Sentinels Classic Reviews - Neuauflage

Hail Spirit Noir – Mayhem In Blue
Stil: psychedelischer, südosteuropäischer End-Sixties Black Metal
VÖ: 28.10.2016
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Hail Spirit Noir sind eine Band, die zur Speerspitze der aktuellen Metal-Welt zählt – zwar nicht, wenn es um Popularität und Bekanntheitsgrad, wohl aber, wenn es um Innovation und Erneuerung geht. „Mayhem In Blue“ ist ihr drittes Werk nach „Pneuma“ (2012) und „Oi Magoi“ (2014), es wird sicherlich wieder mehr oder minder unter dem Radar einer breiteren Öffentlichkeit durchfliegen, eigentlich aber hätte es maximale Aufmerksamkeit verdient.

Black Metal ist hier nur eine äußerst vage Umschreibung, doch auch die beiden Vorgänger waren sicher grenzsprengend genug. Griechenland ist nun ohnehin dafür bekannt, immer mal wieder erfrischend andere Perspektiven auf den Black Metal zu eröffnen; in der Tat schmeckt man aus vielen der dort erdachten Notenfolgen die Sonne und Reben Hellas' anstelle frostklirrender Nordnächte. Hier nun, bei Hail Spirit Noir, wird das Bouquet vollmundig abgerundet durch die komplette als auch kompetente Verquickung mit südeuropäischen Zigeuner- (der Begriff soll hier nicht abwertend, sondern in seiner romantisierten Lesart aufgenommen werden) und Karnevalstaumeln, querbeet durchgeorgelt und beschwingt durch den Fleischwolf gedreht. Sämtliche Synapsen stimulierend, massierend sowie in keinster Weise abweisend-komplex, verwirrend oder gar sinnfrei. Ein Gedankenspiel: dies hier könnte Proto-Black Metal sein, das erste Black Metal-Album der Welt, in einem Paralleluniversum zu Zeiten von Psychedelia und Krautrock veröffentlicht. Ansonsten könnte es auch der Soundtrack zu einem cineastischen Leckerbissen irgendwo zwischen „Schöne Isabella“ und „Die Nacht der reitenden Leichen“ sein. Und wenn man schon diesen hypothetischen Film niemals zu Gesicht bekommen wird, so ist es allemal eine Offenbarung, wenigstens der vermeintlichen Musik dazu lauschen zu können.

„Mayhem In Blue“ ist ein verschrobenes, verqueres, spinnertes und wahnsinnig erfrischendes, kreatives und verwunschenes Zauberwerk, das zeigt, dass da draußen doch noch nicht zwangsläufig alles gesagt sein muss, auch wenn die Inhalte an und für sich natürlich alle schon einmal dagewesen sind. Dieses Album ist wie ein bizarrer Ritt auf dem Hexenbesen über zerklüftete Felsküsten, mit einer Buddel Rum an den Lippen – während sich an den Gestaden die Hexen von Shakespeare gemeinsam mit Satyrn und Kobolden ein Stelldichein geben, alldieweil sich durch die verwunschenen Küstenwälder ein obskurer Karneval voll Magie und Schabernack nähert und Wesen mit Pestmasken dazu begierig die Galgenglocken läuten.

Die Stimme klingt immer mal wieder nach einem spritzigen Mix aus A Forest Of Stars und Aldrahn, bereits die Titel der Lieder machen Lust auf das, wovon sie hier erzählt: über die Meere daher segelnde Kannibalenstämme, ein Flug durch die Schwärze, das Unterwegssein nach Utopia, schwarzmagische Beschwörungszauber des Satans, in welchen man sich verliert... Wenn das nicht das musikalische Äquivalent zur womöglich trashigen, in den Augen einer breiten Öffentlichkeit unter Umständen trivial-unnötigen, tatsächlich jedoch aus tiefstem Herzen kommenden, beseelt-romantischen Fabulierkunst der Sechziger und Siebziger ist, Grusel in üppigem Technicolor – „Mayhem In Blue“ sei der neueste Soundtrack dazu.

Einen Song möchte ich am Ende dieser Besprechung noch gesondert herausheben, es ist der letzte von insgesamt sechs, allerdings auch der untypischste daraus: „How To Fly In Blackness“, eine lodernde, üppige, regelrecht progressiv-romantische Ballade mit großartigen Akustikgitarren und fast schon kitschigem, die Grenze dahin jedoch nicht überschreitendem Schwelgen im Hintergrund – großartig!

Man darf gespannt darauf sein, was das andere zeitgenössische „Anarcho“-Black Metal-Kommando aus Griechenland – Aenaon – in ein paar Wochen mit seinem ebenfalls neuen Album an bewusstseinserweiternden Momenten zur Thematik und Stilistik beizutragen hat. „Mayhem In Blue“ jedenfalls sollte man kennen – und als physische Reliquie im Plattenschrank stehen haben.

