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On Parole
Einleitende Anekdote
Malle 1982: Ich liege im Urlaub mit meinen Eltern und beiden älteren Schwestern am Strand. Ich habe meinen noch recht neuen Walkman in Betrieb, in welchem eins meiner Mixtapes steckt und Motörhead ertönt. Ich bin gerade richtig schön im Song, als mir unsanft der Kopfhörer von der Rübe gerissen wird. Ich riss empört die Augen auf und neben mir hockt meine älteste und metalfreieste Schwester, die sich gerade meine Kopfhörer überstülpt. Ich erwarte vorab genervt ihr übliches: „Uff, das ist ja grausam!“, stattdessen schockt sie mich mit einem erschreckend wohlwollenden: „Mann, das ist ja richtig gut! Gefällt mir! Wer ist das?“ Ich triumphierend: „Motörhead!“ Ich genieße ihren verblüfften Gesichtsausdruck als sie beinahe stammelt: „Nee… ich hab schon was von Motörhead gehört… das sind die doch nicht… oder?“ „Doch, doch!“, grinse ich. Sie wird nachdenklich. „Die Stimme… hört sich irgendwie an…“ Ich ahne Schlimmes. „Mach es jetzt nicht kaputt!“, sage ich nicht, denke es nur. „…als wenn Udo Lindenberg auf Englisch singt!“, platzt es aus ihr heraus. Sie hatte den Moment doch kaputt gemacht. „Du Wahnsinnige!!!“, trompete ich, „Du kannst doch nicht Lemmy mit diesem Nölheinz vergleichen.“ Dabei fand ich den Udo damals durchaus noch ganz gut, die alten Sachen zum Teil sogar toll, aber der Vergleich mit Lemmy schockte mich doch sehr.
Wahrscheinlich auch deshalb, weil ich den Gedanken beim Hören des betreffenden Songs selbst schon hatte. Man darf dabei natürlich nicht an den späteren, sich selbst parodierenden Udo denken, sondern an den, der in den frühen 70ern gerade in seinen ruhigeren Songs zwar auch oft ein wenig neben der Spur war und näselte, aber auch sehr viel Gefühl und Sehnsucht ausdrückte. Ach so, es handelte sich bei dem Song übrigens um die ‚On Parole‘-Version von ‚Iron Horse – Born to Lose‘. Mit meiner Meinung, dass es sich bei dieser Version um die beste des Songs handelt, dürfte ich mich zu einer Minderheit gesellen, aber ich liebe die instrumentale Zurückgenommenheit, Wallis‘ gefühlvolles Gitarrenspiel und natürlich Lemmys hier noch recht glatte, melodische und sehnsüchtige Stimme. Gerade der Refrain mit dem gedoppelten, besonders melodischen Gesang wirkt noch getragener und epischer als später.
Mein Weg zu Motörhead und On Parole
Ich stand zu Beginn meiner Entdeckung der härteren Musik nicht vorrangig auf straighte, kompakte Songs. Auch AC/DC lief eher so nebenbei und am Punk interessierten mich eher Texte als Musik. Von Motörhead sah ich zunächst nur Tourplakate und Bandfotos und konnte mir nicht vorstellen, dass sie etwas für mich wären. Es lag bei mir kurioserweise auch am besonder rabaukenhaften Aussehen. Das hatte seinen Hintergrund eventuell in der Gegend, in der ich wohnte. Dort gab es halt ab und an unheimliche Begegnungen mit Leuten eben solcher Optik, z.B. wollte mir mal ein älterer, besoffener Typ mit einer Knarre einen Badge, den sein Kumpel begehrte, von der Jeansjacke ballern. Der Kumpel hielt ihn aber davon ab und zahlte mir für den Badge, den ich eigentlich gar nicht verkaufen wollte, immerhin 50 Pfennig.
