Klassische indische Musik

kylie

Till Deaf Do Us Part
Die klassische indische Musik hat ihre Ursprünge im 6. Jahrhundert. Im Gegensatz zu folkloristischen Musiken war sie der fürstlichen und königlichen Welt vorbehalten und noch heute ist sie eher im upper class-Milieu verankert.
Man unterscheidet zwischen den beiden Strömungen der nordindischen (auch hindustanischen) und der südindischen (karnatischen) Musik. Innerhalb dieser Hauptströmungen gibt es wiederum eine Vielzahl unterschiedlicher Stile und Entwicklungsstränge, die regional bedingt sind oder unterschiedlichen Schulen entstammen.
Die Ensembles beiden Strömungen bestehen meist aus einem Melodieinstrument (z.B. Stimme, Sitar, Sarangi, etc.), Perkussioninstrument (z.B. Table oder Mridangam) und einem Bordun (einer Art harmonischem Hintergrund-Drone meist gespielt auf einer 4-seitigen bundlosen Tanpura oder einem Harmonium, einer kleinen Pump-Orgel).
In der nordindischen Musik findet man meist eine Trio-Besetzung vor mit jeweils einem Instrumentalisten für Melodie, Rhythmus und Bordun. Tabla and Tanpura sind quasi gesetzt bei unterschiedlichen Melodieinstrumenten.
In der südindischen Musik wird meist statt der Tabla eine Mridangam verwendet. Das ist so eine Art 2-in-1 Trommel. Während die Tabla aus zwei Trommeln - eine hohe Trommel und eine Bass-Trommel - besteht, ist die Mridangam eine Trommel mit der hohen Trommel an einem Ende und der Basstrommel am anderen Ende. Sie klingt im Vergleich zur Tabla etwas gröber. Gerne kommt in der südind. Musik noch ein zweiter Perkussionist dazu, der z.B. eine Kanjira spielt. Auch wird der melodische Solist in der südind. Musik gerne gedoppelt im perfekten Unisono spielend.
In der nordind. Musik ist mehr Raum für Improvisation, während die südind. Musik stärker durchkomponiert ist.
Fun fact: Die meisten Stücke, die heutzutage mit klassischer südindischer Musik aufgeführt werden stammen aus der Feder eines einzigen Komponisten: Kakarla Tyagarajar (1767 bis 1847).

In westlichen Breiten fand die klassische indische Musik ein breiteres Publikum ab Ende der 60er Jahre. Die Beatles insbesondere George Harrison waren große Anhänger der Musik. Und indische Musiker wie Ravi Shankar (Sitar), Zakir Hussain (Tabla) und Ali Akbar Khan (Sarod) erfreuten sich großer Beliebtheit auf europäischen und amerikanischen Konzertbühnen und verzückten das Hippie-Publikum. Die Darbietungen vor jenem Publikum waren meist von großer Virtuosität und beifallerhaschender Geschwindigkeit geprägt. Ansprechender wirken auf mich persönlich jedoch, weil weniger Halligalli, die ruhigeren und lyrischeren Momente dieser Musik.

Gerade auch die indische Vokalmusik ist weitaus mehr Doom als Speed Metal. Die rhythmischen Zyklen des Tabla-Spiels sind teilweise von einer Langsamkeit, die rhythmische Verstehen angenehm zerfallen lassen. Die Stimmen sind kehlig und erlauben einen Schmutz im Klang, wie er in der westlichen klassischen Musik undenkbar wäre.
 
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Einer meiner liebsten nordindischen Sänger ist Bhimsen Joshi (1922 bis 2011). Die Anschaffung der folgenden Schallplatte kann ich nur dringend empfehlen:
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https://www.discogs.com/Bhimsen-Joshi-Enchanting-Melodies/release/6192188

Hier eine ganz hübsche Aufnahme, die mir auf Kassette vorliegt:
 
Eine besonders künstvolle, wie strenge Stilrichtung der nordindischen Gesangskunst ist der Dhrupad Gesang. Quasi synonym wie Tempo-Taschentücher mit dieser im 16. Jahrhundert entwickelten Strömung ist die Familie Dagar, die seit vielen Generationen zu den führenden Interpreten des Dhrupad gehören.

