Morton Feldman

Nach Ewigkeiten hab ich endlich mal meine Feldman-Sammlung erweitert und eine neue, heiße CD* ins Haus bekommen. Ist schon toll, wenn man nach 20 Jahren Fantum und fast 30 Jahre nach seinem Tod immer noch das eine oder andere neue Stück entdecken kann. Der erstandene Tonträger enthält verschiedene Vokal-Werke, ein Feld, dass ich bisher sträflich vernachlässigt habe.

Hier mal reingestellt For Stefan Wolpe (von 1986) für Chor und zwei Vibraphone, eine wahrlich ungewöhnliche Besetzung die ein höchst mystisches und betörendes Klangbild erzeugt. (Wolpe, in Berlin geborener Komponist, war Jude und Kommunist und floh in den späten 30er Jahren in die USA und war der Kompositionslehrer des jungen Feldman.) Horcht mal ...

*Apropos CD: Ich bin ja eigentlich ein Freund des Vinyls, aber ich muss sagen bei Feldman macht das Medium CD schon echt Sinn. Man stelle ich vor das 2. Streichquartett über 8 Langspielplatten verteilt zu hören und ständig diese künstlichen Pausen und das Umdrehen. Aber auch die Nebengeräusche einer Schallplatte scheinen mir bei solch fragiler Musik irgendwie nicht sonderlich zuträglich.
 
Ein Wahnsinn dieses Stück, ein Wahnsinn in zwei Welten. Die Vibraphone wechseln sich immer ab mit den Chor-Passagen, treten quasi in Dialog zueinander, überlappen sich nur im Ausklang. Und der Chor - ein Murmel-Chor. Die SängerInnen summen das ganze Stück über mit geschlossenem Mund, immer gemeinsam gehaltene Töne. Ein kompakter Klang in dem sich viele Obertöne verstecken. Die Vibraphone hingegen bezirzen mit flirrenden Schwebungen. Wäre Morton Feldman Heavy Metal-Fan und würde im Hier und Jetzt leben, hieße das Stück wohl For Oranssi Pazuzu.
 
Wo wir drüben gerade am rumcagen waren, Morty-Boy hat seinem alten Kumpel auch ein kleines Denkmal gesetzt: For John Cage - für Violine und klavier aus dem Jahre 1982. Klar, ein Grobian war er nie der Morty - also zumindest nicht in seiner Musik - aber ich finde For John Cage ist ein besonders zartes Techtelmechtel zweier Instrumente - Erotik pur!
Hier eine Einspielung von Marc Sabat (violin) und Stephen Clarke (piano) erschienen bei Mode Records:
Der Geiger wohnt bei mir in der Straße. Support your local violin player! ... sach ick mal, wa.
 
Listenwahn:
1.) String Quartet (II) (1983)
Einspielung: Ives Ensemble, Hat Hut Records 2001
2.) Trio (1980) ... für Violine, Cello & Klavier
Einspielung: Marc Sabat (violin)/Rohan de Saram (cello)/Aki Takahashi (piano), Mode Records 2009
3.) Triadic Memories (1981) ... für Klavier solo
Einspielung: Marilyn Nonken, Mode Records 2004
4.) Neither (1977) ... Oper mit Samuel Beckett Libretto
Einspielung: Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt dirigiert von Zoltan Pesko, Hat Hut 1997
5.) Violin & String Quartet (1985)
Einspielung: Pellegrini Quartet & Peter Rundel, Hat Hut 2002
6.) For Stefan Wolpe (1986) ... für zwei Vibraphone & Chor
Einspielung: SWR Vokalensemble Stuttgart & Boris Müller/Martin Homann (Vibraphone), Hässler Classic 2002
7.) Patterns in a Chromatic Field (1981) ... für Cello & Klavier
Einspielung: Rohan de Saram (cello)/Marianne Schroeder (piano), Hat Hut 1995
8.) Piano & String Quartet (1985)
Einspielung: Ives Ensemble, Hat Hut 2001
9.) Clarinet & String Quartet (1983)
Einspielung: Pellegrini Quartet & Ib Hausmann, Hat Hut 1995
10.) For John Cage (1982) ... für Violine & Klavier
Einspielung: Marc Sabat (violin) & Stephen Clarke (piano), Mode Records (CD: "Morton Feldman - Complete Music for Violin and Piano")
 