Die Wende kam ausgerechnet im schulischen Musikunterricht, wo eines Tages Platten mitgebracht werden durften und jemand Overkill mitbrachte. Der Titelsong reichte, um mich zu bekehren. Philthys Doublebass, Lemmys Stimme, Eddies Gitarrensoli und das vorgetäuschte Ende mit dem zweimalige Wiederanfang… da war es um mich geschehen. Zu Weihnachten 1980 stand 'Ace of Spades' auf meinem Wunschzettel, dessen Cover auch der Anlass war, mir später ebenfalls Lederkluft und Patronengurt zuzulegen. Darauf folgten Overkill und Bomber und nachdem 'No Sleep…' und 'Iron Fist' rausgekommen waren, holte ich mir On Parole, damals in dem Glauben, dass diese auch als erste erschienen war. Auf meiner Version steht auch auf dem Labelaufdruck die Jahreszahl 1976. Bezüglich der Frage, warum ich bis dahin weder diese noch das offizielle Debüt besaß, herrscht bei mir ein Blackout.
Eigentlich hätte ich mich aufgrund meiner Verehrung für Fast Eddie erstmal auf das 77er Werk stürzen müssen, aber vielleicht wollte ich die vermeintliche Reihenfolge einhalten. Vielleicht hatte sie aber auch Vorrang, weil sie "Nice Price" war. Mit dem selbstbetitelten Album dauerte es noch etwas länger, da es ja überwiegend die gleichen Songs waren, das Geld nicht in Strömen floss und ich von dem was da war, Platten von vielen verschiedenen Bands haben wollte. Ich konnte mir damals auch nicht erklären, warum sie die Scheibe ein Jahr später quasi noch einmal aufgenommen hatten. Da ich erst sehr spät anfing, mich mit Hintergrundinfos zu beschäftigen, erfuhr ich die wahre Geschichte erst vor ein paar Jahren.
Die Entstehung des Albums
Es wäre durchaus möglich gewesen, dass wir hier jetzt über eine Band namens "Bastard" sprechen, aber Lemmys erste Intention wurde schnell verworfen. Lemmy, Gitarrist Larry Wallis von den Pink Fairies (Band lag auf Eis) und der junge Schlagzeuger Lucas Fox waren die erste Motörhead-Inkarnation und nach einigen Live-Shows sollte auch ein Album aufgenommen werden. Sie gingen ins Studio und Dave Edmunds sollte produzieren. Mit ihm entstanden auch Demos, aber bevor es richtig los ging, sprang er ab und Fritz Fryer ein. Auch Lucas Fox hielt nicht lange durch. Da die Bandkollegen mit seinem Spiel eh kaum mal zufrieden waren, stieg er noch während der Aufnahmen aus und Glücksgriff Philthy spielte Fox' Tracks - abgesehen von 'Lost Johnny' - neu ein. "United Artists" nahm die Band unter Vertrag, legte die Aufnahmen aber schließlich aufgrund zu geringer Erfolgsaussichten auf Eis. Erst nachdem 'Overkill' und 'Bomber' sie eines besseren belehrt hatten und sie ein Stück vom Motörkuchen abhaben wollten, brachten sie das Material doch noch raus. Zwischenzeitlich hatte sich die Band aus Frust beinahe aufgelöst. Plattenfirmen sind häufig echt scheiße.
Die Songs und ihre Hintergründe
Obwohl ich schon damals bei Platten eigentlich immer darauf geachtet hatte, wer für das Songwriting verantwortlich war, fiel mir hier erst vor Kurzem auf, dass Lemmy hier lediglich 3 Songs eingebracht hatte, die er allesamt noch für Hawkwind geschrieben hatte, nämlich Motörhead, The Watcher und Lost Johnny, von denen die letzteren beiden bereits mit Hawkwind veröffentlicht wurden.
