[Top of the Progs - 100 Meisterwerke] Pavlos' Liste

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37. Camel - Moonmadness (UK, 1976)
"Moonmadness" war das letzte Album der klassischen Bestzung Latimer, Bardens, Ward und Ferguson. Letzterer stieg nach der Tour zur Scheibe aus, da er eine musikalische Kurskorrektur hin zu eingängigeren Klängen, wie sie den drei anderen vorschwebte, nicht mitmachen wollte. Somit markiert "Moonmadness" leider das Ende eines der für mich magischsten Kapitel der Prog Musik. Aber es ging mit etwas Großartigem zu Ende. Die kantigen (Rock-)Elemente des Debüts, das feine Melodiengespür der "Mirage" und die getragene Sanftheit von "The Snow Goose" werden hier zu einer höchst stimmigen Scheibe ohne jeglichen Schwachpunkt gebündelt. Die Songs atmen langsam ein und aus, die Band klingt bei ihren vielen instrumentalen Ausflügen besonnen wie eh und je, über allem thront das melodische Wechselspiel zwischen Gitarren und Keyboards. Der Opener 'Aristillus' ist ein von ausladenden Keyboards dominiertes Instrumental, 'Song Within A Song' erinnert von Aufbau und Feeling her ein bisschen an die grandiosen Genesis der Spätsiebziger und bei 'Chord Change' (man achte auf die, nun ja, Tempowechsel) und 'Another Night' (Camel goes Heavy Prog) rocken die Briten für ihre Verhältnisse richtig ab. Der Closer 'Lunar Sea' glänzt dann nochmal mit ein paar feinen "Gitarresaiten vs. Keyboardtasten" Spielereien, und zeigt, wie gefühlvoll Musik klingen kann. Meine persönlichen Höhepunkte jedoch sind das melancholische 'Spirit Of The Water', das so auch auf der Schneegansplatte hätte stehen können, sowie das bedächtige 'Air Born', auf dem die Band erneut zeigt, wer die unangefochtenen Meister des ruhigen Progs sind:
Air Born

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36. Van Der Graaf Generator - H To He Who Am The Only One (UK, 1970)
Die Schrägheit der Musik ist erschlagend. Die Spannungen zwischen Filigranarbeit und Ausflippen sind zu jeder Sekunde spür- und hörbar. Im einen Moment noch ruhig und in sich gekehrt, im nächsten brennend und brüllend. Aber das ist ein bisschen wie bei Jay Jay Okochas Jahrhunderttor gegen Karlsruhe damals: es dauert in seiner Entstehung gefühlt ewig, und man weiß zunächst nicht so wirklich, was der Künstler da vor hat, aber wenn es dann endlich vollendet ist, flippen alle aus. Aber es dauert eben, denn Van Der Graaf Generator machen es einem nicht leicht. Eigentlich nie.
Wie immer bei dieser Band scheint eine dunkle Wolke über allem zu schweben, und Peter Hammill hat mal wieder alle Taschenlampen verbuddelt und sorgt mit seinem Gesang und seinen Texten dafür, dass niemand an den Lichtschalter darf. Seine Schilderungen über inneren Schmerz, Selbsthass und Reue können kathartisch sein, aber auch verstörend und abstoßend. Die schrägen Vocals, der konstante Einsatz des Saxophons, zusammenhanglose (und dissonante) Passagen, die verschlüsselten Lyrics - das alles braucht Zeit und Geduld. Aber am Ende steht der Triumph für Musik und Musikhörer.
Eine extrem verkannte Band. Und da sind sie mit ihrer schwer greifbaren Musik und klaustrophobischen Dunkelheit natürlich selbst dran schuld. Selbstverwirklichung hat manchmal einen hohen Preis, aber für Hammill und seine Mannschaft war er nie zu hoch. Was erlaube Prog? Alles, Giovanni. Alles.
Killer

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35. Jethro Tull - Aqualung (UK, 1971)
Die Entwicklung Jethro Tulls vom bluesigen Hard Rock des Debüts hin zum Progressive Rock erreichte mit „Aqualung“ ihren ersten Höhepunkt. Das Album besitzt eine Art gesplittetes Konzept: Die erste Seite ("Aqualung" betitelt) enthält Lieder über soziale und gesellschaftliche Unterschiede und Ungerechtigkeiten, während die zweite Seite ("My God" betitelt) relativ respektlos die Probleme und Übel organisierter Religion thematisiert. Der eröffnende Titeltrack demonstriert die neuen Prog-Facetten der Band, ohne dabei die alten Wurzeln komplett über Bord zu werfen, und ist vielleicht der beste Song des Albums. Das darauf folgende 'Cross Eyed Mary' beginnt mit Mellotron und Flöte, bevor es in einen knackigen Rocksong übergeht, in dem Anderson über ein minderjähriges Schulmädchen singt, das sein, ehem, hart verdientes Geld den Armen im Viertel schenkt. 'Mother Goose' und 'Wond'ring Aloud' gehören mit ihren positiven Melodien und passend ergänzenden Streichern zu Tulls besten Akustikballaden. Seite Zwei beginnt mit dem düsteren 'My God', das neben dem Titeltrack der progressivste Song des Albums ist. Der Mittelteil, in dem ein Chor Andersons Flöte begleitet (oder umgekehrt), stellt für mich einen weiteren magischen Momente der Bandkarriere dar. Das blasphemische 'Hymn 43' zeigt die Band dann von ihrer rockigsten und eingängigsten Seite, 'Locomotive Breath' fängt danach diesen Aspekt nochmal ein, aber diesmal noch besser. Das Lied beginnt als romantisches Klavierstück, das nach einigen Jazz-Akkorden in eine Blues-Improvisation von Klavier und Gitarre übergeht und dann in einem einprägsamen Riff endet. Generell klingt Barres Gitarre auf dem Album angriffslustiger als auf den Platten davor. Der Schlusstrack 'Wind Up' beginnt als Ballade, entwickelt sich aber zu einem weiteren Hardrocker mit viel Gespür für Melodien und einer recht progressiven Struktur. Insgesamt gilt "Aqualung" zurecht als unantasbarer Klassiker. Un-fuckIAN-fassbar!!
Aqualung
 