Bei Amazon fndet man diese großartige Schallplatte gerade für einen Spotpreis von 8,17 € Neupreis - zuschlagen:
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Hier die gleiche Besetzung - Vater und Sohn singen gemeinsam - aber eine andere Aufnahme:
 
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Aber wir wollen den Süden nicht vernachlässigen, darum hier eine feine Aufnahme aus der karnatischen Tradition des Sängers Ramnad Krishnan Kaccheri:
Hier wird die Stimme mit einer Violine gedoppelt und umspielt. Der Perkussionseinsatz hier auch deutlichen rustikaler und offensiver. Das Youtube-Klangbeispiel übrigens eine Schallplatte aus dem Jahre 1971 aus der Explorer Series des Nonesuch Labels, die ebenfalls sehr empfohlen sei und über Discogs auch problemlos zu finden sein sollte.
 
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Es gibt auch einige großartige indische Sängerinnen, aber irgendwie bin ich da grundlos noch etwas unterbelichtet. Von Kishori Amonkar z.B. hab ich eine sehr dufte Kassette hier zu liegen, aber irgendwie sprechen mich die Youtube-Sache, die ich hier gerade finde nicht ganz so an. Vielleicht kennt sich ja jemand da besser aus in der Richtung?

Soweit aber erstmal meine erster Input zur indischen Vokalmusik. Der nächste Eintrag-Cluster dreht sich dann um die Vina - eine gezüpftes Saiteninstrument, dass sowohl im Norden als auch im Süden seine Verwendung findet.

Mein aktuelles indisches Hör-Revival kommt übrigens nicht von ungefähr. Immer wenn die Temperaturen hier an der 30°C-Marke kratzen, zieht es mich irgendwie zur indischen Musik. Diese schwerlose Musik passt irgendwie wunderbar in das hitzig-schwüle Dasein bei gedrosselter Aktivität.
 
Ach, die nordindischen Ragas und Qawwalis sind auch nicht zu verachten. Ist sowieso im Grunde genommen nur die Unterscheidung in der Sprache, Hindu (Raga) und Urdu (Qawwal).

Und das sind sowieso nur Soziolekte ein und derselben Sprache. Die Musik hört sich in beiden Sprachen sehr gut an und ist wie @kylie schon schrieb, sehr meditativ.

moderner Raga: Hans Raj Hans, teilweise auch Shah Rukh Khan
moderner Qawwal: Nusrat Fateh Ali Khan, Farhat Nusrat Fateh Ali Khan, Aziz Mian (der Großmeister mit seinen Clownereien:jubel:)

Das diese Sachen teilweise von tiefer Religiosität geprägt sind, macht nix aus. Zum anderen - größeren - Teil sind die Texte gerade im Qawwal nämlich durchaus weltlich.
 
Moin ... äh, Namaste, meine ich, @the_pit , welcome to India!

Wie jetzt? Nordindische Ragas und Qawwali sind doch zwei unterschiedliche paar Schuhe. Der gottlobpreisende Qawwali-Gesang kommt aus dem Sufismus, also Islam, mit persischen Wurzeln und für mein Dafürhalten mit klassischer indischer Musik recht wenig zu tun und die Musik ist ja auch völlig anders strukuriert, verfolgt eine andere Ästhetik und zielt auf eine ganz andere Wirkung.

Wobei mir Qawwali-Musik durchaus auch sehr gefällt. Läuft bei mir aber eher unter Aufputsch-Party-Mucke. (Anekdote am Rande: In meinen Jugendjahren sind wir häufig bei offenem Fenster mit Nusrat Fateh Ali Khan auf 10 aufgedreht durch die kleinstädtische Haupteinkaufsstraße gefahren, um die Prolls mit ihren getunten Golf GTIs mit ihrem billig Techno zu verarschen.) Ins metallische übersetzt: Indische Klassik ist mehr so Sunn o))), während Qawwali eher Urfaust ist;-) ... naja, hinkt ein bißchen, aber ...
 
