♠ Every Month is MOTÖRMONTH! ♠

Motörhead - Motörizer (2008)

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Runaround Man – 2:57
Teach You How to Sing the Blues – 3:03
When the Eagle Screams – 3:44
Rock Out – 2:08
One Short Life – 4:05
Buried Alive – 3:11
English Rose – 3:37
Back on the Chain – 3:24
Heroes – 4:59
Time Is Right – 3:14
The Thousand Names of God – 4:33


„Stand your ground and fight!“ – oder: Auf ein (paar) Heineken mit Lemmy


Der Sand knirschte unter meinen Füßen. Kurz nach Mitternacht war der Strand von Zandvoort nahezu ausgestorben. Lediglich ein Labrador Retriever führte sein Frauchen einige Meter vor mir im schwachen Mondlicht spazieren. Auch die Nordsee zeigte sich von ihrer zahmen Seite: Windstärke 2 machte es möglich. Welch eine Wohltat nach der gestrigen, schier endlosen Silvesternacht, in der Nord-Holland den Dritten Weltkrieg ausgefochten hatte! Die Rahmenbedingungen waren perfekt: Ich brauchte nämlich Ruhe. In genau einer Woche musste ich für das Deaf Forever Forum einen Text über Motörizer, das 19. Motörhead-Studioalbum, posten. Leider fehlte mir noch immer eine zündende Idee – ein blödes Wortspiel nach der Knallerei in den vergangenen Stunden, dachte ich. Wie auch immer: Ich zermarterte mir seit Tagen das Hirn, aber die Muse küsste derzeit scheinbar einen anderen – treuloses Biest, bei Motörhead, meiner ersten Rezension, konnte ich meine Gedanken noch in einem Rutsch zu Papier bringen. Da gab es keinerlei Probleme, im Gegenteil: Viele Einfälle hatte ich gar nicht verwendet, um den Rahmen nicht zu sprengen. Nun schmerzten zu allem Überfluss auch noch meine Beine nach den langen Strandspaziergängen der letzten Tage. Von meiner alten Bestform war ich noch stets weit entfernt... Daher musste ich meinen nächtlichen Kreativmarsch unterbrechen. Das ärgerte mich enorm: Ich steuerte mürrisch auf die Terrasse eines inzwischen verwaisten Strandbistros zu. Tagsüber gab es dort den besten Kibbeling im Ort. Beim Gedanken daran knurrte postwendend mein Magen – was hatte ich vorhin eigentlich gegessen? Nur einen Salat, aber die Diät musste sein. Ächzend ließ ich mich in einen der tiefen, dunkelgrauen Korbstühle sacken. Ich öffnete den Reißverschluss meiner Jacke, inhalierte die salzige Luft und konzentrierte mich mit geschlossenen Augen auf das Rauschen der Wellen. Meine Knie brannten... vielleicht sollten wir es morgen trotz aller guten Vorsätze mal langsamer angehen lassen. Auch im Wort Aktivurlaub steckte schließlich das Wort „Urlaub“, habe ich gehört.
„So wird das ganz sicher nix, du Jammerlappen!“
Ich fuhr zusammen und riss die Augen auf. Konnte der Golden Retriever plötzlich sprechen?
„Nicht so schreckhaft, ich will dir kein Metal Hammer-Abo oder so einen Bullshit andrehen, harharhar!“
Mein Herz überschlug sich beinahe. Obwohl ich vor drei Stunden nur zwei Gläser – ziemlich süffigen – chilenischen Rosé in unserer Ferienwohnung getrunken hatte, spielten mir meine Sinne offenkundig einen Streich. Vor mir saß kein Golden Retriever, sondern... Lemmy. Lemmy Kilmister. Er nippte an einer Flasche Heineken und musterte mich amüsiert. „So reagieren sie alle, mach’ dir nix draus, Junge. Vielleicht liegt’s aber auch nur am Outfit, harharhar. Das Ding habe ich übrigens Philthy gemopst!“ Lemmy streichelte über den Patronengurt, der vom berühmten Ace of Spades-Cover zu stammen schien. Ich liebte die Scheibe und ihr Artwork. Welcher Junge stand nicht auf Desperados? Wilde Kerle, Outlaws in Schwarz, mit Cowboyhüten, Lederklamotten – und eben Patronengürteln.
„Das ist unmöglich...“, stammelte ich, als sich meine Gedanken wieder vom letztgenannten Accessoire lösen konnten. Ich setzte meine Brille ab, rieb mir mit den Handballen energisch die Augen und setzte das Gestell wieder auf die Nase. Aber mein Gegenüber verschwand nicht. Das Licht der Laternen auf der nahegelegenen Strandpromenade verriet mir, dass es sich um eine junge, kraftstrotzende Ausgabe von Mr. Kilmister handelte – das blühende Leben. Er schien sich samt Patronengurt aus dem Jahre 1980 in meine Gegenwart gebeamt zu haben. Mein Herz raste noch immer... Hatte ich den Verstand verloren?