(Herbst 2016)

Anmerkung: Dies ist mir persönlich von all meinen Reviews tatsächlich eines der allerliebsten, denn ich liebe die Bilder, welche es in meinem Kopf erschafft - was natürlich völlig verrückt ist, denn ursprünglich waren es ja eigentlich Bilder, welche in meinem Kopf durch das Hören von „Mayhem In Blue“ sowie dem Betrachten des Covers entstanden sind. In den Folgejahren, also nach 2015, entstanden sie dann jedoch durch das schiere Denken an dieses Review oder natürlich noch verstärkt beim tatsächlichen Lesen davon.

Ich habe kein Problem mit dem neuen Weg, welchen die Band auf ihrem aktuellen Album „Eden In Reverse“ eingeschlagen hat, doch offen gestanden gefielen mir Hail Spirit Noir davor besser. „Mayhem In Blue“, das preise ich auf jeden Fall noch heute gänzlich unverändert zu meiner Wahrnehmung von vor vier Jahren an. Für altmodische Menschen (wie mich) eine verschroben-kauzig-wohlige Erinnerung an längst vergangene Zeiten, welche so wie oben im Review geschildert natürlich weder tatsächlich existiert haben, noch dass man sie auf eine andere Art und Weise als im Inneren des eigenen Geistes jemals hätte kosten dürfen.

Ich hatte jetzt endlich mal die Zeit, das mir in Ruhe anzuhören. Sehr "schöne" Musik und vor allem vielseitig. Genre-sprengend ist da noch untertrieben. Trifft nicht so ganz meinen Geschmack in der Endgültigkeit, aber das was es macht, macht es wirklich gut. Ich kann auch sehr gut die Bilder in deinem Kopf da nachvollziehen, da hier sehr viel Atmosphäre geboten wird. Sollte jeder mal gehört haben, sehr moderner Metal!
 
Ich hatte jetzt endlich mal die Zeit, das mir in Ruhe anzuhören. Sehr "schöne" Musik und vor allem vielseitig. Genre-sprengend ist da noch untertrieben. Trifft nicht so ganz meinen Geschmack in der Endgültigkeit, aber das was es macht, macht es wirklich gut. Ich kann auch sehr gut die Bilder in deinem Kopf da nachvollziehen, da hier sehr viel Atmosphäre geboten wird. Sollte jeder mal gehört haben, sehr moderner Metal!

Danke - und super, dass du extra reingehört hast! :)
Ja, "schöne Musik" trifft es gut - das lodert alles ganz feurig und verheisungsvoll und wärmt wie ein prasselndes Feuer am Rande einer nebligen Bucht.

Nur "moderner Metal" finde ich als Begriff als auf eine falsche Fährte lockend - obwohl ich glaube, dass ich verstehe, wie du das hier im Kontext meinst. Trotzdem wäre es so ziemlich der letzte Begriff, den ich für diese Band und dieses Album verwenden würde, weil im Prinzip alles nach längst vergangenen Zeiten klingt - von den Songs bis hin zum Sound. (Am Schluss denkt noch jemand, Hail Spirit Noir würden wie Slipknot oder Powerwolf oder Twilight Force klingen, was ja nun wirklich eine Schande wäre... ;) )
 
Grade den Sound finde ich sehr modern, da es ganz bewusst nicht auf Black Metal/Extrem Metal-Klisches der 90er und 00er reitet, sondern eher einen Sound wählt, den ich noch am ehesten mit der UADA-Djinn vergleichen würde.
Aber ja, "modern Metal" dürfte für viele hier im Forum gleich bedeutend sein mit Djent oder Nu Metal (die für mich alles sind, aber schon lange nicht mehr modern :D). Ich hab den Begriff auch eher gewählt, weil ich finde, dass die Intention des Sounds sehr modern wirkt. Aber das wird jeder ein wenig anders empfinden.
 
Grade den Sound finde ich sehr modern, da es ganz bewusst nicht auf Black Metal/Extrem Metal-Klisches der 90er und 00er reitet, sondern eher einen Sound wählt, den ich noch am ehesten mit der UADA-Djinn vergleichen würde.
Aber ja, "modern Metal" dürfte für viele hier im Forum gleich bedeutend sein mit Djent oder Nu Metal (die für mich alles sind, aber schon lange nicht mehr modern :D). Ich hab den Begriff auch eher gewählt, weil ich finde, dass die Intention des Sounds sehr modern wirkt. Aber das wird jeder ein wenig anders empfinden.

