Es hilft ja alles nix, meine Meinung zu Book Of Souls muss raus.
Ich habe dem Album 2015 ziemlich entgegen gefiebert, als a) das Cover bekannt wurde (endlich wieder ein zünftiger Old School Eddie im Tribal Look), Maiden ihren alten Schriftzug wieder verwendeten und b) bekannt wurde, dass Bruce Dickinson zum ersten Mal seit Powerslave zwei Songs komplett im Alleingang schrub, deren Songtitel bereits Anlass zu den faszinierendsten Spekulationen bot und die Phantasie anregte, davon würde einer den Rekord von Rime Of The Ancient Mariner als längsten Song von Maiden brechen.
Nach meiner ziemlichen Enttäuschung über Final Frontier wusste ich nun, dass Maiden diesmal wirklich liefern müssen und das taten sie auch. Jedes Album seit Brave New World mit ungerader Zahl war geil, die mit gerader Zahl eher scheiße.
Am Tag des Erscheinens kannte ich einige Songs bereits aus Youtube, allerdings in miserabler Soundqualität. Dennoch habe ich Blut geleckt, selbst in der Klangqualität einer Kloschüssel haben alle mir vom Album bekannten Songs so ziemlich alles zermalen, was Iron Maiden auf Final Frontier abgeliefert haben (einschließlich Starblind).
Ich war auf langer Dienstfahrt in den Odenwaldkreis, um dort auf einer Baustelle Bodenproben zu nehmen und einer Baubesprechung beizuwohnen. Morgens um fünf losgefahren, um halb neun dort gewesen, um 11 Uhr wieder auf dem Rückweg. Kleiner Umweg über Media Markt in Essen, wo ich mir dann gleich die Deluxe Box gekauft habe.
Ich habe die Platte bereits im Auto gehört, stand in Bottrop-Ebel gegen 16 Uhr im Dauerstau, was mir aber sowas von egal war.
1. If Eternity Should Fail: Dieser Songtitel alleine schon verspricht großes! Dieser Song ist wahrscheinlich der mit ganz großem Abstand allerbeste Song von Maiden, seit Bruce wieder dabei ist, also der beste Song von Maiden des Milleniums. Die Keyboards am Anfang atmen einerseits die Vibes eines Italo-Westerns, anderer Seits die spacigen Vibes von Vangelis Soundtrack zu Blade Runner. Bruce Stimme klingt magischbeschwörend wie ein Schamane, die Synthies klingen fett, breit und satt, nicht wie ein lächerliches Casio-Keyboard. Richtig massives cineastisches Feeling kommt hier auf. Dann startet der Song mit absolut klassischen, herrlichen Leadmelodien, die auch von der Piece Of Mind oder Somewhere In Time hätten stammen können. Opener müssen nicht immer schnell sein, das Midtempo tut dem Song gut. Es klingt wie ein Marsch durch Raum und Zeit. Die Atmosphäre nimmt einen sofort gefangen, die Gitarrenharmonien sind nicht von dieser Welt, das Riffing während der Strophen ist herrlich dramatisch, Bruce singt wie ein Gott einen bizarren Sci-Fi / Astronomie / Psychologie-Text für Nerds, Akademiker und Esotheriker. Die Gitarrenmelodien vor dem Refrain: Göttlich. Der Refrain selbst: Gr0ßartig, hymnisch, eingängig, aber keineswegs einfältig oder gefällig. Maiden haben es wieder drauf, Refrains zu zelebrieren, die nicht aus einer sechsfachen Wiederholung des Songtitels bestehen. Der schnellere Mittelteil hat kein Solo, aber dennoch tolle mehrstimmige Gitarrenharmonien wie zum Beispiel Deja Vu, dazu Tribal artige Drums. Das akustische Outtro mit dämonenhaft verzerrter Stimme... absolut over the top. Der Song hat alles, nur kein Solo und dennoch vermisse ich nix. Er ist herrlich düster, spannend, dramatisch, packend, abwechslungsreich, atmosphärisch und bietet von Midtempo bis Beinahe-Vollgas alles. Auf Somewhere In Time oder Piece Of Mind wäre das auch ein Höhepunkt gewesen. Freunde: 12/10. So will ich Maiden haben und so habe ich Maiden seit Ewigkeiten vermisst.