Der Titelsong (erschien später auch von Hawkwind) ist für mich schon in dieser Version ein beeindruckendes Statement puren, schmutzigen Rock 'n' Rolls. 'The Watcher' ist ebenfalls einer meiner Lieblingssongs des Albums. Abgefahrene Soli von Wallis und die dezenten Space-Effekte gegen Ende wirken wie ein letzter Abschied von Lemmys Hawkwind-Vergangenheit. 'Lost Johnny' (zusammen mit Mick Farren von den Pink Fairies geschrieben) fand ich anfangs mit seinem gemächlichen und leicht Country/Western-mäßigen Gallopp eher witzig als geil, mochte es aber schnell auch sehr gern.
4 Songs stammen von Wallis (außer dem Titelsong mit Co-Writern). 'On Parole' ist ein saftiger Rock 'n' Roll mit geilen Gitarrensoli und einem motörheadwürdigen Text ("Stop me now before I kill myself, stop me before I kill somebody else!") Der von Wallis als Ich-Erzähler gesungene Text des guten 'Vibrator' erklärt sich von alleine. 'City Kids' (auch gut) war bereits von den Pink Fairies veröffentlicht worden und das zweite von Wallis selbst gesungene 'Fools' fällt stilistisch zwar etwas aus dem Rahmen, gefällt mir aber sehr gut. 'Leaving Here' ist eine gutlaunige Coverversion' von Eddie Holland, Lemmy hat sich allerdings an der Band 'The Birds' (nicht Byrds) orientiert. Bleibt das oben erwähnte 'Iron Horse - Born to Loose'. Das hatte ich immer unzertrennlich mit der Person Lemmy verbunden, war umso überraschter als ich feststellte, das es in einer einmaligen Zusammenarbeit von Philthy, dem Roady Mick Brown und Lemmys Kumpel, dem damaligen Präsidenten der Londoner Hell's Angels Guy "Tramp" Lawrence geschrieben wurde. Für mich wird es immer Lemmys Song bleiben.
Einordnung in den Motörhead-Kosmos
Während ich über das Album nachgelesen habe, bin ich u.a. auch auf die Fragen gestoßen, ob es das wahre Debüt ist und sogar, ob es ein richtiges Motörhead-Album ist. Die erste Frage ist schwierig. Blöd gesagt: Geht man nach dem Entstehen der Aufnahme, heißt die Antwort natürlich "ja", nimmt man das Datum der Veröffentlichung, heißt sie natürlich "nein". War jemand von Anfang an dabei, wird für ihn immer das 77er Album das Debüt sein, für mich, der erst später eingestiegen ist, ist es vom Gefühl her eher 'On Parole'. Dass Lemmy selbst es nicht als Debüt sehen kann, ist unter den gegebenen Umständen mehr als verständlich.
Die zweite Frage ist für mich sehr leicht zu beantworten: Natürlich ist es ein richtiges Motörhead-Album. Es sind zwar insgesamt 4 Verwertungen schon veröffentlichter Songs der ehemaligen Bands von Lemmy und Wallis sowie sowie eine Coverversion enthalten, so dass nur 4 "frische" Songs verbleiben, das Album klingt aber dennoch homogen und vor allem hat es bereits alles, was Motörhead ausmacht. Es klingt noch ein wenig softer, auch Lemmys Stimme, es ist aber eindeutig Motörhead. Es dokumentiert halt den Anfang ihrer musikalischen Entwicklung. Was später kam, ist auch von aufkommenden musikalischen Strömungen beinflusst, z.B. vom Punk und der NWOBHM, denn Lemmy hatte offene Ohren.
Das Ganze mal außen vor gelassen, liebe ich das Album. Ich finde keinen Song weniger als gut, einige richtig geil. Wo ich es in einem Listenwahn einorden würde, kann ich nicht sagen. Es ist kein Kandidat für die Top 10, aber auch nicht im hinteren Bereich. Schlechter als mindestens gut ist eh kein Motörhead-Album. Und bei aller Scheiße, die "United Artists" gebaut haben, ich bin froh, dass das Album doch noch raus kam.
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