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"The Vietnam War" von Ken Burns
Ich kenne Dutzende, wahrscheinlich Hunderte von Dokus, aber das hier ist das didaktisch Beste, was ich jemals gesehen habe. Besser als jede Serie. Spannender als jeder Film. Und dabei hochinformativ. Burns ist strikt unparteiisch und lässt die Protagonisten beider Seiten zu Wort kommen. Er zeigt die Täter beider Parteien. Aber vor allem die Opfer. Er erklärt, warum die Amerikaner in diesen Krieg geschlittert sind und sehenden Auges mit immer mehr Fahrt gegen die Betonwand fuhren. Dabei zeichnet er anschaulich nach, wie sehr sich die US-amerikanische Gesellschaft durch den Krieg verändert hat.
Dieses Meisterwerk an Geschichtsschreibung kennt kein Gut und Böse, keinen moralischen Zeigefinger oder naive Heldenverehrung. Es ist der völlig unverstellte Blick auf die Explosion eines Landes in Zeitlupe. Und ein Lehrstück in Sachen Versagen der und einfältiges Vertrauen in die Politik. Wer sich auch nur ein bisschen um Geschichtswissen bemüht, kommt um diese auf Netflix erhältliche Doku nicht herum. Für mich absolut bahnbrechend und der dringendste Fernseh-Tipp, den ich irgendwem geben kann.
Dazu ist auch die Monographie "Krieg ohne Fronten. Die USA in Vietnam" von Bernd Greiner sehr aufschlussreich:
1.
Der Vietnam-Konflikt (offizielle Bezeichnung) war in erster Linie ein ideologischer, und in zweiter Linie ein geopolitisch motivierter Stellvertreterkrieg zwischen Nato & Warschauer Pakt.
2.
Der offizielle militärische Auftrag an die Streitkräfte der USA lautete Militärberatung und weitete sich erst in der Praxis zur (inoffiziell längst einkalkulierten) Beteiligung an den und schließlich zur maßgeblichen Führung der Kampfhandlungen an südvietnamesischer Seite aus.
3.
Es gab darüberhinaus keine politisch ausformulierten klaren Kriegsziele als Vorgabe für das ausführende Militär, das damit sich selbst überlassen (und - bei allen Entscheidungen, egal in welche Richtung - nicht vollumfänglich demokratisch legitimiert; meine Ergänzung) war und in den Detailfragen der Strategie-Ziele/Mittel/Bewertung in weiten Teilen zumindest der unteren Entscheidungsebenen auch keiner parlamentarischen Kontrolle mehr zugänglich war; selbstverständlich gab es aufgrund dessen auch keine Exit-Strategie, und für das Militär einheitlich und allgemeinverbindlich gültig und praxistauglich auch keine Kriterien für militärische (Miss-) Erfolge.
4.
Im Zusammenspiel dieser Faktoren, inklusive einer von der politischen Führung und auch von der Bevölkerung zunächst so hinge- und über-nommenen Vermeidung einer gesellschaftlich breit und thematisch tief geführten Debatte bezüglich Auftrag, Umfang, Vorgehen des US-Militärs, die über vage, ideologisch als unverhandelbar gefestigte "Selbstverständlichkeiten" wie Aufhalten des Kommunismus (nach der Domino-Theorie), hätte hinausgehen können (und im Rückblick auch müssen), setzte sich das ad hoc zunächst als Notlösung entwickelte Kriterium des Body Count schließlich zu DER militärtaktischen Messgröße von Operationserfolgen (häufigste Auftragslage: "Seek and destroy") schlechthin.
5.
Alternativen ließen sich angesichts eines asymmetrisch geführten Guerillakriegs ohne klare Gebietsgewinne (und in die Praxis durchschlagender Gesamtauftragslage) - und mangels auch nur im regional umkämpften Einzelfall sicher festzustellender Zuwächse/Verluste im Kampf um die "hearts and minds" der (schon vor Anbeginn des "robusten" Eintritts der USA in den Konflikt) zwischen die eben nicht mehr erkennbar verlaufenden Fronten geratenen Zivilbevölkerung - auch kaum entwickeln.
6.
Die anfängliche Zuversicht, dass die vermeintliche ideologisch-moralische Überlegenheit sowohl eine die vietnamesische Gesellschaft und deren Rückhalt erreichende Ausstrahlungskraft haben als auch im Verbund mit der technologischen Überlegenheit militärische Erfolge garantieren würde, schwand unter den Bedingungen des Dschungelkriegs mit oft nicht rechtzeitig als solchen erkennbaren Kombattanten zusehends und wich partiell einer zum Pauschalisieren tendierenden Wer-nicht-erkennbar-zu-uns-gehört-ist-der-Feind!-Mentalität.
