♠ Every Month is MOTÖRMONTH! ♠

Iron Fist

„Der kleine Bruder“

Auch Superstars, die mega-erfolgreich sind, superreich, blendend aussehen und von allen bewundert werden, haben oft Brüder. Wenn es große Brüder sind, erzählen sie jedem gerne, wie der Bruder sie inspiriert und unterstützt hat. Wenn es kleine Brüder sind, dann werden diese auch mal zu einem Fototermin mitgenommen, aber dann von allen links liegen gelassen und geraten in Vergessenheit.

Es gibt aber Menschen, die den kleinen Bruder zuerst kennen gelernt haben, mit ihm viel Zeit verbracht haben und die, trotz seiner Macken und Fehler, mit ihm eine tiefe, lebensverbindende Freundschaft geschlossen haben.

Irgendwann im Jahr 1982, ich war gerade 11 geworden und hatte bereits AC/DC, Foreigner und Judas Priest zu Ohren bekommen, ist mir im örtlichen Elektrofachmarkt (Einzelhändler mit 2-3 Plattenregalen mit aktuellen Bestsellern) unter dem ganzen NDW-Kram ein Cover mit einer Eisenfaust ins Auge gesprungen. Ich hatte den Namen Motörhead schon vernommen (sicherlich in der Bravo), also gleich mal an der Servicetheke reingehört und war sofort fasziniert, weil das so viel fieser war, als alles was ich zuvor gehört hatte (von Priest kannte ich nur die eher softe Point of Entry). Also Taschengeld zusammen gekratzt und ab nach Hause mit dem brutalen Brocken. Im Innencover dann drei Typen mit Schwertern und furchteinflößenden Eberkopfmasken - da konnte Lemmy noch so sehr behaupten, dass er Rock'n'Roll macht, das war mehr Metal, als ein 11-jähriger 1982 jemals zu Gesicht bekommen hatte.

Hier der Beweis:


Rock'n'Roll für einen 11-jährigen im Jahr 1982


Kein Rock'n'Roll für einen 11-jährigen im Jahr 1982

Wie gesagt, zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass diese Platte einen großen Bruder hat, den alle Welt für den Allergeilsten hielt.

Und so ging es los mit dem Titelsong, der extrem losgeballert hat und mir musikalisch die Türen für alles, was in den Jahren danach an Speed- und Thrash-Metal kam, geöffnet hat. In der Rückbetrachtung und im Vergleich zum Titelsong des großen Bruders ist Iron Fist (der Song) nicht nur musikalisch (wie bereits Overkill oder Ace of Spades), sondern nun auch textlich Proto-Thrash-Metal: "Dark Night nothing to see, invisible hand in front of me. Scared to death, there's someone near, scared to move, but you can't stay here". So was hätte Elvis niemals gesungen. Einen Text übers Zocken schon eher. Tom Angelripper sei mein Zeuge.

"…and I'll tell ya something else"

Aber das war dem 11-jährigen Prodigal Son natürlich noch nicht klar, weil Englisch erst mal gelernt werden musste. Und was hilft da mehr als ein Textbeileger? Was Lemmy mit all dem meinte, habe ich natürlich nicht verstanden, selbst mit Nachschlagen der Vokabeln blieb mir vieles verborgen….außer der Text von (Don't Need) Religion. 1983 stand die Firmung an, aber trotz erzkatholischen Umfeldes wollte sich der Glaube nicht so recht einfinden bei mir. Dieser Songtext war der erste, der mir so richtig aus der Seele gesprochen hat und auch 35 Jahre später hat sich an der Einstellung nichts geändert (gefirmt wurde ich trotzdem, es gab Geschenke - eine Entscheidung auf die ich nicht gerade stolz bin). Alleine dadurch wird Iron Fist niemals der kleine Bruder sein, sondern ein Freund, der mich verstand und mir Rat und Hilfestellung gab. Und auch im Nachhinein finde ich die zerbrechlicheren, menschelnden Texte von Heart of Stone, Loser, Go To Hell oder eben (Don't Need) Religion näher an mir dran als die Dicke-Hose-Lyrics des großen Bruders in Ace of Spades, Love Me Like A Reptile oder Live To Win.

Einige Songs wie Sex and Outrage, America oder Bang To Rights haben, vor allem im Kontext später gehörter Motörsongs (und auch des großen Bruders), im Lauf der Zeit doch ein wenig verloren, aber mit dem Titelsong, I'm The Doctor, Heart of Stone, (Don't Need) Religion und Loser (die letzte Minute!) sind immer noch viele meiner Favoriten auf dem Album. Außerdem die größte versteckte Motörperle aller Zeiten. Welche das ist? Natürlich Go To Hell - sollte ich das jemals in der Öffentlichkeit hören, kann sich der DJ meiner lebenslangen Huldigung und für den Abend Freigetränken sicher sein.

