Danke!
Mir ging es dabei auch darum, dass im Kontext der Vorwürfe sehr häufig das Wort "Machtgefälle" gebraucht wird - zu Recht übrigens -, es aus Sicht des Angeklagten aber ebenso plausibel erscheint, gegen (soziale) Medien vorgehen zu wollen (wenn man der Auffassung ist, dass die Vorwürfe nicht zutreffen), weil diese wiederum auch Macht ausüben und ein bestimmtes Narrativ etablieren können, dem man womöglich nicht zustimmt. Für mich liest sich das Statement so, als wolle man die Deutungshoheit erlangen, vor allem was die Drogen- bzw. K.O.-Tropfen-Thematik betrifft.
Was das Thema "Machtgefälle" bei der Rammstein-Diskussion anbelangt (bzw. das aktuelle "Anwaltsgeschehen"/juristische Geschehen generell), muss man zum Verständnis wohl auch differenzieren zwischen Strafrecht und Zivilrecht, was beides zunächst mal voneinander völlig unabhängig läuft. Hier gibt es ja die (potenziell strafrechtlich relevanten) Vorwürfe gegen Lindemann, wo auch sexuelle Übergriffe/Nötigungen und Vergewaltigung im Raum stehen - also die strafrechtliche Seite. Hier ist das Machtgefälle natürlich bei den Taten selbst zu verorten, ähnlich wie ein Pfleger, der strafrechtlich relevante Handlungen an seinen schutzbefohlenen Patienten vornimmt. Und auch das Strafrecht ist es erstmal, woher diese Unschuldsvermutung kommt - hier bin ich erst einmal Beschuldigter, solange das Ermittlungsverfahren läuft, und dann Angeklagter, wenn Staatsanwaltschaft und Gericht nach Abschluss der Ermittlungen hinreichenden Tatverdacht sehen und das Hauptverfahren eröffnen. Und hier ist es auch, wo mir meine Taten - durch das Strafmonopol des Staates, also Staatsanwaltschaft/Gericht - mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden müssen. Bestätigt sich dieser Verdacht im Hauptverfahren, werde ich vom Staat zu meiner Strafe verurteit. Soweit das Strafrecht.
Im Zivilrecht sieht es etwas anders aus. Das ist die Parallelschiene, auf der aktuell das Vorgehen gegen die Presse (oder auch direkt gegen einzelne potenzielle Opfer, die man mundtot machten möchte) läuft. Das Zivilrecht ist daher der "Parteienprozess", es geht nicht um "Täter - Staat", sondern um "Partei A - Partei B". Hier kann ich mich als Adressat von bestimmten Äußerungen oder Handlungen direkt gegen die entsprechenden Personen oder Personengruppen wehren. Hier gibt es Kläger und Beklagten. Und da es ein Parteienprozess ist, sieht es auch mit der Beweislage etwas anders aus, salopp heißt es immer "wer sich auf eine für ihn günstige Rechtsfolge beruft, muss das beweisen". Die Beweislast liegt hier also bei den Parteien selber. Und auf Äußerungen gemünzt heißt das natürlich: Renne ich herum und behaupte ich, mein Nachbar seine Frau im Garten vergraben hat, muss ich das auch beweisen. Genau deswegen ist das Zivilrecht - momentan - etwa für Herrn Lindemann ein recht scharfes Schwert: Die potenziellen Opfer wären für den Wahrheitsgehalt ihrer Behauptungen erst einmal selbst beweispflichtig, wenn ihnen eine Unterlassungserklärung ins Haus flattert. Möchte man keinen intensiven und kostspieligen Zivilprozess führen, unterschreibt man das Teil in der Regel. "Machtgefälle" hat hier wohl eine gänzlich andere Bedeutung als im Strafrecht. Allenfalls kann man wohl sagen: Rammstein hat eben locker das Geld für zahlreiche zivile Rechtsstreitigkeiten und damit i. d. R. den längeren Atem.
Ich hoffe, ich konnte hier etwas Licht in den Dschungel der Juristerei bringen... aber wie gesagt: Was die Moral angeht, kann dies trefflich auseinanderdriften. Auch ich stehe ideell oft nicht hinter den - juristisch einwandfreien - Ansichten oder den Meinungen von Anwälten, Staatsanwälten, Richtern oder entsprechenden Urteilen. Aber das darf man auch, Recht und Moral sind nicht deckungsgleich. Deswegen sage auch ich "Unschuldsvermutung" und "Notwendigkeit der umfassenden Aufklärung und Ermittlung", finde gleichzeitig Herrn Lindemann aber jetzt schon immens ekelhaft und würde ihn am liebsten in der Hölle schmoren sehen.