Die letzten Wochen bin ich wieder mal durch eine intensive Feldman-Hörphase gegangen. Habe gerade gefastet und irgendwie scheint die karge Musik da besonders gut mit mir zu funktionieren. Da wird son 80-Minuten Stück mal so in voller Konzentration weggehört und hinterher überlegt, was lege ich denn jetzt als nächstes auf. Diese Streicher & Klavier-Stücke betören mich völlig. Wenn man dann so eindringt in die einzelnen Werke, ist auch immer wieder spannend die unterschiedlichen Charakterzüge rauszuhören bei einem Komponisten bei dem oberflächlich "alles gleich klingt".

Bei allem Fantum gibt's allerdings auch Stücke die mich relativ kalt lassen. Dazu gehört z.B. die gesamte Werksgruppe für die Trio-Besetzung Flöte/Klavier/Schlagwerk ("Why Patterns?" 1978, "Crippled Symmetry" 1983, "For Philip Guston" 1984 und das Flöte/Klavier-Duo "For Christian Wolff" 1986). Dabei war Feldman offensichtlich besonders fasziniert von dieser ungewöhnlichen Besetzung und in den 80ern tourte er als begleitender Komponist kreuz und quer durch die Welt mit seinen "Hausmusikern" Eberhard Blum (fl), Nils Vigelland (p) und Jan Williams (perc). Meine Ablehnung mag einerseits mit meiner latenten Flöten-Phobie zusammenhängen, aber ich finde auch, dass Eberhard Blum, der samtliche Uraufführungen der Werksgruppe spielte und auch sämtliche Referenz- und Erstaufnahmen (HatHut Records) einspielte, sehr grobschlichtig an seinem Instrument agiert. Dadurch verschmelzen die Instrumente nicht so fein, wie sie es könnten. (Er spielt drüber und nicht rein.) Da hilft dann auch die eher schwammige (weil wenig direkt und sehr räumlich) Aufnahme wenig. Vielleicht muss ich mich mal nach ner feinsinnigeren Zweiteinspielung umgucken. Falls jemand einen Tipp hat?

Auch nach all den Jahren meiner Feldman-Zuneigung findet sich dann hin und wieder doch noch ein ungehörtes Kleinod. Gerade frisch ins Haus geflattert ist mir das 1982er-Stück "Three Voices" in der Neueinspielung von Juliet Fraser (sehr empfehlenswerte Einspielung, sehr zurückgenommen aber einfühlsam interpretiert und trocken-schnörkelos produziert). Es handelt sich um ein reines Vokalstück für eine Sopranistin, dass im Mehrspurverfahren aufgenommen und aufgeführt wird (sprich: zwei Stimmen vom Band und eine live). Das Stück hatte Feldman seiner Zeit speziell für die Sopranistin und Vokal-Künstlerin Joan La Barbara komponiert.
Hier eine ältere Einspielung (vermutlich von J.L. Barbara?). Klingt zunächst etwas irritierend die Klangwelt Feldmans im Acapella-Style, auf Dauer aber ziemlich heiß.
 
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Klingt zunächst etwas irritierend
"Etwas"... :D
Die erste 20 Minuten ca. fand ich es sehr schön, irgendwann wurde mir wirklich zu viel - vor allem wenn nicht reine Vokalisierungen sondern Worter gesungen werden, das ergibt meistens keinen schönen Klang in meinen Ohren sondern verursacht eine abstoßende Reaktion.
 
