Überraschend negativer Unterton auf dieser Seite meiner Meinung nach, wenn man bedenkt, wievielen anderen alter Hasen trotz für mich mittelmäßiger Alben weiterhin die Nibelungentreue gehalten wird. Für mich stellen Anvil eine nicht oft erreichte Konstante dar, die über Jahrzehnte hinweg immer gutklassige Alben, das heißt ohne Ausfälle und immer mit ein paar Smashern bestückt, veröffentlicht. Spontan fallen mir da Nummern wie "Blood on the Ice", "Park that Truck", "Dr Kevorkian" oder "Bitch in the Box" ein. Genug Kracher haben sie immer im Köcher, wenngleich sie live dann leider hauptsächlich auf die alten Kamellen zurückgreifen (müssen?).
Warum man im Vergleich jetzt aber beispielsweise Demon oder Raven (beides Bands, die ich sehr schätze, um Missverständnissen vorzubeugen), deren wegweisende Großtaten ähnlich lange zurückliegen, als alte Heroen abfeiert, während Anvil in der Boring-Old-Fart-Schublade landen, erschließt sich mir nicht. Und die hochgejubelte "Firepower", mit Verlaub, ist auch keine zweite Stained Class.
Ich für meinen Teil bin ANVIL genauso nibelungentreu wie jeder anderen Band, der ich einmal meine Gunst geschenkt habe. Für mich gibt es auch kein schlechtes ANVIL-Album, das ich nicht in der Sammlung würde haben wollen. Dennoch ist es einfach meine Wahrnehmung, dass ANVIL weit weniger oft als Einfluss, als absolute Lieblingsband, in Jahrescharts, in Lieblingsalbenlisten etc... auftaucht, als viele andere ähnlich situierte Bands. Hab eher versucht eben dieses Phänomen, das du hier beschreibst, irgendwie zu analysieren und den Grund dafür zu finden. Mein Ergebnis ist, dass es einfach an den ganz großen, weithin sichtbaren und wirkenden Alleinstellungsmerkmalen und Ohrenöffnern fehlt. Natürlich haben wir als Fans unsere Faves und natürlich kann ANVIL ein 2-Stunden-Set mit nur geilen Songs füllen. Ebenso natürlich ist ein neues Demon-Album, ein neues Raven-Album oder meinetwegen sogar ein neues Judas Priest-Album nicht per se einer neuen ANVIL überlegen.
ANVIL ist halt eine Band, die, hat man sie mal ins Herz geschlossen, sicher dort einen wohlverdienten Platz hat und ihre Fans auch nicht enttäuscht. Aber ganz offensichtlich fällt es ANVIL ein wenig schwerer sich die nötige Aufmerksamkeit zu verschaffen, welche die Herzen aufschließt, als manch anderer Band. Da es sich um grundsympathische und saucoole Typen handelt, die beharrlich abliefern, kann ich mir das halt nur so erklären, wie oben schon beschrieben.
Lips ist als Sänger nicht so erhaben wie ein Halford, nicht so einschmeichelnd und warm wie ein Dave Hill, nicht so hysterisch und überdreht wie ein John Gallagher. Er ist halt Lips. Es ist saugeil, dass er "halt Lips" ist, denn ich liebe Lips, aber wenn du diese Affektion für ANVIL nicht hast, dann sind seine Stimme und sein Gesang halt nicht unbedingt das, was die Leute auf der Suche nach neuer Lieblingsmucke gerade zu dieser Band bringt. Und seine Stimme und sein Gesang wird weit weniger einen jungen Sänger dazu bringen, so oder so ähnlich zu singen oder klingen zu wollen wie Lips.
Und das setzt sich so fort. Natürlich ist Lips ein völlig cooler Gitarrist, der rockt, was das Zeug hält, wenn man sich mal die Zeit und Aufmerksamkeit nimmt, ihm wirklich genau zuzuhören. Aber so aufs erste Hören, da sind Tipton/Downing sicher beeindruckender und einprägsamer, da ist Mark Gallagher sicher verstörender und eindrucksvoller mit seinem hektischen Hochleistungssport-Geriffe usw...
Das soll um Himmels Willen nicht heißen, dass ANVIL eine durchschnittliche Band sei, sondern es soll versuchen zu erklären, warum ANVIL von so vielen Leuten "im Vorbeigehen" als durchschnittliche Band wahrgenommen wird. Sie haben einen Frontmann, der als Person Kult ist, und auch einen ebensolchen Drummer; aber die Band ist dennoch nicht durch besonders hervorstechende musikalische Maulsperren-Verursacher zur Ikone geworden.
Kann man gerne anders sehen, aber ich kann es mir nur so erklären, und - ganz wichtig - das soll ANVIL aber mal überhaupt nichts wegnehmen.