2. Speed Of Light: Ein klein wenig erinnert mich dieser Song an eine Mischung als Wildest Dreams, El Dorado und einer Hommage an Deep Purples Strange Kind Of Woman. Das Intro jedenfalls ist zu 100% von Deep Purple geklaut. Dazu etwas Kuhglocke, die wir seit Hooks In You nicht mehr im Repertoir Nicko McBrains gehört haben. Bruce kreischt mal wieder richtig rau und hoch, wie seit Be Quick Or Be Dead nicht mehr. Die Strophe klingt geil gesungen, die Bridge ist etwas gewöhnungsbedürftig und schräg. Der Refrain aber ist ziemlich gut durchkomponiert, wie auch bei If Eternity Should Fail: Eine Hymne, die wirklich mehrere Strophen Text enthält und nicht nur einfältig den Songtitel rezitiert. Ich mag den Song, aber bei den schnelleren Sachen von Maiden in der Neuzeit hat man dennoch den Eindruck, dass noch etwas mehr Tempo drin gewesen wäre, wie etwa auch bei Different World zum Beispiel. Ich mag den Solopart und darauf folgende absolut geile Gitarrendudelspirale. Sehr hervorzuheben: Nicksos Schlagzeug. Insgesamt von den schnelleren Nummern Maidens in den 2000ern eine ihrer besseren im Vergleich zu Schrott wie Wildest Dreams, Rainmaker oder The Alchemist. Sehr knappe 8/10 Punkte
3. The Great Unknown erinnert zunächst an eine etwas flottere und straffere Version von The Longest Day oder Isle Of Avalon, was vor allen am Bassrhythmus liegt und an den offenen, gezupften Gitarrenakkorden. Man befürchtet für etwa 20 Sekunden ein erneutes dreistes Selbstplagiat, ehe sich der Song glücklicherweise in eine ganz andere, dramatischere und irgendwie tragischere Richtung entwickelt. Daran hat auch der Text, aber auch Bruces überragender Gesang Anteil. Der Song zieht einen mit seiner melancholisch-tragischen Stimmung hypnotisierend in seinen Strudel. Wenn er dann Fahrt aufnimmt, bleibt er zunächst im Midtempobereich und Bruce regelt gesanglich trotz aller erkennbarer Mühen alles weg. Er steckt da viel Inbrust rein, was man vor allem bei der überragenden Bridge und dem göttlichen, wirklich packenden Refrain deutlich spürt. Bruce scheint ja bereits Symptome des Kehlkopfkrebses während er Aufnahmen zu Book Of Souls gehabt zu haben, hat aber die Therapie verschoben, bis das Album fertig war. Angesichst der gesundheitlichen Probleme verbietet sich jede Kritik an seinem Gesang, er ist sogar sehr viel besser und kraftvoller, als auf Final Frontier oder Dance Of Death. Nach dem zweiten Refrain kommt dann eine herrliche gekloppte Passage mit wunderbarer Melodiespirale, die an die besten Momente von Somewhere In Time erinnert, die beiden Soli sind ebenfalls überragend. Dann klingt der Song nach sechs Minuten aus, wie er begonnen hat. Die sechs Minuten vergehen wie im Fluge. 9,5/10 Punkte
4. The Red And The Black: Wirklich der einzige Schwachpunkt, den man diesem Song irgendwie ankreiden könnte, sind die etwas zu sehr ausgereizten und etwas zu platten Ohoho-Passagen, die ziemlich aufgesetzt wirken. Damit hat es sich aber auch an Makeln. Denn abgesehen davon ist der Song aus meiner Sicht absolut makellos. Ich liebe das schräge akustische Bass-Solo als Intro, ich liebe den zackig voranschreitenden Rhythmus, der irgendwie entschlossen wirkt, aber weder zu schnell, noch zu langsam. Mich erinnert dieser Song an eine 21. Jahrhundert Version von Rime Of The Ancient Mariner und The Nomad (der Gesangspart und der Rhythmus) mit einer Prise The Clansman (die instrumentale Achterbahnfahrt mit den meisterhaften Melodiebögen). Ein Parforceritt durch alle Versatzstücke, die für Maiden typisch sind, aber irgendwie so perfekt zueinander passen, dass man dieses Selbstplagiat nicht nur verzeihen kann, sondern in dieser Konsequenz einfach nur abfeiern muss, weil es so großartig umgesetzt wurde. Die Strophen, die Bruce singt, sind zunächst sehr angestrengt und schräg (The morals of life and the perils of death...), dann aber absolut eingängig und packend ("The black jack king and the red queen clash..."), der erfreifende Refrain zwingt mich in die Knie und lässt mich die lächerlichen Stadion-Ohohohos vergessen. Man will gar nicht, dass der Song endet und man spürt und hört deutlich, welchen