Liebe Jungs und Mädels, langsam glaube ich, dass ich mir bewusst die komplizierteren Alben raussuche. Das heißt nicht, dass ich nicht auch mal eine Partykracher-Platte besprechen werde, und das heißt schon mal überhaupt nicht, dass ich sowas nicht auch gern höre. Momentan - muss ich gestehen - habe ich aber wohl eine Phase, in der ich es bevorzuge, ganz tief in Klangwelten abzutauchen.
Ist ja nun auch nicht das Schlechteste.
Ich kredenze euch heute erneut eine polarisierende Band, die man nicht einfach nur "mögen" kann. Nein, entweder nimmt man sich deren Backkatalog ganz heftig zur Brust und geht eine lebenslange Liebesbeziehung ein, oder es funkt einfach nicht. Nur für 'ne kurze Affäre zwischendurch würde sich wohl kaum einer dieser Band verschreiben.
Ich hole noch etwas weiter aus und erzähl' mal, wie ich überhaupt dazu gekommen bin (denn ich weiß - ihr liebt solche Stories

):
Anfang der 00er-Jahre verbrachte ich während meiner Umschulungszeit (wo ich glücklicherweise Internet hatte - zu Hause noch nicht) Stunden in einem Diskussionsforum für Herr der Ringe-Fans. Dort gab's einen Typen mit einem wahrlich seltsamen Nicknamen:
MY DYING BRIDE
Als wir irgendwann mal nicht über Hobbits und Mittelerde palaverten, stellte sich heraus, dass wir beide Musik der härteren Gangart bevorzugten, und da erklärte er mir auch endlich das Mysterium rund um seinen Internetnamen: Es gäbe da eine geniale englische Band, nach der er regelrecht süchtig sei - ich müsse diese unbedingt mal antesten. Nun war das damals noch nicht ganz so einfach. Heute reicht ein Klick und man kann mittels YouTube, Spotify und was-weiß-ich-noch jede Tonfolge anhören, die jemals jemand gefurzt hat. Damals machte ich es auf die altmodische Art und suchte einen Elektro-Großmarkt mit CD-Abteilung auf (diese waren damals noch wesentlich größer und hatten auch CDs im Angebot, die man suchte - sowas gibt's heute gar nicht mehr).
Es war dann jedoch dennoch nur eine einzige Scheibe dieser ominösen Band vorrätig, und in die hörte ich dann auch an der Abhörstation rein.
10 Minuten später verließ ich den Großmarkt - mit der CD.
Es war diese hier:
Ich bin ja so leicht zu beeinflussen.

Begeisterungsfähig, könnte man auch noch dazu sagen.
Ich habe es nicht bereut.
Herbst. Winter. Melancholie. Trauer. Nachdenklichkeit. Kälte. Monotonie.
Das sind nur ein paar Schlagworte, die mir zu My Dying Bride einfallen, und sie würden genauso gut zu zig anderen Bands aus dem Metalbereich (Doom, Black und noch viel mehr) passen.
Was also macht diese Band zu etwas Besonderem?
Einfache Antwort: Weil keine so klingt wie sie.
Ja, ich weiß - das wird auch von anderen behauptet und mag auch stimmen, aber ich behaupte dennoch, dass die Briten einen Sonderstatus inne haben in der Welt der Lava-Musik.
Ein trockenes Zeitlupen-Riff, ein Violinenstreich, Aaron Stainthorpe's charakteristische (Leidens-)stimme - nach einer halben Sekunde weiß man, um welche Band es sich handelt, und das ist in Zeiten immer gleichklingender Irgendwas-"Core"-Bands, Retro-Wahnsinn (<- nicht abwertend gemeint) und unzähligen Thrash-Wellenreitern (<- auch nicht abwertend gemeint) beinahe schon etwas Besonderes.
Ob es sich nun um Doom, Gothic oder einer Mischung aus beidem handelt, ist nicht weiter wichtig. Zu Zeiten der ersten beiden Alben (das hier besprochene Teil ist das dritte) wurde auch noch kräftig gegrowlt, was super gepasst hat. My Dying Bride waren mal eine lupenreine Death Metal-Band. Auf dem Zweitling "Turn Loose The Swans" wurde es dann doomiger, und nun schien man langsam den eigenen Stil auszuweiten und bestimmte Trademarks einzuflechten. Siehe oben.
"The Angel And The Dark River" ist ein todtrauriges und gleichzeitig bezaubernd schönes Monster von einem Album.
Dabei beginnt es so harmlos. Ein Keyboard-Loop lullt uns von der ersten Sekunde an ein. Wir hören eine melancholische Melodie, die das Fundament für den 12-minütigen Opener "The Cry Of Mankind" bildet, und das ist gleich mal ein Riesenbrocken, den es zu verdauen gilt. Sägende Gitarrenparts fügen sich ein, die Leadgitarre singt einen einzelnen Ton, und kraftvolles Drumming verleiht dem Song etwas Plastisches, und dann setzt eine Pianomelodie ein, die sich regelrecht in die Gehörgänge schmeichelt. Nicht lange danach hat Stainthorpe seinen ersten Auftritt. Mit tiefer, getragener Stimme besingt er die Hoffnungslosigkeit und Schwärze der Menschheit und des Lebens. Starker Tobak für Frohgemüter, doch die würden MDB ohnehin links liegen lassen.
