Nächster Halt
Den Haag. Dorthin zog es mich vor zwei Wochen zum
Grauzone Festival, ein Festival, das dieses Jahr zehnjähriges Jubiläum feierte und sich schwerpunktmäßig im Dark Wave verortet. Dort bin ich nicht so zuhause, aber schon interessiert, jedenfalls war ich auch ein wenig gespannt auf das Publikum. Das war aber ziemlich ähnlich drauf wie bei den vertrauteren Underground-Metal/Hardcore-Shows: angenehm entspannt und unprollig. Ich schätze, in jeder Szene findet man die Selbstdarsteller eher bei den größeren Veranstaltungen…
Line-up:
https://www.grauzonefestival.nl/line-up-2023
Das Grauzone Festival spielte sich in mehreren Locations ab, von denen der größte Saal um die 1000 Leute fasste. Für meinen Geschmack schon grenzwertig groß. Im Vorfeld wurde man auch darauf hingewiesen, möglichst rechtzeitig vor Ort zu sein, wenn man an einer konkreten Band interessiert ist, damit man auch sicher noch reinkommt. Mehrere Bühnen wurden gleichzeitig bespielt, allerdings immerhin meistens so, dass die Überscheidungen nicht komplett waren. Anlass zu Skepsis war also auch gegeben, aber ich kann jetzt schon sagen, dass das alles ganz gut ablief.
Die Hauptlocation des Festivals war das
Paard, ein modernes Gebäude mit einem großen Saal (1000), einem kleinen (300+) und einem Café (ca. 150).
Hier der große Saal, bei dem man auch auf zwei Stockwerken seitlich von der Galerie aus auf das Konzertgeschehen schauen konnte (größtenteils nichts für mich).
Der erste Tag war für mich gleich schon der hochkarätigste und spielte sich glücklicherweise mit nur minimalen Überschneidungen größtenteils im großen und kleinen Paard ab. Eröffner des Festival waren
Minuit Machine gefolgt von
Tempers. Dann lotste mich das Programm allerdings in die zweite Location, die sich ein paar Minuten Fußweg vom Paard entfernt befand:
The Grey Space In The Middle, in dessen Keller auch Bands auftraten, allerdings gab es dort keine Bühne (also alles ebenerdig), weshalb sich ein Platz in den vorderen Reihen empfahl, sofern man auch etwas sehen wollte.
Durch den Rückweg nach dem Auftritt von
Rue Oberkampf im Grey Space verpasste ich leider den Anfang von
Lebanon Hanover und hatte während deren Auftritt anfangs nur einen unguten Platz in Thekennähe, wo es immer wieder etwas Unruhe gab. Nach einer gewissen Zeit bot sich dann aber ein Fluchtweg direkt vor die Bühne und man konnte noch gut in den Auftritt von Lebanon Hanover eintauchen. Generell war es beim Festival eigentlich immer so, dass man mit etwas Geduld früher oder später in die Nähe der Bühne kam, wenn man das wollte.
Danach ging es wieder zurück ins Grey Space, wo die Briten
Ditz schon mitten dabei waren. Hier merkte ich mal wieder, weshalb es Sinn ergibt, neben harter Musik auch bewusst andere Sounds zu hören, damit sich der Krach nicht abnutzt. Ditz sind eigentlich gar nicht sooo hart, aber in dem Kontext, nachdem man ein paar Stunden vor allem düstere Synth-Sounds gehört hatte, reichten eine verzerrte Gitarre, ein Schuss Noise-Rock und ordentlich Punk-Attitüde aus, um mächtig einzuschlagen. Ein erstaunlich rustikaler Moshpit war hier auch schon am Start. Auch ohne Beteiligung am Moshpit war ich anschließend platt genug, um nicht gleich zu
A Place To Bury Strangers gehen zu können, sondern erst mal meine Batterie mit Speis und Trank etwas auffüllen musste, daher sah ich dann von APTBS nur noch, wie in der letzten Viertelstunde eine Gitarre zertrümmert wurde.