Ach ja, der große Bruder. Irgendwann 1983 habe ich dann auch die Ace of Spades gekauft (dazwischen noch die französische Beer Drinkers and Hell Raisers LP) und natürlich ist der große Bruder besser, schöner und beliebter. Aber für mich war Ace of Spades halt nur der große Bruder meines besten Freundes, der sich selbst als Loser bezeichnet, ein paar Drogen zu viel nimmt und mit den Frauen nur Streß hat, aber mir einen wichtigen Rat fürs Leben mitgegeben hat. Und der noch ältere Bruder des "Superstars" ist sowieso der coolste der ganzen Familie, aber Overkill habe ich erst viel später kennen gelernt.

Leider hat auch "Papa" Lemmy seinen kleinen Bastard Iron Fist nicht sonderlich geliebt. Der Titelsong war zwar der erste von mir live gehörte Motörsong (sehr spät, erst 2008), aber außer jenem hat Lemmy keinen der Songs nach 1985 jemals wieder live gespielt (zumindest laut setlist.fm) und auch Iron Fist habe ich auf den folgenden Konzerten nie wieder gehört.

Objektiv und aus heutiger Sicht betrachtet ist natürlich der Sound im Vergleich zu den Vorgängern schwächer, das Songwriting hat unter dem Streit zwischen Lemmy/Philthy und Fast Eddie etwas gelitten und auch die konsumierten Drogen merkt man dem Album stärker als den Vorgängern an, aber es bleibt nun mal das letzte Album der klassischen Besetzung und zumindest macht Fast Eddie nochmal deutlich, dass er ein entscheidender Baustein für den Sound Motörheads war. So sympathisch und mannschaftsdienlich Phil später gespielt hat, sind in der Eddie-Phase die Songs, auch wegen der Gitarrenarbeit, eigenständiger und unterscheidbarer.

Mit den oben genannten 6 Songs für meine ewige Motörhead Playlist bleibt deutlich mehr übrig als bei allen späteren Alben, sowie das angenehme Gefühl, mich hin und wieder mit einem uralten Freund für knapp 38 Minuten auf ein Bier zu treffen und in Erinnerungen zu schwelgen.
Bevor es hier schon weiter geht: Sehr geiles Review, @Prodigal Son!

Ich empfinde den kleinen Bruder heute wie auch schon damals als nicht sooo viel kleiner als den großen Bruder. Wären die Highlights zum Ende hin nicht knapp geworden, hätten es zumindest zweieiige Zwillinge werden können.
 
ANOTHER PERFECT DAY (UK, Bronze 1983)

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Background

Was macht man, wenn man nach verzögertem Start in kürzester Zeit zur Form des Lebens aufläuft und drei Hit-Alben in Folge raus trümmert?? Genau – man bringt ein Live-Album raus. Und wenn das wider jeglichen Erwartens #1 der UK-Charts wird und allgemein als eins der allergeilsten Live-Werke überhaupt bewertet wird? Nochmal genau – es gibt Schwierigkeiten innerhalb einer Band. Der Erfolg erzeugt Druck, Streits werden heftiger, Egos formen sich aus. Das Folgealbum kann da gar nicht mehr anknüpfen und wird allernorts (zu unrecht) ziemlich verrissen. Noch mehr Streit und Ego-Trips, es knallt heftig. Das Kult-Line-up fällt auseinander. Nach den enttäuschenden Kritiken von „Iron Fist“, die Fast Eddie produziert hat und Lemmy's Dickkopf, der unbedingt ne Single mit Wendy O. Williams aufnehmen will, platzt Eddie der Kragen und er geht - diesmal endgültig (obwohl er die auch noch produziert). Ein neuer kommt im Mai '82. Und der? Passt so gar nicht recht ins Bild, obwohl er Philthy‘s Wunschkandidat war, mit dem an der Seite er endlich als Musiker ernst genommen werden wollte. Der stellt jedoch von Beginn an arrogante Bedingungen, wie dass das Programm auf ihn zugeschnitten werden soll. Allein optisch schon war der rotgelockte Brian „Robbo“ Robertson eine Herausforderung für alle Fans: wenn der Herr und Zuchtmeister in seinem ureigenen Rockeroutfit die Bühne betritt und dafür von allen innig geliebt wird und der leicht irre Philthy sowieso nix falsch machen kann, kommt Robbo in grünen Samt-Shorts, Stirnband und Balletschuhen (!) auf die Bühne. Dass er sich beharrlich immer öfter weigert viele der alten Klassiker und Standards zu zocken, macht es nur schlimmer; er ist oft schon beim Soundcheck total dicht und hat es das ein oder andere Mal grad noch heil aus der Halle geschafft: Nur Lemmy's hohem Ansehen und Reputation ist es zu verdanken, dass die Hell‘s Angels, die einige Gigs organisieren, ihn nicht gleich lynchen! Er stellt eine Provokation pur da. Lemmy beschreibt ihn als Anti-Teamplayer und betont, dass er stets das Gefühl hatte, Robbo wollte gar nicht in der Band sein. Was auf den Touren durch die USA (wo er schnell als Ersatz für Eddie die Iron Fist Tour fertig spielt) und Japan noch gut funktionierte, wurde in Europa zum Desaster für die Band. Nunja, musikalisch zu Unrecht, denn der ex- Thin Lizzy und Wild Horse-Klampfer ist ein hervorragender seiner Zunft und krempelt den Sound der Band erstmal gehörig um! Er spielt weitaus bluesiger als Fast Eddie, ist auch experimentierfreudig und klingt dennoch total heavy. Als „Another Perfect Day“ am 4. Juni 1983 erscheint (und die UK Charts bis Platz 20 erklimmen kann) hat es einen sehr schweren Stand. Die Presse kommt gar nicht gut auf das Album klar und die Fans hassen Robbo (der im November '83 auch schon wieder gehen muss, da Lem die Schnauze von ihm voll hat). Das geht viele Jahre so, nur Lemmy (und ein paar unbelehrbare Fans wie der Autor) verteidigt es seit je her eisern! Und er sollte (wie meistens) Recht behalten: mit den Jahren wird das Album ab ca. zu Beginn der 2000er rehabilitiert und erfährt die wohlverdiente posthume Anerkennung. Und nun komme ich ins Spiel:


