Jedes Jahr zu Weihnachten ist einer der ultrabrutalen Robert-Hunter-Thriller fällig. Spannend, wenn auch etwas holzschnittartig und über die Reihe hinweg doch etwas redundant. Egal. Der Nikolaus bringt's.
Sahra Wagenknecht ist unbestritten eine der intelligentesten Politikerinnen der Geschichte der BRD. Dennoch habe ich, ganz abgesehen davon, dass ich die Partei DIE LINKE überaus kritisch sehe, mit vielen ihrer Anliegen und erst recht ihrer unlängst bezüglich der staatlichen Corona-Maßnahmen getätigten Äußerungen so meine sehr großen Probleme. Wie kann es also sein, dass ein intellektuell so auffälliger Mensch wie Frau Wagenknecht von den meinen so abweichende Positionen vertritt? Und siehe, da ist nicht nur ein denkender Mensch, der eben anders tickt als ich. Da ist jemand, der eines der intelligentesten Bücher geschrieben hat der letzten zwanzig Jahre. Daten, Statistiken und Empirie stützen hier von Beginn an alles, was angesprochen, kritisiert oder beworben wird. Dabei kämpft die Wagenknecht wie eine Löwin für die Unterschicht und Zurückgelassenen. Der Vorwurf, sie würde nach rechts abdriften, ist meines Erachtens Unsinn und von Leuten in die Welt gesetzt, die ihr Buch nur vom Feuilleton oder Hörensagen kennen. Natürlich geht sie mit den "Selbstgerechten", sprich den heutigen Linksliberalen (die ihrer Meinung nach aufgrund einer ganzen Palette an Gründen die Unterschicht regelrecht im Stich lassen), hart ins Gericht. Aber sie begründet ihre Diatribe. Und zwar nicht nur bemerkenswert souverän, sondern zum Nachdenken und zur Selbstreflektion anregend. Globalisierung, Kapitalismus, Finanzmärkte, soziale Medien, die neue Rechte, Nationalstaat, Russland, China, Migration, Corona, (moralische) Überheblichkeit und ersatzreligiöse Besserwisserei werden in einer übersichtlich gegliederten Abhandlung diskutiert, kommentiert und in miteinander in Verbindung gebracht. Geschätzt 80% ihrer politischen Schlussfolgerungen kann ich auch als Mensch der "politischen Mitte", der sich nicht als links oder sonstwas bezeichnet und sich nirgendwo parteizugehörig fühlt, rational nachvollziehen und oft sogar goutieren. Einzig ihre manische Abneigung gegen die USA, die einhergeht mit krankhafter Nähe zu Russland, stößt mir hier immer und immer wieder sauer auf. Bei einen überzeugten Demokraten müssen da die Alarmglocken klingeln, finde ich. Dennoch ist "Die Selbstgerechten" für mich DAS Politbuch der letzten Dekade und ich werde in den kommenden Monaten nicht wenig damit arbeiten.
Eine leichtfüßig geschriebene Zeitreise in das "Deutschland" (sprich: die deutschen Staaten) um 1800. Kein historischer Abriss, sondern eben: eine doch etwas mikrokosmische
Zeitreise. Ohne strukturelles und ordnendes Vorwissen ist man hier womöglich zwar etwas verloren, aber die vielen kleinen Besonderheiten, die den Alltag damals zum
Alltag machten, sind überaus spannend und unterhaltsam zu lesen. Einzig der Trend mancherorts, etwa Preußen und seine Monarchen aus dem bequemen Blickwinkel des Nachgeborenen (und nicht aus dem eingeschränkten Blickwinkel der Zeit) heraus zu beurteilen, ermüdet etwas. Das fällt aber angesichts der Güte dieses wundervollen Buchs gar nicht weiter ins Gewicht.