Hatte ich bereits im Bücherthread gepostet, weil sich einer dafür interessiert hatte ... das Vorwort von Bela B. zur Biografie von Lemmy:
♠ Vorwort ♠
Ich bin Lemmy mehrere Male begegnet. Das erste Mal auf der Berliner Funkausstellung, ich war noch Berufsschüler. Wir waren ein paar Punks, die sich in die Aufzeichnung einer Musiksendung geschlichen hatten. Wir stänkerten ein bisschen rum, bis besagter Herr Kilmister, der mit seiner Band dort auftrat, einem von uns einen Kugelschreiber derart hart in die Nase rammte, dass unser Kumpel noch stundenlang blutete. Das zweite Mal begegnete ich ihm in London in einer Disco. Ich saß da und trippte auf LSD, als ein großer Schatten auf mich fiel: Lemmy. Durch die Droge war der Eindruck natürlich um ein Vielfaches verstärkt, denn er kam mir wie ein Riese vor, noch dazu mit den längsten Haaren im ganzen Laden. Ein echter Rock-’n’-Roll-Gott.
Später einmal war ich an meinem Geburtstag auf einem Motörhead-Konzert in Berlin. Ich kannte seinen Tourmanager und der überraschte mich damit, das Lemmy kurz nach der Show auftauchte und mir gratulierte. Danach zogen wir durch einige Bars, bis wir einen Laden mit Spielautomaten fanden. Ich durfte Herrn Kilmister von da an noch ein paar Tequila servieren, war aber ansonsten abgemeldet. Von dem Konzert hatte ich übrigens am nächsten Tag noch einen dermaßen starken Tinnitus, dass ich am Morgen nach dem Pinkeln die Toilettenspülung nicht hörte. All die nächsten Male, die ich ihn traf, konnte er sich nicht an mich erinnern, aber irgendwie hat mich das nie geärgert.
Vor ein paar Jahren sollten wir dann mit Motörhead auf einem Festival in der Schweiz spielen. Ich saß vor unserer Garderobe und genoss den Sonnenschein nach einem kurzen Platzregen, als Lemmy um die Ecke bog. Wir schauten uns kurz an, dann legte es die Rocklegende der Länge nach hin. Seine weißen Lederboots waren nicht geschaffen für den nassen Boden. Er stand auf, lächelte mich einfach nur an und ging in seine Garderobe. Und da war mir mit einem Mal klar, was ich an diesem Mann so bewundere, warum mich nicht mal seine Affinität zur Weltkriegsliteratur stört.
Natürlich ist Lemmy Kilmister das personifizierte Gewissen des Rock ’n’ Roll. Auf Lemmy kann man sich verlassen. Er ist der Fels in der Brandung, der stoisch jeder neuen Welle standhält und noch da ist, wenn diese längst abgeebbt ist. Und natürlich ist es auf gewisse Weise bewundernswert, dass Jack Daniels, Sex & Amphetamine nicht nur eine Phase im Hause Kilmister sind, sondern seit 40 Jahren seine Inspiration und Antriebskraft. Lemmy darf mit Drogen und Frauengeschichten kokettieren, und trotzdem gilt er als jemand, dessen Weisheiten uns etwas bedeuten. Das hat er gemein mit Johnny Cash, Elvis, auch Frank Sinatra und noch einer Handvoll der ganz, ganz Großen.
Aber was mich an diesem Festivaltag an Lemmy, mit seinen weißen Lederstiefeln im Matsch, so bewegte, war viel einfacher und toller als all das – es war seine Würde. Ob bewusst oder instinktiv, Lemmy Kilmister trägt mehr Würde mit sich herum als all die volltätowierten Betty-Ford-Patienten, die sich sonst so Rock ’n’ Roll nennen.
Bela B., Oktober 2006