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40 - große Liebe :verehr: Es gibt nur wenige Alben die einen so planbaren Impact auf meine Stimmung haben. Diese ersten schönen Frühlingstage in jedem Jahr werden bei mir seit fast 20 Jahren jedes Jahr von diesem Album begleitet. Das ist etwas was ich wahrscheinlich noch viele Jahrzehnte so weitermachen werde und was selbst mein Sohn (6) schon verinnerlicht hat.
In meiner Prog Liste würde es aber nicht landen, weil es wirklich nur am Rande reinpasst und dadurch ein Platz für ein anderes JT Album frei wird

39 - Ich liebe die Band. Die 3 Freunde habe ich aber noch nicht oft genug gehört um sie richtig einzuordnen

38 - steht schon eine Weile auf dem Einkaufszettel aber nicht mit der höchsten Prio. Vielleicht sollte ich das mal überdenken

37 - Leider noch eine Lücke aber die LP steht zumindest schon hier.

36 - Kann ich wirklich nicht oft hören weil ich selten in der passenden Stimmung bin aber wenn, dann ist dass ein umwerfendes 10/10 Album

35 - Zufälligerweise am WE ein paar mal gehört. Absoluter ÜBER-DRÜBER-Klassiker. Ein Album das jede Punkte Skala sprengt und mir unfassbar viel bedeutet. Jede Sekunde ist hier perfekt und tief in meiner DNA verwurzelt.
PS: Hymn 43 > Locomotive Breath
 
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34. Genesis – Selling England By The Pound (UK, 1973)
Hach, alte Genesis, ey. Ich weiß, ich verwende Begriffe wie „magisch“ und „einzigartig“ viel zu oft in meinen Texten hier, aber Genesis mit Peter Gabriel, das meine Freunde ist diesbzgl. tatsächlich der wahre geile Scheiss. Das ist traumhaft schöner Storytelling Prog, bei dem der Hörer wie Alice ins Wunderland abtaucht. Und Peter Gabriel sitzt als Humpty Dumpty auf der Mauer, kaut einem großspurig das Ohr ab und wirft dabei so ganz nebenbei die Frage auf, wer die Bedeutung von Wörtern überhaupt bestimmt. Der Künstler, der Zuhörer oder die Gesellschaft? Wie in Lewis Carrolls berühmten Buch geht es auch im Prog oft um die subjektive Wahrnehmung und die Frage nach der Realität, und gerade early Genesis hatten dieses bedeutsame Spiel mit dem Hörer und seinen Empfindungen verdammt gut drauf. Sozialkritik, philosophische Gedankengänge, schwarzer Humor, Musicianship galore und eine Band die weiß, dass sie verdammt große Momente erschaffen kann und will. Ob jungen Musikern bewusst ist, was sie da manchmal für sensationelle Sachen kreieren? Das Gitarrensolo in ´Firth Of Fifth´ ist zum Dahinschmelzen, bei 'I Know What I Like (In Your Wardrobe)' wippen alle lässig mit dem Kopf mit, 'The Battle Of Epping Forest' ruft zur alles entscheidenden Nerd-Schlacht auf, und bei ´The Cinema Show´ sprüht Banks mit seinen Tönen den Hörer mit aphrodisierenden Duftstoffen ein und vernebelt seine Sinne bis hin zur vollkommenen Ekstase. Dieses gottverdammte Solo, ey, ich will es ehelichen! Aber mein Favorit ist und bleibt auf ewig der feinsinnige Opener 'Dancing With The Moonlit Knight' mit seinen fesselnden Melodien und dem legendären a cappella Beginn („Can you tell me where my country lies?“):
Dancing With The Moonlit Knight

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33. Gentle Giant – Free Hand (UK,1975)
Gentle Giants verfolgen mit und auf ihrem siebten Album weiterhin denselben komplexen Weg wie davor, aber anders als auf den Vorgängerscheiben klingt „Free Hand“ für mich so, als hätte die Band sich hier mehr Zeit genommen, ihre Ideen sorgfältig zu durchdenken, bevor es an die Aufnahmen ging. Der spontane, Jam-artige Freakout-Charakter, den viele Lieder der Briten zuvor besaßen, weicht an vielen Stellen geordnete(re)n Ideen und Tönen. Nicht falsch verstehen, die Jungs klingen natürlich immer noch äußerst bizarr, aber anstatt jede disharmonische und übertriebene Idee, die ihnen durch die Köpfe schießt, sofort aufzunehmen, scheinen sie sich auf hier die Mühe gemacht zu haben, erst zu überlegen und dann auf "record" zu drücken. Geordnetes Chaos, sozusagen. Es dürfte deshalb auch kein Wunder sein, dass die Platte, so komplex und proggy sie auch ist, einen respektablen Chartplatz erreichte und wohl den idealen Einstieg in die Band darstellt. Ja, einige der eingängigsten Melodien der Bandgeschichte sind hier enthalten, aber der Stoff bietet ebenso das gewohnt anspruchsvolle Niveau cleverer Komplexität und unermüdlichen Einfallsreichtums. Gentle Giant müssen sich nicht durch lange Suiten oder mehrteilige Epen quälen, sie meistern Tracks von unter fünf bis sechs Minuten Länge und verleihen ihnen Genialität und Intensität. Der eigene Stempel mit dem Hörer als Stempelkissen. Dabei nutzen sie die Strukturen verschiedener Genres (Rock, Blues, Folk, Kammermusik, etc.) und vermischen und erneuern sie durch progressive (Re)Konstruktionen. Wie zum Beispiel beim Titeltrack:
Free Hand

