Feeling und Perfektion sind subjektive Dinge, deren Zusammenspiel zu facettenreich ist, um es zu erörtern. Die Frage, ob Feeling wichtiger als Perfektion ist, lässt sich - denke ich mal - mit einem klaren Ja beantworten. Erstens sind die meisten Menschen musikalische Laien und können Unperfektheiten nicht heraushören. Zweitens setzen viele Genres ein gewissen Grundmaß an Können voraus, sodass musikalische Stümper erst gar nicht zum Plattenvertrag kommen und grobe Fehler, die einem den Musikgenuss versauen, erst gar nicht auftreten. Es gibt viel zu viele Beispiele, die beweisen, dass man hinter unperfekter Musik eine Menge Talent stecken kann, Manilla Road fallen mir als erstes ein. Es gibt viel zu viele Musiker, die nicht die größten Techniker waren (speziell vom Gesang her), aber unglaubliche Musikgeschichte geschrieben haben. Andererseits kann ein zu geringes Maß an Können dazu führen, dass man sein musikalisches Potenzial nicht ausschöpfen kann. Wer zu sehr Wert aufs Können legt, analysiert zu viel und das ist der Mehrheit der Menschheit zu anstrengend.
Gamma Ray sind auch so ein Beispiel: Ralf Scheepers kann sehr gut singen (und ist wirklich ein feiner Kerl), aber irgendwie will mich seine Stimme nicht berühren. Kai ist limitiert, ohne Frage, aber hat irres Charisma (wobei er trotzdem viel musikalisches Können besitzt). Solche Klassiker wie Keeper 1 + 2 oder Painkiller wären mit der Stimme wiederum nicht möglich gewesen. Auf dem Wacken hatte Chris Boltendahl einen Aushilfssänger dabei, der das wirklich drauf hat, aber mit Boltendahl fand ich es trotzdem besser. Der Metal ist voll von nicht-perfekten Sängern, die aber zu gefallen wissen
. Gibt auf der anderen Seite genug limitierte Sänger, die keinen bleibenden Eindruck hinterlassen, auch schlecht singen will gelernt sein
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Bei Iron Maiden finde ich einige DiAnno-Lieder mit Bruce D. am Mikro besser, obwohl seine Stimme mich nicht vollends berührt (auch weil er etwas zu perfekt singt). Bei Neil Young ist mir nie aufgefallen, dass er kein guter Techniker ist, weil sein Songwriting mich unendlich berührt. Es gibt aber auch solche Fälle, in denen sich Feeling auf technischen Können trifft. Diese Fälle führen nicht selten zu Legendenstatus. Es gibt hier eigentlich kein entweder-oder. Gut, beide Extreme sind irgendwie doof.
Was Produktionen und Bühnenshows angeht, ist vieles Gewöhnungssache. Das Mainstreampublikum ist in dieser Hinsicht "Perfektion" gewonht und würde abgespeckt dargebotene Undergroundkonzerte als langweilig empfinden. Ich glaube aber auch, dass größere Bühnen anders ausgefüllt werden müssen als kleine.
Summa summarum würde ich sagen, dass ich bei mangelnder Perfektion schmerzfrei bin; schlimm ist es nur, wenn das Songmaterial lahmarschig dargeboten wird oder schlecht komponiert ist. Demoproduktionen finde ich meistens interessanter als die eigentlichen Aufnahmen. Ich meine, das waren mal Blind Guardian: .
Bonuspunkt für's Erwähnen von Rick Beato
. Leider ist man in manchen Ecken des Internets "Boomer", wenn man sich gegen Autotune und co. ausspricht
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