Im Verlaufe des Festival wurden auch Filme gezeigt, z. B. auch „Only Lovers Left Alive“ (den ich mir allerdings nicht während des Festivals, sondern schon vorher nochmal zur Einstimmung anschaute). Jim Jarmusch trat auch mit seiner Band
Sqürl beim Festival auf – wovon ich aber nur ein paar Minuten sehen konnte, weil ich die Prioritäten anders setzen musste. Ähnlich vampiresk wie in „Only Lovers Left Alive“ fiel auch der Festival-Alltag aus: Im billigen, fensterlosen 9er-Hostel-Mehrbettzimmer machte es keinen Unterschied, ob es zwölf Uhr nachts oder mittags war. Da schaute man irgendwann auf die Uhr und dachte „o je, schon mitten am Tag, dann gehe ich halt mal kurz raus, um eine Kleinigkeit zu essen“. Anschließend oft nachmittags nochmal für ein, zwei Stunden in
den Sargdas Hostelbett, um etwas für die anstrengende Nacht vorzuschlafen.
Der zweite Festivaltag war subjektiv nicht ganz so stark wie der erste. Ein Highlight war
Emma Ruth Rundle, die mir solo immer besser gefiel als mit Band. Ein zweites Highlight war gleichzeitig auch mein verplantester Moment des ganzen Festivals. Am späteren Abend trat ein gewisser
Qual auf, wusste ich nichts groß drüber, hatte aber im Vorfeld kurz reingehört und beschlossen, dass das interessant genug klang, um mir das live anzusehen. Ich bekam es dann hin, mir den ganzen Auftritt anzusehen, ohne dabei zu kapieren, dass das ja ein Solo-Projekt von William Maybelline von Lebanon Hanover ist, obwohl ich Lebanon Hanover gerade erst einen Tag vorher live gesehen hatte. Keine Ahnung, weshalb ich ihn nicht erkannte, vielleicht weil ich einfach überhaupt nicht damit gerechnet hatte (bei Musik-Sammler war er übrigens fälschlicherweise als Grieche deklariert, sowas hilft natürlich auch nicht bei der Identifizierung). War aber live echt gut und vor allem erstaunlich aggressiv, denn während er auf Platte einfach nur tief singt, waren das live schon überwiegend richtige Growls.
Später in der Nacht galt es dann noch, ein DJ-Set von
Ellen Allien mitzunehmen. An elektronischer Musik bin ich ausdrücklich interessiert, allerdings ist straight nach vorne ge-utz-utz-utz-ter Techno meistens doch nicht so ganz meine Baustelle. Ellen Allien ist aber ein absolutes Urgestein der Berliner Techno-Szene mit über 30 Jahren Erfahrung am DJ-Pult, daher fand ich das schon sehr interessant, der mal über die Schulter zu gucken. Und das kann man wörtlich nehmen, denn auch hier war ich wieder positiv überrascht, wie leicht man mit etwas Geduld völlig ohne zu drängeln direkt ans Dj-Pult kam.
Am letzten Festival-Tag kam dann für mich noch eine weitere Location ins Spiel: das
Koorenhuis, früher einmal eine Lagerstätte für Getreide. Highlight war hier der Auftritt von
Ploho.
Eine zusätzliche Festival-Location gab es noch mit der Barth Kapel, einer Kirche. Hier gab es ein paar Auftritte - gerne hätte ich Jo Quail gesehen, aber das war zeitlich einfach nicht drin.
Drehte sich jetzt alles mehr ums Festival als um die Locations, aber macht ja nichts.
Insgesamt ein wirklich schönes Festival, das ich in Zukunft im Hinterkopf behalten werde, wenn mir mal der Sinn nach einem Wochenende mit etwas ruhigeren Klängen steht.
Das letzte Wort gehört Lebanon Hanover, die ich in Den Haag endlich mal live sehen konnte (nachdem ich sie die letzten Jahre schon wiederholt knapp verpasst hatte) und ohne die ich gar nicht auf das Festival aufmerksam geworden wäre (bin bei deren Konzertterminen auf das Festival gestoßen).
„Gallowdance“