The Northman (2022)
Directed by Robert Eggers
4,5/5
Boah, endlich mal wieder ein Film, der alle meine vorherigen Erwartungen erfüllt. Ich bin echt einige Male regelrecht verschwunden in der Leinwand. "The Northman" ist ein ritueller und mitreißender Rache-Trip, der die Sinne teils hypnotisiert, mit einer fesselnden Soundkulisse verfeinert ist, einen unvergleichlich in die Mythologie der Wikinger eintauchen lässt und dazu die arg menschenverachtende Brutalität von damals darstellt. Was Atmosphäre, Spiritualität, Kamera, Sounddesign und Auswahl der Hauptrollen angeht, ist Robert Eggers meines Erachtens einfach ein Superheld.
I Will Avenge You, Father. I Will Save You, Mother. I Will Kill You, Fjölnir!
"The Northman" fand ich auch erstklassig, in Zahlen eine 9 bis 10.
Ich war erst, ob des Trailers, ja doch sehr skeptisch, befürchtete gar, damit schlimmstensfalls eine dröge, konventionelle (Auftrags-?) Arbeit im überhypten Metal-Wiking-Kitsch-Stil zu bekommen, die auf ein totales Aus
wimpen des Jungtalents Eggers schließen lassen könnte.
Aber zum Glück obsiegte die Neugier!
Was soll ich sagen?
Ein vor allem ernsthaft(!) spirituell historisierender Ansatz im Erzählerischen trifft im Künstlerischischen auf magisch überzeichnenden, fast schon psychedelischen Hyper- bis Surrealismus (in etwa wie eine deutlich[!] geerdetere Version von "Mandy", um hier mal auf einen sonst allerdings ganz anderen - mehr
"metal" - Rachefilm zu verweisen).
Warum hat gerade dieser Nordmann-Film mich so gecatcht?
Nun:
Ich habe selten einen Film gesehen, der derart
immersiv "unsere" (Vor-) Welt aus einer kulturell gänzlich anders geprägten / zuvorderst religiös interpretierenden Wahrnehmung - mit ganz anderem Weltbild und ganz anderen Werten - zeigt, diese Welt-Wahr-Nehmung dabei aber gerade
nicht durch die Brille moderner Philosophie "abzutun" oder zu "erklären" versucht, sondern die Fremdheit auf ästhetisch schlüssige, erfühlbare Weise gerade
für sich sprechen und auch da, wo sie mit heutigem Wissen eben nicht ganz nachvollziehbar ist, einfach mal stehen und wirken lässt, explizit
ohne dabei zu dieser religiös rituelle geprägten Welt(für)wahrnehmung in eine "objektivierende" Erzähler-Distanz zu treten.
Diese streng subjektiven, sehr künstlerischen und verkünstelten Aspekte springen einen geradezu an; hier wird durch die Bild/Ton-Gebung und die eigenwillige Erzählweise gar kein pseudo-dokumentarischer Allgemeingültigkeitsanspruch erhoben, erheuchelt oder suggeriert:
Und dieser Verzicht ist toll!
Warum?
Weil ich gerade den - bei aller Recherche - ganz offenkundig zur Subjektivität stehenden Ansatz im historisierenden Genre weitaus ehrlicher finde, als eine modern-zeitgeistige Interpretation/Story in eine oberflächlich auf "authentisch" polierte
Skin zu rollen, um möglichst (pseudo-) schlau als Erklärbär daher zu kommen - was im Endergebnis dann doch oft vor Anachronismen und weit hergeholten Spekulationen nur so strotzt, ein vermeintlich gesichertes Gesamtbild von Geschichte (dabei aber ganz im aktuellen Zeitgeist liegend) vortäuscht, und noch dazu oft wahnsinnig gestelzt und trocken den Unterhaltungsfaktor vermissen lässt, den ich von einem
Spielfilm nun doch erwarte.
Mit vielen Historie-Filmen habe ich ein gewaltiges Problem:
Was in
"making of"s aufgrund ein, zwei, drölf restauratorischer Details durch Unterstützung "historischer Berater" als "originalgetreu" angepriesen wird, ist dann oft nicht mehr als inszenatorisch aufgesetzter
Mimikri-Mummenschanz, während man in den übrigen Belangen die Leerstellen (der wissenschaftlich nicht gesicherten Fakten oder der dramaturgisch "unpassenden" Historizität) dann doch wieder mit
A-historischem füllt und in gängige Hollywood-Tropen presst.
Das ist dann weder Fisch noch Fleisch: Nicht akkurat genug, um historisch-dokumentarisch glaubwürdig zu sein; und zu belehrend / ausbuchstabiert / konventionell / vorhersehbar / stilistisch langweilig erzählt, als dass es wie
wirklich gute, unterhaltsame und gedanklich anregende Spielfilm
kunst einen Mehrwert gegenüber einem illustrierten Buchtext oder einem opulenten Theaterstück hätte.
Man versteckt sich gewissermaßen hinter "Experten"-Hoheit, die allerdings nur ganz selektiv und modular als Fassade
"benutzt" (oder, böse gesagt
, missbraucht) wird, um nicht zur eigenen künstlerischen Freiheit stehen - oder irgendein künstlerisches Gesamtkonzept überhaupt erst
entwickeln - zu müssen.
Das Ergebnis ist dann fades
Painting-by-numbers-Handwerk von Technokraten für Gewohnheitskonsumenten.