Spaß und welche Freude Maiden bei dem Instrumentalpart haben, der zwei Drittel des Songs ausmacht. Das sind Maiden: Kompromisslos, hier walzen sie ihre Stärken genüsslich in die Breite und am Ende ist es eigentlich auch eine Jamsession, die aber bei weitem nicht so ziellos vor sich herum eiert, wie der ganze Lullikram von der Final Frontier. Man jammt entschlossener, souveräner und songdienlicher. Ich bin der Meinung, dass sich zu viele Fans zu sehr an den überflüssigen Mitsing-Chören echauffieren und die übrigen Stärken des Songs deswegen ausblenden. Ich gebe maximal einen halben Punkt Abzug von der Höchstnote wegen der Chöre und dafür, dass der Song eigentlich noch zwei oder drei weitere Minuten hätte dauern können und ich nicht einen Hauch von Langeweile empfunden hätte. 9,5/10 Punkte
5. The River Runs Deep: Nach vier Knallern jenseits der 9 Punkte nehmen Maiden etwas Dampf raus. Damit meine ich nicht das Tempo, das bei diesem Song recht hoch ist, sondern eher in kompositorischer Hinsicht. Das Intro ist sehr frickelig und zugleich harmonisch, danach jedoch rotzen Maiden in regelrechter Di'anno Manier sehr oldschool-mäßig einen sehr guten, aber aus dem Albumkontext herausfallenden Rocker hin, der vom Refrain her etwas schwächelt, aber sehr wilde und schrille Soli bietet, die an Prowler oder Wrathchild erinnern: Viel Wah-Wah Effekte, absolut halsbrecherisch mal wieder Vollgas geben und der Welt den Mittelfinger zeigen. Gesanglich bietet der Song nicht so viel spektakuläres, aber die rotzige Attitüde gefällt mir, weil man sie von Maiden seit sehr langer Zeit nicht mehr gehört hat. 7,5 /10
6. The Book Of Souls: Janick Gers setzt sich mal wieder im besten Yoga-Spagat ans Lagerfeuer, spreizt die Beine und seine Finger und dabei kommt man wieder ein filigranes akustisches Intro heraus, das an Dance Of Death / The Legacy / The Talisman erinnert, aber im Vergleich deutlich reduziert ist, begleitet von - so glaube ich zu hören - Oboe (eher Keyboard, die wie Oboe klingt). Man wähnt sich schon im Dschungel Mittelamerikas, wenn der Song dann Fahrt aufnimmt und im gemächlichen Midtempo vor sich her marschiert. Bei 35° im Schatten und 95% Luftfeuchtigkeit galoppiert man auch nicht mit Vollgas durch das Unterholz, sondern man marschiert gemächlich, aber entschlossen zu den Ruinen der Mayas. Wer den großartigen Werner Herzog Film "Aguirre, der Zorn Gottes" kennt, wird sich bei diesem Song vielleicht an die Szene erinnert fühlen, als man die Sänfte durch den stinkenden, morastigen Sumpf schleppt und Kinski dabei alle antreibt, schneller zu laufen, während die in Ketten gelegten Indios dahin siechen. Der Song erinnert mich an The Nomad, Powerslave, aber auch an (die besseren Momente von) Dance Of Death, am Ende sogar an das monumentale Riffgewitter von The Duellists ider Losfer Words. Wirklich hervorzuheben ist der wundervolle, fast schwelgerische und beschwörende Gesang von Bruce, die Melodien sind majestätisch und erhaben, der Wohlklang lädt zum Vollbad unter Kopfhörern ein. Dieser Song ist einer der vielen historisch inspirierten Breitwand-Sandalenschinken im musikalischen Schaffen von Maiden, man fühlt sich erinnert an To Tame A Land, Alexander The Great oder eben Powerslave. Jede Note ist hier ein Geschenk des Himmels, die Soli sind atemberaubend schön, rhythmisch bietet der Song alles zwischen langsamen Dauermarsch und Volldampf. Die Riffs und die sehr variantenreiche Arbeit am Schlagzeug würden den Song obendrein. Nicko übertrifft sich mal wieder selbst. Die Melodieführung des Hauptriffs ist typisch Janick Gers, das harmonische Gesamtfeeling eher orientalisch (auch wenn Südamerika nur dann im Osten liegt, wenn man im Pazifik wohnt), die Bride und der Refrain sind zwingend, eingängig und wirken wie ein vertontes, geheimnisvolles Gemälde von Zdenek Burian (tschechischer Landschaftsmaler, spezialisiert auf Südsee- und Urzeitmotive). Der Song atmet leichte Led Zeppelin Vibes (klar, typisch Gers): Am Ende aber wollen es Maiden nochmal wissen und dann wird richtig zünftig geballert. 12/10
Fortsetzung folgt morgen... bisheriger Zwischenstand: 9,5/10