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„Hier, du kannst es gebrauchen, Junge, harharhar.“ Lemmy beugte sich nach vorn und reichte mir grinsend aus dem Nichts eine perfekt gekühlte Flasche Heineken. Wie in Trance nahm ich sie entgegen. Als wir anstießen, ließ mich das klirrende Geräusch des Glases etwas zusammenzucken. Ich konnte das Bier tatsächlich verdammt gut gebrauchen.
„Fast auf Ex, Respekt, harharhar!“, lachte Mr. Motörhead, ehe er sich eine Kippe anzündete und ernst fortfuhr: „Kommen wir zur Sache: Motörizer. Du musst da einen Text für dieses Freak-Forum schreiben, nicht wahr?“
„Ähm, ja, es gibt dort einen Thread, in dem...“
Lemmy winkte ungeduldig ab. „...alle relevanten Motörhead-Alben besprochen werden. Ich weiß, Junge. Auch auf der anderen Seite gibt es Internet, wir sind ja nicht in Ostwestfalen, harharhar. Ich lese seit November mit. Abgefahrener Scheiß! Deine Kollegen haben echt einen an der Murmel – das gefällt mir, harharhar! Wenn es so weit ist, lade ich sie alle mal auf ein Bierchen oder eine Jacky Coke ein, Ehrensache.“
„Das klingt prima...“, erwiderte ich gedankenverloren. Was wusste Lemmy eigentlich über Ostwestfalen? Und warum beschäftigte ich mich nun ausgerechnet damit? Schließlich sprach ich mit einem... Geist? Oder wie sollte ich es bzw. ihn nennen? Lemmy schien meine Gedanken zu lesen und drückte mir grinsend eine weitere Flasche Heineken in die Hand. Diesmal trank ich zunächst nur einen kleinen Schluck. „Ich habe gerade eine Schreibblockade“, gab ich zu.
Lemmy nahm einen kräftigen Zug von seiner Zigarette und blies den Qualm anschließend in meine Richtung. „Ich weiß. Deshalb bin ich hier.“
Ich schaute dem Ace of Spades-Lemmy direkt in die Augen: „Wie ist das eigentlich möglich?“
„Was?“
Hilflos hob ich meine Arme in die Höhe. „Ja, dass du... hier vor mir sitzt.“
„Achso, ja, einmal im Monat kann ich diese Seite besuchen. Ich war letzte Nacht in Amsterdam. Eine fan-tas-tische Stadt!“ Lemmy grinste wie ein Honigkuchenpferd. „Amsterdam, Junge...“ Er schloss die Augen und versank für ein paar Momente in seiner eigenen, mir völlig unbekannten, Welt. Leise summte er vor sich hin. Die Melodie erinnerte mich vage an Jacques Brels Ode an die schönste Stadt der Welt aus dem Jahre 1964: Dans le port d’Amsterdam; Y a des marins qui chantent. Danach räusperte er sich: „Aber darum geht es jetzt gar nicht. Motörizer. Was fällt dir zu der Platte ein?“
Ich trank einen Schluck, um Zeit zu gewinnen. In Lemmys Anwesenheit wollte ich schließlich keinen Unsinn erzählen – mal abgesehen von der Tatsache, dass es selbstverständlich blanker Unsinn war, davon auszugehen, hier – am Strand von Zandvoort, vor den Toren Amsterdams – vor Lemmy zu hocken: „Der Titel ist großartig. Da hatte Mikkey wirklich einen Geistesblitz. Mehr Motörhead geht doch gar nicht.“
Lemmy nickte zustimmend: „Ja, der Titel gefällt mir immer noch. Aber das Cover ist auch nicht übel, oder?“
„Nein, das ist euch ebenfalls sehr gut gelungen. Die Wappen von England und Schweden, dazu die Flagge von Wales und Snaggletooth – sehr individuell und einprägsam. Es gibt nicht viele Cover von euch, die mir besser gefallen.“ Mein Blick fiel erneut auf den Patronengurt: „Wenn ich so darüber nachdenke, finde ich in dieser Hinsicht wohl nur Ace of Spades besser.“
Lemmy brummte etwas Unverständliches vor sich hin. „Und die Mucke?“, fuhr er fort. „Ich meine, darum geht es ja vor allem. Was hältst du von den einzelnen Songs?“
Ich lehnte mich zurück und blickte in den bewölkten Nachthimmel. So langsam normalisierte sich mein Herzschlag. Dieses bizarre Gespräch, die merkwürdigste Sinnestäuschung meines Lebens, gefiel mir inzwischen. Der Alkohol zeigte scheinbar seine – in diesem Falle – wohltuende Wirkung: „Runaround Man ist ein perfekter Opener, eine echte Adrenalinspritze. Wenn du morgens nicht aus der Kiste kommst, hör’ ihn dir an. Ich möchte dabei immer durch die Bude hüpfen, Luftgitarre spielen und die Mähne schütteln... die ich ja leider gar nicht habe...“ Ich strich mir über das raspelkurze Haar: „Naja, egal, so geht Rock’n’Roll – der Text ist ebenfalls ziemlich cool. Vielleicht ist das Ganze nicht sonderlich originell, aber das juckt mich nicht. Darum geht es hier gar nicht. Runaround Man macht Laune – auch wenn Overkill und Iron Fist als Opener natürlich nicht zu schlagen sind.“
Lemmy nickte bestätigend: „Nein, da hast du Recht, Junge. Philthy, Eddie und ich spielen die beiden Nummern auf der anderen Seite immer noch jeden Abend. Nutzt sich nicht ab...“
Ich spitzte die Ohren: „Du spielst... auf der anderen Seite... jeden Abend mit...“
Lemmy winkte ab: „Ja, kein großes Ding. Würzel mischt auch regelmäßig mit – auch wenn Eddie es nicht mag, wenn ,der Neue’ zu sehr im Vordergrund steht. Kleine Diven, die beiden, harharhar. Aber, bleiben wir bei der Sache, Junge. Ich habe nicht mehr so viel Zeit. Ich muss gleich wieder zurück auf die andere Seite, Termine – Ronnie tritt wieder als Hologramm auf... Was denkst du über die anderen Stücke?“