Einen offensiven
"So in etwa KÖNNTE es damals empfunden worden sein"-Ansatz mit eigenen künstlerischen Mitteln wie Eggers in
"The Northman" ihn ausprobiert - und für mein Empfinden, abgesehen von kleineren, etwas (selbst-) ironisch augenzwinkernden Verweisen auf
Shakespeare und
Conan am Rande, auch wirklich
konsequent durchgezogen - hat, finde ich da sehr erfrischend.
Der Film hebt sich also äußerst positiv sowohl von gängigem Historienschinken- wie auch von ausgelutschtem Fantasy-Schmus ab, - und filmhandwerklich ist er sowieso ganz und gar beeindruckend.
Nach dem eher mythologischen aber bildgewaltigen
Kammerspiel "The Lighthouse" und noch weiter nach dem eher soziologischen aber nahezu historisch nüchternen Religionsgemeinschaftsdrama
panorama "The VVitch" hat Robert Eggers mit dem mythologischen (Anti-)Helden-
Epos "The Northman" den Fokus jetzt spürbar deutlich ins psychologisch subjektive Erleben verlagert und somit einen quasi halluzinatorischen Selbstpositionierungstrip durch gesellschaftlich starre Rollenerwartungen geschaffen.
Dabei haben aber
all diese drei Filme (nur unterschiedlich gewichtet) eine sehr starke Grundierung in
all diesen drei Hintergründen/Erzählansätzen:
a) histor. Weltbild / Mythologie
b) sozialpsychologische Tiefen-Dynamik
c) ambivalenter, doppeldeutiger, symbolisch spiegelbildlicher Horror - ähnlich wie ein märchenhaftes Vexierbild - in eben diesem Spannungsfeld:
Menschliche Konflikte werden in die übermenschliche Sphäre "übersetzt".
Das geniale Moment / die perfekte Methode beim Autorenfilmer Robert Eggers liegt hierin:
Diese drei Sphären werden
nicht einfach
zufällig gemixt; sondern: Filmische Formensprache, tiefenpsychologische Handlungsdynamik, märchenhafte Symbolik sind weitgehend deckungsgleich, beziehen sich chronologisch nahezu akkurat auf den historischen Hintergrund:
Die Bildsprache und Ausstattung greifen Kunstelemente der jeweils porträtierten Kultur und Epoche auf;
Verhaltens-und Denkweisen und psychische Konstitution der Charaktere entsprechen dem Lokalkolorit, der sozialen Schicht, der Lebenserfahrung und der Ära, der sie angehören;
die mythologische Überhöhung der Erzählung entstammt sowohl motivisch aus historischen Sagen der Zeit, symbolisiert zugleich logisch konsistent die psychische Motivierung und Verfassung der Protagonisten im Laufe der sich entwickelnden Handlung, und alsogleich informieren der historisch-kulturelle Glaube und die damit rituell verbundenen Gesellschaftsnormen eine die Film-Handlung vorantreibende Gruppendynamik.
Künstlerische Film-Ästhetik
(=historisierender
Stil)
+ Ausstattung / Kostümierung / Ort / Zeit
(=historisches
Setting)
+ glaubwürdige Psycho Dynamik
(= historisierte
Charaktere)
+ soziodynamische Plot-Entwicklung
(=historisch glaubwürdige
Funktion)
+ tiefenpsychologische Symbolik der Mythen
(=historischer
Sinngehalt der Erzählung)
entsprechen und durchdringen sich historisch folgerichtig.
Bei
"The Northman"
kulminiert das dann in einem ganz zentralen Moment des Films:
Den hier gezeichneten
Clash der beiden Kulturen, welchen die beiden freiheits- & rache-dürstenden Sklav:inn:en entstammen, die aber bei aller Verschiedenheit dennoch eine Allianz Formen können, indem man eine religiös synkretische Grauzone als kleinsten gemeinsamen Nenner findet,
ohne die jeweils eigene Kultur mal so eben
"(post-) modern" infragezustellen und abzustreifen, - die erzählerische Zeichnung dieses
Clashs der Kulturen fand ich in
"The Northman" besonders gelungen:
Dass die Welt
ganz selbstverständlich verrätselt und von jenseitigen Mächten beeinflusst wird, die man allenfalls
magisch rituell sich zunütze machen kann, diese verbindende ideologische und weltwahrnehmende Basis ermöglicht es den Protagonist:inn:en, trotz gegenseitigem Unverständnis der kulturell stark unterschiedlichen Anschauungen, zueinanderzufinden, und erst
aufgrund einer eben
gleichen weltanschaulichen Basis bei ihren Antagonist:inn:en kann es den beiden überhaupt gelingen, gegen die rein physische Übermacht zu bestehen, ja zu obsiegen, denn genau
darüber können sie Furcht erzeugen und im Vertrauen auf dieses Welterfahrungswissen aus ihrem bisherigen (Er-)Leben die eigene Kampfmoral stärken; genau
so wird Mythos zur Wirklichkeit. Darin liegt, bei aller visuellen / dramaturgischen / dialogischen Abstraktion, die tiefere
Historizität und
Authentizität dieser kunstvollen Erzählung.
Für eben diese/solche
Verschränkungen von
Stil / Setting / Charakterisierung / Plot / Sinngehalt / Grundstimmung liebe ich die Filme von Robert Eggers!