Ich und Another Perfect Day

Der 1983 elfjährige Verfasser der Zeilen hier spaziert mit Mutter und Bruder in der Stadt rum, besitzt seit kurzem zwar die ersten paar Maiden-Platten, aber noch gibt es keinen Plattenspieler zuhause. Also schaut er sich vor allem die Tapes in den Auslagen der Musikläden an. In der relativen Kleinstadt in der er aufwuchs, gab es innerhalb weniger hundert Quadratmeter gleich vier Läden, wo man Tonträger ergattern konnte! Die Augen wanderten über die Neuheiten. Da sticht ihm sofort ein krasses Cover ins Auge: ein irgendwie in sich verlaufender Totenschädel, oder sowas, mit Hörnern, in abgefahrenen Farbverläufen. Den Namen der Band hat er schonmal in der Bravo aufgeschnappt, die er regelmäßig wegen der Heavy-Neuheiten abbettelte oder klaute und auch das Tape der Mutter abschwatzen konnte. Daheim das Teil eingelegt – und die Welt war von nun an endgültig eine andere!


So, nun schwenke ich über in Normal-Sprech. Es hat mich und meinen Bruder aus den Socken gehauen! Wir kannten von unserer Mum Purple, Zep, Stones, Floyd, Doors, Hendrix etc., die Oma hat uns zu Elvis-Fans gemacht. Als wir beide ca. '82 auf Maiden kamen und uns „Number Of The Beast“ eine neue Welt zeigte, folgten die Scorpions, Kiss, Saxon, Accept, Whitesnake, Rainbow, Ozzy, AC/DC, Priest, Nugent, Halen, Krokus und was man sonst noch so auf Tape ergattern konnte. Aber DAS hier?? Es war schlicht und ergreifend das geilste und abgefahrenste was wir in unseren sehr jungen Jahren kannten (und was sehr bald von Metallica und v.a. Slayer und Venom übertrumpft werden sollte). Dieser martialische Sound! Die bluesige, aber Dampf machende Klampfe, das fette Drumming und dann diese ungeheuerliche, fiese und abgefuckte aber dennoch irgendwie warme Stimme!! In der Folgezeit wurden Motörhead mit Maiden unsere Gottbands – und sind es bis heute für uns beide! Es sollte noch bis 1986 gehen, bis wir die lauteste Band der Welt live bewundern durften, aber in der Folgezeit haben wir uns alles weitere besorgt. Es kam schließlich der Plattenspieler, da mein Vater sich ne Kompaktanlage kaufte. Wir durften diese „Indianermusik“ allerdings nur via Headphones hören, wenn er Zuhause war. So taten es die Tapes im gnadenlos gefolterten Walkman. Aberwitzige aber schwer sozialisierende Anekdote am Rande: Als wir in den Sommerferien `83 auf Stadtranderholung waren, gab es da auch schon ein paar ältere Kids, die offensichtlich Metal hörten. Uns wollten sie nicht so recht abnehmen, dass wir auch voll auf der dunklen Seite der Macht stünden. Als wir an irgend 'nem Tag im Hof der Herberge standen und zu APD im Walkman bangten, kamen sie auf uns zu und meinten was in der Art „Was hört ihr da?“. Sie hatten uns eh auf dem Kieker, warum auch immer. Jedenfalls entriss einer mir den Kopfhörer und setzte ihn sich auf, verdrehte die Augen und schrie uns an was für eine Assi-Mucke wir denn da hören würden? Er gab das Teil den andern die ihn bestätigten. Als ich sagte das sei Motörhead, betonte er nochmal die Assi-Musik und gab mit ne Ohrfeige (!!), kein Witz! Als ich fragte was sie den so hören würden, gab er mir seinen Walkman und da lief, ganz hart… Van Halen… ich lachte innerlich. So ein Erlebnis bindet, ganz klar, wenn schon die älteren Heavies Motörhead assi finden, wurden diese nun erst Recht unsere Kultband!




