Ok, dann lösen wir mal ein (aufzulösen habe ich nicht so viel).
Wie lange noch? - Seite A
Track 01: Vereinzelte Basstöne, nebenher läuft ein Fernseher. Irgendwas hamse erfunden, aber wenn das von Interesse für Musiker oder Publikum wäre, hätte er den Fernseher lauter gestellt. Der Bass wächst sich zu einem Massive Attack-Beat aus (ist aber kein Konservenbass), begleitet von sanftem Gitarrengequietsche im Hintergrund. Dann setzt ein Sänger ein, der es heute leider nicht zur Recording Session schaffen konnte, der Truppe aber immerhin durch einen kaputten Telefonhörer erhalten bleibt. Obwohl der Beat für sich genommen recht entspannt ist, ergibt sich mit den Broadcast-Fetzen im Hintergrund eine irgendwie drängende Atmosphäre. Zum Finale wird der Broadcast ein bisschen verständlicher: " ... Isolation ... Isolation ... Isolation." Na, das nenne ich mal subtil eingeleitet (kein Sarkasmus, das ist tatsächlich schwer zu hören, obwohl ich grade echt zu laut gehört habe).
Track 02: Zurückhaltende Punk-Riffs. "Ich bin nicht dumm, ich bin nicht schlau ... wie lange noch?" Sieht so aus, als hätten wir unseren Titeltrack gefunden. Die Gitarre macht klimper klimper, hier steht der Text im Mittelpunkt. Passt aber gut. Und ich wusste schon von
@Dr. Zoid, dass er für solche minimalistisch-kontrollierten Aufbauten immer zu haben ist. "Ich fühle nichts, ich denke nichts ... bleibe stumm? ... Habe kein Mitleid, habe keine Freu(n)de ... Wie lange noch? Ich warte immer noch, Wie lange noch? Ich warte immer noch ...". Oh Mann, ich auch. Auf jeden Fall ein würdiger Namensgeber und nominiert für die Best of-Krisenbezug Sonderwertung.
Track 03: Pumpender Beat, noisy, flangy (?!) Gitarrensound, komischer englischer Akzent, aber gut verständlich: "I hope he feels like a tourist, he fills his head with culture ... gives himself an ulcer (?)". Jedenfalls ein geiler Reim. Etwas später im Text noch Popkultur-Kritik: "Down on the disco floor, they make their profits". Wenn man unbedingt will, ist der Song zwischendurch sogar tanzbar. Die Frage ist, wer unbedingt wollen würde, und vor meinem inneren Auge sehe ich eine New Yorker Künstler-WG in ihrem lichtdurchfluteten Backstein-Altbau-Loft. Es ist nicht so prätentiös wie vieler Indie, wirklich nicht, aber es verstrahlt mir trotzdem zu viele Feuilleton-Vibes.
Track 04: Akustikgitarre und Bass - wenn es hier Drums gibt, dann sind sie nur ein zartestes Wischen. Ist es das, wofür man diese Jazz-Staubwedel verwendet? Hier haben wir es aber (noch) nicht mit Jazz zu tun. Eine tolle, mitteltiefe Gesangsstimme (mit Betonung auf Gesang, also ich meine jemand, der mit seiner Stimme Wohnung und Auto bezahlen kann). Der Themenbezug ist auch sofort klar, es geht um Solitaire oder Solidaire oder irgendeine Art von Einsamkeit (kartenspielend oder nicht). Teilweise etwas schmachtend, aber gleichzeitig wie eine kühle Brise. Xylophon und Sax mischen sich dann irgendwann dazu - toller Raumklang, der war sicher nicht ganz billig. An der Akustischen hartes Saitengezupfe, dass mich an schwielige Blueser-Hände erinnert, die ein besseres Leben gefunden haben. Schön.
Track 05: Full on noise-Blech-Kontrast, deutscher Gesang, irgendwie Punk, auch mal mit melodischen Gangshouts oder so ähnlich geschmückt. Es geht um Meer und Fische und Essen und Fischfangfabriken. Sehr schwer zu verstehen, aber geiler, total eindringlicher Sänger (falls das kein Widerspruch ist - er will mir jedenfalls wirklich wirklich etwas sagen). Zuerst denke ich, ich weiß nicht, wer das ist, aber dann habe ich eine Idee, die ich auch sofort googlen muss: es sind Dackelblut, der Song heisst "Sergé Beilmann". Die kenne tatsächlich seit dem letzten Wichteln und zwar weil
@Dr. Zoid höchstpersönlich da behauptete, Fluten und nochwas (Tauchen? Bluten? Gießen?) sei das beste deutschsprachige Punkalbum aller Zeiten. Das habe ich mir dann auch angehört (besitze aber noch nichts) und fands auch geil, wobei ich mich an den Song konkret jetzt nicht erinnern kann. Der Text, wenn man ihn dann liest, kann einen jedenfalls nachhaltig traurig machen. Ich wollte als Kind Meeresbiologe werden.
Track 06: Jetzt kommt Hip Hop auf einen Stranger Things-Beat. Ich kenne den Rapper nicht, aber sein Zimmer grenzt an Babylon und es sind Dinge in den Wänden und die Leere hat ein Ende. Jedenfalls ist damit die Behauptung widerlegt, dass Zoid in dem Segment nur Grim104 hört. Der 2. oder 3. Part wird dann von jemand anders gerappt, der mich von der Art, ganze Sätze zu texten und der Phrasierung her massiv an Dntsy erinnert - der kann es aber nicht sein, denn der Text ist viel zu literarisch und zu wenig abgefuckt für ihn. Sehr ärgerlich.
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