Selbstverständlich stecken da gewisse kommerzielle Überlegungen und Interessen dahinter, da bin ich mir sehr sicher. Vielleicht nicht 100% bewusst, aber Mille ist Profimusiker, er muss also Einnahmen aus der Musik generieren. Und daher wird die erfolgreiche Richtung der letzten drei Alben in weiten Teilen sicherlich auch auf der neuen Platte wiedererkennbar sein. Das steht für mich fest. Ein Endless pain wird und kann die Band heute gar nicht mehr machen. Muss sie ja auch nicht, wir haben es doch schon, dieses oberlässige Gerumpel!
Und daher bin ich schon sehr neugierig, wie das Spannungsfeld Aggression <-> Melodie weiter ausbalanciert wird. Für meine Ohren waren auf GoV schon sehr viele Zugeständnisse in Richtung "Mainstream" drauf (etwa: Satan is real, Fallen brother, (Gitarren-)Sound allgemein). Aber genau das finde ich die spannende Frage: Wie weit wird die Band in diese Richtung noch gehen? Und: Komme ich da noch mit, sprich: Schaffen sie es wieder, mich mit ihren neuen Ideen zu begeistern?
Die letzte fand ich aber gerade wegen der geilen Melodien und der Verquickung mit der typischen Kreator-Aggressivität extrem stark und ich höre sie immer noch sehr gerne. Aber ich verstehe jeden, der das anders sieht.
Den ersten Absatz unterschreibe ich so nicht. Wäre ich nicht so suchfaul, könnte ich die Begründung dafür aus einem meiner alten Posts in diesem Thread kopieren. Die Frage, ob die Musik der Band hauptsächlich an kommerziellen Gesichtspunkten orientiert ist oder nicht, hatten wir nämlich schon mal.
Ich bleibe bei meiner Einschätzung, auch wenn ich Mille noch nie persönlich getroffen und mit ihm über das Thema gesprochen habe: Mille hat - trotz seiner herausgehobenen Stellung natürlich in Zusammenarbeit mit seinen Bandkollegen - musikalisch immer das gemacht, was er wollte. Nämlich Musik, die hart und extrem, gleichzeitig aber auch sehr melodisch ist. Quasi das, was At The Gates oder andere Melodic Death Metal Bands auch gemacht haben. Iron Maiden trifft auf Thrash, wobei ich Thrash hier wie in der zweiten Hälfte der 1980er definiere, als extremere Weiterentwicklung des Frühachtziger Black-/Death Metals.
Für Mille waren Venom ja, anders als für Slayer, Hellhammer oder Sodom nicht Vorbild in dem Sinne, dass er genau so etwas machen wollte - nur noch extremer -, sondern dahingehend, dass Tormentor/Kreator nicht aufgeben mussten, nur weil sie spielerisch viel schlechter waren als z.B. Judas Priest.
„Unsere ersten Gehversuche bestanden noch darin, BRITISH STEEL von Priest nachzuspielen.
Bands wie Venom haben dann ein ganz anderes Tempo, eine andere Attitüde hereingebracht, die haben durch Aggressivität überzeugt. […] Das waren Werte, die uns nahe lagen.
Wir waren vielleicht eine schlechte Heavy Metal-Band, aber im Vergleich zu Venom oder Bathory ging das schon.“ (Metal Hammer, Juli 2010, S. 46).
Mille wollte Schnelligkeit und Aggression, das aber verknüpft mit einer auch stark melodischen Seite.
Daher hatte seine Absage an Sodom, nach Aggressors Ausstieg den vakanten Gitarrenposten zu übernehmen, unabhängig vom Glauben an sein eigenes Kind, seine eigene Band, auch einen musikalischen Grund, wie er in der "Lords of Depravity I"-Doku erzählt. Ihm waren Sodom schlicht viel zu (ausschließlich) brutal (
"noch viel mehr im Black Metal verhaftet"). Sodom sahen das wohl ähnlich, als sie 1984 nur von drei deutschen "Death Metal Bands" sprachen (Sodom, Destruction und - das war ja noch vor deren Debüt-LP - Iron Angel) und Tormentor explizit nicht dazuzählten (s.u. letzter Absatz).
