Gestern Nacht las ich zum, ich weiß nicht wievielten Male im Laufe der Jahre, die gesammelten Werke der britischen Dramatikerin Sarah Kane durch. Das klingt vielleicht nach einem Lesemarathon, ist jedoch aufgrund des überschaubaren Oeuvres dieser so schonungslos brutalen und expliziten wie grausam zärtlichen Autorin eine Sache weniger Stunden. Zumindest, was die reine Menge an Stoff angeht. Denn die Wucht, mit der mich die Stücke in Complete Plays immer wieder in die Knie zwingen, hält oft noch Tage und Wochen an und eine Finsternis legt sich wie ein Firnis aus Pulverdampf und dem von Massenkrematorien aufsteigenden Rauch über alles. Es ist literarisch faszinierend und menschlich tragisch, wie sich die Erzählformen, die Figuren und ihre Positionen mit dem Fortschreiten Kanes Schreibens immer mehr auflösen, bis in 4.48 Psychosis komplett unklar bleibt, wieviele Figuren es überhaupt gibt, wer was spricht oder zu sprechen meint, was wann wo geschieht und so die identitäre Auflösung, die mit einem Nervenzusammenbruch einhergeht, auf erschreckend beklemmende Art spür- und erlebbar wird. Sarah Kane erlebte die Uraufführung ihres wohl eindringlinglichsten, persönlichsten und leider auch letzten Stücks nicht mehr, da sie sich, die sie Zeit ihres Lebens unter schweren Depressionen litt, kurz nach der Fertigstellung des Skripts das Leben nahm. Was bleibt ist ein einzigartiges Werk, das eigentlich mit einem Warnhinweis versehen werden müsste, so bitter sind die Welten, die hier evoziert werden. Denn es ist unsere Welt. Wer glaubt, Horror, Schrecken und Grauen finden nur in Paperbacks und Metzelmovies und nicht auf der Bühne statt, der lese Sarah Kane, eine der Größten ihres Fachs.