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32. Pink Floyd – Wish You Were Here (UK, 1975)
Ich muss gestehen, ich bin kein besonders großer Fan der Band. Ich hab alle Scheiben hier im Regal und finde die zu einem großen Teil auch super ("Animals" ist nur knapp an meiner Top 100 gescheitert), aber so wirklich intensiv, also Listen-würdig, hat mich die Musik der Briten noch nie gepackt. Bis auf „Wish You Were Here“, die liebe ich nämlich bedingungslos. Und alles in allem ist das auch ein wirklich großartiges Album, das seinem Ruf in vielerlei Hinsicht gerecht wird. Hier stimmt einfach alles, sämtliche Bausteine befinden sich am richtigen Platz und ergeben ein großes Ganzes. Die Instrumente klingen so sauber und doch so intensiv, die Stücke rinnen endlos und geschmeidig wie Sand durch die Finger, die Stimmung zieht dich mitten hinein ins Gehörte, und plötzlich stehst du ganz klein vor dem, was da aus den Boxen kommt, und kommst dir vor wie ein kleiner Junge, der schüchtern vor der Fleischtheke darauf wartet, ein Stückchen Wurst von der Verkäuferin geschenkt zu bekommen. Ich LIEBE alle darauf enthaltene Songs, aber den größten Anteil daran, dass die Platte so weit vorne in meiner Liste steht hat zweifelsohne 'Shine On You Crazy Diamond'. Der allmähliche Aufbau von Synthesizer, Orgel und Keyboard, zusammen mit diesem himmlischen Gitarrenklang, steigert die Melodie zu einem Punkt, an dem sie zum düstersten und ergreifendsten Musikstück wird, das man je gehört hat. Wahnsinn, diese 25 Minuten.
Shine On You Crazy Diamond
 
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"The secret, Alice, is to surround yourself with people music, who that makes your heart smile. It's then, only then that you'll find wonderland." Frei nach Lewis Caroll ;-)
Fabelhaftes Progtriple. Chapeau, Pavlos.
 
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31. Rush – A Farewell To Kings (Kanada, 1977)
Der Vorgänger "2112" wird zum Durchbruch und ersten Verkaufserfolg der Band. Rushs Hartnäckigkeit hat sich am Ende ausgezahlt und sorgt dafür, dass das Trio von nun an das volle Vertrauen der Plattenfirma besitzt und die musikalische Entdeckungsreise der drei schrulligen Kanadier nun so richtig Fahrt aufnehmen kann. Lifeson und Lee beschenken sich für die Aufnahmen von "A Farewell To Kings" und die anschließende Tour gegenseitig mit dem ultimativen Prog Phallussymbol : speziell für die beiden angefertigte Doubleneck-Gitarren! You gotta love this. Schon das eröffnende Titelstück ist mit seinen eingängigen Riffs, dem Jazzrock-Intermezzo und einem dramatischen Gitarrensolo ziemlich beeindruckend. Die (realtiv gesehen) metallische Aggressivität der Vorgängerscheiben ist immer noch hörbar, aber insgesamt präsentiert sich die Band nochmal reifer und komplexer, was schon beim Intro deutlich wird: der leise "Wald und Wiesen" Start mit der Akustischen explodiert schon einige Takte später mit einem lauten Knall, gefolgt von Breaks und noch mehr Breaks. Das Highlight der Scheibe stellt für mich das folgende 'Xanadu' dar, ohne jede Frage einer der besten Rush-Momente überhaupt. Vogelgezwitscher, Glockenklänge, episch, unheimlich, magisch. Eine kompositorische Meisterleistung und die perfekte Verbindung aus Hard Rock und Progressive Rock. Filigran, aber gleichzeitig auch wuchtig, dabei relativ vielschichtig und mit vielen feinen und kleinen Details und atmosphärischen Synthieklängen verziert - ein Epos, das man nicht nur hört, sondern dank des plastischen Textes auch miterlebt. 'Closer To The Heart' ist dann der „Hit“ der Scheibe und liefert in seinen knapp drei Minuten mehr Details, als einem beim ersten Anhören vielleicht auffallen. Bei 'Cinderella Man' macht mich der Rickenbacker Bass tierisch an. Lee eifert hier unüberhörbar seinem großen Vorbild Chris Squire (Yes) nach. 'Madrigal' fällt dann qualitativ etwas ab, ist aber immer noch ein guter Song, es fehlt einfach der zündende Funke. Das abschließende 'Cygnus X-1, Book I: The Voyage' schickt uns dann zusammen mit dem Protagonisten des Songs, einem Astronauten an Bord des Raumkreuzers Rocinante, auf die Erkundungsreise zu einem schwarzen Loch (wobei man Pearts Texte und Botschaften wie immer mehrdimensional lesen muss/kann/soll). Was da genau musikalisch und textlich passiert, darüber kann man sich Gedanken machen, während man vergeblich versucht, bei der Nummer mitzuklatschen. Auf jeden Fall bekommt es der Dreier mal wieder perfekt hin, die Geschehnisse in Tönen darzustellen. Man lausche nur mal den geisterhaften, leise dröhnenden Klängen von Bass und Moog zu Beginn der Reise, wenn die Rocinante noch ruhig durch das All gleitet, und wie Lee kurz darauf fortwährend synkopisch die Taktarten wechselt. Oder aber die dissonanten und aggressiven Abschnitte zum Ende des Zehnminüters, wenn unser Raumfahrer sich besagtem schwarzen Loch nähert und letztendlich samt Raumschiff hineingesaugt wird. Hammer. Am Ende heißt es dann „...to be continued“, und der Hörer wird mit einem fiesen Cliffhanger auf das nächste Album vertröstet. Einfach nur genial, aber sie konnten es tatsächlich noch besser...
Xanadu