Zum Vergleich mit dem Sound der "Djinn" kann ich leider nichts sagen, da mich schon dessen Vorgänger nicht mehr wirklich umgehauen hat und ich bei Uada aktuell einfach raus bin. "Devoid Of Light" fand ich 2016 noch sehr vielversprechend, von daher ist das natürlich etwas schade - aber die Band reizt mich aktuell leider überhaupt nicht mehr.

Ich finde den Klang von "Mayhem In Blue" jedenfalls extrem natürlich - für mich klingt das nicht nach unserer digitalen Scheißwelt ;) , sondern nach einer Zeit, in der noch Kraut gerockt sowie Rock gerollt wurde... :D Alleine schon "How To Fly In Blackness" klingt doch wirklich komplett wie eine Aufnahme aus den Siebzigern... :)
 
Vektor – Terminal Redux
VÖ: 06.05.2016

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1. Charging The Void 09:11
2. Cygnus Terminal 08:15
3. LCD (Liquid Crystal Disease) 07:33
4. Mountains Above The Sun 01:22
5. Ultimate Artificer 05:04
6. Pteropticon 06:00
7. Psychotropia 07:39
8. Pillars Of Sand 05:19
9. Collapse 09:22
10. Recharging The Void 13:36


Vorsicht war geboten bei all den Jubelreviews und Höchstnoten, welche direkt auf dieses dritte Vektor-Album ergossen wurden – und doch ist Aufatmen angesagt, mehr noch: maximaler Jubel und Dankbarkeit, denn alle wundersamen Zuschreibungen und marktschreierischen Versprechungen sind wahr.

„Terminal Redux“ ist eine dystopische Weltraumoper, ein unheilschwangeres Sci-Fi-Konzeptalbum im Breitbandformat, von der lyrischen Seite her beängstigend und packend erzählt, aus musikalischer Sicht überragend vielschichtig, enorm kreativ und maximal packend umgesetzt. Trotz aller musikalischen Komplexität ist das Album absolut frisch und braucht noch nicht einmal allzu lange, um ins Langzeitgedächtnis überzugehen.

Die vielzitierte Nähe zu Voivod ist eigentlich gar nicht sonderlich vorhanden und eher wundervolles Stückwerk, musikalisch sind Vektor viel eher in der Nähe von Death ab „Human“ (1991), insbesondere „Symbolic“ (1995) sowie Cynic zu Zeiten von „Focus“ (1993) und auch Bands wie Atheist zu verorten. Dazu kommen enorm farbenfrohe Non-Metal-Tupfer (zu finden in „Charging The Void“, „Recharging The Void“, „Collapse“), die manchmal auch an Pestilence' wenig geliebtes und umstrittenes „Spheres“ (1993) gemahnen lassen – qualitativ betrachtet jedoch ungleich höher anzusiedeln sind.

Einigen mag angesichts dieses Namedroppings die innere Warnlampe bedrohlich anschwellen und fieberrot erstrahlen – kalt, technisch, verfrickelt, abweisend; so manch einer hat die genannten Bands immer und immer wieder mit diesen Attributen versehen. Keines dieser schmähenden Attribute trifft auf „Terminal Redux“ zu, höchstens bei den ersten Durchgängen. Danach aber, da regieren eine üppige Melodienwucht sowie eine aller spielerischen Kapriolen und Windungen zum Trotz wunderlich entschlackt klingende Springflut des mit gehörigem Abstand besten, was die Metal-Welt im Jahr 2016 bislang vernehmen durfte. Mehr noch, Vektor's Drittwerk erschafft es komplett: das Gefühl, etwas wahrhaft Großes in Herz, Hirn und Ohr zu haben, welches vor zwanzig bis dreißig Jahren noch regelmäßig durch neue Platten ausgelöst wurde, heutzutage jedoch nur noch ganz selten auftritt. Schon das Cover weist zurück in diese im Morast der Zeit versunkene Welt, erinnert es doch mehr als charmant an Nocturnus' Zweitwerk „Thresholds“ (1992).

Die Songs sind lang, im Vergleich zu so ziemlich allem anderen, was in der letzten Zeit mit großzügigen Zeitfenstern versehen daher kam, allerdings zu jeder Sekunde packend. Sie sind genau im richtigen Ausmaß mit Abwechslung und großartigen Ideen aufgeladen, die Grenze zum Überambitionierten wird an keiner Stelle überschritten. Herausragend ist die Klammer des Albums, bestehend aus „Charging The Void“ und „Cygnus Terminal“ zu Beginn sowie beendet von „Pillars Of Sand“, „Collapse“ und „Recharging The Void“ am Ende. Insbesondere die beiden „... The Void“-Songs sind maximal großartig und bersten schier vor göttlicher Brillianz.