Die Platte


Das Covermotiv von Joe Petagno ist ein krasses Meisterwerk! Wie kann man sowas malen? Das Warpig sieht hier so ekelerregend und abstoßend aus, wie aus einem LSD-Horrortrip entsprungen. Genau das richtige, um angehende Halbstarke standepede zu ködern! Petagno listet es unter seinen Top-5 seines gesamten Schaffens! Er kannte laut Aussage nur den Albumtitel, saß in einer unmöbilierten Wohnung in Kopenhagen stilecht auf 'ner Kiste Carlsberg. Ausgangsgedanke war das Overkill-Motiv, so erschuf er dieses krasse Teil „in einem neunstündigen kreativen Rausch“. Auf der Innenhülle der LP ist neben den Texten vorne, hinten ein herrlicher Comic-Strip, der die Ankunft von Robertson zur Band persifliert, klasse, das kann nur Lemmy‘s Humor sein! Produziert hat Studio-Legende Tony Platt und somit eine der best-produzierten Motörhead-LP‘s vor der Cammeron-Zeit gezaubert – der Sound ist super: laut, dicht, vielschichtig, man hört alles 1a heraus und dennoch bleibt die dazugehörige Schippe Dreck an Bord! Seltsam allerdings erstmals auch gedoppelte Gitarren-Spuren.



Die Songs


Wenn das räudig-trademarkige Bass-Intro zu „Back At The Funny Farm“ in das Mainriff umschlägt, bricht sofort der Damm! Ein speediger, treibender Stomper, sehr heavy, nach all dem Chaos kurz zuvor perfekt betitelt, mit den genialen, typischen Lemmy-Humor-Zeilen: „One of us is crazy the other one‘s insane“ und „I really like the jacket but the sleeves are much too long“, so geil! „Shine“ ist ein superber Rocker mit geiler Klampfe, der das Gaspedal nochmals durchdrückt. Es folgt mit „Dancing On Your Grave“ einer der bekanntesten Songs des Albums, schönes Midtempo mit toller Refrain-Melodie! Überhaupt ist es der Hammer, was Robbo auf der Gitarre alles hinlegt! Auch „Rock It“ ist ein cooler Speedy. Mit „One Track Mind“ beschließt ein typischer Motörhead-Long-Track im gemäßigteren Blues-Tempo die B-Seite, der „Iron Horse“ oder „The Chase Is Better...“ in gar nichts nach steht und zu den besten Songs der Platte gehört! Die B-Seite beginnt nochmals mit einem Long-Track, der Titeltrack ist ein toller Midtempo-Hit inkl. grandioser Zeile: „The truth is only black and white, no shade of grey. It‘s easy answers babe but it‘s the hell to pay“! Mit „Marching Off To War“ kommt ein Anti-Kriegs-Song, wie Lemmy noch einige folgen lassen wird („Up for your last long ride, maybe God‘s on the other side“), es wird wird wieder schneller, klasse Teil! „I Got Mine“ (super Refrain!) rockt ebenfalls fetzig nach vorne los. Auch das tolle „Tales Of Glory“ drosselt das Tempo nicht merklich. Der Abschlußtrack ist dann mein eigentlicher Fave der Platte: das für die Band passend betitelte „Die You Bastard!“ ist ein schön fieser, hässlicher – eben - Bastard, beginnt mit nem Rülpser von Lemmy und dreckigem Bass-Intro, das in eine absolute Granate über geht, die für mich den Thrash Metal vorweg genommen hat und unbedingt mal gecovert gehört, was ein Basher mit furiosem Finale!!