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30. Queen – II (UK, 1974)
Grenzgänger, I know. Aber wenn wir ehrlich sind, waren Queen doch in jeder Phase ihrer Karriere irgendwie ein Grenzgänger. Innerhalb einer bestimmten Musikrichtung, innerhalb einer ihrer eigenen Platten, ja sogar innerhalb sich selbst als Formation. Nie passte irgendwas so richtig zusammen, aber genau das ist es doch, warum es so fabelhaft funktionierte. Das ist es, was ich an Queen so liebe und progressiv an ihnen finde. Nachdem die Band auf ihrem Debüt hier und da noch ein bisschen nach den Endsechzigern klang, griff sie den 1974 immer noch vorherrschenden Prog Sound auf und vermischte ihn mit einer bzw. ihrer Art Glam Pomp und Mercurys unvergleichlicher Exaltierheit, was einen ziemlich phänomenalen, einzigartigen Sound zur Folge hatte. Auf die simpleren Nummern wie 'Some Day One Day' und 'The Loser In The End' kann ich verzichten, aber was die Jungs dann auf den ausladenden Kompositionen der Platte von der Leine lassen, raubt mir auch nach all den vielen Jahren des Anhörens und Liebhabens immer noch jedes Mal den Atem. 'Father To Son' (wieso hatte ich den eigentlich nicht in meiner Liste bei unserem Queen Top 40 Spiel?!) und 'White Queen: As It Began' (wenn Mercury seine zerbrechlichen Zeilen vom Into später nochmal harscher wiederholt und der nun deutlich heavy-eren Gangart des Tracks anpasst, das ist einfach famoooos!!) sind schon erstklassig, aber dann kommt auf der zweite Seite dieser sensationelle, vier Lieder umfassende Songzyklus, der mit seinen Stimmungen und Details so unfassbar genial ist, dass ich die Platte so weit vorne platzieren MUSS, auch wenn die folgenden 'Funny How Love Is' und 'Seven Seas Of Rhye' den Gesamteindruck etwas ausbremsen. Aber hey, die restlichen knappfünzehn Minuten der zweiten Seite sind der Himmel auf Erden. Wie die Band das Ding hier Schritt für Schritt aufbaut, immer wieder Tempo und Stimmung variiert, und alle Zutaten und Parts in einem furiosen Finale zusammenkommen ("I reign with my left hand, Irule with my right, I'm lord of all darkness, I'm Queen of thenight..."), das ist so scheissgeil-erhaben, das ist so verdammt riesengroß, das ist für mich Kunst, das ist fucking Queen, ey!!
White Queen (As It Began)

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29. King Crimson – Red (UK, 1974)
Auf „Red“ waren King Crimson zum Trio (Fripp, Wetton, Buford) geschmolzen. Der Titeltrack eröffnet das Album und zeigt auf, wie man erfolgreich Intellekt mit Adrenalin mischen kann. Robert Fripp, der in seiner Karriere niemals unoriginell oder gar langweilig klang, wiederholt hier seine düstere Gitarrenfigur so lange, bis sich beim Hörer (ganz besonders unterm Kopfhörer) ein plötzliches Gefühl des Unbehagens und der Bedrohung breitmacht. Das Lied verstärkt in seinem Verlauf diesen radikalen Effekt mit der Hinzunahme eines Cellos, nur um dann plötzlich in die nächste Nummer 'Fallen Angel' überzugehen, einem schleppenden, von Bläsern dominierten Stück, das mit seiner emotionalen Melodieführung und den (im Vergleich zu den restlichen Songs) wenigen Taktwechseln sowas wie den eingängigsten Track der Scheibe darstellt. Beautiful, if you ask me. Die schrägen Saxophontöne und das Handclapping wirken auf dem darauffolgenden 'One More Red Nightmare' zunächst wie kalte Fremdkörper, erweisen sich nach ein paar Spins jedoch als hochwertiger Klebstoff, der die „gängigen“ Rock-Zutaten des Songs zusammenhält und ihm den wirren Kick verpasst, der aus einem ganz guten Lied ein außergewöhnliches macht. Das pechschwarze 'Providence' klingt mir danach insgesamt einen Tick zu improvisiert und langatmig, und ist somit auch der Grund, warum „Red“ in meiner Liste nicht weiter vorne gelandet ist. Was andererseits nicht unverdient gewesen wäre, denn am Ende kommt mit 'Starless' der vielleicht erhabenste, funkelndste, mitreißendste, gleichzeitig aber auch dunkelste, bedrohlichste und wütendste Longtrack, den Meister Fripp, ach was, den der komplette Prog in seiner riesengroßen und unendlich weiten & breiten Gesamtheit jemals ausgespuckt hat. Den vagen Text interpretiere ich als den für den Protagonisten unvermeidlichen Weg von einem jungen Menschen voller Träume und Hoffnungen, hin zu einem verbitterten alten Mann, der depressiv auf sein Leben zurückblickt, all den verpassten Chancen hinterhertrauert, und am Ende entkräftet in die Dunkelheit wandert. Und das Trio liefert dazu die passende Musik. Der erste Part des Songs gleitet smooth und elegant dahin wie ein sorgsam gefalteter Papierflieger im Wind, während die zweite Hälfte das ständige Wiederholen ein und derselben Tonfolge zur hohen Kunst deklariert und komplett vor sich hin eskaliert. Unnötig zu erwähnen, dass die Band über die komplette Dauer dezente Variationen und nerdige Gadgets einstreut. Hach, so fucking wunderschön, und dann doch so abgrundtief verstörend. Zwei entgegengesetzte Kräfte ziehen sich hier an und sind unzertrennlich. Keine davon ist der anderen überlegen, sie stehen im Gleichgewicht. Das ist die Vertonung der Ying und Yang Dualität, die hierbei aufgebaute Spannung bringt jeden Kopf zum Bersten, niemals war Prog so betörend und gleichzeitig abweisend wie in diesen zwölfeinhalb Minuten:
Starless
 
