King´s X - Gretchen Goes To Nebraska / Faith Hope Love (1989/90)
Für mich sind das zwei Alben, die untrennbar zusammengehören, zwei Seiten einer und derselben Medaille, mithin eine Art aus Versehen separat veröffentlichtes Doppelalbum.
Nachdem ich sehr lange Zeit ausschließlich sog. klassische Musik gehört hatte, habe ich vor wenigen Jahren durch das Gitarrenspiel wieder zurück zum Rock gefunden - ich wußte nur nicht, was zum Teufel man da hören sollte. Die alten Sachen wollten nicht mehr richtig funzen und was Neues kannte ich irgendwie nicht. Meine musikalische Sozialisierung war alles andere als ein geschmackssicherer Siegeszug, es gab viele Verluste zu verzeichnen und oft wenig Heldenhaftes zu berichten.
Als Kind überwies ich mein Taschengeld solchen Granaten wie Duran Duran und Jennifer Rush, leider im Zuge meiner infantilen Umnachtung auch einem gewissen Dieter Bohlen, aus dem ich meine verirrten Pfennige heute am liebsten herausprügeln würde. In Whitney Houston konnte man dann etwas später immerhin verknallt sein, aber es war nicht vor meinem 11. Lebensjahr, daß ich einen einzigen vernünftigen Song zu hören bekam. Das waren Heart mit ihrem selbstbetitelten Album, und auch wenn darauf viele Fremdkompositionen waren, so nahm mich doch der Gesang und die Energie im positiven Sinne extrem mit. Nur war auch da der fürchterliche Hall, in dem die Drums ertranken, und die vielen sinnbefreiten Keyboards. Gab es eigentlich überhaupt Musik, in denen keine Keyboards waren? Metal-Paten fehlten mir, in meiner Familie war so gut wie niemand irgendwie musikaffin. Doch ich mußte jetzt ganz rasch diese vermaledeiten Keyboards lossein.
Die Rettung hieß: The Beatles. Omas Plattenspieler, den ich geerbt hatte, brauchte eine neue Nadel, damit ich meine Whitney-Houston-Platten hören konnte, und in dem kleinen, familienbetriebenen Elektro-Fachhandel gab es, wie damals üblich, auch die Software mitzukaufen. Hand selected sozusagen vom Lötkolben-Papst persönlich. Ich stand ratlos vor dem Regal, in dem die LPs lagerten. Was ich davon dem Namen nach schon kannte, machte mich nicht an, und was mir nicht viel sagte, dem traute ich nicht übern Weg. Dann blickten plötzlich vier albern aussehende Jungs von ziemlich früher auf mich herab und grinsten. Meine Mutter kaufte mir nicht bloß die Plattenspielernadel, sondern auch das rote Beatlesalbum, das wir alle kennen und einmal besaßen, ich hörte es zuschanden, mein bester Freund bekam zur selben Zeit das blaue Album, ohne daß sich unsere Familien verständigt hätten, ein älterer Freund lieh mir kurz darauf dann seine alten Beatles(original)alben - und ich war für die nächsten vier Semester ausschließlich mit diesen Leuten befasst, Julian, Paul, George und Anne, glaub´ ich.
Danach die Stones und dann die Who. Immer schön ein Schüppchen mehr. Der Tennisschläger flog in die Ecke und Mutters olle Höfner-Gitarre mußte herhalten. Der erste Tag, an dem ich Gitarre zu spielen versuchte, sah meinen besten Freund und nachmaligen Schlagzeuger und mich dabei, wie wir versuchten "No expectations" vom Beggar´s Banquet-Album zu spielen. Das waren zwei Akkorde und ein dritter, der aber nicht ohne weiteres ersichtlich wurde. Davon gibt es sogar noch eine TDK-Kassette, ich denke, dunkler, schmerzvoller, weltabgewandter und einfach gruseliger klangen die Stones nie. Unsere Band wurde gegründet und der erste Song hieß "I saw her standing there", der klang nach ein paar Wochen gar nicht mal soo übel.
Jahre lang stand ich danach mit beiden Beinen tief im gloriosen Gestern der Rockmusik. Und ich darf sagen, daß mir damals auch nichts fehlte. Mir war schon klar, daß andere in unserm Alter diese hippen, neuen Nölfritzen hörten, Guns mit Roses und Nirvana und wie die alle hiessen, aber außer nachts beim Weggehen kamen mir die nicht in die Tüte. Ich war viel zu überzeugt, daß nach ca. 1976 kein einziger relevanter Ton mehr gespielt worden war. Insbesondere Led Zeppelin waren für mich Gott und Van Halen, deren Debut zu diesem Zeitpunkt immerhin schon vierzehn, fünfzehn Jahre alt war, sozusagen die Speerspitze der Moderne. Doch Onkel Eddie flashte mich und deshalb machte ich ne Ausnahme, um seine Songs zu lernen.
