Einstieg in die Philosophie des Abendlandes

Auchentoshan

Deaf Dealer
Hi
Ich interessiere mich für Philosophie und möchte gerne hobbymässig etwas vertiefter / ernsthafter in das Thema einsteigen. Leider habe ich keinerlei Vorkenntnisse oder gar Ausbildung in dem Bereich. Ich habe versucht ein wenig Kant zu lesen aber ohne Erfahrung ist es relativ schwierig ein Verständnis dafür aufzubauen, zumal ja auch viele Philosophen sich wieder auf andere Denker stützen etc.
Warscheinlich würde es Sinn machen, bei den alten Griechen anzufangen? Obwohl mich prinzipiell hauptsächlich Texte deutscher Philosophen wie Kant, Hegel, Schopenhauer etc. interessieren würden.
Kann mir wer eine gute Einstiegslektüre empfehlen?
 
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Einen guten Überblick bietet "Die philosophische Hintertreppe - Die großen Philosophen in Alltag und Denken" von Wilhelm Weischedel.
 
Hi
Ich interessiere mich für Philosophie und möchte gerne hobbymässig etwas vertiefter / ernsthafter in das Thema einsteigen. Leider habe ich keinerlei Vorkenntnisse oder gar Ausbildung in dem Bereich. Ich habe versucht ein wenig Kant zu lesen aber ohne Erfahrung ist es relativ schwierig ein Verständnis dafür aufzubauen, zumal ja auch viele Philosophen sich wieder auf andere Denker stützen etc.
Warscheinlich würde es Sinn machen, bei den alten Griechen anzufangen? Obwohl mich prinzipiell hauptsächlich Texte deutscher Philosophen wie Kant, Hegel, Schopenhauer etc. interessieren würden.
Kann mir wer eine gute Einstiegslektüre empfehlen?

Das liest sich, als würdest Du Dich vor allem für die Geschichte der Philosophie und weniger für bestimmte Themenfelder interessieren, richtig? Oder geht es Dir hauptsächlich um Kant, Hegel, Schopenhauer und Du hast Sorge, dass Du deren Vorläufer kennen musst, um sie zu verstehen?

Da würde ich zu Gelassenheit raten: Auch wenn die griechische Philosophie zweifellos wichtige Referenzpunkte für die von Dir genannten Autoren bietet, halte ich es für viel wichtiger, gute Sekundärliteratur zu den Dich reizenden Autoren Themen heranzuziehen. Wie Du ja selber gemerkt hast, sind einige Klassiker ja ohnehin kaum ohne Hilfestellung zu lesen (gerade Hegel ist in der Hinsicht eine Pest!). Auch die zugänglicheren unter ihnen profitieren enorm davon.


Ansonsten, ganz allgemein zum Einstieg in die Geschichte der Philosophie:

- Reiner Ruffing, Einführung in die Geschichte der Philosophie, 2. Aufl. Paderborn 2006.
Übersichtlicher Einstieg auf knapp 300 Seiten, den ich z.B. beginnenden StudentInnen in die Hand drücken würde.

- Josef Speck (Hg.), Grundprobleme der großen Philosophen, 12 Bde., Göttingen 1973ff.
Ebenfalls für einsteigerfreundlich, aber sehr viel umfangreicher. Schön ist die geschickte Verbindung aus historischer und thematischer Ordnung.

- Falls Du auch etwas für die Ohren gebrauchen kannst: Ein sehr schöner, systematisch angelegter fortlaufender Podcast ist
Peter Adamson, History of philosophy without any gaps
Hier wird das Kunststück vollbracht, die Geschichte der Philosophie (nicht nur der westlichen) sowohl einsteigerfreundlich als auch außerordentlich detailliert darzustellen. Das erfordert natürlich viel Zeit und enormen Aufwand. Inzwischen ist man mit 345 etwa halbstündigen Episoden bei der Renaissance angelangt. Einer dazugehörige fortlaufende (mir allerdings unbekannte) Buchreihe von Peter Adamson läuft ebenfalls.

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Ich bin auch Neuling auf diesem Gebiet und bin durch Youtube auf den Stoizismus gestoßen. Wenn ich richtig informiert bin ist diese Philosophie im alten Griechenland entstanden und lehrt im Wesentlichen Gelassenheit. Es soll angestrebt werden Dinge, auf die man keinen oder nur geringen Einfluss hat, zu akzeptieren und sie neutral zu bewerten. Laut den Stoikern kann man nur sein eigenes Denken und Handeln wirklich steuern. Alles andere hat man nicht in der Hand.
Ich finde das Konzept interessant und hilfreich im Alltag und habe mir sowohl "Der tägliche Stoiker" mit 366 Zitaten und zugehörigen Erklärungen (Geschenk von meiner Frau) als auch das dazugehörige Tagebuch zugelegt.
 