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Gleich dreimal möchte man "Zu niedrig!" schreien, gleich dreimal bleibt einem der Schrei im Halse stecken. Rush? Drei-Alben-Regel (kotz, nun ja, selbst schuld), Queen? Andere Seite. King Crimson? Debüt ist drin, "Red" nicht. Warum? Sorry, muss auflegen, schlechte Verbindung.
 
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28. Gentle Giant – Acquiring The Taste (UK, 1971)
Das Debüt wirkte an einigen Stellen vielleicht noch etwas unausgegoren und zu sehr im Blues verwurzelt, aber schon mit Album Nummer Zwei zeigten Gentle Giant, dass sie gekommen waren, um sich einen eigenen Klangkosmos auszudenken und zu formen. Auch wenn dadurch der ganz große Erfolg ausbleiben würde. Diese Einstellung unterstrichen sie u.a. mit einer „We abandon all preconceived thoughts on blatant commercialism. It's our goal to expand the frontiers of contemporary music at the risk of being very unpopular. We have recorded each composition with one thought – that it should be unique, adventurous and fascinating. All you need is to sit back...and acquire the taste...“ Aussage im Innencover der Erstauflage. Und natürlich auch mit dem kuriosen Artwork, das die Leckt-uns-am-Arsch Einstellung der Briten wunderbar wiedergab – zumindest, bis man das Klappcover auffaltete und erkannte, dass der angedeutete Popo tatsächlich nur ein Apfel ist. Hach, wie wunderbar. Und die Musik? Unverwechselbar Gentle Giant. Na gut, ein dezenter King Crimson Einfluss, der sich vor allem in der unweltlichen und düsteren Atmosphäre der Tracks findet, war noch zu hören, doch ihr charakteristischer Gruppengesang, ihre schizophrene Instrumentierung und das extrem komplexe Songwriting machten "Acquiring The Taste" und dadurch Gentle Giant schon mit dem zweiten Album zu etwas ganz Besonderem. Der Opener 'Pantagruel's Nativity' sei stellvertretend genannt, präsentiert er doch geballt sämtliche Zutaten der Truppe. Der Song beginnt mit einer der vielen Hauptmelodien, gespielt auf einem Synthesizer, bevor eine zart gezupfte Akustikgitarre erklingt. Ein trauriges Thema unterbricht diese Sequenz immer wieder, während das Mellotron im Hintergrund vor sich hin röhrt. Der Mittelteil besticht durch ein recht hartes Riff und unverkennbare Gesangsharmonien, gefolgt von einem Vibraphon-Solo, bevor das Ganze wieder von vorne beginnt. Und so geht das dann weiter, und zwar mindestens noch die nächsten sechs Platten lang: Mut und Drive, Visionen im Kollektiv, Collagen-artige Aufbauten, fein ausgearbeitete Satzgesänge, immer wieder eingestreute mittelalterlich klingende Passagen, jazzige Canterbury Parts, und ganz viele WTF-Momente, die man nicht erwartet, die dann aber auch schon wieder weg sind, bevor man richtig registriert hat, was da gerade passiert ist. Expect the unexpected...and acquire the taste!
Pantagruel's Nativity