Kurz vor meinem Absprung in die Klassische Musik bekam ich aber Living Colour mit und das war endlich eine Band, die mir gefallen konnte. Dennoch war der Ruf der alten Seppel wieder einmal lauter, Beethovens Gesamtwerk wurde angeschafft und ich versuchte, Brahms´ erstes Klavierkonzert für E-Gitarre zu arrangieren. Womit ich selbstverständlich nur scheitern konnte.
Und als ich vor vier Jahren überlegte, was im Rockbereich zu hören sei, da fiel mir Living Colour wieder ein. Meine alten Helden konnte ich beim besten Willen nicht mehr hören, erst recht die Beatles nicht, die Stones... laaaangweilig, bei "Quadrophenia" war mir so, als würde ich wieder Clerasilgeruch in der Nase haben, und selbst Led Zep waren erledigt, einfach ausgewrungen, leblos, überhört.
Ich kaufte mir die "Stain" nochmal und sah danach ins blöde Internet, was andere zu dieser Band zu sagen hatten. Eine Bemerkung bei... einem großen, monopolistisch agierenden, ausbeuterischen Internetanbieter in den Rezensionen zu einer Living-Colour-Platte brachte mich dann zu King´s X. Ich schrob gerade am Rechner einen Text, der fertig werden mußte, und rief so nebenbei "King´s X full album" bei YT auf. Das Cover zu "Gretchen" gefiel mir gut und so klickte ich das Album an. Die ersten beiden Songs waren recht nett, doch rauschten sie auch ein wenig an mir vorbei, denn noch war ich zu sehr mit meinem Text beschäftigt. Dann kam der dritte Song und der hatte einen Mittelteil, in dem die Gitarre plötzlich gegen den Rhythmus von Drums, Bass und Gesang riffte.
"Summerlääänd... in my päääst... dadadadam...". Dieses "dadadadam" hat mich zu King´s X gebracht. Heute würde "Summerland" nichtmal in meiner Top30 der besten King´s X-Songs auftauchen, aber ich werde dem Song ewig dankbar sein oder genauer Ty Tabor für sein cooles Riffing.
Sofort ließ ich die Arbeit sein und konzentrierte mich auf dieses Album, hörte zunächst die ersten beiden Songs nochmal, bestellte dann sofort die CD (via Discogs) und recherchierte, weas man haben mußte, um mit dieser Band zu starten. Alle englischsprachigen Foren sahen "Gretchen" und die "Faith Hope Love" weit vorne. Das sah ich bald und sehe ich bis heute genauso.
Es gibt noch zwei andere Alben, die mir genauso viel bedeuten wie GGTN und FHL, "Perfect Symmetry" und "A Social Grace". Aber auf "Gretchen" und "Faith Hope Love", da ist so ziemlich alles, was ich wirklich nötig habe. Da ist soviel Seele drin, so viele Zwischentöne, so viele verschiedene Stimmungen und musikal. Ansätze. So viel Verrücktheit und Idiosynkrasie. So viel Welt, mit einem Wort.
"Gretchen" ist etwas rockiger als FHL, dafür ist letztere ein bißchen proggier. Die zweite Hälfte von FHL ist eine tour de force durch das musikalische Gedächtnis der rockenden Menschheit, immer aber total originell und bis zur Parodie absurd. Allein, wie sie gegen Ende von "We were born to be loved" alle möglichen und unmöglichen Varianten des Grundrhythmusses durchdeklinieren, ist zum Niederknien.
ALLE Songs auf diesen beiden LPs sind anbetungswürdig, wenn man aber auf eine Art Hitsammlung erpicht ist, wird man an diesen Alben vorbeihören, denn es sind dezidiert als Albummaterial konzipierte Stücke, die ihre volle Kraft und Schönheit erst entfalten, wenn man nicht nach Mitsingmelodien sucht, sondern sich in den Sog des Extraordinären hineinziehen läßt, der sich da bietet.
King´s wurden und werden oft mit einer Art Rezeptur charakterisiert: Man nehme eine gehörige Portion Hendrix und eine Prise Led Zeppelin und gebe Beatles-Harmonien drauf und fertig sei King´s X. Ganz falsch ist das natürlich nicht, aber es bleibt so sehr an der Oberfläche als wenn man sagen würde, Slayer hätten quasi die Shadows als Vorbild gehabt, weil da ja auch Gitarren waren. King´s X haben ihren eigenen Stil kreiert und nichts, absolut gar nichts war, ist oder wird jemals sein wie sie.
[habe das mal aus dem RH-Forum hierherkopiert, weil zwei (sic) armselige Seiten KX-Fred eine Schande für das DFF sind]