Ach, weil in den ersten paar Monaten doch eine ganze Menge Lektüre zusammengekommen ist, fasse ich auch das mal zusammen - ehe sich das wieder wie Ende letzten Jahres häuft.
Also:
Arkadi & Boris Strugatzki - Hotel zum verunglückten Bersteiger
Inhalt: Eigentlich hatte sich Inspektor Glebski auf einen geruhsamen Winterurlaub in einem abgelegenen Berghotel eingestellt, ganz unabhängig von den skurrilen Gästen, doch dann häufen sich merkwürdige Dinge. Mysteriöse Besucher tauchen auf, eine Lawine verschüttet den Eingang zum Tal und schneided das Hotel von der Außenwelt ab, und schließlich wird einer der Gäste tot aufgefunden. So muss Glebski dann doch die Ermittlung aufnehmen, doch mit jeder scheinbaren "Antwort" tun sich nur neue Fragen auf.
Kommentar: Die Strugatzkis selber haben das hier als misslungenes Experiment bezeichnet, und ein Experiment ist es auf jeden Fall auch. Ein Krimi im sprichwörtlichen "abgeschlossenen Raum", nicht unähnlich Agatha Christies Orientexpress und Nildampfern. Von dieser Prämisse abgesehen wirkt der Roman, auch aufgrund seines eher heiteren Tonfalls, beinahe satirisch: Die Gäste und das Personal, i.e. die Verdächtigen und das Mordopfer selber, sind völlig überzeichnet und kauzig, der "Ermittler" ist mit seinem Fachgebiet Wirtschaftskriminalität eigentlich völlig fehl am Platz, die Handlung nimmt gleich mehrfach bizarre Wendungen (in deren Verlauf natürlich auch wieder der Bogen zur Science Fiction geschlagen wird), und die finale Auflösung wird durch einen absurd langen Epilog nochmals verdreht. Insofern dann doch ziemlich unterhaltsam.
Norman Mailer - Auf dem Mond ein Feuer
Inhalt: Norman Mailer soll 1969 im Auftrag irgendeines Verlags von der Apollo-11-Mission berichten, kommt aber durch Motivationsprobleme, Ehekrach, Alkohol etc. eigentlich kaum zurande. Trotzdem schreibt er über alles, worüber zu schreiben wäre, und lässt auch seine "Außenperspektive" sowie seine eigenen Abwägungen und philosophischen Überlegungen regelmäßig einfließen. Und dazwischen wird dann trotzdem die ganze Mission und ihre Vorgeschichte geschildert - Pressekonferenzen, die Startvorbereitungen, der Flug selber, Berichte aus dem Kontrollzentrum.
Kommentar: Das ganze ist natürlich kein streng faktentreues Sachbuch, und teilweise geht Mailer auch ziemlich weit, zumal er ständig einen "Gesamtkontext" sucht, i.e. die Art und Weise, wie die Mondmission und die amerikanische Gesellschaft wechselwirken - wie letztere erstere auf den Weg gebracht hat und wie umgekehrt das Selbstverständnis der Nation von diesem "Erfolg" beeinflusst (oder möglicherweise in der Zukunft beeinflussen wird). Genügend Seitenhiebe auf Poltik, Industrie, Gesellschaft und Kultur gibt es selbstredend auch, wobei für mich als Nachgeborenen einiges wohl auch gar nicht mehr verständlich ist. Nachteilig ist in dem Sinne aber wohl auch, dass das Buch durch diese ganzen Exkurse teils recht langatmig war. Immerhin konnte ich es zwischendurch öfters mal beiseite legen, zwischendurch was anderes lesen und dann ohne Umschweife hier wieder anknüpfen.
Ah ja, und die Idee von der "Psychologie der Maschinen" bleibt hängen. Da muss ich jetzt jedes Mal dran denken, wenn Auto, Toaster, Stereoanlage oder Smartphone mucken.
Wolfgang Herrndorf - In Plüschgewittern
Inhalt: Der namenlose Erzähler trennt sich von seiner Freundin, besucht seinen Bruder und dessen schwangere Frau, dann seine todkranke Oma und fährt schließlch zu einem Kumpel nach Berlin, um dort Fuß zu fassen. Das allerdings gelingt nicht, stattdessen geht's von Café zu Café, von anarchischer Party zu anarchischer Party und von Filmriss zu Filmriss, dazwischen Affären, Begegnungen mit den seltensten Auswüchsen der Spät-90er-Spaßgesellschaft und eben, um es mal salopp zu sagen, diese typisch berlinerische Großmannsucht. Am Ende allerdings kehrt der Protagonist mehr oder weniger gebrochen zurück, wahrscheinlich nicht mal lebend.
Kommentar: Na ja, zu Wolfgang Herrndorfs Debütroman gibt's eigentlich gar nicht so viel zu sagen, der Inhalt spricht eigentlich für (oder gegen) sich. Ähnliche Topoi in gleicher Umgebung gab's vor ihm schon von Christian Kracht & Co., nach ihm mindestens von Helene Hegemann, und Trendbegriffe wie "Hipster", "Szene", "Ironie" sind erschreckenderweise immer noch aktuell. Das macht dieses ganze abgewrackte hedonistische Milieu natürlich nicht eben sympathisch. Andererseits geht der Protagonist daran ja auch zugrunde, was ja wiederum auch demaskierend wirkt. Stilistisch gibt es natürlich viel Stream of Consciousness, was ein bisschen über die generische Handlung hinweghilft.