"Etwas"... :D
Die erste 20 Minuten ca. fand ich es sehr schön, irgendwann wurde mir wirklich zu viel - vor allem wenn nicht reine Vokalisierungen sondern Worter gesungen werden, das ergibt meistens keinen schönen Klang in meinen Ohren sondern verursacht eine abstoßende Reaktion.

Finde das auch durchaus einnehmend, fast schon brillant, aber mich irritiert das partiell auftretende, merkliche Schaufen/Luftholen der Vokalistin; so kann man nicht wirklich entrückt auf den Klangflächen dahingleiten, sondern wird immer wieder in irdische Gefilde der menschlichen Biologie und ihrer Notwendigkeiten runtergerissen. Trotzdem toll.
 
Tja, there is no exhaling without inhaling. ;)

Ich hab ja sogar ne besondere Leidenschaft für solche "produktionsbedingten" Nebengeräusche. Wenn's dann auch noch so präzise und repetitiv in die Tonschleifen eingreift wird das dann Teil des Patterns, Teil der Musik. Steh ich total drauf. Geradezu eine erotische Wirkung hat das leise mechanische Rauschen, dass bei Streichern in den hohen Lagen zu hören ist, wenn sie leise gehaltene Töne spielen.
 
Kommt jetzt eigentlich im DF#18 das lange geforderte Morton Feldman Earmageddon? Und wie steht's mit Eurem Morton Feldman Listenwahn (meiner hier by the way)? ... oder gibt's zumindest ein Lieblingsstück? ... ein Morton Feldman Erweckungserlebnis? ... besondere Konzerterlebnisse? ... wann und wo hat die Feldman-Tangente erstmals Eurer Leben gekreuzt? ... seit Ihr bereit für Morton Feldman zu sterben?!?
 
... vor allem wenn nicht reine Vokalisierungen sondern Worter gesungen werden, das ergibt meistens keinen schönen Klang in meinen Ohren sondern verursacht eine abstoßende Reaktion.

... mich irritiert das partiell auftretende, merkliche Schaufen/Luftholen der Vokalistin; so kann man nicht wirklich entrückt auf den Klangflächen dahingleiten, sondern wird immer wieder in irdische Gefilde der menschlichen Biologie und ihrer Notwendigkeiten runtergerissen.

Hab mich gerade nochmal mit Hingabe in die (für mich neue) Three Voices Einspielung von Juliet Fraser vertieft. Es scheint fast als hätte sie sich Eure Kritikpunkte an Joan la Barbara Original-Einspielung als Ausgangspunkte für ihre eigene Interpretation genommen. Zum Einen spart Juliet Fraser Atmengeräusche gänzlich aus und zum Anderen gelingt es ihr viel stimmiger die gesungen Wortartikulationen mit den überwiegenden "Tonwelten" zu verbinden. Die Worte poppen bei ihr nicht so bedeutungsschwanger heraus, sondern bilden feine, abstrakte Phrasen.

Obwohl ich im Bereich der Neuen Musik eigentlich weniger ein Anhänger (wohl eher das Gegenteil) stimmlicher Ergüsse bin, muss ich sagen, hat sich Three Voices hier im Nu einen Platz in meiner Feldman-all time-Top 10 erspielt.
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Mach grad Osterputz und lausche dabei der Crippled Symmetry (California EAR Unit). Klingt irgendwie nach laangsaaamem Frühlingserwachen. So zart, so tentativ, so transluzid... Notiz an mich selbst: Muss mich definitiv mehr mit Feldman beschäftigen.
 