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27. Van Der Graaf Generator – Godbluff (UK, 1975)
Die Musik auf "Godbluff“ ist deutlich weniger disharmonisch als auf den Vorgängern und basiert mehr auf Melodien denn auf Chaos und Wut. Ok, Wut und Zynismus sind immer noch wichtige Bausteine des Sounds (come on, Peter Hammill konnte und kann scheinbar nur so funktionieren), aber das Chaos weicht hier und da musikalisch sonnigeren und nachvollziehbareren Momenten. Das lässt das Album etwas positiver und zugänglicher klingen, aber wirklich nur etwas, denn die Band ist immer noch wuchtig progressiv unterwegs, ihre Lieder sind immer noch rau wie Schmirgelpapier - aber diesmal eben ergänzt um schöne Melodien, die einem nicht mehr aus dem Kopf gehen. 'The Undercover Man' und 'Sleepwalkers' sind hervorragende Beispiele dafür. Hochkomplexe, aber dennoch harmonische Stücke, die sich weniger nach Improvisation und mehr nach Songwriting anhören. Auf der anderen Seite fallen 'Scorched Earth' und 'Arrow' deutlich hitziger aus, sind aber immer noch weit entfernt von der erschlagenden Intensität und Schrägheit der früheren Platten. Bei letztgenanntem Song, mit seiner fast schon jazzigen Eleganz übrigens mein Favorit auf "Godbluff", gibt es mal wieder einige sehr emotionale und wütende Vocals von Peter Hammill zu hören. Der Text handelt davon, wie man bei jeder Suche nach etwas Positivem auf der Hut sein sollte, nicht etwas Negatives dabei zu erwecken oder auszulösen, es aber am Ende, wenn die Zeit gekommen ist („the arrow of time“), auch egal ist, da der Tod eh alle Pläne durchkreuzt und triumphiert. So zumindest meine Deutung, aber das hat nichts zu heißen, denn die Texte Van Der Graaf Generators sind manchmal wie ein Labyrinth ohne Ein- und Ausgang. Der gute Peter hat sich damals definitiv das Geld für den Seelenklemptner gespart und sich wohl mit und durch seine Musik geheilt. Und ich denke, dass das nicht nur bei ihm wirkt.
Arrow

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26. Genesis – Trespass (UK, 1970)
"Trespass" ist ein Riesenschritt weg vom blassen und leichtgewichtigen Debüt „From Genesis To Revelation“, hin zum organischen, märchenhaften Prog, für den die Bandphase mit Peter Gabriel am Mikro berühmt und geliebt werden sollte. Genesis sprengen auf diesem Album vorher bestehende Songstrukturen der populären Musik, ihre Lieder sind jetzt länger, komplexer, tiefgründiger, einfach deutlich reifer als zuvor. Diese Entwicklung in so kurzer Zeit ist umso erstaunlicher wenn man bedenkt, dass die Musiker erst Anfang 20 sind. Das hört man dem Stoff aber nicht an, "Trespass" klingt schlüssig komponiert, überaus ambitioniert gestaltet, und eben auch nach ganz viel Erfahrung und Können. Faszinierend, isn't it? Verantwortlich für diese Wirkung ist, neben dem famosen Songwriting selbst, Tony Banks majästetische Mellotron- und Orgelsounds, Mike Rutherfords souveräner Bass, Anthony Phillips' geschmackvolles Gitarrenspiel und (natürlich!) Gabriels gefühlvoller und leidenschaftlicher Gesang. Der a capella Part zu Beginn des Openers („Looking for someone, I guess I'm doing that...“) erinnert an die noch ausstehende Großtat 'Dancing With The Moonlit Knight' und zeigt, dass die späteren Zutaten, die bezaubernde und mystische Atmosphäre, sowie der unverwechselbare, entzückende und klassische Genesis-Sound hier schon vorhanden sind. Vom hymnischen 'Visions of Angels' über die vielen wundervollen Themen und Akkordwechsel von 'Stagnation', bis hin zur lieblichen Ballade 'Dusk' und dem aggressiven 'The Knife', this is early fucking Genesis at their best! Der Closer fliegt dann auch wie ein viel zu tief fliegender Jumbojet über den Hörer hinweg. Die Gitarre rifft, der Bass pumpt, die Drums poltern, Gabriel singt, klagt und flucht laut gegen alle(s) an. Im Text warnt er, so glaube ich zumindest, über die Folgen von bewaffneten Aufständen und Protesten. Das explosive Finale des Tracks beendet eine Platte, die von vielen immer noch unterschätzt wird, und der ich im Laufe der Jahre irgendwann mal die höchste Punktzahl verpasst habe. Und davon rücke ich auch nicht mehr ab, will sagen: Klassiker! Aber halt, ich will noch ein paar Worte über mein Highlight der Platte, das wunderschöne 'White Mountain', verlieren. Storytelling Prog, wie er bildhafter nicht ausgeschmückt und präsentiert werden kann. Die blutrünstige Story (Fabel?) um die beiden Wölfe (oder Indianerkrieger - das kann nämlich auch dahingehend ausgelegt werden, da „White Mountain“ auch der Name eines Apachenstammes ist) wird, wie so viele Genesis Lieder jener Zeit (ich denke da z.B. an das famose 'Get´Em Out By Friday' mit seiner Sozialkritik, oder aber auch an das geniale 'The Musical Box' mit seiner „Mord, Rache, Sex & Inzucht“ Thematik), mit perfekt ausgetüfftelten und musikalisch wunderbar passenden Motiven für jede Hauptfigur, sowie stets zum Verlauf der Geschichte passender Dynamik (lauter/leiser, schneller/langsamer, wilder/sanfter) dargeboten. Die Vorstellung der Protagonisten, wie sie in ihrem Bau (Zelt?) lauern, klingt fast schon verängstigt und melancholisch. Die Angst vor dem Konflikt? Der Herausforderer trifft auf den Anführer, es geht um Leben und Tod, die Jagd und der erbitterte Kampf kommen dementsprechend wild und schneller daher. Das durch die einsetzende Bass Drum dargestellte Anschleichen ist einfach aber brilliant gemacht. Und dann der finale Triumph - Baaam. Bei Gabriels Pfeifen in der Sterbeszene bekomme ich jedes Mal Gänsehaut. Genesis hatten damals schon die perfekte Symbiose "Musik/Texte" drauf. Gabriel selbst hat ja immer wiederbetont, dass sie zu Beginn ihrer Karriere schon relativ gute Geschichtenerzähler waren, es aber noch an den Fähigkeiten an den Instrumenten mangelte. Diesen „Makel“ sollten sie aber schon sehr bald beheben....
White Mountain
 