Fazit


Another Perfect Day ist eine großartige, von den Fans - trotz quasi post-Absolution - zu Unrecht viel zu oft übergangene Platte, auf der es echt viel zu entdecken gibt! Und die Trademarks waren alle trotz des krassen Wechsels noch immer da: Der/das Speed, der Blues, der Dreck, der Rock‘n‘Roll, die coolen unnachahmlichen Texte, der ureigene Humor vom Lemster und Philthy, das Chaos, der Jackie, ergo einfach tolle Songs voll Lebensgefühl und Augenzwinkern. Und trotzdem war etwas gehörig anders diesmal. Ich persönlich hätte gerne noch eine Platte in dem Stil und der Besetzung gehabt. Lemmy schreibt letzlich in seiner Autobiografie selbstreflexiv über die Platte: „Our Fans hated it… They thought we were ‚going commercial‘. I think Another Perfect Day was a good change for us and maybe it was a mistake that we didn‘t experiment more earlier. Maybe we should have carried on in that direction… But not with Brian!“. Kann man so stehen lassen.




Tipps


Ganz klar das Vinyl mit dem tollen, abgefahrenen Cover in groß samt lustigem Comic auf der Innenhülle. Diesmal hat Bronze keine Erstauflage in andersfarbigem Vinyl spendiert – ein Vorzeichen auf die Trennung von der Band bereits? Jedoch gibt es aus Kolumbien eine Cover-Farbvariante – die ham einfach das rot vergessen, sieht schräg aus, genau wie die Südkorea-Version in blauem Cover! Via Earmark gibt es eine Version von 2004 aus Italien mit extra Maxi mit den B-Seiten der Singles. Man kann auch die beiden ausgekoppelten Singles sich blind zulegen. Auf der 12“-Version von „I Got Mine“ gibt es auf der B noch knackige Live-Versionen von „Hoochie-Coochie-Man“ sowie „(Don‘t Need) Religion“ inkl. komischem Artwork (remember Misfits!), auf der „I Got Mine“ hinten drauf den Non-LP-Track „Turn You Round Again“ und nochmals „Tales Of Glory“. Es gibt noch ne deutlich seltenere Promo Maxi mit „One Track Mind“, „Rock It“ und „I Got Mine“ drauf, wobei es sich beim ersten und letzten um andere Versionen handelt. Was ich aber besonders geil finde, sind Live-Aufnahmen von den Touren zum Album, gerade weil die meisten Songs super selten live zu hören sind/waren. Hier empfehle ich die '91 auf Streetlink erschienene und schlicht „Live 1983“ betitelte LP in der schönen Picture-Disc Verison mit einem tollen Mitschnitt aus Sheffield vom 9. Juni '83 mit 12 Stücken oder aber auch die erweiterte CD-Version mit 16 Songs! Auch „18-10-1983 Lyon France“ (der aber in Wirklichkeit im Oktober '82 in Belgien mitgeschnitten wurde?..) geht ok mit sehr schönem Poster-Sleeve. Von Sanctuary Midline gibt es eine 2x-CD von APD mit nem 18 Songs-Mitschnitt aus dem Manchester Apollo vom 10. Juni '83. Bekannter ist die CD „King Bisquit Flower presents“ mit nem Mitschnitt aus New York vom 10. August '83. Ich hab noch ne Boot-CD namens „I Got Mine“ aus Holland.






Als Rechereche-Quelle dienten: Motörhead – Das große Sonderheft (Rock Classics, 2015); Sönderheft Motörhead (Metal Hammer Legenden 2013/16); Sonderausgabe Motörhead (Rock Hard, 2011); Motörhead 1975-2005 30th Anniversary Fanzine (Tim C. Werner, 2005); Motörhead Rock Hard Special (Götz Kühnemund 2008); The Motörhead Collector‘s Guide (Mick Stevenson, Aufl. 2011); White Line Fever (Lemmy, engl. Erstauflage 2003); Motörhead – Live To Win (Alan Burridge, 2010); Motörhead In The Studio (Jake Brown, 2010).

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(Backcover und Innenhülle)
 
scheiss Formatierung, sorry!
kriege Änderungen bezüglich Text zusammen ziehen hie rnicht hin, zeigt mir immer geht nicht weil mehr als 15.000 Zeihen, naja, is dann so.
 
