… and if it’s all there is, it ain’t so bad:
Rock’n’Roll (1987)
ROCK’N’ROLL war nicht mein erstes Motörhead-Album, das war KISS OF DEATH. Damals, zum Erscheinungsdatum von KISS OF DEATH, war ich in meiner Metal-Sozialisation grade so weit dass ich mitbekommen habe wenn eine Band der Größenordnung Motörhead ein neues Album veröffentlicht. Mir war damals recht schnell klar das Motörhead keinen Metal spielen, und auch wenn ich mich ein bisschen gewundert hatte wieso eine eindeutige nicht-Metal-Band zum Kanon der „unverzichtbaren“ Bands gezählt wurde, habe ich von solchen Fragen nicht lange aufhalten lassen. Ich wollte Heavy Metal hören, Motörhead spielten keinen Heavy Metal, damit hatte sich das für die nächsten zwei, drei Jahre.
Dann kam der Zivildienst, damals nur mehr 9 Monate Pflicht, eine ziemlich intensive Zeit, da ich zwar noch bei meinen Eltern wohnte, aber sich durch das monatliche Verpflegungsgeld ganz neue Möglichkeiten auftaten. Erstmals richtig Geld haben, nie mehr Schule und keine Verpflichtungen, außer hin und wieder in der Arbeit aufzutauchen. Natürlich hab ich die halbe Woche gesoffen, und meiner Erinnerung nach schaffte ich es auch, in den 9 Monaten vier Diensträder zu schrotten, was u.a. daran lag, dass ich erst lernen musste, betrunken Rad zu fahren (an dieser Stelle sei angemerkt, dass man den Beitrag bitte im Kontext dieses Lebensabschnitts lesen muss und ich vieles heute anders machen würde). Und irgendwann zu dieser Zeit hatte mir der Freund meiner Tante, ein für mich prägender Charakter – ausgiebig tätowiert, Zeit seines Lebens Rocker und Metalhead, ein ex-Biker – einen Motörhead-Sampler zusammengestellt, eine seiner Lieblingsbands. Weil ich mich immer an das gehalten hab was er mir gesagt hat, hab ich den dann auch gehört, vor allem auf meinem alten Discman auf dem Weg in die Arbeit oder von der Arbeit auf dem Weg in die Kneipe. Der erste Song, die Eröffnung auf diesem 15-Track-Sampler war „Rock’n’Roll“, der zusammen mit „Damage Case“ und „Eat the Rich“ schnell mein Lieblingssong wurde. Damit ist zu einem Teil schon erklärt, wieso ich mich für dieses Album gemeldet habe. Aber die Geschichte ist noch nicht vorbei.
Das einzige Bild, das ich von mir aus diesem bedeutsamen Jahr finden konnte (leider ohne MH-Shirt): Zopilote am vorletzten Schultag - das Bild hat meine Klassenlehrerin während der Englisch-Matura gemacht. Passend zum Anlass hatte ich mein "British Steel" an - was soll ich sagen, hat geholfen.
Es ergab sich zu dieser Zeit, dass in meiner Heimatstadt auch ein hitziger Wahlkampf geführt wurde. Der lokale Ableger unserer Rechtsaußen-Partei –heute in der Regierung – hatte für diesen Wahlkampf nicht nur ein bis dato nie gesehenes Werbebudget veranschlagt, sondern übertraf sich auch selbst mit jenseitigen Ansagen an die lokale muslimische Community („Sollen lieber Schafe vergewaltigen als österreichische Frauen“, „Schon Mohammed war ein Kinderschänder“, etc.) und entsprechenden Plakaten („Daham statt Islam“ erlangte überregionale Bekanntheit, war aber noch nicht das Schlimmste). Neu war daran auch, dass es praktisch keinen Weg mehr gab, diesem Wahlkampf zu entgehen, da die Straßen flächendeckend mit Dreiecksständern, vor allem dieser Partei, und den entsprechenden Sprüchen zugepflastert waren. Jeden Tag hatte ich also auf dem Weg zur Arbeit ca. zwei Kilometer mit entsprechenden Ankündungen zu passieren, und fühlte mich zunehmend unwohl damit. Nicht nur dass ich damals schon muslimische Freunde hatte (die „Omaniacs“, bis heute die einzige Metalcrew des Oman – aber das ist eine andere Geschichte) und ich mir an ihrer Stelle persönlich angegriffen fühlte, ich konnte auch nicht einsehen wie ich in „meiner Stadt“ dazu kam, jeden Tag mit diesem Mist bombardiert zu werden. Über solche Sachen dachte ich also nach während ich morgens in die Arbeit radelte. Die schlechte Laune mit der ich dann normalerweise dort ankam wurde unter den Kollegen schnell legendär, und eines Tages stellte mich mein Chef zur Rede. Gradeaus wie ich damals war
schilderte ich ihm also mein Leid, und zu meinem Erstaunen nickte er nur - und sagte nichts weiter. Am nächsten Morgen kam er wie gewohnt zu mir ins Büro und drückte mir mit den Worten „Ich war gestern im Baumarkt“ eine kleine Zange in die Hand. Ich hatte erstmal keine Ahnung was das sollte. Auf Nachfrage kam nur ein langer Blick und schließlich der Satz: „Das ist ein Seitenschneider. Er durchtrennt Drähte und Kabelbinder.“
