Mal meine 5 Cent:
Nach dem Intro (was denn nun einfach ein Solches ist und eine gute Überleitung zum Opener bietet) haben wir es mit recht hartem Metal zu tun, der ein wenig an frühe IE gemahnt, wenn auch härter. Durchaus progressive Songstrukturen drin, dieser neoklassische Part baut plötzlich eine völlig neue Nuance ein, ein wenig Symphony-X-Feeling. Besser geht das doch kaum, mal ehrlich....
"As I lie awake" ist mein persönliches Highlight, der "Hit" der Platte. Ein wundervolles Beispiel dafür, wie man einen "Konzertfaustrecker" in ein anspruchsvolles Gewand packen kann. Nur Sabaton- und Trallala-Hardliner können diesem Ding widerstehen, weil es "zu proggy" ist. Einfach sowas von kurzweilig und ein ganz, ganz großartiger Refrain, der mich an den Eiern packt.
"Another Face" erinnert mich an 90er US-Progmetal (den es ja offiziell nicht mehr zu geben scheint), Digital Ruin, Mystic Force, Twilight Kingdom, Shadow Gallery, Psycho Drama - all diese Bands, die ich in den 90er abgöttisch geliebt habe. Ein wenig Nevermore findet sich da auch. Zum Ende hin ("Waiting on the Edge of the Storm"....) haben wir dann auch noch ein wenig Savatage/Queen - mal echt: kaum besser möglich.
Mit dem vom Kollegen
@Prog on! so gelobten "Tempest" habe ich mich eingangs recht schwer getan. Mittlerweile mag ich das Teil. Hat - ähnlich wie "Another Face" diese Attitüde zwischen dem bereits erwähnten 90er-US-Progmetal und Effekten, die mich zwischendurch ein wenig an "Knödel of Filz"-Light erinnern. Das hat was immens Theatralisches und wirbelte mir den Song zunächst ein wenig durcheinander - und nun denn, ein wenig "Metal-Meat-Loaf" sei hier benannt. Dieser Frickelpart, der dann in dieses schwere Metal-Riff mündet, so ab Minute 4:40....da bleibt die Kinnlade schlicht offen. Demzufolge: musste ich mir erarbeiten, aber es hat sich gelohnt - obwohl es den "Melo-Death-Metal-Gedächtnispart" nicht so unbedingt gebraucht hätte. Dafür ist es nach hintenraus gerade in Sachen Gitarrenarbeit Gänsehaut pur.
Das titelgebende Zwischeninstrumental holt mich irgendwie in den "Lord of the Rings"-Kosmos von Blind Guardian, mir viel eben jenes Stück sofort ein. Fein und auflockernd, genauer an der richtigen Stelle und eine ideale Überleitung in "The unyielding Grip of each passing Day" - Guten Tag, Symphony X. Ganz großes Kino, als Mensch mit einem "Ich mag Gefrickel und finde Prog geil" komme ich an sowas nicht vorbei, schon gar nicht, wenn es so gut gemacht ist.
Die andere Seite der Furcht brettert dann ja arg thrashig rein - und betont durchaus ganz mächtig eine Nevermore-Schlagseite. Mist. Noch immer nix zu meckern, passgenaues Puzzleteil zwischen harten Eldritch und eben Nevermore.
Nochmal BG-ähnlich-balladeskes: zwar ist mein Lieblingsfluss noch immer der von Opeth, aber das hat durchaus was für sich und ist gut platziert im Albumkontext. Dazu kommt der schlicht tolle Gesang, auch, wenn man so ein klein wenig ins Knödelige verfällt, so in Richtung Refrain. Mag manch einer gar kitschig finden - und ja, ich finde, der hat ein wenig was von "Baukasten", wäre da nicht diese großartige Instrumentalisierung und das Finale, das mich einmal mehr an selige Sava-Tage denken lässt.
ACHTUNG! Jetzt kommt das Gemecker ausgerechnet an DEM Stück, das die Meisten wohl als Sahnehaube des Albums ansehen: mich bläst da nix weg. Im Gegenteil, für mich klingt es überkonstruiert....alles, was bis hierher auf dem Album funktioniert hat haut dieses Ding jetzt nicht direkt in die Tonne, aber es ist mir einfach too much. Mag sein, dass ich als "Viel-Prog-Hörer" da irgendwie abgestumpft bin, aber trotz durchaus toller Momente (Chorus, einige Bridges, auch die Frickeleien) ist man hier
meilenweit vom eigenen
Meilenstein (der für mich auf den Namen "Vintage" hört) entfernt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass hier noch Wachstumspotential verborgen ist und mir die Lobeshymnen sowohl in der DF als auch hier im Forum wohl noch Größeres vorgegaukelt haben - so ist es ein guter Longtrack unter Vielen, wenn auch teils etwas überladen und in Sachen Emotion...ach ja, ich erwähnte ja "Vintage" bereits.
Gut, "Long Time" als Rauswerfer ist dann ein nettes Runterkommen - und vielleicht eine Ballade zuviel, aber das tut jetzt dem Gesamtbild keinen Abbruch.
OK - Fazit: Ein wunderbares, homogenes Album, trotz - und für mich als Prog-Fan natürlich - gerade
wegen aller Finessen, die perfekt mit songdienlichen Aufbauten verwoben sind. So schön, dass diese Art Musik (ich erwähnte so einige Paten bereits oben, seltsam, dass eben jene irgendwie nie Erwähnung finden, auch, wenn Twilight Kingdoms "Adze" unlängst in der Forgotten Jewels des DF aufgetaucht ist) wieder gibt. Witherfall rühren eine derart perfekte Mischung aus allen Zutaten des Prog- und Power-Metal amerikanischer Prägung an, dass es eine wahre Freude ist. Schön, dass dieses Album erschienen ist, ja, auf eine Art hat es das Zeug zum Klassiker - und vor allem freut es mich einfach, dass es durch die Pole-Position im DF-Soundcheck vielleicht auch die gesamte Musikrichtung des US-Prog/Power-Metals mal wieder in den Focus rückt....im Grunde hat man ja von Dead Lord und sonstiger B-Ware, die plötzlich Soundchecksieger waren, schon ein wenig die Schnauze voll, oder ;-)?
Die Nummer 1 2021? Hm....nein. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich aus meiner jetzigen Sicht SOEN diese Krone aufsetzen dürften....