Neue Musik, moderne Musik, Avantgarde & Co

Die Projektgruppe Neue Musik macht hier in Bremen immer wieder mal ganz geile Sachen, wie etwa Festivals mit Werken zeitgenössischer Komponisten, aber auch die ebenso interessante Konzertreihe REM - Reihe Elektronischer Musik.

Vor einigen Jahren war ich mal auf einem von denen veranstalteten Konzertabend und mein Lieblingsstück ging ungefähr so:

Auf einer angeschrägten, rechteckigen Holzempore standen sechs Frauen verteilt, die sodann in hochkomplizierten Choreographien von einer Seite zur anderen schritten, die Ecken wechselten, mittendrin die Richtung änderten und was nicht alles. Die so entstehende, rein perkussive Musik, resultierte aus den Schrittfolgen, die klanglich dank der Kombination aus Schuhwerk und dem Resonanzraum des Podestes, sowie der unterschiedlichen Beschaffenheit und Dicke des beschrittenen Untergrunds, in Akzentuierung, Präsenz und sogar Tonhöhe minimal variierten, was nach einigen Minuten eine regelrecht hypnotische Wirkung entwickelte.

Keine Ahnung, von wem das Stück ist oder ob das nur so ein Special Dingens anlässlich des Events war, aber ich fand's astrein...!

Ich kann es mir richtig bildlich-klanglich aus deinen Worten vorstellen:)

Da es auch prima zu deinem Beitrag passt, hier eine Diskussions-Runde zum Thema "Klangkunst" (was dein oben geschildertes Live-Erlebnis ja darstellt), welcher ich letztes Jahr bei den SWR Donaueschinger Musiktagen beigewohnt habe:

Klangkunst und Komposition: Die Gartenzwerge sind gewachsen.

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Weiter geht's mit:

Listenwahn: 5 experimentelle "Jazz"-Platten, die ihr in eurem Leben mal gehört haben solltet:

Eric Dolphy - Out To Lunch (1964)
Andrew Hill - Point Of Departure (1964)
John Coltrane - Ascension (1965)
Miles Davis - Bitches Brew (1970)
John Zorn - Naked City (1990)

Interessant. Bis auf John Zorn habe ich die alle hier im Regal, wobei ich Ascension durchaus als schwierig empfinde. Aber auch an das Album kann man sich gewöhnen.
 
Interessant. Bis auf John Zorn habe ich die alle hier im Regal, wobei ich Ascension durchaus als schwierig empfinde. Aber auch an das Album kann man sich gewöhnen.

"Ascension" hat für mich, genauso wie "Free Jazz" von Ornette Coleman historische Bedeutung und Relevanz. Sperrig und anstrengend sind beide, Coltrane empfinde ich dennoch irgendwie hörbarer. Man brauch halt viel Zeit, Motivation und Muse, um nicht gleich nach ein paar Minuten wieder auszusteigen, oder?
 
Schöner Thread :)

Bislang kenne ich wenig (oder nichts?) aus dem Bereich, aber Interesse ist vorhanden. Was ich mag:
Steve Reich - Music for 18 Musicians

Wo die Steve Reich schon angesprochen hast, hier eine Hammer-Performance. Eigentlich erreichte Reich ja wie viele seiner Minimal-Zeitgenossen musikalische Effekte ursprünglich durch Phasenverschiebungen von Tonbändern. Was der Mann hier macht, gibt dem Begriff Phasenverschiebung jedoch einen gänzlich neuen Charakter:

 
Man brauch halt viel Zeit, Motivation und Muse, um nicht gleich nach ein paar Minuten wieder auszusteigen, oder?
Ja, muss man. Aber das "Problem" hatte ich anfangs bei Jazz grundsätzlich. Mir fehlt - auch bei (moderner) klassischer Musik - schlicht der Hintergrund und das Wissen, um die Musik irgendwie analysieren und schlussendlich bewerten zu können. Mein Zugang funktioniert eben nur über das Gehörte an sich und da sind traditionelle Melodien, Tonfolgen,... natürlich einfacher zu verarbeiten, weil sie den Erwartungen und der Konditionierung entsprechen. Spannend ist aber tatsächlich eher das, was dem widerspricht, es erweitert oder anders kontextualisiert. Das ist halt mitunter Arbeit, die dann aber oft auch lohnt, weil die Langzeitwirkung viel besser ist.
 