Move over for a Damage Case! In den nächsten Wochen wurde vor dem Weg in die Kneipe öfters noch eine Extratour eingelegt. Herzklopfen bis zum Hals, schwitzige Hände in den Taschen vom Kapuzenpulli, und immer Motörhead in den Ohren machte ich mich dran, meinen Weg in die Arbeit werbefrei zu machen. Zweimal *clip, clip*, und schon konnte man eins von den Dingern zusammenfalten und ans nächste Haus lehnen. Mama’s Stimme im Kopf sagt: „Sachbeschädigung!“, Papa’s Stimme hält dagegen: „Selbstverteidigung!“. So oder so war es natürlich sehr aufregend für mich – vor allem die Erfahrung, mal nicht nur die große Klappe zu haben (darin war ich immer gut), sondern selbst was anzupacken. Motörhead war für mich der Soundtrack zu dieser Erfahrung. Mein Englisch war schon gut genug um zu verstehen dass Lemmy seine Songs nicht unbedingt für mich geschrieben hatte – tatsächlich ging es ja in meinen drei Lieblingsliedern mehr um Sex als um sonstwas – aber wie so oft zählt das Gefühl, das sich beim Hören einstellt, noch ein bisschen mehr. Dieses rebellische, unverrückbare Bassspiel, die zwingenden, energischen Riffs, und diese Stimme, die einfach durch das „Wie“ schon zu sagen scheint „tu was du für Richtig hältst, und steh dazu!“ – das passte einfach. Bald schon fuhr ich den Weg zur Arbeit wieder mit einem Grinsen im Gesicht entlang. Und das war der Beginn meiner persönlichen Motörhead-Geschichte.
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Philthy is back!!
“They say music’s the food of love, let’s see if you’re hungry enough!”
Der Sampler aus diesen Tagen ist irgendwann den Weg aller selbstgebrannten CDs gegangen und nicht mehr in meinem Besitz. Das Album das den Motörhead-Spirit dieser Geschichte am Meisten für mich verkörpert ist ROCK N ROLL. Wie viele Nummern könnte der Titelsong auch die programmatische Nummer für die Band an sich sein: „I got Rock n Roll / to save me from the cold / and if it’s all there is, it ain’t so bad!“. Auch diese verschmitzte Art des Texteschreibens, in der Herr K. immer noch eine anzügliche oder augenzwinkernde Anspielung in Songs unterbringt, die augenscheinlich ein ganz anderes Thema haben, ist für mich eine der Trademarks der Band. Ich lese es als ein Kopfnicken an die ganz frühe Rock’n’Roll-Geschichte bzw. seine persönliche Leidenschaft für diese, das Lemmy hier die Ursprungsbedeutung des Begriffs wieder entstaubt und „Rock n Roll“ im Songkontext auch als Synonym für ein ungezügeltes Liebesleben funktioniert, wie in der letzten Strophe am deutlichsten wird: „I can't imagine growin' old with anyone / Marching to a different drum, I hear a different song / I swear I love 'em all, I don't care if they're small / I don't care if they're tall, love 'em anyway“.
“Eat the Rich“ wurde extra für den gleichnamigen Richardson-Film komponiert, und taucht dort mit fünf anderen Motörhead-Songs in den Credits auf (und Lemmy spielt „Spider“, wie man an dieser Stelle nochmal in Erinnerung rufen sollte). Ich schätze “Eat the Rich” gilt völlig zurecht als der “Hit” des Albums – ich persönlich finde den Track so vielseitig und lecker wie eine bunt belegte Pizza, und die Lyrics gehören zu meinen liebsten Motörhead-Texten überhaupt. Warum so einen Nonsenstext feiern, wo es doch so viele mit tiefergehenden Bedeutungen gibt? Ganz einfach:
niemand hat
jemals so cool über „Essen“ gesungen. „Is that the meat you wanted to eat? How would you ever know?“ Das ist so ein guter Humor, und gerade bei der halbwegs ernsthaften Darbietung merkt man dass Lemmy es so faustdick hinter den Ohren hat dass ich jedes Mal innerlich grinsen muss. Und denkt mal, wie viele Rock- und Metalmusiker in sagen wir „fortgeschrittenem Alter“ der Meinung waren, seriöser und nachdenklicher werden zu müssen – nicht aber Lemmy: „Side order could be your daughter – finger lickin‘ good!“
„Blackheart“ ist dann in meiner Wahrnehmung ein eher übersehener Song, ein Mauerblümchen zwischen den Giganten, die sich auf dem Album tummeln. Aber alleine das Bassspiel ist animalisch und brutal wie nur was, und wer den Song nicht mag soll mal auf die Bridge nach dem Solo achten – extrem cool.