(Brain Damage Zine #2. USA, 1985.
https://sendbackmystamps.files.wordpress.com/2012/03/sodom-1.jpg?w=412&h=&zoom=2)
Dass Iron Angel dann härtetechnisch nicht extremer wurden und Kreator mit "Pleasure To Kill" kurzzeitig die Brutalsten überhaupt, ändert daran nichts, schließlich war die "Flag Of Hate"-EP bei allem Schmackes schon teilweise von melodischen Elementen geprägt.
Wenn man gerade die mal mit den letzten beiden Kreatoralben vergleicht, ist das wirklich nicht dieselbe Musik, das musikalische Konzept ist aber ähnlich: Schnelle, brutale Musik, die aber auch "musikalischeren" Ansprüchen genügen und mehr sein soll als nur ein "Bombenhagel".
Ich sehe da keinen wirklichen Stilbruch, zumindest konzeptionell, sondern nur eine durch jahrzehntelange Übung erheblich verbreiterte Palette an Möglichkeiten, das Konzept umzusetzen.
Ich verdächtige Mille/Kreator nicht, bestimmte Elemente auf größten kommerziellen Erfolg hin anzulegen. In dem Fall wären die Alben wohl doch noch eine Nummer poppiger.
Ich weiß aber, dass er die Erwartungshaltung der Fans - anders als in den 1990er-Jahren - tatsächlich nicht völlig ignorieren will. So sagte er mal in einem Interview (keine Ahnung welches), dass es zwar heute auch noch vorkommt, dass er phasenweise viel nichtmetallische Musik hört, er aber nicht mehr den Anspruch hat, das alles auch immer bei Kreator hören zu lassen.
Eine zweite "Endorama", aber auch eine zweite "Renewal", wird es aus Gründen der (vielleicht auch in Teilen kommerziell motivierten) engeren künstlerischen Festlegung daher wohl nicht mehr geben, aber ansonsten sehe ich da keine bewusste Kommerzialisierung oder Erfolgsmaximierung.
Von Seiten der Band!
Beim Label sieht das ganz anders aus. Es wurde ja mal folgender Dialog im Spiegel niedergeschrieben, der das Konzept Nuclear Blasts treffend beschreibt:
"Wie viele Platten verkauft ihr so?", fragt Staiger. "Ein paar hunderttausend." - "Nicht schlecht. Wir könnten eine Million daraus machen." (
https://www.spiegel.de/karriere/erf...das-blut-und-satan-zeug-so-satt-a-767235.html)
Und selbst Staiger nehme ich komplett ab, dass dieser Drang zur stetigen Erfolgsmaximierung, zu stetigem Wachstum, nicht aus Geldgier entstand, sondern durch den bisherigen Erfolg und die daraus folgende größere Verantwortung nötig wurde. Mehr Erfolg, mehr Mitarbeiter, noch mehr Erfolg, noch mehr Mitarbeiter, usw.
Wenn man alleine Platten aus dem Kinderzimmer heraus verkauft, kann man halt eher den wahren Werten huldigen, als wenn da noch das wirtschaftliche Schicksal von zweihundert Angestellten, ja zweihundert Familien, dranhängt.
Mein Fazit bleibt: Kreator machen das, was sie immer wollten, nur auf höherem Niveau, und das wird dann von Nuclear Blast bestmöglich vermarktet, was (hoffentlich) das ein oder andere pathetische oder gar kitschige Promofoto der letzten zehn Jahre erklärt.
Mir ist die Professionalisierung bei der Umsetzung des Kreator-Konzepts lediglich geschmacklich viel zu weit fortgeschritten.