Hi
Ich interessiere mich für Philosophie und möchte gerne hobbymässig etwas vertiefter / ernsthafter in das Thema einsteigen. Leider habe ich keinerlei Vorkenntnisse oder gar Ausbildung in dem Bereich. Ich habe versucht ein wenig Kant zu lesen aber ohne Erfahrung ist es relativ schwierig ein Verständnis dafür aufzubauen, zumal ja auch viele Philosophen sich wieder auf andere Denker stützen etc.
Warscheinlich würde es Sinn machen, bei den alten Griechen anzufangen? Obwohl mich prinzipiell hauptsächlich Texte deutscher Philosophen wie Kant, Hegel, Schopenhauer etc. interessieren würden.
Kann mir wer eine gute Einstiegslektüre empfehlen?
Erstmal Respekt, daß Du Dich auf dieses Gebiet wagst. Philosophie hat heute ja in der Allgemeinbevölkerung einen ziemlich miesen Ruf. Das muß allerdings nicht unbedingt an der Philosophie liegen. Dennoch darf man wohl festhalten, die uninteressierte Öffentlichkeit gibt sich alle Mühe, die Arbeit von Philosophen zu diskreditieren. Manche Philosophen können das aber auch selbst ganz hervorragend, indem sie möglichst unverständliches Zeugs vor sich hinbrabbeln. ;)

Es gibt ein paar Allgemeinplätze, die jeder kennt. Das Stichwort "Elfenbeinturm" kommt vielen Menschen wohl als erstes in den Sinn, wenn sie den Ausdruck "Philosophie" hören. Schon der erste namentlich bekannte Diplomdenker, Thales, hatte mit diesem Vorurteil zu kämpfen. Die Anekdote geht so: Thales wird von einer thrakischen Magd (die Thraker galten in der altgr. Welt als besonders ungebildet) verspottet, weil er angeblich beim Himmelbeobachten in einen (leeren) Brunnen gefallen sein soll und lieber darüber spekuliert, was die Sterne tun, als zu bemerken, was vor seinen Füßen liegt.

Im Grunde trifft diese Kritik aber die damals (im 6. vorchr. Jhdt.) im Entstehen begriffene Wissenschaft generell, nicht nur Philosophie, denn die meisten frühen gr. Philosophen waren stark bis hauptsächlich an dem interessiert, was man heute naturwissenschaftliche oder anthropologische Erkenntnisse nennen würde. Thales soll den Vorwurf übrigens nicht auf sich sitzen gelassen und den Leuten gezeigt haben, was ne philosophische Harke ist. In einem Winter, als Thales aufgrund seiner astronomischen (und wohl auch ansatzweise meteorologischen) Kenntnisse für den kommenden Sommer eine besonders reiche Olivenernte prognostizieren konnte, soll er alle verfügbaren Olivenpressen aufgekauft und später teuer vermietet haben und auf diese Weise reich geworden sein.

Ein zweiter Allgemeinplatz über Philosophie, der in vielen Hinterköpfen herumspuken dürfte, ist Marx´ selten depperter Ausspruch, Philosophen hätten die Welt nur verschieden interpretiert, es käme aber darauf an sie zu verändern. Daraus ist mit der Zeit eine veritable Theoriefeindlichkeit in weiten Teilen der zumindest europäischen und nordamerikanischen Bevölkerung entstanden, jede und jeder scheint zu wissen, daß Theorie zu nichts führt und praktisches Draufloshandeln die einzig wahre Alternative ist.

Das extrem Un-Informierte an dem Gegeneinanderausspielen von Theorie und Praxis besteht darin, daß für fast jede Handlung im Leben ein gerütteltes Maß an Theorie vorausgesetzt werden muß. Die wird nur meistens nicht so genannt, dabei ist jede Verallgemeinerung von Erlebnis-Daten eine waschechte Mini-Theorie, ohne deren Kenntnis niemand von uns es erfolgreich schaffen würde morgens auch bloß aus dem Haus zu gehen. Alle großen und kleinen Naturgesetze oder Beobachtungsaussagen sind Bestandteil von Theorien und es zeugt von wenig Einsicht und übrigens auch Respekt diesen teilweise mühsam generierten Zusammenhängen gegenüber, zu meinen, man käme schon irgendwie ohne sie aus. ;)

Womit wir endlich bei der angefragten Empfehlung wären: Ich würde Dir raten, nicht Philosophiegeschichte zu pauken (Gordon Shumway hat es schon gesagt), sondern Dich lieber lebendigem Philosophieren zu widmen. Kant hat in seiner berühmten Ankündigung einer Vorlesung fürs Wintersemester 1765/66 gemeint, er wolle seine Studenten nicht Philosophie (im Sinne von: Was hat xy mal gesagt?) lehren, sondern Philosophieren. Also Selberdenken.

Ich bin zwar nicht der Kant, aber das scheint mir auch heute noch eine ziemlich gute Idee zu sein. ;) Und ja, es GIBT Bücher, die ohne ständiges "Hegel hat gesagt... aber Nietzsche hat dagegen eingewandt..." auskommen. Und diese Bücher sind nicht weniger philosophisch, weil sie kein Name-Dropping betreiben. Um dich einmal vernünftig durch die Philosophiegeschichte zu ackern, brauchst du wenigtens zehn Jahre. Jedenfalls wenn du wirklich verstehen willst, was Sache war, und nicht bloß Vorurteile vor dir herwälzen willst wie "Descartes hat den Körper/Geist-Dualismus in der Neuzeit für ca. drei Jahrhunderte festgeschrieben" oder ähnlichen Unfug, auf den man immer wieder stößt.

