Ich habe das neue Album "Love Over Fear" nun etliche Male gehört und es gefällt mir ausnehmend. Ich hatte ja schon gebeichtet, daß ich die Band und damit ihre Alben erst seit ein paar Wochen kenne, und auch wenn ich wirklich viel Pendragon gehört habe in dieser Zeit, mag es nichts bedeuten, wenn ich das sage, aber momentan ist LOF sogar mein Lieblingsalbum der Band.
Ich finde die Kompositionen auf "Love Over Fear" reifer und mit mehr interessanten Details angereichert als die Songs auf "Masquerade" oder "Window", die ich beide aber auch sehr liebe. Auch glaube ich, daß sich die (wunderschönen) Melodien des 2020er-Albums möglicherweise nicht so rasch abnutzen werden wie die aus den 90ern. Doch ist das vorerst natürlich noch Kaffeesatzleserei. Ich wollte damit nur zum Ausdruck bringen, daß ich die Melodien auf LOF für gehaltvoll und sogar teilweise richtig nobel halte. Das instrumentale Arrangement ist stimmig, pfiffig, luftig, maritim.
Zum Kernbestand der Platte gehören für mich sieben großartige Songs, allein auf "Starfish", "360 degrees" und wohl auch "Whirlwind" könnte ich durchaus verzichten. "Starfish" ist wirklich eine Nummer zu krass gekitscht, "360 degrees" passt irgendwie nicht so recht in den Spannungsbogen der Platte und "Whirlwind" bringt nichts Neues in dem Kontext herausragender Songs der zweiten Albumshälfte, in dem "Whirlwind" platziert ist.
"Truth and lies", das einige von uns ja schon durch die eclipsed-CD kennen, ist ein fantastischer, abwechslungsreicher Song, ein früher Höhepunkt des Albums. Den liebe ich sehr. Das spätere Ausrufezeichen des Albums setzt dann "Who really are we?", einer der besten Pendragon-Songs, die ich kenne. Hier ist wirklich alles vorhanden, was die Band auszeichnet: Spielfluß, Melodieseligkeit, rauere Passagen, einfach sehr unterschiedliche Songparts mit dem Gitarrensolo als natürlichem Zielpunkt des Geschehens. Ein Meisterstück!
"Soul and the sea" (mehr eine Klangstudie als ein ausgearbeiteter Song), "Eternal light" und "Water" gehören für mich als Einheit zusammen und malen mit Pastellfarben musikalische Bilder von Lichtbrechungen durch Sonne und Wolken auf der Wasseroberfläche in unsere Köpfe. Besonders "Eternal light" ruft herrlich eindringliche Stimmungsbilder ab, man kann das streckenweise vielleicht ein wenig zuviel des Guten finden, man kann aber auch, wie ich, einfach in den vielen hübschen Versatzstücken schwelgen, aus denen dieser Song besteht.
Der erste und der letzte Song könnten treffender nicht angelegt sein. "Everything" beginnt mit reichlich seltsamer Schaustellermusik, eine Art Shakespearehafter Prolog, der quasi durch einen der "Darsteller" des Albums vorgetragen wird und währenddessen sich das Publikum nochmal zurechtarrangieren kann, bevor es dann nach ca. einer Minute richtig losgeht. "Afraid of everything" schließlich fasst zum Ende den geradezu therapeutischen Ansatz vieler Lyrics des Albums nochmal sehr hübsch zusammen und transportiert, seines nachdenklichen Textes unbeschadet, enorme Wohlfühlatmosphäre.
Mir sind die vielen Verweise auf Bücher und aufs Lesen stark aufgefallen. Namentlich erwähnt werden Sokrates (der allerdings selbst nichts Geschriebenes hinterließ), Lennon, Hemmingway, Golding (vermittels des Werks "Lord of the flies") und Solschenizyn. Das ganze große Panorama des Lesens als Lebensalternative zum geschäftigen Alltagstreibens wird in der schönen Zeile "Turn off that TV set and read a book instead" zusammengefasst.
Das Coverpainting des Albums ist eines der herrlichsten, die ich je gesehen habe. Recht nah am Kitsch gebaut, das stimmt, aber durch die Jugenstilanleihen auch wieder demselben irgendwie enthoben. Außerdem bin ich schon lange der Ansicht, es müßten viel mehr Biber, Bisamratten, Otter und Wiesel auf Plattencovern abgebildet werden, dann klappt´s gewiß auch mit der Welt im allgemeinen sehr viel besser.
"Love Over Fear" klingt sehr gut auf CD, es hat viel mehr Dynamik als die letzten IQ-Alben oder die beiden jüngsten Outputs von Pallas. Das hat sicher auch damit zu tun, daß viele akustische Instrumente eingesetzt werden und nicht der Großteil aus dem Rechner kommt (Mike Holmes schreibt seine Songs seit etlichen Jahren ja sogar fast vollständig mithilfe eines Computerprogramms, auch seine eigenen Gitarrenparts, brrr*).
Nicks Gesang ist weniger mundartlich gehalten als früher, vielleicht hängt das damit zusammen, daß er jetzt (wieder?) in Cornwall wohnt und sich den Dialekt da täglich um die Ohren schmeissen lassen muß? Die vielen akustischen Gitarrenparts passen hervorragend zum Gesamteindruck der Platte, leicht und locker, ohne trivial zu sein.
Hervorheben muß man unbedingt Clive Nolans exzellentes Keyboardspiel, das keine Spur zu dick aufgetragen daherkommt und immer die jeweilige Stimmung unterstützt, die gerade herrscht. Auch kleistert hier das Keyboard nicht alles zu (wie bei den späteren IQ bisweilen) und vokale Speicherplätze werden dankenswerterweise nicht inflationär eingesetzt, sondern sparsam und nur dann abgerufen, wenn es gilt, ein bißchen Meermädchen-, Nixen- oder meinetwegen auch Sirenen-Stimmung zu verbreiten. Immerhin ist Nick ein surfbretterprobter Seebär und welcher hartgesottene Matrose der Weltmeere könnte schon der Versuchung widerstehen, bei einer Wasserplatte Frauenstimmen aus der Ferne vernehmlich werden zu lassen?
Ohne hier die letzte Bandphase von IQ über die Gebühr dissen zu wollen (ich höre ROB und "Frequency" sogar gern und sehr häufig), stehen die jüngsten Veröffentlichungen von IQ und Pend in denkbar krassem Gegensatz. Während die Mannen um Peter Nicholls ein Weltuntergangswerk mit Durchhalteparole abgeliefert haben, haben Pendragon eine weltzugewandte, wiewohl bisweilen verhalten-melancholische und sicherlich ihrerseits nicht unkritische Feier der Schöpfung und ihres schöpferischten Elements, des Wassers, betrieben. "Resistance" und "Love Over Fear" verhalten sich nicht nur den Albumcovern nach wirklich wie Feuer und Wasser zueinander.