„Terminal Redux“ ist wirklich wie ein Film; es ist ein atemberaubend visuelles Album, das die Musik als schiere Breitwandbilderflut über den Hörer ergießt – ja, mehr noch: sie regelrecht greifbar, fühlbar, am ganzen Körper unmittelbar erfahrbar macht. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, hiermit den Blockbuster des Jahres vorliegen zu haben... obwohl dies andererseits fast schon wieder eine Beleidigung für dieses fabelhafte Album darstellen würde - „künstlerisch uneingeschränkt wertvoller Blockbuster mit Tiefgang“ ist eigentlich die angemessenere Formulierung. Denn wer einfach nur „Knallbumm!“ haben will, der ist hier natürlich ganz falsch (obwohl man selbstverständlich auch das bekommt).

Alles andere als die Höchstnote ist in diesem Fall völlig undenkbar.

(Frühling 2016)

Anmerkungen: Das Album steht nach wie vor ganz weit oben mit dabei und ist ein unumstößlicher, absolut visionärer Metal-Klassiker der 2010er-Jahre. "Charging The Void" und "Recharging The Void" sind so unglaublich genial, dass diesbezüglich überhaupt gar keine Steigerung mehr denkbar erscheint. Ein absoluter Mega-Trip, welchen man einfach kennen - und bewundern - muss. Wahnsinn!
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich würde das so gerne mögen aber ich finde einfach keinen Zugang. Nur das stark melodische Debut find ich richtig geil.
 
Die müsste ich noch mal gesondert anhören, aber beim letzten Versuch die Platte geil zu finden, habe ich schlicht irgendwann entnervt ausgemacht. Das gleiche Problem habe ich aber auch mit Voivod (die mehr als nur ein Mal Pate stehen für die Band).
 
Die müsste ich noch mal gesondert anhören

Wenn du mal Lust und Zeit dafür hast, dann mach das unbedingt. Diese beiden Lieder sind (man geht ja oft unbedacht mit den nun folgenden Begriffen um, ich verwende sie hier jedoch bewusst) visionär und genial. Davor, was in diesen Songs passiert, müssten nach meinem persönlichen Empfinden selbst alle "ernsthaften" und "anerkannten" Komponisten aus den Bereichen Klassik bis Jazz mindestens anerkennend den Hut ziehen. Auch nach nunmehr fünf Jahren ertappe ich mich immer noch dabei, wie ich völlig fassungslos unter meinen Kopfhörern sitze, wenn ich "Charging The Void" und "Recharging The Void" höre und erlebe, dass es mich immer wieder komplett flasht - selten, dass es so etwas gibt, doch diese Lieder wirken tatsächlich wie Drogen - und wie sehr gute, wohlgemerkt. :verehr::verehr::verehr:
 
Cultes Des Ghoules – Coven Or Evil Ways Instead Of Love
VÖ: 25.11.2016

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1. The Prophecy (Prologue) / Devell, The Devell He Is, I Swear God... (Scene I) 22:49
2. Mischief, Mischief, The Devilry Is At Toil... (Scene II) 11:29
3. Strange Day, See The Clash Of Heart And Reason... (Scene III) 20:47
4. Storm Is Coming, Come The Blessed Madness... (Scene IV) 14:39
5. Satan, Father, Savior, Hear My Prayer... (Scene V) 28:03


Ist es das erste Black Metal-Theater der Welt? Ich würde meine Hand nicht dafür ins Feuer legen, gegenwärtig fallen mir jedoch keine ähnlich gelagerten Fälle ein. „Coven Or Evil Ways Instead Of Love“ ist in erster Linie ein Theaterstück, welches die Polen Cultes Des Ghoules – Teil der Speerspitze der zeitgenössischen Black Metal-Szene – hier in einem musikalischen Parforceritt von knapp 100 Minuten aufführen.

Thematisch geht es um Hexerei, die Dialoge sind absolut erfreulich, die Handlung an und für sich zwar etwas abgedroschen und wenig innovativ, diesen kleinen Malus macht die sprachliche Umsetzung jedoch allemal wieder wett. Mit nur wenigen, prägnanten Worten wird sofort einsichtig, warum die wohlbehütet und abgesichert aufgewachsene Dorothea sich bereitwillig den schwarzen Künsten zuwendet, ihr Motiv ist klar herausgearbeitet, banal-dümmliche 08/15-(Black) Metal-Texte lesen sich eindeutig anders. Den auftretenden Figuren sind dabei keine verschiedenen Stimmen zugeordnet, alles wird im altbewährten Stil von Mark Of The Devil gekeift, geflüstert und gegrummelt – was sich für diese Art von Album beizeiten etwas einschränkend darstellt, da es die zugrundeliegenden Emotionen nicht immer folgerichtig transportiert und zudem die auftretenden Figuren unnötig vereinheitlicht.