Schönen Dank schonmal an den Threadersteller.
Ich komm leider erst am Wochenende dazu hier ausgiebig reinzuhören. Aber dann mit Genuss.
 
So, liebes @Zerfallsprodukt , schön das du nun auch hier im Forum bist. Jetzt lassen wir dich auch nicht mehr gehen:D
Wenn du Lust hast, hätte ich auch schon gleich einen thematischen Wunsch an dich. Alles geheim natürlich, bekommst ne PN, um es spannend zu gestalten.

Auch an den lieben @Ijon Tichy, @CandyHorizon und jüngst @1984 ein herzliches Willkommen und viel Spaß beim Mitlesen und/oder -schreiben!
Mögen Euch die Ohren voller Genuß klingeln und die Köpfe angenehm vor Überraschung rauchen or wei or was:feierei::jubel::feierei:
 
Bin wegen Arbeitsüberlastung, neuen Flossensaugern und Maiden live gerade nicht fähig was zu schreiben.

Hier mal ein Konzert, was ich besucht habe, ich denke einige werden allein die Ankündigung nicht lesen können:



Konzerthaus, 19:30 Uhr

Maximilian Thumann (Schlagzeug, Klasse Prof. Peter Prommel)

John Cage (1912-1992): Child of Tree (1975) - Klangregie: Marius Heuser / Karlheinz Stockhausen (1928-2007): "Kontakte" für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug (1958-60) - Marc Awolin (Klavier), Einrichtung des Zuspielbandes für WFS, und Klangregie: Hannes Fritsch / - Pause - / Arne Nordheim (1931-2010): Flashing (1986) - Werk für Akkordeon, verstärkt über Wellenfeldsynthese. Mogens Ellegaard gewidmet - Jaroslaw Galuszka (Akkordeon), Klangregie: Malte Kob / Iannis Xenakis (1922-2001): Hibiki-Hana-Ma (1970) - Einrichtung des Zuspielbandes für WFS, und Klangregie: Hannes Fritsch / Hinweis: Um das bestmögliche Klangerlebnis im Wellenfeld zu erfahren, nutzen Sie bitte nur die Sitzplätze in der Saalmitte von Reihe M7 bis M17

Eintritt frei



Das war meine Konzertkritik im Anschluss:

Das war, da war, das ääh, anders?
Es wurden tatsächlich einige Kakteen bespielt und eine japanische Geräuschkollage von 1970 mit 800 Lautsprechern dargestellt.
Und ein Akkordeonsolo gab's , das klang als würde ein LKW mit 12 Konzertflügeln beladen bei 120km/h einen Auffahrunfall bauen.
Und Stockhausen, aber der ist ja bekannt.
 
Ihr müsst Premium-user "uviol" noch einladen, der kennt sich in dem Bereich nicht nur aus, der spielt sowas sogar selbst (kein Scherz, natürlich nicht mit seiner Satansband, der hat ja noch andere Sachen am laufen die er hier nicht gross 'raushängen lässt).
 
Ich erinnere mich da an ein wirklich sehr bewegendes Konzert, dass ich 2010 in den Sophiensälen in Berlin miterlebem durfte.
Sven-Åke Johansson ist ein schwedischer Schlagzeuger, Komponist, Zeichner und vieles mehr, der aber seit vielen Jahrzehnten in Berlin lebt. Als Schlagzeuger gehört er zu den Pionieren des europäischen Free Jazz, spielte mit Musikern wie Peter Brötzmann ("Machine Gun"), Alexander von Schlippenbach ("..über Ursache und Wirkung der Meinungsverschiedenheiten beim Turmbau zu Babel"), Rüdiger Carl, u.v.a.. Als Komponist ist er ein Freund der Musikalisierung von Nicht-Instrumenten, sag ich mal.
Vor einigen Jahren hatte ich z.B. mal das Vergnügen bei der Uraufführung seiner Komposition "MM schäumend" für 13 Feuerlöscher mitzuwirken. Auch hat er ein Stück für Traktoren in seinem Oeuvre.
Was ich Euch allerdings hier vorstellen wollte ist seine Kartonagen-Symponie. Ich will da gar nicht viel zu sagen, denn die Sache erklärt sich von selbst, wenn man's schaut. Hier eine Ausschnitt der Uraufführung:
Sven-Åke läßt in seinen Arbeit schon immer einen gewisse Sinn für Humor erkennen. Der eigentlich Witz an seiner "Symphonie für Kartonagen" ist aber, dass aus diesem ungewöhnlichen Setting eine (musikalisch) überzeugende, ernsthafte und spannende Musik entsteht. Bei der Aufführung war der gewisse exotische Effekt schnell verflogen, weil die Musik tatsächlich eine starke Sogwirkung entfaltete, die schnell den Fokus auf das Hören lenkte.

