicht vorstellen, dass sich diverse Schriftsteller und Autoren soviel Gedanken über das gemacht haben was sie schreiben, wie es mir manch Deutschlehrer vormachen will. Ich glaube nicht daran, dass jemand Alliterationen bewusst benutzt, um irgendwas zu verstärken, sondern einfach weil sie gut klingen... Vielleicht mag ich mich auch irren...
Und am Ende bleiben für mich folgende Fragen: Was wäre, wenn diese Zeilen NICHT von Herrn Lindemann kämen, sondern, wie gesagt, ganz beiläufig, so in irgendnem Thriller aufgetaucht wären? Es hätte niemanden interessiert. bekommen diese Zeilen nun ihre Bedeutung dadurch, dass sie eben von Herrn Lindemann stammen? Bekommen sie ihre Wirkung dadurch, dass sie in einem Lyrikband stehen? Was wäre, wenn es ein Songtext von Rammstein wäre, oder ein Track auf dem aktuellen Lindemann Album?
Was wäre wenn ich die gleichen Gedichte, keine Ahnung, bei Amazon als meinen Lyrikband rausgehauen hätte? Wahrscheinlich hätte die Zeilen niemand gelesen, und es wäre egal. Da würd niemand drüber reden, es gäbe keine hunderte Schlagzeilen, es würde nicht die Runde machen... Es würde niemanden interessieren. Die Zeilen bekommen erst Gewicht dadurch, dass sie eben von Herrn Lindemann kommen, und erst dadurch wird darüber diskutiert.