Seltsam mutet der Titel an: „...Evil Ways Instead Of Love“ – wenn man Lied Nummer Vier aufmerksam mitliest, dann scheint es nicht so zu sein, als ob Dorothea zwischen den Wegen des Teufels und jenen der Liebe gewählt hätte, scheint sie das zuletzt genannte doch überhaupt nicht angeboten bekommen zu haben, sondern stattdessen nur ein heuchlerisches Trugbild. Sei es drum, und überhaupt: wen wundert es da noch, dass sie den Pfad des Bösen beschreitet? In der letzten halben Stunde des Stückes erfährt sie ihren Initiationsritus und beschert dem Hörer damit den – neben dem großartigen Opener „Devell, The Devell He Is I Swear“ – Höhepunkt des Albums.

Musikalisch bewegt sich die Band nach wie vor (grob) im Spannungsfeld zwischen alten Darkthrone, Mayhem und frühen Necromantia, im abschließenden, eben bereits angesprochenen „Satan, Father, Saviour, Hear My Prayer“ rumpelt phasenweise gar ein liebliches Emperor-Riff aus „In The Nightside Eclipse“-Tagen mit umher.

Natürlich durchzieht bei solch hoher Spielzeit und der hier aufgeführten Musik ab und an viel Repetition das hexenhafte Gekeife, „Coven Or Evil Ways Instead Of Love“ braucht hinreichend Zeit zur mentalen Verarbeitung und wird selbst dann nicht allen Ohren gefallen. Die sich vor dem inneren Auge des Zuhörers entfaltenden Bilderwelten mögen jedoch der Schlüssel zur Erschließung der begleitenden Klänge sein – es lohnt auf jeden Fall, sich angemessen mit dem zugrundeliegenden Konzept auseinanderzusetzen.

Oft war in den letzten Jahren zu lesen, Cultes Des Ghoules würden Schluss machen – falls dem so sein sollte, dann ist dieses Werk in seiner abgründigen Finalität ein würdiges Ende. Hoffen wollen wir dies aber freilich nicht.

(Ende 2016)

Anmerkungen: Das Album hatte im Frühjahr - während des Lockdowns - ein Mega-Revival bei mir und ich habe es da erneut rauf- und runtergehört. Ich muss ganz deutlich sagen, dass es für MICH persönlich wohl zum abgründigsten und bösesten Album überhaupt geworden ist. Es gab etliche Momente zwischen März und Mai, in welchen mir ein Angebot analog zu dem, welches hier auf "Coven" Dorothea gemacht wird, willkommen gewesen wäre. Dieses damalige Gefühl von: "Jetzt ist alles scheißegal, es geht sowieso alles den Bach runter" muss ich in diesem Leben jedenfalls echt nicht noch einmal haben - "Coven" ist spätestens seither vertontes Unbehagen für mich, aber ich liebe es trotzdem. Sehr sogar! Es sprengt die normalen Grenzen eines Musikalbums auf perfide sowie auch höchst subversive Art - dieses Album ist in der Tat gefährlich und Jorge von Burgos würde jeden töten, der es gehört hat sowie es in den tiefsten Tiefen "seiner" labyrinthischen Bibliothek verschwinden lassen.
 
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Judas Priest – Redeemer Of Souls
VÖ: 11.07.2014

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1. Dragonaut 04:26
2. Redeemer Of Souls 03:58
3. Halls Of Valhalla 06:03
4. Sword Of Damocles 04:54
5. March Of the Damned 03:55
6. Down In Flames 03:56
7. Hell And Back 04:47
8. Cold Blooded 05:35
9. Metalizer 04:37
10. Crossfire 03:52
11. Secrets Of The Dead 05:41
12. Battle Cry 05:18
13. Beginning Of The End 05:09


Es ist mittlerweile schon allgemeiner Konsens, dass es sich bei „Redeemer Of Souls“ mitnichten um ein Highlight im Schaffen dieser womöglich göttlichsten Heavy Metal-Band aller Zeiten handelt. Und natürlich stimmt es, denn „Redeemer Of Souls“ kann Klassikern wie „Defenders Of The Faith“ oder „Painkiller“ nicht den Rang ablaufen. Doch je mehr Zeit seit der Veröffentlichung verstreicht, desto mehr meine ich, dass der hier angelegte Maßstab eventuell nicht ganz fair ist. Woran dieses Album krankt, sind nämlich mitnichten die Songs. Ich wage sogar zu behaupten, dass die Band hier de facto einen Hit nach dem anderen vom Stapel lässt.

Das größte Problem des Albums ist die grauenhafte Produktion, die den Songs die nötige Schärfe und die absolute Durchschlagskraft nimmt. Es mag an meiner Anlage liegen (was ich aber nicht glaube), doch vieles hier klingt wie frisch aus den Tiefen eines Metalleimers heraus musiziert. Gerade aber die etwas unspektakulären Songs dieser Platte (zum Beispiel der Titelsong... und überhaupt – wieso benennt die Band das Album nach einem der schwächsten Songs?!) verlieren dadurch deutlich an Momentum.

Das zweite Problem von „Redeemer Of Souls“ ist, dass vielen der Songs eine deutlich kürzere Laufzeit um einiges besser zu Gesicht gestanden und die Durchschlagskraft des Albums sowie das positive Gesamtfazit deutlich erhöht hätte.

Und an dritter Stelle muss ich noch anmerken, dass eine andere Songreihenfolge dem Album zusätzlich gut getan hätte. „Redeemer Of Souls“ wirkt – so, wie es ist – nicht wirklich wie aus einem Guss, sondern teilweise beliebig zusammengewürfelt. Insbesondere der Start mit den eher schwachen „Dragonaut“ sowie dem Titelsong ist unglücklich gewählt. Womöglich hätte die Band auch einfach auf ein paar Songs verzichten sollen („Hell And Back“ etwa) und stattdessen die (sehr gefällige) Bonus-Disc weiter aufwerten können.

Denn das Album HAT viele helle Momente. Der strahlende Höhepunkt - das pfeilschnelle, absolut frisch und hungrig klingende „Battle Cry“ - kann es ungelogen mit allen großen Klassikern des Backkatalogs aufnehmen! Dieses Niveau erreicht der Rest des Albums nicht, und natürlich ist dies eine kleine Enttäuschung, da die ganz großen Priest-Alben Jahrhundertsongs im Übermaß enthielten. Allerdings wird der Rest von „Redeemer Of Souls“ deshalb noch lange nicht zur belanglosen Supermarkt-Hintergrundberieselung degradiert.

„Sword Of Damocles“ etwa, das hymnisch und majestätisch den (etwas zu späten) ersten Höhepunkt von „Redeemer Of Souls“ darstellt, weiß auf Anhieb zu gefallen. Song Nummer Fünf, „March Of The Damned“, enthält dann gar einen der großartigsten Parts des Albums: wenn Rob Halford „Can't stop us / They don't know why / They try / Can't hurt us / We'll never die“ singt und die Gitarren dazu einfach betörend und hymnisch im Hintergrund erklingen, kommt man für einige Momente wirklich in der Glückseligkeit an. Das folgende „Down In Flames“ hat eine großartige Melodie, wirkt aber phasenweise etwas drucklos. Das selbe lässt sich für „Cold Blooded“ sagen. Diese Songs könnten absolute Killer sein – wie oben bereits erwähnt, liegt der entscheidende Fehler hier meiner Ansicht nach in der Produktion. Was für ein unnötiges Ärgernis, gerade bei einer Band dieser Güteklasse! „Metalizer“ hätte sich mit etwas mehr Druck gar auf „Painkiller“ gut gemacht - der Song hat Energie und klingt im Vergleich zu vielem anderen hier wirklich hungrig und frisch. Auch das bluesige „Crossfire“ gefällt und weist den Weg zurück in die seligen Siebziger. Der balladeske Abschluss mit „Beginning Of The End“ ist schließlich komplett unverkitscht und einer der gelungensten Momente des Albums. Auf keinem anderen der Songs weiß Rob Halford mehr zu überzeugen.

Summa summarum: mindestens acht der 13 hier vertretenen Songs sind wirklich gut. Und hätte man die drei oben genannten Mankos rechtzeitig ausgebügelt, dann wären sie sogar sehr gut geworden. Eigentlich ist es wirklich zum heulen, denn „Redeemer Of Souls“ hätte ein ganz, ganz großartiges Album sein können - das nötige Fundament ist nämlich hörbar da.

P.S.: Was die ewigen Maiden/Priest-Vergleiche anbelangt: "Redeemer Of Souls" gefällt mir persönlich etwas besser als "The Final Frontier".

P.P.S.: "Redeemer Of Souls" hat das beste Artwork der Band seit "Painkiller" - immerhin. Ich liebe besonders Details wie die Wirbelstürme rechts im Hintergrund sowie den aus der linken Hand schießenden Feuerstrahl.

