Pavlos
Till Deaf Do Us Part

37. Camel - Moonmadness (UK, 1976)
"Moonmadness" war das letzte Album der klassischen Bestzung Latimer, Bardens, Ward und Ferguson. Letzterer stieg nach der Tour zur Scheibe aus, da er eine musikalische Kurskorrektur hin zu eingängigeren Klängen, wie sie den drei anderen vorschwebte, nicht mitmachen wollte. Somit markiert "Moonmadness" leider das Ende eines der für mich magischsten Kapitel der Prog Musik. Aber es ging mit etwas Großartigem zu Ende. Die kantigen (Rock-)Elemente des Debüts, das feine Melodiengespür der "Mirage" und die getragene Sanftheit von "The Snow Goose" werden hier zu einer höchst stimmigen Scheibe ohne jeglichen Schwachpunkt gebündelt. Die Songs atmen langsam ein und aus, die Band klingt bei ihren vielen instrumentalen Ausflügen besonnen wie eh und je, über allem thront das melodische Wechselspiel zwischen Gitarren und Keyboards. Der Opener 'Aristillus' ist ein von ausladenden Keyboards dominiertes Instrumental, 'Song Within A Song' erinnert von Aufbau und Feeling her ein bisschen an die grandiosen Genesis der Spätsiebziger und bei 'Chord Change' (man achte auf die, nun ja, Tempowechsel) und 'Another Night' (Camel goes Heavy Prog) rocken die Briten für ihre Verhältnisse richtig ab. Der Closer 'Lunar Sea' glänzt dann nochmal mit ein paar feinen "Gitarresaiten vs. Keyboardtasten" Spielereien, und zeigt, wie gefühlvoll Musik klingen kann. Meine persönlichen Höhepunkte jedoch sind das melancholische 'Spirit Of The Water', das so auch auf der Schneegansplatte hätte stehen können, sowie das bedächtige 'Air Born', auf dem die Band erneut zeigt, wer die unangefochtenen Meister des ruhigen Progs sind:
Air Born

36. Van Der Graaf Generator - H To He Who Am The Only One (UK, 1970)
Die Schrägheit der Musik ist erschlagend. Die Spannungen zwischen Filigranarbeit und Ausflippen sind zu jeder Sekunde spür- und hörbar. Im einen Moment noch ruhig und in sich gekehrt, im nächsten brennend und brüllend. Aber das ist ein bisschen wie bei Jay Jay Okochas Jahrhunderttor gegen Karlsruhe damals: es dauert in seiner Entstehung gefühlt ewig, und man weiß zunächst nicht so wirklich, was der Künstler da vor hat, aber wenn es dann endlich vollendet ist, flippen alle aus. Aber es dauert eben, denn Van Der Graaf Generator machen es einem nicht leicht. Eigentlich nie.
Wie immer bei dieser Band scheint eine dunkle Wolke über allem zu schweben, und Peter Hammill hat mal wieder alle Taschenlampen verbuddelt und sorgt mit seinem Gesang und seinen Texten dafür, dass niemand an den Lichtschalter darf. Seine Schilderungen über inneren Schmerz, Selbsthass und Reue können kathartisch sein, aber auch verstörend und abstoßend. Die schrägen Vocals, der konstante Einsatz des Saxophons, zusammenhanglose (und dissonante) Passagen, die verschlüsselten Lyrics - das alles braucht Zeit und Geduld. Aber am Ende steht der Triumph für Musik und Musikhörer.
Eine extrem verkannte Band. Und da sind sie mit ihrer schwer greifbaren Musik und klaustrophobischen Dunkelheit natürlich selbst dran schuld. Selbstverwirklichung hat manchmal einen hohen Preis, aber für Hammill und seine Mannschaft war er nie zu hoch. Was erlaube Prog? Alles, Giovanni. Alles.
Killer

35. Jethro Tull - Aqualung (UK, 1971)
Die Entwicklung Jethro Tulls vom bluesigen Hard Rock des Debüts hin zum Progressive Rock erreichte mit „Aqualung“ ihren ersten Höhepunkt. Das Album besitzt eine Art gesplittetes Konzept: Die erste Seite ("Aqualung" betitelt) enthält Lieder über soziale und gesellschaftliche Unterschiede und Ungerechtigkeiten, während die zweite Seite ("My God" betitelt) relativ respektlos die Probleme und Übel organisierter Religion thematisiert. Der eröffnende Titeltrack demonstriert die neuen Prog-Facetten der Band, ohne dabei die alten Wurzeln komplett über Bord zu werfen, und ist vielleicht der beste Song des Albums. Das darauf folgende 'Cross Eyed Mary' beginnt mit Mellotron und Flöte, bevor es in einen knackigen Rocksong übergeht, in dem Anderson über ein minderjähriges Schulmädchen singt, das sein, ehem, hart verdientes Geld den Armen im Viertel schenkt. 'Mother Goose' und 'Wond'ring Aloud' gehören mit ihren positiven Melodien und passend ergänzenden Streichern zu Tulls besten Akustikballaden. Seite Zwei beginnt mit dem düsteren 'My God', das neben dem Titeltrack der progressivste Song des Albums ist. Der Mittelteil, in dem ein Chor Andersons Flöte begleitet (oder umgekehrt), stellt für mich einen weiteren magischen Momente der Bandkarriere dar. Das blasphemische 'Hymn 43' zeigt die Band dann von ihrer rockigsten und eingängigsten Seite, 'Locomotive Breath' fängt danach diesen Aspekt nochmal ein, aber diesmal noch besser. Das Lied beginnt als romantisches Klavierstück, das nach einigen Jazz-Akkorden in eine Blues-Improvisation von Klavier und Gitarre übergeht und dann in einem einprägsamen Riff endet. Generell klingt Barres Gitarre auf dem Album angriffslustiger als auf den Platten davor. Der Schlusstrack 'Wind Up' beginnt als Ballade, entwickelt sich aber zu einem weiteren Hardrocker mit viel Gespür für Melodien und einer recht progressiven Struktur. Insgesamt gilt "Aqualung" zurecht als unantasbarer Klassiker. Un-fuckIAN-fassbar!!
Aqualung
Zuletzt bearbeitet: