We are Motörhead... and we play rock’n roll (Teil 1)
BBC Live & In-Session
Motörhead... warum Motörhead? Unsere Beziehung kam schwer in die Gänge. Zwar war mir der Name der Band in meinen frühen musikalischen Zeiten irgendwie geläufig, aber mit uns beiden ist das lange nichts geworden. Ich blicke mal zurück:
1978 hörte ich auf NDR2 unglaubliche Töne und war glücklicherweise geistesgegenwärtig genug, die Sendung auf Kassette in mono mitzuschneiden: AC/DC ca 40 min live... das war es, das war meine Musik. Ich ahnte nicht, welche Welten sich mir öffnen würden. 1980 kamen Saxon in Gestalt von „Strong Arm Of The Law“ in mein Leben, Iron Maiden folgten und Krokus, Accept, Judas Priest, Def Leppard, Ozzy Osbourne, Michael Schenker Group, Thin Lizzy... 1984 beim Rock Pop in Concert habe ich sie alle abgöttisch geliebt und in einer Höllenlautstärke vor dem TV abgefeiert. Meine Plattensammlung wuchs, bis heute, aber das kennen wohl die meisten von uns, dieses winzige Problem, dessen wir uns erst beim Umzug wieder gewahr werden.
Aber was war mit Motörhead? Mein kleiner Bruder war schneller... 5 Jahre jünger als ich und ca 1983 kam er mit seiner ersten selbst gekauften Scheibe nach Hause: „No Sleep ‘til Hammersmith“... Was war das? Das war nichts für mich, zu rauh, was für ein Geschrei, der Sound unbeschreiblich für mich. Der Lütte feierte sie ab, wie er später Kreators endlosen Schmerz lange vor mir begreifen und abfeiern würde. Für mich waren Motörhead eine Band, die sich mir nicht wirklich erschloss. Bei dem einen oder anderen Kumpel hatte ich inzwischen auch in „Ace Of Spades“, „Overkill“ und „Bomber“ reingehört... aber ehrlicherweise hatte ich mich an Motörhead gewöhnt, Freunde wurden wir aber nicht.
Im September 1984 wurde alles anders! Motörhead lagen lange im Streit mit ihrer Plattenfirma Bronze Records und veröffentlichten eine Compilation, um aus dem Vertrag herauszukommen: „No Remorse“! Alle Uhren auf null...alle Zeichen auf Sturm!
Ich kaufte mir im Plattenladen meines Vertrauens in Oldenburg – nein, nicht im MTS, das war später!
– die „No Remorse“ im Kunstledercover und legte sie zuhause auf: Ace Of Spades, Motörhead, Jailbait, Stay Clean, Too Late Too Late… okay, das gefällt mir doch, irgendwie! Killed By Death… Killed By Death… KILLED BY DEATH! “Shut Up!” Zwei Worte und Lemmy hatte mich! Das war es! Alles war anders! Motörhead waren in meinem Leben angekommen und haben es nie wieder verlassen und werden bleiben bis zum bitteren Ende! Und ein sehr willkommener Nebeneffekt: Girlschool... welcome to my life, lassies! „Emergency“ und „Please Don’t Touch“ sind definitiv unter meinen 100 Lieblingsstücken.
Seitdem sind Motörhead zunehmend wichtiger geworden und seit einigen Jahren ja auch auf dem Arm verewigt mit u.a. AC/DC, Iron Maiden, Saxon, Thin Lizzy, Metallica... noch Fragen?
Doch zurück zum eigentlichen Thema: warum diese Scheibe und nicht eine der regulären Studioreleases, oder eine richtige Live-Scheibe oder warum nicht „No Remorse“? Die regulären Platten wollte ich lieber denjenigen unter uns überlassen, die viel größere Fans von Motörhead sind als ich. Sollte jemand einen AC/DC Month starten, „Back In Black“ mache ICH! Sie verdienen einfach diese etwas verrückte Würdigung. Live-Scheiben sind nicht so meine Sache, auch wenn es unzählige grandiose Konzertmitschnitte gibt. Und „NO Remorse“?Eine Compilation? Nein, auch wenn sie wichtig für mich war.
BBC Live And In-Session repräsentiert irgendwie die Art und Weise, wie ich mir Motörhead erschlossen habe. Spät und auch rückwärts, was sich erst mit der "1916" geändert hat. Die ersten Alben haben sehr spät Einzug in meine Sammlung gefunden. „Motörhead“ sogar erst letzte Woche und „On Parole“ im vorletzten Jahr. Und ich verliebe mich zusehends in die frühen, ganz frühen Motörhead, die noch so anders klingen als ihre metallischen und ebenso würdigen Nachfolger.
BBC Live And In-Session – Motörhead (2005)
Motörhead bei der BBC, mehrmals, im öffentlich-rechtlichen Radio! Nicht nur hier und da mal ein Stück, nein, mehrere Sessions im Studio und sogar ein Konzert auf Einladung der BBC. Das klingt nach dem Himmel auf Erden. Kann sich das irgendjemand vorstellen für die späten Siebziger und frühen Achtziger in den Funkhäusern der ARD? Eben! Die BBC war für den Rock’n Roll, harte Rockmusik allgemein, innovative Rockmusik und Heavy Metal – bekanntlich die Antwort auf alle Fragen, die der Fußball nicht hat – eine wichtige Institution. Die John Peel Sessions, die Friday Rock Show mit Tommy Vance, Top Of The Pops etc.
Die Doppelscheibe bietet genau das: sie bietet drei solcher Sessions und ein Konzert im besonderen Rahmen. Die Sessions in den Studios der BBC boten Bands die Möglichkeit, einige ihrer Stücke in hervorragender Qualität in professionellem Umfeld aufzunehmen. Manche waren schon live erprobt und anderweitig erschienen, andere noch nicht veröffentlicht und später in anderen Versionen erhältlich. Was sie aber immer sind: hervorragende Arbeitsnachweise einer jungen, aufstrebenden Band.
1. John Peel In-Session (aufgenommen am 18.09.1978 / gesendet am 25.09.1978)
Motörhead gab es erst 3 Jahre und sie hatten gerade einmal ihre selbstbetitelte Debutscheibe und die Single „Louie, Louie“ veröffentlicht. Eigentlich unfassbar, daß sie eine Einladung von John Peel bekamen, aber sein Gespür für Musik machte diesen ja später zurecht weltberühmt.
Schon die ersten Takte von „Keep Us On The Road“ ziehen mich jedes Mal wieder in ihren Bann... Eddies Strat spielt das Riff, Leads, Bass und Drums setzen ein. Eine glasklare Produktion, die kein Instrument betont, über allem klingt eine junge, fast frische Stimme von Lemmy. Ich habe das Gefühl, als säße ich im Studio, so direkt spricht mich der Sound an, ziehen mich Eddies Lead immer tiefer in die Kopfhörer. Louie Louie ist die gültige Reminiszenz, die Lemmy seinem Helden Chuck Berry erweist. Rock’n roll! Das erst auf Overkill im folgenden Jahr erscheinende „I’ll Be Your Sister“ läßt noch nicht erahnen, was uns dort erwarten würde, aber ist genauso ein wunderbarer harter Bluesrocker wie das abschließende treibende „Tear Ya Down“ von der „Louie, Louie“-Single.
- Keep us on the road (Motörhead 1977)
- Louie, Louie (Single 1978)
- I’ll be your sister (Overkill 1979)
- Tear ya down (Louie, Louie B-Seite 1978)
(Kilmister, Clarke, Taylor)
2. In-Concert Live from Paris Theatre (Aufgenommen am 16.05.1979 / gesendet am 26.05.1979)
“Rrright, after umpteen years of motorway slog, Lemmy and the crew have finally made it into the charts. Ladies and gentlemen, Motörrrheeeeaaad!”
So beginnt die Aufzeichnung mit einer Ankündigung mit erfreulich viel „rrr“. Und mit einem Gang über die Toms leitet Phil „Animal“ Taylor das bekannte „Stay Clean“ ein. 8 Monate nachdem Motörhead bei John Peel waren, spielten sie auf Einladung der BBC im Paris Theatre in London einen Gig vor geladenen Gästen. Welchen Eindruck diese Band in dieser frühen Form und ihrer auch ohrenbetäubenden Verfassung auf diese Elite wichtiger und hipper Leute gemacht haben mag, weiß ich nicht. Ich hätte es gern gesehen. Kennt jemand Augen- oder Ohrenzeugen?
Wie man es von der BBC kennt, ist auch hier die Produktion großartig: Lemmys Bass ist nicht übersteuert, Eddies Strat immer sauber zu hören und von Phil hört man alles, jeden einzelnen Schlag auf die Hi-Hat. Lemmy gibt sich wenig redselig und prescht mit seinen Kollegen durch einen furiosen, harten, druckvollen Set. Der Schwerpunkt liegt auf der im März erschienenen „Overkill“. Lediglich „White Line Fever“ vom Debut und „Too Late, Too Late” (B-Seite Overkill Single) bilden eine Ausnahme.
Ich mag diese Live-Aufzeichnung sogar noch lieber als die legendäre „No Sleep ‘til Hammersmith“. Das liegt sicherlich am druckvollen und zugleich klaren und präzisen Klang. Ich vermute, daß auch das Paris Theatre einen entscheidenden Anteil hat. Das Ganze klingt sehr direkt und intim, warm, fast wohnzimmerartig. Vielleicht wollte die Band dem anwesenden „besonderen“ Publikum auch zeigen, was eine amtliche Bedienung ist: diese Vollbedienung kriegt es! Es hat irgendwie auch die Atmosphäre eines Showcase. Auf jeden Fall spielt die Band auf den Punkt und läßt in der Retrospekive die folgenden Jahre und Großtaten erahnen. Noch im selben Jahr folgt mit „Bomber“ ja auch kein schlechtes Album.
Paris Theatre (London): bei dem Club handelt es sich um ein ehemaliges Kino, das die BBC lange als Konzertsaal für Aufzeichnungen und Sendungen genutzt hat. Es hatte eine Kapazität von unter