Oh yes. Das ist immer mein meistbesuchter Thread zum Jahreswechsel, weil ich unterjährig in dem Bereich selten hinterherkomme. Meine 2ct:
Klone – The Unseen
„Art Rock“ nennt man das glaube ich, wobei hier Einflüsse aus Alternative, Prog, sogar Grunge zu hören sind, jeweils in ruhiger Gangart. Kommt auf den ersten Hör sehr hintergründig daher, verträumt, ein wenig dahingespielt, um auf den zweiten und dritten seine emotionale Kraft zu entfalten und einen wie eine warme Decke einzuhüllen und den stressgebeutelten Kopf in betäubende Watte zu packen. Außerdem hat es eine harmonische Komplexität, die Jazz/Prog-Noten aufweist, aber sehr unauffällig eingebettet ist und sich toll mit dem gefühlvollen Ausdruck verzahnt. Erinnert mich in der Kombination an Katatonia. Gerade durch das entspannte Umfeld kommen die vereinzelten dramatischen Momente doppelt gut – das Grande Finale des Titeltracks, ey, pure Gänsehaut. Und der zum Heulen schöne Refrain von „After the Sun“ mit seinen nachdenklichen Zeilen, die die Stimmung des Albums perfekt zusammenfassen:
And the leaves fall, leaves die
We are all the same odd creatures of the night
Lost in infinite space
Where I can see light only thoughts remain
Here on the other side time seems to slip away
Eine Band der sparsamen, aber wirkungsvollen Gesten. Ganz, ganz stark.
Anspieler: The Unseen, After the Sun, Desire Line
PS: Die Alben „Le Grand Voyage” und v.a. „Here Comes the Sun” sind auch toll.
https://kloneeofficial.bandcamp.com/album/the-unseen
Cloven – Where You and I Shall Not Find Ourselves Together
Cloven, ein Nebenprojekt der Kanadier Trespasser, haben dieses Jahr debütiert und gleich einige Alben veröffentlicht. Ich verehre und liebe Ulver in allen Phasen, seit sie keinen Metal mehr machen, und bei vielen Sachen von Cloven kommen dieselben Gefühle in mir hoch wie bei „Shadows of the Sun“, eine Melancholie und Geborgenheit zugleich. Die gewählten Mittel sind hier zum Teil andere, insbesondere die (neo)klassischen Einflüsse und der an späte Leonhard Cohen angelehnte, bassige Sprechgesang. Musik zum Meditieren und Sinnieren, teilweise komplex arrangiert.
Die anderen Alben von Cloven gehen mit Ausnahme vom Black-Metal-lastigen „Chance Encounter of Flesh and Nail” in dieselbe Richtung und sind ähnlich gut, besonders „Ruined“.
https://cloven137.bandcamp.com/album/where-you-and-i-shall-not-find-ourselves-together
Faber – Addio
Nein, an das wahnsinnig gute Debüt und die Hitdichte des Zweitlings kommt das neue Album „Addio“ nicht ran. Aber das versucht es auch nicht. „Addio“ bietet als Ausgangspunkt den von Faber bekannten Balkan-Chanson-Poprock mit der dunklen, rauchigen Stimme, der Melancholie und den poetisch-versoffenen Texten, schwärmt von dort aber in andere Richtungen aus. Charakteristisch für das Album sind die häufigen mehrstimmigen Chöre (die von der achtköpfigen Band auch live perfekt dargeboten werden), die über die Einworttitel verteilten Klassik-Einflüsse („Nocturne“, „Leon“, „Deus“, „Addio“ – bis auf „Leon“ alles totale Gänsehautstücke), die zwei italienischen Titel kurz vor Ende und das schweizerdeutsch-italienische Duett „Pirdutu cori“ mit seinem Vater Pippo Pollina ganz am Ende – man sieht allein an der Aufzählung, dass hier ein gewisses System dahintersteckt. „Addio“ ist das bis dato komplexeste Faber-Album mit einem gewissen Kunst-Charakter, gerade, weil inmitten der neuen Einflüsse die bekannten wie die Tanzrhythmen und verbalen Ferkeleien weiter auftauchen, nur halt in kleinerer Zahl als vorher. Dadurch muss man eine Warmlaufzeit mitbringen, die aber reich belohnt wird.
In Auszügen reinhören geht hier:
https://www.youtube.com/playlist?list=PLzno9kqS7n8MgE_u0NNxvbzCpa8XISq7v
Purgate – Transcend
[Kein Bild, weil max. 3St/Posting erlaubt]
Der Name Frederic Arbour bürgt ja schon für ein hohes Grundniveau und Mut zum Experiment. Das ist eins der dunkelsten und minimalistischsten Techno-Alben in meiner Sammlung. Ambient/Dub Techno in einer Lesart, die voll in die Magengrube geht. Null Melodien, null Harmonien, ausschließlich Sounds, ganz viel Hall und konsequent bassiges, superdumpfes Dutz-Dutz-Dutz. Atmosphärisch die Vertonung eines schwarzen Lochs. Clubmusik für die frühen Morgenstunden und die Verdammten.
Anspieler: Solar Flare, Transcend
https://aesthetical.bandcamp.com/album/transcend