(19.10.2014)

Anmerkungen: Judas Priest sind eine meiner Lieblingsbands. Welch Wunder bei meinem Forumsnamen! Ich unterschreibe noch heute jedes Wort meines damaligen Reviews - mit einer Einschränkung: "Battle Cry" ist natürlich nicht so hoch einzustufen wie etwa "The Sentinel" ( :D ), "Desert Plains" oder "Rapid Fire", trotzdem finde ich ihn nach wie vor großartig! Schön war es, die Band "neulich" (naja, 2018 halt... ;) ) noch mit Megadeth im Vorprogramm zu sehen, noch schöner wäre es gewesen, wenn das mehrfach verschobene Megapackage mit Ozzy jedoch tatsächlich stattgefunden hätte. Dass es das in der Zukunft noch tun wird - daran kann ich leider nicht mehr wirklich glauben, jedoch Ozzy- und nicht etwa Priest-bedingt. Denn dass die noch einmal kommen werden - irgendwie, irgendwo, irgendwann - hoffe ich doch sehr.
 
Zuletzt bearbeitet:
Kann deinem Review nur absolut zustimmen und ich bin jemand, der Judas Priest sowieso schon eher ablehnend gegenübersteht. Letztlich finde ich nur die Painkiller gut - und dann die Firepower, die sämtliche Fehler des damals schon umjubelten Vorgängers wett gemacht hat. Außer eins: Meine Güte, hört auf CDs voll zu quetschen. 8 bis MAXIMAL 10 Songs reichen auch als Heavy Metal Band mit Songs á 5 Minuten völlig aus. Es müssen nicht 12-14 sein. Das Füllmaterial raus, die Killer behalten. Fertig.
 
Meine Güte, hört auf CDs voll zu quetschen. 8 bis MAXIMAL 10 Songs reichen auch als Heavy Metal Band mit Songs á 5 Minuten völlig aus. Es müssen nicht 12-14 sein. Das Füllmaterial raus, die Killer behalten. Fertig.

Da stimme ich dir eigentlich absolut zu, wobei ich zugeben muss, mich lustigerweise gerade in diesem Jahr an Alben mit teilweise extremer Überlänge regelrecht berauscht zu
haben. :D
 
Portrait – Crossroads
VÖ: 25.04.2014

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1. Liberation 01:43
2. At The Ghost Gate 06:52
3. We Were Not Alone 05:00
4. In Time 05:00
5. Black Easter 05:37
6. Ageless Rites 04:56
7. Our Roads Must Never Cross 04:35
8. Lily 09:04


Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: für mich ist „Crossroads“ das beste traditionelle Metal-Album des Jahres. Ich könnte sogar schreiben: bei diesem Gesamtpaket stört nur das uninspirierte und wenig gelungene Band-Logo.

Vergleiche mit Mercyful Fate / King Diamond sind bei Portrait allgegenwärtig und alles andere als abwegig – wobei ich ganz klar sagen muss, dass ich den Gesang als weit weniger extrem und deutlich wärmer, insgesamt auch emotionaler und – ähem, sorry! – einfach menschlicher als den von unser aller Kim Bendix wahrnehme. Die Songs schließlich zeichnen sich durch das aus, was den Metal in den 80ern weitestgehend ausgezeichnet und unsterblich gemacht hat: man kann sich an den Liedern satthören, sie immer und immer wieder laufen lassen; gleichzeitig sind sie komplett einprägsam und zeugen dennoch von einer überbordenden Musikalität, da sie alles andere als formelhaft und eindimensional sind. Einige Durchgänge muss man „Crossroads“ vor seiner Entfaltung zugestehen, aber es handelt sich hier gottlob um keines dieser zickigen und kapriziösen Werke, welche man sich unter Schweiß und Tränen in harter Arbeit erkämpfen und erarbeiten muss.

Das Intro „Liberation“ wirkt anfangs womöglich noch etwas unspektakulär (was sich aber nach mehreren Durchläufen auch ändert!), doch der Rest: wow! Hier hört man förmlich den Esprit, die Begeisterung, das Ungestüme - aber in klare musikalische Visionen gegossen als handele es sich um flüssigen Stahl. „At The Ghost Gate“, der erste „richtige“ Song, spielt für mich an der Wegkreuzung des großartigen Albumcovers, beschert mir famose Traumwelten und innere Bilder – hier stört das ganze okkulte Brimborium nicht die Bohne. „We Were Not Alone“ schließlich bringt sogar stellenweise eine ganz minimale, für manche Hörer eventuell überhaupt nicht wahrnehmbare Geschmacksnote Voivod mit ins Spiel – ich kann es gar nicht direkt benennen, es ist dieses euphorische Sirren, welches immer mal wieder in der Gitarrenarbeit aufblitzt, und mir die perfekte Abrundung dieses Gourmethappens beschert. Und die Reise geht weiter – mit Hymnen, Hymnen, gottverdammten HYMNEN!

