Acrylator
Till Deaf Do Us Part

Ich hab gerade zum ersten Mal seit langer Zeit mal wieder das grandiose Debüt der Band gehört und festgestellt, dass es tatsächlich noch keinen Thread zu dieser Band gibt!
Hab das Album bereits seit Mitte der 90er (damals als CD gekauft) und hatte schon länger Bock auf die Vinylversion, die ich kürzlich auch für 16 Euro inklusive Versand in sehr gutem Zustand gefunden habe! Vinyl ist gerade gewaschen und daher jetzt zum zweiten Mal auf dem Plattenteller (zum Vergleichen, was die Wäsche gebracht hat
Was Markus Steffen (Gitarre, heute SUBSIGNAL), Oliver Holzwarth (Bass) und Alex Holzwarth (Schlagzeug) auf "Life Cycle" (1988) musikalisch abziehen, ist echt der helle Wahnsinn (Sänger Franz Herde ist etwas unauffällig und gewöhnungsbedürftig, passt aber irgendwie zum abgefahrenen Stil der Band)!
Das muss damals eines der rhythmisch komplexesten Alben im Metal gewesen sein und liegt stilistisch irgendwo zwischen technischem Progressive Metal und etwas Thrash - würde sagen, etwas größerer Thrash- und geringerer Jazz-Anteil als bei WATCHTOWER, an die gerade die ersten beiden Stücke auch oft erinnern - allerdings mehr an deren zweites Album "Control And Resistance" das erst ein Jahr nach "Life Cycle" veröffentlicht wurde.
Ansonsten ist der Band damals aber ein sehr eigenständiges Werk gelungen, das nach den Frickelorgien "Repression And Resistance" und "Life Cycle" mit "Apocalyptic Disposition" auch einen eingängigeren, sehr powervollen Song zu bieten hat (überhaupt ist die Scheibe herrlich druckvoll und transparent von Kalle Trapp produziert worden). Beendet wird die A-Seite mit dem wieder musikalisch irrsinnigen "The Roads To Iliad".
Die B-Seite hat eigentlich nur zwei überlange Stücke: das gut 8-minütige "David" und das zwölfeinhalb-minütige "Straggler From Atlantis", in dem sich ruhige und aggressive Passagen abwechseln und trotz aller Komplexität auch genügend prägnante Momente zu hören sind. Z.B. scheut sich die Band nicht davor, auch mal etwas einfachere aber absolut mächtige Riffs einzustreuen.
Den Abschluss bildet dann mit "Arcane" noch ein kurzes, ruhiges Instrumental, das mehr als entspannter, atmosphärischer Ausklang, denn als eigenständiger Song wirkt.
Im Gegensatz zu meinen bisherigen Band-Threads gibt's hier keine detailierten Reviews zu allen Alben, da ich im Moment nicht die Zeit und Muße dazu habe, aber kurz will ich auch noch auf den Rest der Diskografie eingehen, da die Band mehrere krasse, stilistische Wandlungen vollzogen hat:
Schon das zweite Album, "Steps" (1990) war beinahe eine 180°-Wendung: im Gegensatz zum sehr harten, oft schnellen Debüt zeigt sich die Band hier von einer deutlich ruhigeren Seite, Metal-Elemente sind nur noch selten zu hören, eigentlich muss man hier schon eher von (oft ruhigem) Progressive Rock reden.
Was geblieben ist, ist der hohe Komplexitätsgrad und Franz Herdes Stimme (die restlichen Musiker sind auch noch die selben wie vorher).