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Okay, machen wir mal gleich weiter. Die Vina ist ein gezupftes Saiteninstrument dessen Ursprünge bis ins erste Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung zurückgehen. Das Instrument gibt es in einer süd- und einer nordindischen Variante.

Die nordindische Vina heißt präziser Rudra vina und läuft übersetzt unter dem Sammelbegriff Stabzither.
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Die südindische Variante nennt sich Sarasvati vina und wird übersetzt als Langhalslaute geführt.
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Der große bauliche Unterschied ist leicht auszumachen. Während die nordind. Sarasvati vina über zwei Resonanzkürbisse verfügt, ist die südind. Sarasvati vina am unteren Ende mit einem hölzernen Resonanzkörper ausgestattet ergänzt durch einen Resonanzkürbis am Kopfende des Instruments.

Im Gegensatz zur populäreren Sitar verfügt die Vina über keine Resonanzsaiten. Sie hat eine klarere und sonorere Klangfarbe und die Töne haben einen längeren Nachklang.
 
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Die südindische Vina gilt traditionell als Fraueninstrument, warum auch immer. Als herausragende Interpretin gilt die Vina-Spielerin Ranganayaki Rajagopalan (Jahrgang 1932). Zu empfehlen sei die Doppel-CD "Continuity in the Karaikudi Vina Style" vom amerikanischen Smithsonian Folkways Label.
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Begleitet wird R.R. vom Mridangam-Spieler Srimushnam Raja Rao. Ein großer Teil der Kompositionen stammen vom vormals schon erwähnten Komponisten Tyagaraja.

Hier ein kürzer Live-Mitschnitt mit Frau Rajagopalan:
 
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Gerade frisch in die Hände geraten ist mir die 2-CD des nord-indischen Rudra vina-Spielers Zia Mohiuddin Dagar (1929 bis 1990) veröffentlicht auf Nimbus Records.
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Die beiden CDS enhalten jeweils einen Raga mit langem Alap (= Vorspiel, dass den Tonumfang des Raga langsam vorstellt) von jeweils 70 min Länge. Hier kann man die erste CD hören mit dem Raga Yaman:

Zia Mohiuddin Dagar wird auf beiden CDs besondererweise ausschließlich von der Tanpura begleitet, d.h. es gibt keine Tablas oder sonstige Rhythmusinstrumente. Z.M.D. ist bekannt für sein ultra-langsames Spiel, sehr sensibiliert für eine feine und mikrotonal präzise abgestufte Phrasierung. Sein Ton ist auch besonders sonor und mit langem Nachklang. Für diese ästhetische Ausrichtung seines Spiels hat sein Instrument extra für seine Befügnisse von einem Instrumentenbauer weiterentwickelt (u.a. extra große Resonanzkürbisse und breiteres Griffbrett für mehr Banding-Spielraum). Ferner zupft er die Saiten nicht wie üblich mit einen Drahtplektrum, sondern unorthodoxerweise mit den Fingernägeln, um jegliches Klirrende aus seinem Klangspektrum zu verbannen.
Die vorliegende Aufnahme entstand wenige Monate vor seinem Tod und wurde posthum veröffentlicht.
Der Name Dagar ist uns hier bereits bekannt und fürwahr er ist ein Spross der für den Dhrupad-Gesang berühmten Familie Dagar. Diese Herkunft erklärt vielleicht auch seine Vorliebe für eine langsame und lyrische Spielweise. Less Action, Less Excitement, Less Everything! ;)
 
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Im Vergleich beider Aufnahmen läßt sich vielleicht auch der leicht unterschiedliche Charakter zwischen der nord- und der südindischen klassischen Musik ausmachen. Während im Norden sehr lange Entwicklungsbögen mit langsamer Steigerung der Dynamik und Geschwindigkeit bei kontinuierlicher Verdichtung bevorzugt werden, arbeitet die südindische Klassik nach relativ schnellem Aufbau meist mit einer eher gleichenbleibenden Dynamik, Geschwindigkeit und Dichte. Ferner wirkt die südind. Musik oft etwas quirrliger und verspielter, während im Norden vielleicht ein gewisser Lyrizismus einerseits und (zum Stückende hin) bisweilen rassend schnelles Virtuosentum anderseits oftmals eine größere Rolle spielt.
 