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25. Rush – 2112 (Kanada, 1976)
Der Vorgänger "Caress Of Steel" ist kommerziell gesehen ein Flop. Die dazugehörige Tour verläuft nicht wirklicher erfolgreich, bei den Kritikern kommt die Scheibe nicht gut an, das Label fordert für das nächste Album eingängigeres Material. Trotz all dieser Störgeräusche von außen zieht das Trio mit einer „Jetzt erst recht!!“ Einstellung seine Vision weiter durch, vertraut stoisch in die eigenen Fähigkeiten, und präsentiert mit "2112" seinen bisherigen kreativen und kommerziellen Höhepunkt.
DAS Highlight der Scheibe ist natürlich der knapp zwanzigminütige Titeltrack, der eine wahre Revolution auszurufen scheint. Mit seinen komplexen Arrangements, seinem innovativen Umgang mit dem herkömmlichen Rock-Instrumentarium, den fulminanten Townshend-Riffs und den fantasievollen „Philosophie meets Science Fiction“ Lyrics legt '2112' die Messlatte an den höchstmöglichen Punkt. Natürlich haben die Kanadier den Metal nicht erfunden, aber zumindest in Sachen Progressive Metal haben sie mit diesem Lied ein gehöriges Wort, vielleicht sogar das erste und lauteste überhaupt mitgeredet. Rush agieren in ihrer dystopischen Zukunftsvision sophisticated as fuck, rocken dabei aber trotzdem wild wie ein Haufen bekiffter Morlocks. Durch die Hinzunahme futuristischer Keyboardsounds und Soundeffekten entfalten sich Musik und Story wie ein Science Fiction Film vor dem Hörer. Ich kenne diesen Song jetzt schon über dreißig Jahre, habe ihn entsprechend oft gehört und kann ihn in und auswendig. Aber trotzdem bekomme ich immer noch jedes Mal Gänsehaut, wenn das ikonische Intro ertönt. So viele tolle Momente, beispielsweise wenn Lifesons Spiel bei 'Discovery' den Lyrics folgt und das Geklimper nach und nach zu richtigen Riffs anschwillt und in den nächsten Part übergeht. Gänsehaut pur. '2112' ist einfach der perfekte Song und ein ewiger Begleiter, und wäre er ein Mensch aus Fleisch und Blut, dann würde man von einem Seelenverwandten sprechen.
Die B-Seite kann da folgerichtig nur abfallen, macht das aber immer noch mit unglaublicher Grazie und Stil. 'Something From Nothing', 'Twilight Zone' und 'A Passage To Bangok' sind hier meine Favoriten, letzteres mit einer heavy Gitarrenwand während dem Solo. 'Lessons' und 'Tears' sind dann zwar auch noch cool, aber auch der Grund, warum diese Sahnescheibe bei mir nicht weiter vorne gelandet ist. Der Titeltrack ist seperat betrachtet natürlich easily Top Ten Material:
2112

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24. Death – The Sound Of Perseverance (USA, 1998)
Dieses Album muss man nicht wirklich vorstellen, das haben hier alle im Regal stehen. Death klangen nie härter, technischer, grüblerischer und fieser als auf "The Sound Of Perseverance". Ging es Chuck zu Beginn seiner Karriere mehr um unbändige Power, versucht er hier Emotionen zu vermitteln, und seine mittlerweile erlangten spielerischen und kompositorischen Fähigkeiten erlauben ihm, dies auf (s)eine ganz unnachahmliche Art umzusetzen. Die Band vermischt die Death Metal Intensität mit der Verspieltheit des Prog und gießt zusätzlich noch eine Schicht Power Metal Pathos drüber. Das Drumming ist bereits im Intro sensationell, die Gitarren nageln ohne Ende, Chucks Geschrei und Gekeife packt den Hörer schon nach wenigen Sekunden direkt bei den Eiern, die Windungen und Gabelungen der Kompositionen sind außergewöhnlich. In einem Moment schwebst du über den Wolken, im nächsten wirst du mit einem wahnsinnigen Mörder-Riff in einen stinkigen Moshpit geworfen und weißt nicht, wie dir geschieht. Als ich 1998 die CD das erste Mal hörte, kam ich mir vor wie ein Crashtest Dummy, der immer wieder gegen die Wand gefahren wird. Dieses von Chuck organisierte und liebevoll zusammengeführte Wollknäuel aus verschiedenen Stilen, filigraner Griffbrett-Akrobatik, einem böse fauchenden Schuldiner, jazzigen Bassläufen everywhere und dem Kraken-ähnlichen Schlagzeug-Spiel stellt für mich den absoluten Höhepunkt von Chucks Schaffen, aber auch vom Prog/Tech Death Genre selbst dar, und es stimmt schon, was damals bei einer Werbeanzeige zum Album stand: "Death redefined the face of Metal". Zu einer Zeit, in der sich Metalfans immer mehr in verschiedene Richtungen, Stilen und Ideologien aufspalteten, einte Schuldiner sie alle an einem großen, runden Tisch. Fun fact: immer wenn ich das Cover sehe, höre ich Luis Trenker, wie er begeistert ein "Der Berg ruft!" von sich gibt. Und alle klettern mit.
Spirit Crusher

