giant squid
Till Deaf Do Us Part
Die späte April-Sonne senkt sich langsam hinter dem Fenster meiner Küche, in der eine interessant aussehende Pilzpfanne gemächlich vor sich hinköchelt. Aus dem Küchenradio ertönt fremdländisch klingende Musik – die Antenne muss sich wieder an irgendwelchen fernen Frequenzen festgebissen haben. Hm, scheint der Auftakt zu einem Märchen-Hörspiel jenseits des Eisernen Vorhangs zu sein. Nun gut. Ich entkorke einen Rotwein aus den Kleinen Karpaten (Hanglage!), beiße gedankenverloren in eine Knoblauchknolle und höre genauer hin.
Aber irgendetwas scheint nunmehr durcheinander zu gehen. Erkennt doch der geschulte Hörer, dass hier Elemente zwielichtiger Götter, Lagerfeuer-Beschallung und eingestaubte synthetische Klangerzeuger ein gar ko(s)misches Bündnis eingehen. Ich probiere einen Löffel von der nunmehr leicht schimmernden Pilzpfanne und vermag plötzlich die merkwürdige Sprache dieses Heckenpenners (mit wahrscheinlich viel zu großer Sonnenbrille) zu verstehen. Beispiel gefällig? „Čérny Feldmaršál“. Sieht geschrieben schon sehr sexy aus. Klingt gebrüllt noch viel, viel schöner. Und die dem zugrundeliegende Tonfolge erstmal…! Namen alter und neuer Helden wie Mercyful Fate und Negative Plane schießen mir durch den Kopf, während ich mir mein blutrotes Koch-Cape um die Schulter werfe und mit beiden Händen unsichtbare Orangen auspresse.
Beim nächsten Kapitel beschleicht mich so langsam der Gedanke, dass mir wichtige Informationen vorenthalten werden. Denn scheinbar nimmt die Geschichte eine Wendung, die nur mit einem Blick in das Libretto – ach, wenn es ein solches doch nur gäbe! – nachvollzogen werden kann. Da die Aufspielenden ganz überwiegend aber nicht den Eindruck vermitteln, im Besitz eines Opern-Abonnements zu sein, begnüge ich mich halt mit dem, was mir zu Ohren kommt. Und das ist hier ein Kondensat der schönsten Schäbi-Metal-Riffs aller Zeiten, die mit einem unscheinbar-genialen Twist jeweils noch um weitere zwei Takte verlängert und so bis in die letzte Faser erkundet werden. Jedenfalls scheint mir der Rotwein so langsam zu Kopf zu steigen, denn ich meine zu vernehmen, dass hier lang und breit nützliche Haushalts-Tipps zur Verwendung und Zubereitung der Wurzel der Gemeinen Alraune besungen werden – nur um nach zehn Minuten zum Schluss zu kommen, dass diese Pflanze eventuell, also unter Umständen, eben nur ganz so von vorne an zum Zwecke der Hexerei vielleicht doch ganz nützlich wäre. Na, die Bewertungen dieses Rezepts bei chefkoch.de will ich lieber nicht sehen...
Huch, ein kalter Wind weht plötzlich zum Fenster hinein. Ich schließe es und wringe auf dem Rückweg geschwind einen Salamander über der Pfanne aus. Nochmal abschmecken – nicht übel! Halt, was war das? Flog da draußen etwa ein schwarzes Pferd vorbei? Schnell noch etwas Rotwein nachgießen und sicherheitshalber einen Pferdeschädel unter der Türschwelle vergraben. Also: Fliegende Pferde – pfft, so ein Quatsch. Was denn noch? ̶ö̶̶f̶̶f̶̶n̶̶u̶̶n̶̶g̶̶s̶̶d̶̶i̶̶s̶̶k̶̶u̶̶s̶̶s̶̶i̶̶o̶̶n̶̶s̶Hexenorgien? Naturgeister? Ziegenfürsten in Designeranzügen? Ich muss doch sehr bitten. Zurück zur Musik: Ach, wie schön sich dieses eine Riff zum Ende hin öffnet…! Und das andere erst, zu dem ich durch die Küche tanze…! Und das zum Schluss, bei dem ich glückselig auf dem Boden liege…!
Lieblingshexe: Žofia Krištofíčka
Lieblingsjahreszahl: šesnástémsedemdesátempátém
Lieblingsmusiker: Peter Motorfuck – Bass
Verdammt, das Radio spinnt wieder rum. Anscheinend ist es beim Ritt durch die Mittel- und Kurzwelle nun bei der ersten Welle des hellenischen Schwarzmetalls gelandet. Mir soll’s recht sein. Umgehend wird mir wärmer. Wobei das allerdings auch mit dem Schein der Fackeln vor meinem Fenster zu tun haben könnte. Was ist denn da draußen schon wieder los? Die leichtbekleideten Damen da auf dem Hügel gegenüber scheinen das mit der Kontaktbeschränkung jedenfalls nicht wirklich ernst zu nehmen. Naja, die sich ihnen nähernde gehörnte Gestalt mit grüner Haut und grünem Haar wird da mit Sicherheit schon für Recht und Ordnung sorgen…!
Hmm, wie das duftet… Die Pilzpfanne dürfte gleich fertig sein. Aber was macht diese Biker-Gang auf einmal in meiner Küche? Warum stimmt sie so einen unverschämt eingängigen Chorgesang an? Und seit wann kann man auf slowakisch reimen? Mit letzter Kraft murmle ich in Trance die Worte „vzplanuli … stanuli …“ vor mich hin, bevor ich das Bewusstsein verliere. Keine Ahnung, wie lange ich da in Ohnmacht lag. Langsam komme ich wieder zu mir. Aus dem Radio vernehme ich das Geräusch knisternden Feuers. Vom Herd in meiner Küche allerdings auch – und alles steht voller Rauch! Verflucht, die Pilzpfanne ist angebrannt! Schnell springe ich auf meine vier Hufe, um noch zu retten, was zu retten ist.
Mein Slowakisch ist zwar ungefähr so hanebüchen wie deines, aber auf Grund meiner anderen Slawisch-Kenntnisse find ich das von dir Geschriebene noch topper als ohnehin