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Ach übrigens, weil ja immer wieder erwähnt, hier mal zur Veranschaulichung die nordindischen Tabla ...
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... und die südindische Mridangam
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(quasi die 2-in-1 Tabla, die "Bass"-Trommel ist hier auf der Rückseite.)
 
Dieser Herr:

(Ragas haben normalerweise sehr strenge Regeln, was die Noten und erlaubten Notenfolgen angeht, hier werden diese Regeln etwas aufgelockert, was die Musik vielleicht einfacher zugänglich macht).

 
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Noch so ein interessanter und ungewöhnlicher Thread von dir!
Ich kenne mich auch hier mal wieder so gar nicht aus, mag aber das Meditative an solcher Musik - weiß allerdings nicht, wie oft/lange ich mir sowas am Stück anhören kann.
Berührungspunkte gibt's immerhin mit einer Band, die ich vor kurzem für mich entdeckt habe: SHAKTI, die in den 70ern drei Alben veröffentlichten und traditionelle indische Musik (sowohl nördliche als auch südliche) mit Jazzimprovisationen gemischt haben (rein akustisch).
Im Gegensatz zu den hier vorgestellten Beispielen in einer teils wahnsinnigen Geschwindigkeit gespielt, aber für mein Empfinden trotzdem mit tollen Melodien und jeder Menge Atmosphäre. Neben den Indern L. Shankar (Violine), Zakir Hussain (Tabla) war da unter anderem auch der im Westen recht bekannte (und irrsinnig gute) Gitarrist John McLaughlin (u.A. Miles Davis, Mahavishnu Orchestra etc.) dabei, das Ganze könnte man als jazzige World Music beschreiben:
 
When Shakti hier genant werden, sollten Remember Shakti auch passen, zuerst eine Reunion der originalen Besetzung (ohne den Violinist), später dann auch mit anderen Musikern und mit-shred Mandoline.

 
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Komme gerade von der Arbeit und stelle fest, schwer wat los hier gewesen gestern Abend. :top:

Ja, der Harry ist natürlich der indische Flötengott. Lustigerweile kenn ich auch keinen anderen indischen Flötisten als eben Hariprasad Chaurasia.Nun liegt's vielleicht auch daran, dass ich so ein bißchen ein Flötenproblem habe. Aber beim Harry drückt ich doch mal nen Auge zu;-) Nee, ist tatsächlich so, dass ich den Burschen immer wieder gern auflege, wenn's unglaublich heiß draußen ist. Komisch, aber im Winter würde ich irgendwie nicht drauf kommen ne CD von ihm einzulegen. Bei schweißtreibend schwüler Hitze gibt's einfach nichts besseres als Harrys luftiges Flötenspiel.

Es gibt da eine CD, die ich besonders empfehlen möchte. Das spezielle daran ist, dass er da ausgiebig in den tieferen Lagen spielt und der sonore, luftig-dunkle Ton kommt meinen Vorlieben sehr dankbar entgegen. Es gibt darauf auch einen zweiten Flötisten zu hören, seinen Neffen Rakesh und die beiden umspielen sich da ganz hübsch teilweise. Außerdem ist die Aufnahme absolut brillant. Es handelt sich um eine CD aus der "World Music Library"-Reihe des japanischen King Records Label, dass ich im Zusammenhang mit der Tradtionellen japanischen Musik schon mehrfach pries. Absolut großartig, was die da in den 90ern rausgehauen haben an traditioneller Musik aus Asien.
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(Gibt's leider nicht auf Youtube zu hören. Muss man kaufen und wird es nicht bereuen.)

Harrys Vadder war übrigens Ringer und wollte, dass sein Sohn in seine Fusstapfen tritt. Hat nicht ganz geklappt. :hmmja:
In den 90ern hat er übrigens in Rotterdam an der Universität klassische indische Musik unterrichtet und war da sogar Fachbereichtleiter, wenn ich mich richtig erinnere.
 
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