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23. Marillion – Script For A Jester's Tear (UK, 1983)
Romantik und Weltenflucht, beides wichtige Bestandteile des klassischen 70er Progs, schienen Ende der 70er, Anfang der 80er mehr oder weniger tot. Die meisten der alten Dinosaurier des Genres waren zu peinlichen (Pop)bands mutiert, die bunte Klamotten und gequälte Gesichtsausdrücke statt anspruchsvolle Musik zur Schau stellten. Natürlich existierten immer noch einige wenige Unverbesserliche, aber sie alle musizierten im tiefsten Underground. Das waren Truppen, die praktisch auf der ganzen Welt verteilt waren und jeweils isoliert weiterhin ihre veträumte Musik vor sich hin zelebrierten und ganz dolle an die Kraft ihrer Schöpfung und ihre Wurzeln glaubten. Bis eines Tages der sog. Neoprog mit neuen, jungen Bands wie u.a. Marillion, IQ, Pallas und Twelfth Night die Bühne betrat und dem Genre den Defibrillator an das schwache Herz presste.
"So here I am once more in the playground of the broken hearts". Damit konnte ich Ende der 80er, als ich "Script For A Jester's Tear" zum ersten Mal hörte, nicht viel anfangen. Genau genommen konnte ich gar nichts damit anfangen, und zwar sowohl musikalisch, als auch in Bezug auf die Texte. Ich war um die 12 oder 13 Jahre alt, hatte das ein oder andere Marillion Artwork in verschiedenen Metalmagazinen gesehen und lieh mir die Platte in der örtlichen Bücherei aus, da ich die Bilder cool fand und ständig auf der Suche nach neuem wilden Scheiss war. Fish mit Make Up, ernste Blicke, verschrobene Songtitel, das wirkte geheimnisvoll, das musste geil sein. Daheim dann die große Enttäuschung, denn das war ganz und gar nicht der heavy Stoff, den ich mir erhofft hatte. Ich war von Bon Jovi über Iron Maiden gerade bei Metallica und dem Thrash angelangt, und solch ruhiges, ja furchtbar verkopftes Zeug zeigte absolut keine Wirkung auf mich. Vielleicht fehlten mir damals auch ein sehr gutes Englisch und das entsprechende Alter samt Lebenserfahrung, um mich angesprochen zu fühlen und die Texte nachvollziehen zu können. Naja, jedenfalls entschied ich damals nach dem zweoten Spin, dass ich die Platte nicht auf Kassette zu kopieren brauchte, gab die LP am nächsten Tag wieder zurück und konzentrierte mich in den kommenden Monaten auf Exodus, Testament und Kreator.
Anfang der 90er tauchte ich zunächst zaghaft, dann immer mehr in den Prog ab und erinnerte mich wieder an Marillions Debüt. Diesmal überspielte mir mein Cousin die Scheibe auf Kassette, die ich mir vollstens motiviert sofort tagelang anhörte, und Sachen wie das oben schon erwähnte "so here I am once more in the playground of the broken hearts" machten auf einmal Klick. Mein Englisch war mittlerweile mehr als solide, die Frauenwelt hatte mein kleines Herz ein, zwei Mal gebrochen (eine Runde Mitleid, haha), Krieg und Verbrechen nahm ich mittlerweile in den Medien wahr. Ich war somit "bereit" für den Stoff, und Musik und Texte sprachen nun zu und mit mir. Auch konnte ich den massiven Einfluss von early Genesis, die ich kurz zuvor für mich entdeckt hatte, ausmachen, was den Einstieg noch mehr erleichterte. Zu jener Zeit, und eigentlich immer noch, waren Platten, Bands und Lieder wie unsichtbare Bodyguards für mich, die mich beschützten und mir mit gutem Rat beiseite standen. Der Metal gab mir Kraft und Schutz, der Prog fütterte mich mit Wissen und dem Umgang mit Emotionen. "Script For A Jester's Tear" nahm mich bei der Hand und zeigte mir die dunkle Seite der Musik. Sowas bindet ein Leben lang. Marillion nahmen weiterhin hervorragende (und musikalisch vielleicht auch "bessere") Platten auf, aber das hier ist "meine".
Zwar packen mich nicht mehr alle Lieder der Scheibe zu 100%, was eine Platzierung weiter vorne verhindert, aber das Trio 'Chelsea Monday' ("one day they really love you".....mein Gott, wie depressiv die Strophen klingen), 'Forgotten Sons' (die Fanfaren-Keyboards zu Beginn, die Stelle mit dem "Amen", das Solo am Ende - was für ein Songfinale!!) und der Titeltrack werden auf immer und ewig einen hochheiligen Platz in meiner persönlichen Hall Of Fame haben. Meine Güte, gerade läuft 'Chelsea Monday, und wie eigentlich jedes Mal reißt mich das Lied mit seiner traurigen Atmosphäre zu Boden, nur um mich mit dem berührenden Solo wieder ganz hoch zu werfen und aufzufangen. Mal im Ernst: sind wir nicht alle hier Jonglierkeulen von Fishs Lyrics und dieser traumhaft schönen musikalischen Untermalung?!
Forgotten Sons
 
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Ich würde gern etwas dazu schreiben, allerdings bin ich zu fasziniert von all dem hier in den letzten Tagen und Wochen. Im Detail sicher beizeiten mehr, bis dahin gebe ich mich dem puren Genuss des Geschriebenen hin.

Nur eine Frage spukt mir durch den Kopf: wäre "Script..." damals als Doppelalbum mit "Grendel" und "Market Square Heroes" veröffentlicht worden, wo zum Teufel hätte es im Ranking wohl noch landen können...?
 
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