Mit "Stone Deaf in the USA" folgt eine (die erste?) ausführliche Liebeserklärung an die USA, die, wie ich mir vorstelle, auch vor dem Hintergrund von Lemmy’s Herkunft aus dem tristen Hinterland von Staffordshire, für ihn immer etwas ganz besonderes gewesen sein muss. Auch sein späteres zweites Zuhause, der/die Rainbow Bar & Grill, findet schon eine Erwähnung. Und tatsächlich hat er seinen Worten nach der Veröffentlichung von ROCK N ROLL dann auch Taten folgen lassen und zog endlich nach Los Angeles um.
"Bless thou these people from Motörhead ..."
Dann der Segensspruch von Monty Python’s Michael Palin, Besitzer der Redwood Studios in London, in denen ROCK N ROLL aufgenommen wurde, frei nach „A Life of Brian“. Eine witzige Idee, die schon zu der eher lockeren Grundstimmung des Albums passt. Obwohl ich zugeben muss, dass ich auch schon genervt davon war, gerade beim Hören mit Kopfhörern fühlt man sich gelegentlich aus dem „Fluss“ gerissen.
Erstaunlicherweise gilt ROCK N ROLL als ein schwächeres Album der Band, sowohl unter Kritikern als auch unter (Orgasmatron-)Fans. Wenn man die Leute dann aber fragt, was denn die guten, was die schlechten Nummern seien, bekommt man hundert verschiedene Antworten, was für mich schon wieder für das Album spricht. Auch erstaunlich: laut „White Line Fever“ war die Band nie zufrieden mit dem Sound – für mich hat unter den 80er-Alben nur „Ace of Spades“ die Nase vorn.
Es folgt ein Doppelschlag, der das Album deutlich brutaler und düsterer werden lässt als es bis dato der Fall war. „The Wolf“ lebt von einem wahrlich blutrünstigen Leadriff, das alleine die Message schon rüberbringt – das Wolfsgeheul vorn und hinten an hätte es vielleicht nicht gebraucht. Dann „Traitor“, dass sich über längere Zeiten in den Live-Sets der Band gehalten hat: steht in der Geschichte der (von mir so bezeichneten) Motörhead-Abrechnungs-Songs und kommt tatsächlich auch eher gewalttätig daher. Könnte gefühlt auch auf Orgasmatron gestanden haben. Der Refrain ist gefühlt immer zwei Zeilen länger als er sein sollte, was ich aber positiv werte weil er zur Halbwertszeit des Songs nicht unerheblich beiträgt. Nur durch das Fadeout am Schluss wirkt der Song etwas unfertig.
„Dogs“ mag ich wiederum sehr gerne, wobei es hier klar der Text und die Ansprache sind, die den Song für mich besonders machen. Das Lemmy textlich gerne mal gegen die politische Klasse ausholt, vor allem aus einer Antikriegsposition heraus, ist allgemein bekannt, aber selten geschieht es so vernichtend und zynisch wie hier:
„Your fathers, daughters, mothers and sons
Have been taken by the chosen ones
But don't forget you made the choice,
You made your mark, you raised your voice,
They're all the same, you're all to blame“
"The only one babe, to ever break my heart was you! "
Es folgt das Herzstück meiner Motörhead-Welt. Dürfte ich nur einen Song haben von allen, wäre das „All for You“. Der ist eine Welt in sich. Gibt es irgendeine Band, die Songs schreiben kann die so nach vorne gehen und trotzdem so melancholisch sind? Das Hauptriff ist eines der besten aller Zeiten, und der Song scheint auch nur dafür geschrieben, für jemanden der wichtigste Song zu sein. In den – sehr, sehr seltenen – Momenten wo ich über mein Leben nachdenke und Vergangenes vorüberziehen lasse höre ich dazu „All for You“ im Hintergrund laufen – egal ob es grade tatsächlich an ist oder nicht. Nicht in einer Herzschmerz-Perspektive, oder in einer „Ich habe mich für euch aufgeopfert“-Tränchen-Verdrück-Schiene, bewahre. Bin auch kein Nostalgiker, No Sir! Wieder ist die Musik größer als das Thema des Songs.
„You always found a spark - to light my light“ – das kann ich ganz ehrlich über Motörhead sagen, und besonders über dieses Lied.
Das Spektakel endet mit "Boogeyman", einem weiteren meiner All-Time-Faves. Diesmal ist der Text einfach nur Blödelei, dafür rockt die Nummer so unfassbar hart, dass einem die Spucke wegbleibt. Lemmy hat wiedermal in seine Original Rock'n'Roll-Trickkiste gegriffen und offensichtlich beabsichtigt, einen Boogie-Song zu schreiben. So krass wie "Boogeyman" auch daherkommt, man
kann Boogie dazu tanzen (ich habe mir jüngst per YouTube-Tutorial die Grundschritte beigebracht und das gleich mit meiner Freundin ausprobiert) - so you actually
can Boogie with the Boogeyman!
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