Sandman
Till Deaf Do Us Part
Gestern und heute habe ich mich mal durch die komplette Discographie (Studio-Alben) der brasilianischen Urgesteine gehört. SEPULTURA zählen seit der „Chaos A.D.“ zu meinen Lieblingsbands … und das nicht nur trotz, sondern vor allem seit der Mann am Mikro ein anderer ist.
„Morbid Visions“ wäre kein Album gewesen, mit dem mich die Band damals besonders beeindruckt hätte. Vieles, was SEPULTURA später ausmachen sollte, ist hier schon in Ansätzen vorhanden. Insgesamt ist mir die Nummer aber noch viel zu unausgewogen.
„Schizophrenia“ setzt den Weg des Erstlings fort und bietet schon so etwas wie Struktur, knüppelt aber genauso hart aus den Boxen wie das Debüt.
„Beneath the Remains“ merkt man erstmals deutlich die Handschrift von Andreas Kisser an, der hier schon einige geniale Riffs zaubert. Für Death- und Thrash-Metal-Fans ganz sicher ein Klassiker.
Mit „Arise“ hat sich die Band dann endgültig freigestrampelt und einen Sound gefunden, der bis zum heutigen Tag unverkennbar geblieben ist. Ein Song wie ‚Desperate Cry‘ zählt immer noch zu meinen Lieblingsstücken der Band.
„Chaos A.D.“, das erfolgreichste Album von SEPULTURA war erst Segen und dann Fluch. Mit diesem Album stieß die Band in Dimensionen vor, von denen sie zuvor nur träumen konnten. Über 20 Jahre später müssen sie sich immer noch an dieser Scheibe messen lassen und dabei können sie dann nur verlieren.
Zwischen „Chaos A.D.“ und dem Nachfolger „Roots“ liegen zwar nur drei Jahre, aber im Prinzip doch Welten. Während die 93er-Scheibe noch wie aus einem Guss wirkte, gingen SEPULTURA mit „Roots“ zwar durchaus mutige, aber leider auch unausgewogene Wege. Max sollte später mit seiner neuen Band SOULFLY diesen Weg weiter verfolgen, SEPULTURA taten sich mit dieser Scheibe allerdings keinen Gefallen. Mit vielen tollen Inspirationen versehen, aber ohne klare Linie dümpelt die Platte über weite Strecken vor sich hin und bietet nur noch ganz selten die Stärken der beiden Vorgängeralben.
Der Wechsel von Max Cavalera zu Derrick Green war zuerst ein ziemlicher Schock – ohne Max konnte man sich SEPULTURA einfach nicht vorstellen. Meiner Meinung nach kam der Sängerwechsel zum richtigen Zeitpunkt – der Weg, den Max gehen wollte, wäre nicht der Weg der Band gewesen. „Against“, das erste Album mit Derrick Green, fällt wesentlich besser aus, als man zu hoffen wagte. Die Tribal-Einflüsse von „Roots“ sind nach wie vor vorhanden, hier aber viel zielorientierter und dezenter eingesetzt als beim Vorgängeralbum. Neben einigen Krachern sind genauso viele Füllstücke vorhanden, insgesamt ist „Against“ aber ein Schritt in die richtige Richtung.
„Nation“ erweckt zunächst den Eindruck, schwächer zu sein als sein Vorgänger (für meinen Geschmack ein paar Tribal-Spielerein zuviel), entwickelt aber hinten heraus ungeahnte Stärken. Das Triple „Uma Cura / Who must die? / Sage“ ist ebenso stark wie die Kollaboration mit Jello Biafra in „Politricks“. Derrick Green deutet mehrfach an, dass er nicht nur schreien, sondern auch wirklich singen kann.
„Roorback“ ist in der Green-Ära das SEPULTURA-Album, welchem ich am wenigsten Beachtung geschenkt habe. Die Jungs haben hier kein schlechtes Album abgeliefert, allerdings eines das völlig frei ist von Höhen und Tiefen. Die Tribal-Elemente sind stark herunter gefahren, aber richtig abgehen tut die Platte auch nicht. Für SEPULTURA-Verhältnisse eine Scheibe im Midtempo und in dem Fall dann auch nahe an der Grenze zur Langeweile.
Drei Jahre später hat die Band wieder zurück in die Spur gefunden und liefert das bis dahin stärkste Album der Green-Ära ab. „Dante XXI“ (ein Konzeptalbum, das auf der ‚Göttlichen Komödie‘ von Dante basiert) wartet mit einigen feinen Melodien und Hammerriffs auf, ist stimmig und abwechslungsreich … obwohl (oder gerade weil?) kaum Tribal-Elemente vorhanden sind.
„A-Lex“ ist erneut ein Konzeptalbum (‚A Clockwork Orange‘), nur leider nicht annähernd so gut wie „Dante XXI“. Erneut schaffen es SEPULTURA nicht, zwei hochklassige Alben hintereinander rauszubringen, ähnlich wie „Roorback“ dümpelt auch „A-Lex“ (trotz thematischem roten Faden) zumeist vor sich hin und lässt all das vermissen, was seinen Vorgänger so stark gemacht hatte. Nichts gegen Klassik, aber hinten raus wird es dann mit „Ludwig van“ etwas schwer zu ertragen. Ganz klarer Fall von „zu viel des Guten“.
Auf das erste Highlight von „Kairos“ muss man dann bezeichnenderweise bis zur Coverversion des ‚Ministry‘-Klassikers „Just one fix“ warten. Die nachfolgenden „Dialog“ und „Mask“ können das Niveau noch halten, danach versickert die Platte in relative Belanglosigkeit, weil die Songs extrem austauschbar sind. Gut wird es erst wieder bei „Firestarter“ … also wieder einer Coverversion. Insgesamt eine mehr als enttäuschende Platte.
Nach den letzten beiden Alben hatte ich ehrlich gesagt die Hoffnung aufgegeben, dass SEPULTURA nochmal die Kurve kriegen. „The Mediator between Head and Hands must be the Heart“ kriegt nicht nur die Kurve, sondern ist meiner Meinung nach das beste Album seit „Chaos A.D.“. Die Songs haben Struktur, Tiefe und (wann immer es nötig ist) Härte und bieten immer da kleine Überraschungsmomente, wo auf den letzten Alben eine gewisse Ratlosigkeit zu herrschen schien. Mit „Grief“ haben die Jungs einen Song im Gepäck, von dem ich in ein paar Jahren hoffentlich sagen kann, dass er zu meinen Alltime Faves im Metal zählt.
Meine Rangliste:
01. Chaos A.D.
02. Machine Messiah
03. Arise
04. The Mediator ...
05. Dante XXI
06. Schizophrenia
07. Beneath the Remains
08. Nation
09. Against
10. Roorback
11. Roots
12. A-Lex
13. Kairos
14. Morbid Visions
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