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Mach grad Osterputz und lausche dabei der Crippled Symmetry (California EAR Unit). Klingt irgendwie nach laangsaaamem Frühlingserwachen. So zart, so tentativ, so transluzid... Notiz an mich selbst: Muss mich definitiv mehr mit Feldman beschäftigen.
Witzig, die Einspielung hatte ich auch die Tage mal online gehört. (Gibt's auf Spontifix zu hören.) Gefällt mir viel besser als meine HatHut-CD von Blum/Vigeland/Williams. Klanglich einfach viel erfreulicher. Muss ich mir glaube ich mal uff CD besorgen ... obwohl das Cover-Design ja wirklich das totale Debakel ist. Wer denkt sich sowas eigentlich aus bzw. denken die sich denn überhaupt nichts dabei. Verbrecher! Wann kommt den endlich die haptisch erbauliche Morton Feldman-Reihe bei Ván Records?
 
Morgenstund hat Feldman im Ohr.
Nachdem ich gestern halbtot im Bett lag und mich von The Necks im Dilirium begleiten ließ, läuft der Morgen nach Wunderheilung mit For John Cage (für Violine und Klavier) gut an.
 
Also wenn das mal heute kein Morton Feldman-Wetter ist ...

Solche wetterbeeinflussten Musikphasen kenne ich sehr gut, wenn auch stilistisch komplett anders. Für Feldman wären mir gestern selbst bei geschlossenen Fenstern die Nebengeräusche vom Wetter draußen zu dominant gewesen. Bin deshalb spontan durch die Kreuzberger Seenplatte zu Toots & The Maytals geschwommen...


P.S.
Danke übrigens für die vielen leidenschaftlichen Feldman-Empfehlungen. Bis auf irgendeine ältere Kronos Quartet-Einspielung, die noch irgendwo bei mir rumliegen müsste, ist das ein weißer Fleck auf meiner musikalischen Landkarte, und seit Jahren in der Kategorie "Müsste ich mich mal näher mit beschäftigen" abgespeichert.
 
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Da die Feldman-Sammlung im Hause Kylie ja bekanntermaßen sehr ausgereift ist, kommt es folglich immer seltener vor, dass mal etwas Neues dazu kommt. Beim folgend vorgestellten Tonträger hatte ich zunächst gewisse Bedenken. Ich bin zwar ein ausgesprochener Vinyl-Freund, aber bei Feldman schien mir aufgrund der Länge der Stücke und der äußerst fragilen Dynamik die CD doch das sinnvollere Medium zu sein.

Nun ist mir aber jungst die Vinyl Editon des Klavier-Solo-Stückes For Bunita Marcus in die Hände gefallen bzw. habe ich das gute Stücke an eine höchst geschätzte Person verschenkt und in der Folge die Möglichkeit gefunden, dass Album ausgiebig (mit)zu hören. Obwohl ich bereits eine Einspielung auf CD habe, könnte ich nicht widerstehen und habe nun auch eben jene Platte bestellen müssen.

Es handelt sich um die Einspielung durch die griechische Pianistin Lenio Liatsou. Das österreichische Vinyl Label God Records hat das ca. 75 minütige Werk als Doppel-LP (verteilt über 3 Seiten) veröffentlicht. Die Interpretation und Aufnahme übertreffen meine CD-Einspielung von Hildegard Kleeb auf Hat Hut Records im Längen. Bisher fand ich das Stück ehrlich gesagt fast ein bißchen fad, aber die God Records LP offenbart da eine Fein- und Tiefsinnigkeit, die mich sehr ergriffen hat.

Beim Label ist die Scheibe inzwischen vergriffen, aber über Discogs findet sich noch das eine oder andere Exemplar in der Welt.

Kleine Hörprobe gefälligst: https://soundcloud.com/godrec/god-27-morton-feldman-for-bunita-marcus-lenio-liatsou-piano-excerpt
Info zum Release: http://godrec.com/god27.html

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Just hat sich God Records auch angeschickt, das 2. Streichquartett (5 Stunden Spiellänge) auf 7 LPs zu veröffentlichen. 13mal Schallplatte umdrehen/auswechseln innerhalb eines Stückes finde ich dann doch ein bißchen verrückt. Da reicht mir wohl meine 4-CD-Ausgabe erstmal.
 
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