(Fortsetzung im nächsten Post)

Sehr, sehr geil.:verehr: Die Idee zu diesem Review und wie Du es geschrieben hast:top::top::top:
Ok, "nur" eine 8... dass Dir Lemmy da nicht noch in den Hintern getreten hat:)
Für mich ist das Album eine richtig gute 9, ich höre hier Lemmy das letzte Mal auf Albumdistanz in guter körperlicher, und vor allem stimmlicher, Verfassung. Übertroffen haben sie das Album meiner Meinung nach nicht mehr, Aftershock kann maximal gleichziehen.
Mit Rock Out hast Du vollkommen recht: der Song taugt zum Signature Song, ist einen Tick zu langsam, hat aber ansonsten absolutes Klassikerpotential. Ansonsten gibt es auf diesem Brecher von einem Album eine ganze Menge zu entdecken.

Very well done:top::top::feierei:
 
@Andy81 Herzlichen Glückwunsch zu und vielen Dank für das Review, Mann! :jubel:

Das Ding ist so geil geschrieben, daß ich gleich an mehreren Stellen Teile meines Mittagessens auf den Bildschirmg gespuckt habe. :feierei:
Wirklich sehr geil und hat meinen Plan, sämtliche Reviews hier im Thread mal auszudrucken und mir dann bei jedem Motörhead-Dauerhör-Flash durchzulesen, sozusagen in Stein gemeißelt.

Einziger Kritikpunkt: 'ne 9 wäre für die Scheibe definitiv drin. ;)
 
@Andy81 Herzlichen Glückwunsch zu und vielen Dank für das Review, Mann! :jubel:

Das Ding ist so geil geschrieben, daß ich gleich an mehreren Stellen Teile meines Mittagessens auf den Bildschirmg gespuckt habe. :feierei:
Wirklich sehr geil und hat meinen Plan, sämtliche Reviews hier im Thread mal auszudrucken und mir dann bei jedem Motörhead-Dauerhör-Flash durchzulesen, sozusagen in Stein gemeißelt.

Einziger Kritikpunkt: 'ne 9 wäre für die Scheibe definitiv drin. ;)

Merci!

Ich bewerte Scheiben meist im eigenen Bandkosmos. Motörizer macht natürlich Laune und ist eine astreine Rockscheibe. Ich bin allerdings in erster Linie ein Fan der Früh- und Würzel-Phase: Da zücke ich reihenweise die 9 oder 10. Aber unter 8 läuft bei mir im Motörhead-Universum dennoch nix. :D
 
@Andy81 :top:
Das Review toppt nochmal den Wahnsinn der letzten Wochen. Gut für Dich (schlecht für uns), dass Du das Treffen mit Lemmy nicht schon vor dem ersten Review hattest, weil Du dann Deine Dialoge mit Lemmy zu allen Alben hättest aufschreiben müssen.

Da ich auch keiner Motörhead weniger als 8/10 geben würde, es aber in den 90ern einige gab, die ich schlechter als die Motörizer finde, würde ich eine solide 8,5 zücken.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hab mir die Motörizer wie angekündigt gerade nochmal beim Training gegeben und das ist echt ein starkes Teil. Meine Favoriten sind nach wie vor "Heroes" und "The Thousand Names Of God".

Mit dem "Under Cöver" Review bin ich übrigens schon halb fertig. Mir ist aber vorhin ein anderer Ansatz eingefallen, vielleicht werfe ich nochmal alles um. ;)
 
Hab mir die Motörizer wie angekündigt gerade nochmal beim Training gegeben und das ist echt ein starkes Teil. Meine Favoriten sind nach wie vor "Heroes" und "The Thousand Names Of God".

Mit dem "Under Cöver" Review bin ich übrigens schon halb fertig. Mir ist aber vorhin ein anderer Ansatz eingefallen, vielleicht werfe ich nochmal alles um. ;)
alternative Vorschläge:

1. du schreibst den zweiten Versuch vom ersten ab!

2. du schreibst nachts unter der Bettdecke ...


das wäre soooo under cöver! :D
 
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