7.
Ziellosigkeit, Zynismus, Zuwachs des Strebens nach einem möglich hohen Body Count führten somit zu einer Verrohung auf allen Ebenen:
Die Führung hatte gegenüber der Politik kaum andere Erfolge vorzuweisen, stand aber ihrerseits unter dem Druck, unbedingt (undefinierte) "Erfolge" vorzuweisen.
Die Karriere der Offiziere entwickelte sich um so prächtiger, je höher der Body Count ihrer Mannschaften ausfiel; militärische Disziplin gemäß der Genfer Konvention aufrechtzuerhalten, kollidierte mit diesem Bestreben.
Die Einsatztruppen konnten wiederum ihre jeweils tatsächlich gefährdete, als gefährlich eingeschätzte, oder auch bloß als gefährlicher ausgegebene Lage (ob nun im Einzelfall zum unmittelbaren Selbstschutz, zur taktischen Vermeidung gefährlicherer Gefechte, zur kollektiven Vermeidung moralisch-kognitiver Dissonanz, zur individuellen psychischen Frustrationsbewältigung...) neben einem beachtlich "respektablen" body count oftmals auch dann noch erfolgreich anführen, wenn es zu exzessiven Gewalttaten gegen "hypothetisch" dem Feind angehörige bzw. nahestehende Zivilist*innen kam. Im Extremfall wurde dann auch mal die Ermordung einer Schwangeren als Ausschaltung zweier Vietcong vermerkt - zunehmend, ohne dass "von oben" unliebsame Nachfragen gestellt worden wären.
Das Endergebnis ist bekannt:
Der (man möchte fast meinen in einer Kaussalkette) im kollektiven Bewusstsein einzig ideologisch legitimierte, politisch unzureichend und geradezu schwammig definierte, militärisch kopflos, undiszipliniert, unprofessionell geführte Konflikt versumpfte in einer unkontrollierten Eskalationsspirale und wurde damit zum humanitären Desaster, zur militärischen Niederlage, zur gesellschaftlichen Zerreißprobe der amerikanischen Gesellschaft zwischen "Kindermörder!"- und "Verräter!"-Vorwürfen, Leugnung und Rechtfertigungsversuchen der Gräuel, sowie zu einem hochproblematischen Umgang der Zivilbevölkerung mit traumatisierten Kriegsveteranen, teilweise als "Sündenböcken" oder (abgeschwächt) einer unangenehmen und verdrängten Erinnerung an das tabu-behaftete kollektive Versagen der USA (mit ihrem nationalen Selbstverständnis als ausstrahlungskräftiges Vorbild) in den Augen der Weltgeschichte.
Infolgedessen unterliegt nun auch die, eine zu lange verzögerte öffentliche Debatte dann um so heftiger anstoßende, journalistische Berichterstattung deutlich strengeren staatlichen Restriktionen - wo sie sich nicht ohnehin gleich in ihrer Bequemlichkeit, der Geltungssucht leitartikelschreibender Chefredakteur[*innen?], ihrer Naivität, ihrer Ohnmacht, ihres "Patriotismus", ihrer Sensationslust, ihrem Sicherheitsbestreben (Wahrscheinlichkeit von Beschuss vor Ort / Patriot Act & vergleichbare Gesetze weltweit daheim), ihres Wettbewerbvorteils, ihrer Zurichtung auf die Interessen der Anzeigenkunden, des empfundenen Zeitgeists seitens der Konsument*innen willen zum Erfüllungsgehilfen militärischer Propaganda macht ("embedded journalism").
(Geschichte wiederholt sich nicht; sie weist allenfalls strukturelle Ähnlichkeiten auf: Ob und welche Schlüsse - oder besser gesagt: Welche Fragestellungen man daraus für den letzten Jugoslawien-, die jüngsten Irak-, die letzten beiden Afghanistan-, oder den aktuellen Ukraine-Konflikt ziehen möchte [?], mag man selbst entscheiden - und hoffentlich ebenso umsichtig prüfen wie Greiner die [zwischenzeitlich wieder zum U.S.-Staatsgeheimnis erklärte] Quellenlage...)
Ist auch ein ziemlicher Trumm, der beschäftigt einen schon eine Weile, las sich aber flüssig.Ah, okay. Klingt alles triftig und vernünftig, was dein Buch angeht. Ich habe es mir mal auf die Liste gesetzt, auch wenn ich in absehbarer Zeit vermutlich nicht den Vietnamkrieg beackern werde.
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