Vor allem „In Time“ und auch das folgende „Black Easter“ brauchen zwar länger als der Rest, um ihr vollständiges Potential zu entfalten – merkwürdig, dass Metal Blade gerade den erstgenannten auf eine Rock Hard-CD gesteckt hat – sind aber in keinster Weise auch nur einen Deut schlechter. „Ageless Rites“ beginnt anschließend mit einem Part, welcher mich wohlig-erzitternd an Intros wie jede zu „Between The Hammer And The Anvil“ von Judas Priest denken lässt und ist auch ansonsten alleredelster Heavy Metal wie aus dem Bilderbuch. „Our Roads Must Never Cross“ schüttet ebenfalls wieder schubkarrenweise Glückshormone aus – und bietet gar das großartigste Solo des gesamten Albums, eine wahrhaft kaskadische Ausschüttung genialer Brillianz.

„Lily“ beschließt das Album und stellt die absolute Kür dar: ein als Ballade beginnender Longtrack, der sich episch verpuppend durch beinahe zehn Minuten mäandert, ohne jemals auszufransen oder sich in musikalischen Nebenschauplätzen zu verlieren. Schlüssig, zielführend und absolut folgerichtig entwickelt sich hier alles stimmig und komplett einprägsam vom hervorragenden Beginn bis zum ebenso großartigen Schlusspunkt. Keine Sekunde ist überflüssig oder künstlich gestreckt.

In allen Songs passiert wahnsinnig viel, aber nie zu viel. Mit nahezu schlafwandlerischer Sicherheit macht die Band stattdessen alles richtig, was von anderen Kapellen gerne falsch gemacht wird. „Crossroads“ ist in diesem Metal-Jahrgang das vollkommene musikalische Äquivalent zu einem üppigen Bankett, welches alle Geschmacksknospen bedient und dennoch zu keiner Sekunde überladen ist. Man leidet danach keine Schmerzen, man fühlt sich nicht unwohl, sondern einfach nur glücklich und zufrieden. Und man kehrt immer wieder gerne zurück.

(28.12.2014)

Anmerkungen: Nach wie vor ein tolles Album. Nach wie vor habe ich mir immer noch nicht die beiden Vorgänger besorgt. Nach wie vor bin ich vom Nachfolger "Burn The World" leicht unterwältigt. Nach wie vor hoffe ich, dass bald etwas Neues kommt. Nach wie vor schreibe ich "nach wie vor". :D
 
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Wenn du mal Lust und Zeit dafür hast, dann mach das unbedingt. Diese beiden Lieder sind (man geht ja oft unbedacht mit den nun folgenden Begriffen um, ich verwende sie hier jedoch bewusst) visionär und genial. Davor, was in diesen Songs passiert, müssten nach meinem persönlichen Empfinden selbst alle "ernsthaften" und "anerkannten" Komponisten aus den Bereichen Klassik bis Jazz mindestens anerkennend den Hut ziehen. Auch nach nunmehr fünf Jahren ertappe ich mich immer noch dabei, wie ich völlig fassungslos unter meinen Kopfhörern sitze, wenn ich "Charging The Void" und "Recharging The Void" höre und erlebe, dass es mich immer wieder komplett flasht - selten, dass es so etwas gibt, doch diese Lieder wirken tatsächlich wie Drogen - und wie sehr gute, wohlgemerkt. :verehr::verehr::verehr:

Klingt vielleicht komisch, aber die Genialität dieser 2 Songs hält mich davon ab, die Höchstnote für das Album zu zücken. Einfach weil alles dazwischen nicht mithalten kann... Aber alleine dieser Opener beschert mir eine Gänsehaut über der anderen...
 
Mit der Crossroads bin ich leider nie so richtig warm geworden. Da hat mir das eingängige und überraschende Element der ersten Platte gefehlt (Crimen.. haste nicht gesehen, wer denkt sich solche Albentitel aus?). Zu sperrig, ging mir einfach nicht in die Ohren.
Dafür habe ich dann die Burn The World wieder richtig lieb gewonenn ,also genau anders rum als bei dir. Das war eine ganze Ecke minimalistischer, basischer und ging mir deutlichst besser ins Ohr. Höre die Platte auch nach wie vor sehr gerne.
 
Klingt vielleicht komisch, aber die Genialität dieser 2 Songs hält mich davon ab, die Höchstnote für das Album zu zücken. Einfach weil alles dazwischen nicht mithalten kann... Aber alleine dieser Opener beschert mir eine Gänsehaut über der anderen...

Das verstehe ich TOTAL. Gemessen an "Charging The Void" und "Recharging The Void" sind die restlichen Songs auf jeden Fall einer anderen Liga zugehörig. Aber so etwas wie die beiden Genannten gibt es einfach nirgendwo sonst (ich rechne auch nicht damit, dass Vektor da noch mal rankommen werden). Von daher wäge ich die nicht gegeneinander ab - das wäre ja so, als würden wir DF-Forums-User gegen Leonardo da Vinci (oder ein anderes Universalgenie) antreten müssen. ;)
 
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