"Love & Mercy"
Drama / Musikfilm (2014)
Nach einem Drehbuch unter Beteiligung von Oren Moverman, der bereits mit Todd Haynes ("Velvet Goldmine") am Drehbuch zum
Bob Dylan-Film "I'm Not There" schrieb, entstand dieser Film über den
The Beach Boys-Musiker
Brian Wilson.
In der Hauptrolle glänzen Paul Dano (jüngerer Brian Wilson) und John Cusack (älterer Brian Wilson), der meines Erachtens einer der unterschätztesten Hollywoodschauspieler ist, da er sich stets unaufdringlich glaubwürdig in seine Rollen einfügt und dabei sehr authentisch, naturalistisch und realitätsnah wirkt, ohne spektakulär zu (über-)agieren oder gar schwächere Schauspieler*innen an die Wand zu spielen.
Paul Giamatti spielt bravourös den charismatischen Dr. Eugene Landy, einen bisweilen jedoch auch sehr cholerischen, ziemlich egomanischen, manipulativen, narzisstischen Kontrollfreak und Tyrannen, der als Psychiater und später auch gesetzlicher Vormund Brian Wilsons zunehmend dessen Leben bis ins intimste Detail hinein kontrolliert, überwacht, steuert, den Komponisten nach und nach seiner Sozialkontakte beraubt, ihn unter immer stärkere Psychopharmaka setzt, ihm sein Selbstbewusstsein raubt, in hinzugewonnener Manager- & Produzenten-Rolle Brian schließlich sogar in allen Funktionen als Cashkuh missbraucht, ihn weiter unter Druck setzt, nötigt Verträge zu zeichnen - und zur Krönung des Ganzen noch sich selbst als Erben von Wilson einzusetzen versucht.
Dann ist da in letzter Hauptrolle noch Elizabeth Banks, die als Autoverkäuferin Melinda Ledbetter ins Leben von Brian Wilson tritt und erst nach und nach die Mechanismen erkennt, mit denen Dr. Landy eben nicht bloß im Interesse von Brian Wilson agiert, indem er dessen Leben wieder Struktur gibt, sondern im Gegenteil sein eigenes Spiel auf dessen Kosten spielt.
Das bisweilen Anstrengende, zunächst mitunter auch Verwirrende am Film ist es, was sich schließlich als seine ganz große Stärke entpuppt, da es die Erzählung nicht nur dramatischer und fesselnder gestaltet, sondern vor allem der Empathie und Identifikation mit ihren Protagonisten Brian Wilson (und zu kleineren Anteilen) Melinda Ledbetter:
Der Film spielt auf zwei Zeitsträngen.
Das Faszinierende daran ist,
wie diese Zeitstränge miteinander
arrangiert werden; denn der eine Strang zeigt zunächst die enorme Empfänglichkeit, Kreativität, visionäre Kraft und künstlerische Selbstsicherheit des genialischen Komponisten und Arrangeur Brian Wilson auf, aber auch wie dieser sensible aber auch marottenhaft gehemmte Künstler unter dem Einfluss von nahezu manischem Künstlereifer, arbeitsbedingtem Stress, kommunikativen und persönlichen sowie kreativen Differenzen, psychischen Traumata & Vorbelastungen sowie gelegentlichem Drogenkonsum schließlich in einen Nervenzusammenbruch hineinzurauschen droht; der andere Strang hingegen schildert seine persönlichen Unsicherheiten
nach dieser erzählerisch nahezu ausgeblendeten großen Krise, seinen Verlust an Selbstsicherheit und Selbstvertrauen, seine soziale Unbeholfenheit, seine Selbstzweifel, Konzentrationsprobleme, Einsamkeit und Isolation unter dem Einfluss und der engen, gestrengen Führung des ihn von nahezu allen (unkontrollierten) Außenreizen abschottenden Dr. Landy, der Brians ursprünglich freien, lebendigen, wenn nicht gar therapeutischen Ausdrucks- & Schaffensdrang zunehmend ausbeutet, beschränkt und erstickt.