Warum die "Another Perfect Day" musikalisch bei manchen Fans schlechter abschneidet als andere Alben, hab ich noch nie begriffen. Klar, die Fast Eddie-Fans konnten sich nur schlecht an Robbo gewöhnen, das macht die Mucke aber keinen Deut schlechter. Ich werde mich ganz sicher niemals selber quälen und ne Highscore-Liste aller Motörhead-Alben basteln (würde sich eh laufend ändern), aber mich würde es nicht wundern, wenn APD einen einstelligen Platz in dieser Liste belegen würde.
Im Rückblick betrachtet klingt APD erwachsener als es die vorherigen Alben getan haben. Der warme Sound mag vielleicht etwas von dem sonst so gewohnten Rotz'n'Roll wegnehmen, dafür hat das Album aber keinen einzigen Füllsong und ist auf einem gleichbleibenden hohen Niveau angesiedelt. ♠
 
ANOTHER PERFECT DAY (UK, Bronze 1983)

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Background

Was macht man, wenn man nach verzögertem Start in kürzester Zeit zur Form des Lebens aufläuft und drei Hit-Alben in Folge raus trümmert?? Genau – man bringt ein Live-Album raus. Und wenn das wider jeglichen Erwartens #1 der UK-Charts wird und allgemein als eins der allergeilsten Live-Werke überhaupt bewertet wird? Nochmal genau – es gibt Schwierigkeiten innerhalb einer Band. Der Erfolg erzeugt Druck, Streits werden heftiger, Egos formen sich aus. Das Folgealbum kann da gar nicht mehr anknüpfen und wird allernorts (zu unrecht) ziemlich verrissen. Noch mehr Streit und Ego-Trips, es knallt heftig. Das Kult-Line-up fällt auseinander. Nach den enttäuschenden Kritiken von „Iron Fist“, die Fast Eddie produziert hat und Lemmy's Dickkopf, der unbedingt ne Single mit Wendy O. Williams aufnehmen will, platzt Eddie der Kragen und er geht - diesmal endgültig (obwohl er die auch noch produziert). Ein neuer kommt im Mai '82. Und der? Passt so gar nicht recht ins Bild, obwohl er Philthy‘s Wunschkandidat war, mit dem an der Seite er endlich als Musiker ernst genommen werden wollte. Der stellt jedoch von Beginn an arrogante Bedingungen, wie dass das Programm auf ihn zugeschnitten werden soll. Allein optisch schon war der rotgelockte Brian „Robbo“ Robertson eine Herausforderung für alle Fans: wenn der Herr und Zuchtmeister in seinem ureigenen Rockeroutfit die Bühne betritt und dafür von allen innig geliebt wird und der leicht irre Philthy sowieso nix falsch machen kann, kommt Robbo in grünen Samt-Shorts, Stirnband und Balletschuhen (!) auf die Bühne. Dass er sich beharrlich immer öfter weigert viele der alten Klassiker und Standards zu zocken, macht es nur schlimmer; er ist oft schon beim Soundcheck total dicht und hat es das ein oder andere Mal grad noch heil aus der Halle geschafft: Nur Lemmy's hohem Ansehen und Reputation ist es zu verdanken, dass die Hell‘s Angels, die einige Gigs organisieren, ihn nicht gleich lynchen! Er stellt eine Provokation pur da. Lemmy beschreibt ihn als Anti-Teamplayer und betont, dass er stets das Gefühl hatte, Robbo wollte gar nicht in der Band sein. Was auf den Touren durch die USA (wo er schnell als Ersatz für Eddie die Iron Fist Tour fertig spielt) und Japan noch gut funktionierte, wurde in Europa zum Desaster für die Band. Nunja, musikalisch zu Unrecht, denn der ex- Thin Lizzy und Wild Horse-Klampfer ist ein hervorragender seiner Zunft und krempelt den Sound der Band erstmal gehörig um! Er spielt weitaus bluesiger als Fast Eddie, ist auch experimentierfreudig und klingt dennoch total heavy. Als „Another Perfect Day“ am 4. Juni 1983 erscheint (und die UK Charts bis Platz 20 erklimmen kann) hat es einen sehr schweren Stand. Die Presse kommt gar nicht gut auf das Album klar und die Fans hassen Robbo (der im November '83 auch schon wieder gehen muss, da Lem die Schnauze von ihm voll hat). Das geht viele Jahre so, nur Lemmy (und ein paar unbelehrbare Fans wie der Autor) verteidigt es seit je her eisern! Und er sollte (wie meistens) Recht behalten: mit den Jahren wird das Album ab ca. zu Beginn der 2000er rehabilitiert und erfährt die wohlverdiente posthume Anerkennung. Und nun komme ich ins Spiel:


Ich und Another Perfect Day

Der 1983 elfjährige Verfasser der Zeilen hier spaziert mit Mutter und Bruder in der Stadt rum, besitzt seit kurzem zwar die ersten paar Maiden-Platten, aber noch gibt es keinen Plattenspieler zuhause. Also schaut er sich vor allem die Tapes in den Auslagen der Musikläden an. In der relativen Kleinstadt in der er aufwuchs, gab es innerhalb weniger hundert Quadratmeter gleich vier Läden, wo man Tonträger ergattern konnte! Die Augen wanderten über die Neuheiten. Da sticht ihm sofort ein krasses Cover ins Auge: ein irgendwie in sich verlaufender Totenschädel, oder sowas, mit Hörnern, in abgefahrenen Farbverläufen. Den Namen der Band hat er schonmal in der Bravo aufgeschnappt, die er regelmäßig wegen der Heavy-Neuheiten abbettelte oder klaute und auch das Tape der Mutter abschwatzen konnte. Daheim das Teil eingelegt – und die Welt war von nun an endgültig eine andere!


So, nun schwenke ich über in Normal-Sprech. Es hat mich und meinen Bruder aus den Socken gehauen! Wir kannten von unserer Mum Purple, Zep, Stones, Floyd, Doors, Hendrix etc., die Oma hat uns zu Elvis-Fans gemacht. Als wir beide ca. '82 auf Maiden kamen und uns „Number Of The Beast“ eine neue Welt zeigte, folgten die Scorpions, Kiss, Saxon, Accept, Whitesnake, Rainbow, Ozzy, AC/DC, Priest, Nugent, Halen, Krokus und was man sonst noch so auf Tape ergattern konnte. Aber DAS hier?? Es war schlicht und ergreifend das geilste und abgefahrenste was wir in unseren sehr jungen Jahren kannten (und was sehr bald von Metallica und v.a. Slayer und Venom übertrumpft werden sollte). Dieser martialische Sound! Die bluesige, aber Dampf machende Klampfe, das fette Drumming und dann diese ungeheuerliche, fiese und abgefuckte aber dennoch irgendwie warme Stimme!! In der Folgezeit wurden Motörhead mit Maiden unsere Gottbands – und sind es bis heute für uns beide! Es sollte noch bis 1986 gehen, bis wir die lauteste Band der Welt live bewundern durften, aber in der Folgezeit haben wir uns alles weitere besorgt. Es kam schließlich der Plattenspieler, da mein Vater sich ne Kompaktanlage kaufte. Wir durften diese „Indianermusik“ allerdings nur via Headphones hören, wenn er Zuhause war. So taten es die Tapes im gnadenlos gefolterten Walkman. Aberwitzige aber schwer sozialisierende Anekdote am Rande: Als wir in den Sommerferien `83 auf Stadtranderholung waren, gab es da auch schon ein paar ältere Kids, die offensichtlich Metal hörten. Uns wollten sie nicht so recht abnehmen, dass wir auch voll auf der dunklen Seite der Macht stünden. Als wir an irgend 'nem Tag im Hof der Herberge standen und zu APD im Walkman bangten, kamen sie auf uns zu und meinten was in der Art „Was hört ihr da?“. Sie hatten uns eh auf dem Kieker, warum auch immer. Jedenfalls entriss einer mir den Kopfhörer und setzte ihn sich auf, verdrehte die Augen und schrie uns an was für eine Assi-Mucke wir denn da hören würden? Er gab das Teil den andern die ihn bestätigten. Als ich sagte das sei Motörhead, betonte er nochmal die Assi-Musik und gab mit ne Ohrfeige (!!), kein Witz! Als ich fragte was sie den so hören würden, gab er mir seinen Walkman und da lief, ganz hart… Van Halen… ich lachte innerlich. So ein Erlebnis bindet, ganz klar, wenn schon die älteren Heavies Motörhead assi finden, wurden diese nun erst Recht unsere Kultband!




Die Platte


Das Covermotiv von Joe Petagno ist ein krasses Meisterwerk! Wie kann man sowas malen? Das Warpig sieht hier so ekelerregend und abstoßend aus, wie aus einem LSD-Horrortrip entsprungen. Genau das richtige, um angehende Halbstarke standepede zu ködern! Petagno listet es unter seinen Top-5 seines gesamten Schaffens! Er kannte laut Aussage nur den Albumtitel, saß in einer unmöbilierten Wohnung in Kopenhagen stilecht auf 'ner Kiste Carlsberg. Ausgangsgedanke war das Overkill-Motiv, so erschuf er dieses krasse Teil „in einem neunstündigen kreativen Rausch“. Auf der Innenhülle der LP ist neben den Texten vorne, hinten ein herrlicher Comic-Strip, der die Ankunft von Robertson zur Band persifliert, klasse, das kann nur Lemmy‘s Humor sein! Produziert hat Studio-Legende Tony Platt und somit eine der best-produzierten Motörhead-LP‘s vor der Cammeron-Zeit gezaubert – der Sound ist super: laut, dicht, vielschichtig, man hört alles 1a heraus und dennoch bleibt die dazugehörige Schippe Dreck an Bord! Seltsam allerdings erstmals auch gedoppelte Gitarren-Spuren.