P.S.: Ha ha, ich seh gerade, gleich im ersten Bild sieht man mich prominent im Publikum sitzen. Ich bin der Typ mit schwarzem Hemd und Bart gleich am linken Ellenbogen des Dirigenten. Bei Sekunde 43 bohre ich kurz in der Nase.:top:
 
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Ich bin grad im Techno-Rausch und höre mich durch die Innervisions-Playlist bei Spotify, deshalb hör ich mir das, was ich nicht kenne (das meiste) später an, wollte aber auf @Flossensaugers Post hin nochmal eben das hier droppen:


Sicher den meisten bekannt. Nachdem ich im Vorfeld schon gelesen hatte, was in diesem Stück passiert, war ich von der Wirkung ziemlich überrascht. Ich hätte gedacht, dass es eher einschläfernd oder meditativ wirkt, dabei hat es mich ziemlich aufgewühlt. Schwer vorstellbar, wie viel Dynamik in zwei Klaviertönen stecken kann.
 
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Krzysztof Penderecki - Polymorphia von 1961

Wenn man sich erst einmal an die wirre Verzweiflung gewöhnt hat, ist der standhafte Schlussakkord eigentlich das überraschendste. *g* Aber schön trippy, gefällt mir gut. Hatte ich auch im Musikunterricht, aber ewig nicht gehört.

Edith ist geflasht von Jakobs Traum! Fetzt! Viel tragender und emotionaler, trotzdem weit und breit kein Kitsch.
 
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Wenn man sich erst einmal an die wirre Verzweiflung gewöhnt hat, ist der standhafte Schlussakkord eigentlich das überraschendste. *g* Aber schön trippy, gefällt mir gut. Hatte ich auch im Musikunterricht, aber ewig nicht gehört.

Edith ist geflasht von Jakobs Traum! Fetzt! Viel tragender und emotionaler, trotzdem weit und breit kein Kitsch.
Penderecki hatten wir auch, aber habe schon wieder alles vergessen - liegt auch fast 30 Jahre zurück.
 
ja, unsere Lehrerin war schon ziemlich "modern", aber mit der modernen Klassik hörte es bei ihr auch auf, Arnold Schönberg kam bei ihr nicht vor. Dafür allerdings György Ligeti, den ich nicht nur aufgrund der Verwendung seiner Werke in meinem Leib- und Magenfilm einfach großartig finde:

 
Auch wenn sie ehedem als der Schrecken des bürgerlichen Kunstgenusses wahrgenommen wurde (und teilweise auch heute noch wird), so sind mir gerade 12-Ton-Technik, neue und serielle Musik in ihrem Intellektualismus, in ihrem Formalismus, in ihrer Subjektzentrierung auf einen das Material gewaltsam formenden Komponisten und vor allem in ihrem enzipatorisch-fortschrittlich interpretierten Rationalismus doch viel zu burgeois; ihr Ideal scheint mir - auf die Spitze getrieben - das eines Hörers zu sein, der nicht mehr hört, sondern der - geschult in Kompositionstechnik, Musikwissenschaft und was weiß ich - nur mehr die Notation, ihre durchorganisierte Struktur visuell rezipiert, nachvollzieht und begreift - Kunstgenuss als höchste Form des bürgerlichen Bewusstseins. Da bin ich dann eher auf der Seite von musique concrète, Futurismus und elektroakustischer und experimentaler Musik, die in ihrem Ingenieurs-Habitus, ihrem Mechanismus einerseits das Bürgerliche der neuen Musik konterkarieren und andererseits durch Implementierung von Lärm, Geräusch, Alltag, Natur, Maschine, Arbeit und kulturindustriellen Artefakten, durch Techniken der Montage, durch Präferierung des Materials dem zu einer Emanzipation verhelfen, das dem Kunstkenner als kultureller Abfall, als depravierte Gebrauchskunst, als Dilettantismus und Beliebiges zuwider ist. Was dem einen der Verfall der Ästhetik ist, war dem anderen deren Rettung.

Zum AnHÖREN:

 
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