Deswegen wäre meine Empfehlung, Dich an den Teilgebieten heutiger Philosophie zu orientieren. Die heissen bspw. Logik, Wissenschaftstheorie, Sprachphilosophie, Erkenntnistheorie, Philosophie des Geistes, Metaphysik (Ontologie), Naturphilosophie, Ethik ... um nur die vielleicht wichtigsten zu nennen. Es gibt noch viele mehr, sog. Bindestrich-Philosophien, z.B. Rechtsphilosophie, Religionsphilosophie, Musikphilosophie usw. Auch denkt man heute in der akademischen Philosophie verstärkt über früher eher exotische Dinge wie Tierethik oder Geschlechtertheorien nach. Das ist sehr spannend, aber ohne die Grundlagen ist man in den Argumentationen rasch verloren.

Deswegen bin ich mal so frei und tue hier einige Büchlein hin, die ich oder meine Studenten oder im Idealfall beide Seiten als sehr hilfreich empfanden. Unbedingt erwähnen muß ich dabei aber noch, daß ich herzlich der sog. Analytischen Philosophie zugetan bin, das sind die mit den möglichst exakten eigenen Argumenten (oder Rekonstruktion von Argumenten anderer) und die, die oft mit komischen Formeln und seltsamen logischen Zeichen angelaufen kommen.

Ich versichere Dir aber, daß man auch als Einsteiger mit diesen Büchlein gleich auf hohem Niveau über sich und die Welt nachdenken kann. Das heißt, das kann man natürlich auch ohne jede Philosophielektüre, es geht ja beim Lesen wohl darum, in eine Art Gespräch mit anderen Menschen einzutreten und die eigenen Gedanken abzuklären und auf ihre Gültigkeit und Stichhaltigkeit zu prüfen.

Womöglich ist das auch ein Grund, warum Philosophie heute so herzzerreissend unpopulär geworden ist. Denn "gutem" Philosophieren geht es sicherlich nicht darum, am Ende recht oder "es schon immer gewußt" zu haben, sondern sich selbst zu hinterfragen und, wenn nötig, auch zu korrigieren. Mit einem Wort: Weiter zu kommen und dabei Mühen auf sich zu nehmen. Ist natürlich ein bißchen unsexy im postfaktischen "Isso"-Zeitalter. Aber trotzdem irgendwie geil. Halt so wie Metal es für viele heute ist. ;)

Thomas Nagel: Was bedeutet das alles? (Reclam)

Jay Rosenberg: Philosophieren. Ein Handbuch für Anfänger. (Klostermann)

Jonas Pfister: Werkzeuge des Philosophierens (Reclam)

Wilhelm Kamlah / Paul Lorenzen: Logische Propädeutik (verschied. Verlage)

und wenn man etwas Infotainment mag auch:

Harry Frankfurt: On Bullshit


Nagels kurzer Schnelldurchlauf in Bezug auf fast alle Gebiete heutiger Philosophie ist furchtbar knapp gehalten - aber eine Fundgrube für erste Einblicke in die jeweiligen Teilbereiche der Wissenschaft Philosophie. Reclam hat seit einigen Jahren sogar eine ganze Buchreihe ins Leben gerufen, die "Was bedeutet das alles?" heißt. Vieles davon ist extrem lesenswert und eher feuilletonistisch als wissenschaftlich gehalten.

Pfister ist eine etwas weitergehende Einleitung in die unabdingbaren Grundbegriffe, mit denen Philosophen heute arbeiten. Sein Büchlein ist aber ebenfalls sehr allgemeinverständlich gehalten und läßt einen wirklich eintreten, nicht nur vor der Türe stehen wie viele Bestseller der Popularphilosophie.

Kamlah/Lorenzen ist ein Klassiker der Wissenschaftstheorie und viell. keine total einfache Lektüre. Aber eine ungemein lohnende. Es geht darum, wie man neben der natürlichen Sprache eine Wissenschaftssprache aufbaut, mit technischen Termini und allem, was dazugehört. Wie schon Kant orientieren sich auch die Konstruktivisten der sog. Erlanger Schule an Mathematik und Physik als Leitwissenschaften. Da im 21. Jhdt. eher die Biowissenschaften Leitdisziplin geworden sind, kann man ggflls. noch kleine und leicht verständliche Taschenbüchlein über Genetik/Epigenetik oder Neurowissenschaft hinzunehmen, um den Blick zu erweitern. Wichtig ist in jedem Fall für diesen Ansatz, daß Philosophie nicht neben den Naturwissenschaften vor sich hinvegetiert, sondern in regem Dialog mit ihrer Umwelt steht und keinesfalls als spekulative Geisteswissenschaft vor sich hinrottet.

Rosenberg ist einfach nur Gott. So einfach und dennoch anspruchsvoll hat, glaube ich, noch nie jemand über Philosophie geschrieben. Lesen. Jetzt.
 
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