Eigentlich ist dieses Album sogar noch fordernder als "Life Cycle", denn die Melodien sind oft noch schräger und unvorhersehbarer, der Gesang bei der ruhigeren Musik potenziell auch noch nerviger, da er hier mehr zur Geltung kommt (es gibt aber auch ausgedehnte Instrumentalpassagen). Wenn man damit klarkommt, erwartet einen aber eines der anspruchsvollsten und eigenständigsten Alben, die jemals aus Deutschland kamen - nur Eingängigkeit darf man nicht erwarten... (ich selbst bin noch am Entdecken - habe das Album als letztes erstanden und noch nicht allzu oft gehört, da es volle Aufmerksamkeit erfordert)
Danach gab's einen Sänger- und einen erneuten Stilwechsel (obwohl es im Progrock bleibt): "A Sense Of Change" (1991) klingt über weite Strecken tatsächlich nach Früh-80er-RUSH, allerdings ohne deren Hits, also auch nicht wirklich viel eingängiger als die beiden Vorgänger (etwas aber schon, nur eben bei weitem nicht so eingängig wie Rush). Ist schon auch ein sehr gutes Album aber das stilistisch wohl am wenigsten eigenständige der Band.
Nach längerer Pause kamen dann zwei Alben mit abermals neuem Sänger (und auch neuem Gitarristen) raus: "Sophisticated" (1995) und "Uneven" (1997), die erstmals sowas wie eine stilistische Einheit mit nur wenigen Unterschieden bilden.
Nach dem Debüt ist das hier vielleicht sogar meine Lieblings-Phase, obwohl man auf den sehr expressiven, leicht theatralisch-überdrehten Gesang klarkommen muss.
Aber Instrumental wird hier ein völlig einzigartiges Feuerwerk aus Jazz und Metal abgefackelt, meist in hoher Geschwindigkeit und mit unglaublicher Spielfreude dargeboten! Rein musikalisch ist das so abartig gut, dass sich ein Großteil der internationalen Konkurrenz die Zähne daran ausbeißen dürfte und das Ganze ist trotzdem noch mitreißend, geradezu leichtfüßig, hat dennoch mächtig Power und macht (zumindest mir) unheimlich viel Spaß!
Nach diesmal noch längerer Pause kehrte Original-Gitarrist Markus Steffen zur Band zurück und der Sängerposten wurde mit Arno Menses ebenfalls wieder neu belegt.
auch die zwei letzten Alben, "The Art Of Navigating By The Stars" (2005) und "Paramount" (2007) bilden wieder sowas wie eine stilistische Einheit.
Hier gibt es erstmals einen richtig wohlklingenden Sänger (der mit Markus später auch SUBSIGNAL gründete) und auch oft eingängige, wunderschöne Gesangslinien, die teilweise eigentlich schon mehr AOR als (Progressive) Metal sind aber im instrumentalen Teil der Musik einen interessanten, manchmal durchaus harschen und oft recht komplexen Gegenpol finden (allerdings im Gegensatz zu den direkten Vorgängern meist in getragenem Tempo). Die meisten Songs sind auch wieder ziemlich interessant aufgebaut (lediglich "Eyes Wide Open" vom letzten Album finde ich insgesamt zu kitschig und gleichförmig). Es wechseln sich häufig ruhige, schöne Momente mit unerwarteten harten Riffs ab.
Diese Unvorhersehbarkeit fehlt mir übrigens oft bei SUBSIGNAL, die stilistisch ansonsten eigentlich den hier eingeschlagenen Weg fortsetzen aber leider oft ohne die Ecken und Kanten, die die letzten beiden SIEGES EVEN-Werke (von denen ich das 2005er übrigens noch ne Ecke besser finde als das letzte Werk) so interessant machen.
Leider liegt diese großartige Band seitdem auf Eis, was wohl auch dem fehlenden finanziellen Erfolg, sowie den ziemlich ausgelasteten Musikern geschuldet ist - Sänger und Gitarrist, wie schon geschrieben, bei SUBSIGNAL und die Holzwarth-Brüder sind ja gefragte Studiomusiker die gefühlt schon auf Hunderten Metalalben und -touren gespielt haben (auch bereits zu Sieges-Even-Zeiten) und zuletzt auch bei RAPSODY OF FIRE aktiv waren (aber auch schon bei PARADOX, BLIND GUARDIAN etc.).
Es bleibt eine interessante Diskografie (ohne Ausfälle!) mit immerhin fünf verschiedenen Stilen (bei nur sieben Alben), die nur gemeinsam haben, dass sie alle irgendwie komplex sind und grob unter Progressive Rock/Metal fallen.
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