Heinz Strunk - Fleckenteufel
Inhalt: Der 15-jährige Thorsten Bruhn verbringt die Sommerferien 1977 auf Kirchenfreizeit in Scharbeutz an der Ostsee und plagt sich dabei mit seiner eigenen Verdauung und Körperhygiene sowie vielen scheinbar unumgänglichen Besonderheiten einer solchen Unternehmung: Sticheleien bis Mobbing unter Gleichaltrigen, schludriges Verhalten der erwachsenen Begleitung, nichtssagende Beschäftigungen mit "Glaubensfragen" und natürlich noch heimlich zu sammelnde Erfahrungen mit Alkohol, Nikotin und dem anderen Geschlecht. Am Ende jedenfalls ist Elvis Presley tot und Thorsten um so einige Erfahrungen reicher (ob's ihm was nützt, steht auf einem anderen Blatt).
Kommentar: Ein relativ "normaler" Reiseroman im typischen Strunk-Duktus, dürfte so betrachtet natürlich wieder auf eigenen Erlebnissen des Autors basieren. Auch hier gibt's wieder einige von anderswo bekannte Elemente, Sprüche und Versatzstücke. Trotz der teils recht vorhersehbaren Entwicklungen schafft es Strunk dennoch, ganz gut zu unterhalten, wobei eine gewisse Redundanz wie z.B. die geradezu krankhafte Fixierung der Hauptperson auf die eigene Rosette oder das ständige Herummäkeln an der Verpflegung (für 434 DM dürfe man aber auch nicht mehr erwarten...) wohl fast schon sowas wie den Stil ausmacht. Eine gewisse Tiefe bekommt der Roman allerdings dadurch, dass Thorsten gleich mehrfach enttäuscht wird, wenn sich zuvor beinahe idolisierte Mitreisende oder sich mit vermeintlichen Bedeutungen aufgeladene Ereignisse als völlig belanglos entpuppen. Sowas sorgt immer wieder für Verblüffung.
Wolfgang Herrndorf - Bilder deiner großen Liebe
Inhalt: Die Teenagerin Isa bricht aus der Anstalt aus und streift mehr oder weniger ziellos durch die Gegend. Wichtigster Begleiter ist ihr Tagebuch, alles weitere ist dagegen nur Episode: Die Mitfahrt auf einem Lastkahn, kurzzeitiger Reichtum durch bei einem toten Jäger gefundene 50€, die Begegnung mit einem alten Schriftsteller, das Trampen bei einem eigenartigen Trucker und schließlich natürlich die Tour mit zwei Jugendlichen, die in einem Lada unterwegs sind...
Kommentar: Es liegt natürlich auf der Hand, dass über die Hauptfigur ein Bezug zu "Tschick" besteht, davon abgesehen ist die Schnittmenge gemessen an dieser Konstellation überraschend klein. Isa scheint überhaupt nur am Moment und vielleicht noch an sich selbst interessiert zu sein, was umgekehrt natürlich auch die Erzählstruktur nachhaltig beeinflusst - hier tummelt sich viel Irrationales und Überraschendes, das teils auch unlogisch erscheinen mag, andererseits aber natürlich durch Isas sprunghafte Auffassungsgabe zu erklären wäre. Das macht's nicht unbedingt einfacher zu lesen, sorgt aber eben ganz maßgeblich für etwas, das an Faszination grenzt. Ansonsten bleibt der Roman allerdings, was wohl auch biografisch bedingt ist, etwas fragmentarisch, liest sich dafür aber eben locker weg.
Heinz Strunk - Junge rettet Freund aus Teich
Inhalt: Erzählt wird der Lebensweg von Mathias in den Jahren 1966, 1970 und 1974. Auf eine vergleichsweise harmonische Kindheit im Vorschulalter folgen erste Risse, als im Sommerurlaub 1970 in der Provinz erste Kontakte mit Alkohol, Nikotin und sogar Morphinen stattfinden, Mathias es am Gymnasium schwer hat und auch seine alleinerziehende Mutter nach und nach Wahnvorstellungen entwickelt. 1974 schließlich gewinnt Deutschland zwar die Fußball-WM, aber Mathias' Erlebnisse werden gleichzeitig noch sehr viel extremer.
Kommentar: Und noch mal die Strunk'sche Biografie, diesmal bizarrerweise zwar unter Klarnamen (Mathias Halfpape), aber wiederum in Teilen fiktionalisiert. Auch diverse Anachronismen (das "Mondauto" als Weihnachtsgeschenk 1966, Alice Coopers "School's Out" anno 1970) irritieren auf angenehme Weise - vermutlich spielt das alles in einem Paralleluniversum, oder so. Ansonsten werden zwar mal wieder viele Kindheitserinnerungen ausgebreitet, alleine das Älterwerden, also Mathias' Entwicklung einerseits, der Verfall seiner Großeltern andererseits und natürlich der Konflikt mit der zunehmends neurotischer werdenden Mutter bilden dennoch einen roten Faden, der dem Text - wie schon bei "Fleisch ist mein Gemüse" - einen ausgesprochen bitteren, ambivalenten Unterton hinzufügt. Was dieses Buch wiederum eben lesenswert macht.
Na, das war's erst mal - ich melde mich mal wieder, wenn der nächste Stoß durch ist.
Gerade bin ich mit dem nächsten Strunk-Buch ("In Afrika") auch schon so gut wie durch...