Im Effekt führt das dazu, dass man als Zuschauer*in sich zunächst fragt, wie diese beiden Brian Wilsons zusammengehen sollen, wie es soweit kommen konnte, dass Wilson sich schließlich freiwillig einem derart rigorosen Regiment unterordnet, und auch, welchen roten Faden der Film verfolgt, ja sogar, welchen Sinn die immer wieder abrupten, manchmal geradezu verstörend Wechsel zwischen beiden Handlungssträngen uns offenbaren sollen.
Erst nach und nach erkennt man, warum Brian Wilson bei aller künstlerischen Vision in persönlichen Fragen derart unsicher ist, dass er sich schließlich vorbehaltlos Dr. Landy anvertraute; warum er trotz allen kreativen Freiheitsdrangs keine Solokarriere anstrebte; warum ihm die Differenzen innerhalb der
Beach Boys derart zusetzten; wieso er ohne den familiären Rückhalt endgültig den 3inflüsterungen Dr. Landys erlag; aber auch, wieso er trotz dieser (wiederholten) Einflussnahme einer übermäßig geltungssüchtigen und überwältigenden (Vater-) Figur auf sein künstlerisches Leben seiner zukünftigen Frau Melinda überhaupt noch eine solche Offenheit und ein solches Vertrauen entgegenbringen konnte, dass er dank ihrem Einsatz und Rückhalt, sowie dem seiner Familie, also den übrigen
Beach Boys - insbesondere Brians Bruder Carl, sich schließlich aus den Fängen Dr. Landys befreien und Jahre später doch noch sein zunächst als
The Beach Boys-Magnus-Opum konzipiertes Werk "Smile" als Soloalbum veröffentlichen konnte, das von Kritikern ähnliches Lob erfuhr wie das musikalisch ambitionierte, ganz neue musikalische Wege eröffnende
The Beach Boys-Album "Pet Sounds", mit welchem Wilson antrat, das bahnbrechende Schaffen der auch von ihm bewunderten
Beatles zu übertrumpfen.
Freilich liegt eine ebenso große Faszination des Films in der Geschichte Brian Wilsons sowie der
Beach Boys selbst:
So stand der frühen musikalischen Förderung der Wilson-Brüder durch ihren Vater Murry Wilson, der als Komponist, Musiker, Musik-Manager und -Produzent unter dem Pseudonym
Reggie Dunbar erfolgreich war, bis er in der Popularität von
The Beach Boys überflügelt wurde, auch seine aggressive, verletzend und verständnislose Seite gegenüber, die für Brian Wilson mindestens ebenso prägend wurde. Die latente bis offenkundige Melancholie hinter den ergreifenden, melodisch wunderschönen Harmoniegesängen und der lebendigen Beat- und Rock-Rhythmik bei
The Beach Boys ging ebenso auf seine Kappe wie die zunehmend ausgefeilten, avantgardistischen Arrangements, welche er in leitender Funktion und Zusammenarbeit mit einer Reihe erstklassiger Sessionmusiker schuf.
Für alle Musikbegeisterten dürfte die Entwicklung der Band von der unbeschwert klingenden, eingängigen Pop-Boy-Group mit dem (auch selbstironisch auf die Schippe genommenen) Surfer-Image, dürfte Brian Wilsons songwriterischer Erweckungsmoment, als er zum ersten Mal "Rubber Soul" von
The Beatles hörte, dürften die Sessions zum
The Beach Boys-Album "Pet Sounds", sowie Reminiszenzen an frühe Musik-Videos aus der
Beach Boys-Ära eine helle Freude sein.
Zumindest für mich war es aber auch eine ebenso intensive Seherfahrung, näher mit der persönlichen Geschichte des (mir) in erster Linie als Arrangeur, Komponist und Musiker bekannten
Brian Wilson bekannt gemacht zu werden, zumal ich zuvor nicht wusste,
wie schlimm ihm das Leben mitspielte,
wie dramatisch seine Geschichte aufgrund der durchlebten Höhen und Tiefen tatsächlich gewesen ist, und wieviel Lebensqualität er den Bemühungen seiner zweiten Frau Melinda Ledbetter verdankt.