Eine Basslinie ebnet den Weg für Track Nr. 2, "From Darkest Skies". Über die gesamte Dauer wird der Hörer von einer Violine umgarnt, die wohldosiert eingesetzt wurde. Etwa in der Songmitte wird der Track durch den Einsatz einer Kirchenorgel regelrecht episch.
Zeitlupen-Drumming und eine monoton-hypnotische Gitarrenwand macht "Black Voyage" zu dem, was der Titel verspricht, und der Folgetrack "A Sea To Suffer In" lässt die Trauerblase entgültig platzen.
"I'll suffer in your sea, you ocean bleeds into me" oder
"The fields of blood I'd left, they mean nothing to you, that war left scars on me, without you now I'm free". Mr. Stainthorpe weiß, dass Liebe nur für Masochisten ist, oder er hat die britischen Romanciers sehr genau studiert. Nun ja - letzteres. So pathetisch seine Texte für Uneingeweihte auch klingen mögen - für die Klanglandschaften von My Dying Bride sind sie wie maßgeschneidert. Von Swords and Steel finden wir woanders genug.
Ach ja, es soll auch nicht verschwiegen werden, dass auf der fast 7-minütigen Leidensreise das Tempo auch hin und wieder ordentlich angezogen wird. Vorherrschend sind natürlich die doomigen Parts mit dickflüssigen Lava-Gitarren.
Aber jetzt kommen wir endlich zum Höhepunkt des Albums... zu einem dunklen, äußerst bitter schmeckenden Bonbon namens "Two Winters Only" - ein Bonbon, an dem man manchmal zu ersticken droht, weil die Trauer dieses Songs so allumfassend einhüllt, dass sich zwangsläufig ein dicker Kloß in der Kehle bildet. Zum traurigen Gitarren-Arpeggio im Intro gesellen sich bittersüße vorgetragene Worte, und man vermisst Stainthorpe's Growlen immer noch kein Stück. Orchestrale Anteile in der Instrumentierung taumeln einem irgendwann dann doch kommenden Refrain entgegen. Dann, nach 4 Minuten, ein Break, ein kurzer Drum-Solopart und pures Wehklagen:
"Cross my path and you'll suffer like no man before, at all
What I hunger for, is the trial of God"
Nach 9 Minuten fällt es unendlich schwer, dem Sog dieses Übertracks zu entkommen.
Gerade wenn du meinst, dass du noch mehr Schwermut nicht mehr ertragen kannst, bringt dich im letzten Song, "Your Shameful Heaven", eine Solo-Violine dazu, dir beinahe die Pulsadern aufzuschlitzen.
Oh My Dying Bride, what have you done to me?
Doch dann zieht das Tempo plötzlich an, die Gitarren shreddern, die Drums geben einen flotteren Rhythmus vor, und plötzlich hat man nicht mehr das Gefühl, in all der hypnotisierend-schönen Negativität unterzugehen, denn die letzten Minuten der CD versprühen neben der MDB-eigenen Aggressivität sogar so etwas wie einen Hoffnungsschimmer.
Somit huscht nach dem Verklingen des letzten Tons sogar ein kleines Lächeln über das Gesicht, während man sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischt.
"We suffer in love, but you love to suffer".
Ja, ja, und nochmals ja.
Ich bin jetzt fertig. Ausgelaugt, denn ich habe in den letzten Stunden nichts anderes getan, als mir dieses Überwerk (vielleicht nicht das allgemein beliebteste, aber
mein liebstes) wieder und wieder anzuhören.
Diejenigen unter euch, die MDB lieben und verehren, werden wohlwollend nicken (hoffe ich) und mir höchstens erzählen, warum dieses oder jenes Album noch besser ist... dass ein paar Growls trotzdem gutgetan hätten und/oder früher doch alles besser war, aber ihr werdet nicht umhinkommen, mir zuzustimmen, dass dieses hier besprochene Schmuckstück ein ganz besonderes in der Diskographie der Band ist.
Und ihr, die ihr MDB noch nicht kennt - nun mache
ich es wie der virtuelle Namensvetter der Band und sage, ihr müsst in den Kosmos der sterbenden Braut unbedingt eintauchen.
Wenigstens ein bisschen. Es gibt viel zu entdecken, denn die Band hat einen umfangreichen Backkatalog. Ich habe es aufgegeben, eine Liste zu erstellen - ich kann mich nicht entscheiden. In meiner persönlichen Gunst rangieren "The Dreadful Hours" und "Turn Loose The Swans" ganz oben, doch an "The Angel And The Dark River" kommt nichts vorbei. Soviel weiß ich.
Es lohnt sich, sich intensiver mit MDB zu befassen, aber ich möchte dringend den Tipp geben, Geduld aufzubringen. Wie guter Wein muss diese Musik atmen und reifen.
Mindestens genauso gut schmeckt sie auch.