Als Rechereche-Quelle dienten: Motörhead – Das große Sonderheft (Rock Classics, 2015); Sönderheft Motörhead (Metal Hammer Legenden 2013/16); Sonderausgabe Motörhead (Rock Hard, 2011); Motörhead 1975-2005 30th Anniversary Fanzine (Tim C. Werner, 2005); Motörhead Rock Hard Special (Götz Kühnemund 2008); The Motörhead Collector‘s Guide (Mick Stevenson, Aufl. 2011); White Line Fever (Lemmy, engl. Erstauflage 2003); Motörhead – Live To Win (Alan Burridge, 2010); Motörhead In The Studio (Jake Brown, 2010).
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(Backcover und Innenhülle)

Saugeiles Review, danke Dir:top::top: (mach Dir wg. der Formatierung keinen Kopp - ich musste nach dem Kopieren aus Word auch JEDE Zeile nochmal per Tab einziehen... der Inhalt zählt)
Du hast mit Deiner Einschätzung natürlich vollkommen recht. Das Album, und vor allem das Coverartwork, sind einfach nur :verehr::verehr::verehr: Dass das Album nach Fast Eddies Ausstieg und durch Robbo's negatives Verhalten einen schweren Stand hatte, ist irgendwo ziemlich verständlich. Die Anerkennung, die das Album seit vielen Jahren dann aber doch genießt, zeigt nur wie viele geile Songs auf dem Album sind.

Meine Faves: Back At The Funny Farm, Rock It, One Track Mind, Shine. Vedammt! Das Artwork ist wirklich brilliant - für 1983 muss das richtig "hart" gewesen sein:cool:
 
Wahnsinn! Was für ein Thread!!! Special Thanks an alle, die hier die Platten so genial rezensieren. Gerade auch das Hintergrundwissen und die ganzen Anekdoten sind einfach nur der Hammer.So viel Motörhead wie ich in letzter Zeit gehört habe, hab ich schon lange nicht mehr. Gerade auch einige der alten Platten hatte ich immer etwas stiefmütterlich behandelt. Durch diesen Thread bin ich beim erneuten Anhören mal etwas anders an die Sache rangegangen. Geil, einfach nur geil! Danke dafür!
 
Auch wieder sehr lesenswerte Ausführungen. Herzlichen Dank @Fallen Idol 666 !!!!

Lemmy sagte mal, "Another Perfect Day" sei im Laufe der Jahre "gereift wie ein alter Käse" :D.

Ich mochte die Platte auch immer schon. Die alte Besetzung war nach 5 Jahren nonstop auf der Überholspur doch sichtlich ausgebrannt und die neuen musikalischen Einflüsse taten der Band hörbar gut. APD ist mit Abstand eines der musikalisch interessantesten Alben im gesamten Backkatalog und die Gitarrenarbeit ist schlicht fantastisch.

Wegen ihrer melodischeren Ausrichtung war APD dann auch das Motörhead-Album, mit dem ich meine bis dahin doch eher kritischen Kumpels von der Band letztendlich überzeugen konnte. Schon die bloße Information, dass ein ehemaliger Thin Lizzy nun dabei war, ließ vor allem die älteren Hardrock-Fans mal genauer hinhören. Ab da waren Motörhead bei ihnen rehabilitiert und im Kreis der ernstzunehmenden Bands angekommen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Edit: So ein Mist, es ist ja schon another perfect Day! Wie peinlich! Wie gleichzeitig erfreulich!

@Fallen Idol 666 allererste Over-the-top-Sahne dein Review! APD ist meine "2. große Motörhead-Liebe" und ich schreibe dann bei Gelegenheit noch was dazu!



Originalpost:

Mir geht es da auch ähnlich wie @The Sleeping Tyrant - IRON FIST ist ein großartiges, leichtfüßiges Album zum am-Stück-hören und vermutlich auch in meinen MH-Top 5. Zwar sind ein paar etwas "seichtere" Songs drauf, aber ich kann mit "Sex & Outrage" oder "Loser" genausoviel Spaß haben wie mit den anderen Songs. IRON FIST dürfte allgemein den schlechtesten Sound bzw. die unsauberste Produktion der MH-Alben dieser Dekade haben, aber irgendwie hat mich das nie sonderlich gestört.
 
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