Motörhead-Nö Sleep At All (1988)
„You know what we’re born for? We are built for s/Speed!“ (Doppeldeutige Ansage zum gleichnamigen Song)
Die Fakten zum Album: Aufgenommen beim Giants Of Rock Rock Festival in Hämeenlinna, Finnland am 2.Juni 1988. Motörhead spielten als Headliner auf, vor ihnen gingen u.a. Girlschool auf die Bühne. Das Original-Vinyl, veröffentlicht am 15.10.1988 durch GWR-Records, umfasst 10 Songs bei einer Spielzeit von 46:03 Minuten. Die CD-Version, auf die sich diese Besprechung bezieht, enthält noch „Stay Clean“ und „Metropolis“ bei einer Spielzeit von 51:26 Minuten. Meine Recherchen konnten nicht zu 100% offenbaren, ob diese Aufnahmen vom selben Konzert stammen. Die Aufnahme von Metropolis stammt wohl vom 23.12.1987 (so sagt zumindest das englischsprachige Wikipedia), und der Sound bei Stay Clean hat auch etwas gelitten. Oder aber die Songs sind einfach nur dem Cut bei der damaligen Vinylkapazität zum Opfer gefallen. Gespielt haben sie die beiden Songs jedenfalls an Stelle 2 und 4 des Sets:
https://www.setlist.fm/setlist/moto...oottorirata-hameenlinna-finland-53dc77bd.html
Wo steht das Album in der Motörkosmos und im Allgemeinen: Ganz ehrlich, als Live-Nachfolger für das bereits 1988 ultra-legendäre „No Sleep ‚Til Hammersmith“ wäre es für jedes Album schwer geworden – siehe z.B. auch Maiden nach Live After Death mit den A Real…-Alben. Dann aber mit dem Namensbezug „Nö Sleep..“ (man beachte den Umlaut, den das „Original“ von 1981 nicht im Namen trägt) wird die geschürte Erwartungshaltung komplett überzogen, die 1988 schlicht nicht erfüllt wurden. Zwischen den beiden Alben liegen vier Studioalben und No Remorse. 4 von 12 Songs stammen aus der „Hammersmith“-Zeit und -Setlist (“Ace Of Spades“, “Stay Clean“, “Metropolis“, “Overkill“). Von Iron Fist und Another Perfect Day werden gar keine Songs gespielt, Orgasmatron wird mit drei Songs repräsentiert, das damals aktuelle Album RNR mit vier Songs, sowie No Remorse mit “Killed By Death“. Auf der Tour 1988 hatten Motörhead auch immer mal „No Class“, „Stone Deaf In The USA“, „Orgasmatron“ oder „Iron Fist“ in der Setlist. Für meinen Geschmack wurde hier eine Chance verpasst, die „Alive II-Lösung“ (nur Songs aus der Studiozeit seit dem letzten Live-Album) wäre hier sinnvoller gewesen. Das Songmaterial sogar für ein Doppel-Livealbum wäre definitiv in Hülle und Fülle vorhanden.
Dem gegenüber auf der Habenseite stehen ein für mich simples aber cooles Album-Cover und ein Sound, der zumindest meinen Ohren schmeichelt (die Betonung liegt auf „meinen“ nicht auf „Ohren“ – das gilt der Pherkelfraktion unter Euch
). Die Band steht im Vordergrund, man hört beide Gitarren deutlich heraus und das Publikum verbleibt angenehm in den Hintergrund gemischt. Außerdem ist Philthy Animal wieder an Bord. Es ist das einzige offizielle Live-Album einer 4er-Besetzung – und man kann sogar beide Gitarren heraushören. Viele Songs werden schneller gezockt als deren Studioversionen (Deaf Forever, Killed By Death, Stay Clean wird sogar wie ein Speed-Metal-Song runtergeprügelt) – das kann einigen/ vielen gefallen. Ich mag eher die „gemächlicheren“ Versionen… aber dafür spielt bei Killed By Death ausschließlich nur die Band, es gibt keine „Gastvocals“ wie später oft üblich… wobei Girlschool ja verfügbar gewesen wären
Insgesamt wirkt das Album wie ein Schnellschuss der Plattenfirma um ein paar Zusatzeinnahmen zu generieren. Für mich persönlich der schwächste offizielle Tonträger aus dem Hause Motörhead überhaupt. Aber hey, irgendwer muss die rote Laterne tragen… Lemmy lässt uns hierzu in „White Line Fever wissen“ (Seite 215 meiner Ausgabe):“1988 nahmen wir auch ein weiteres Live-Album auf: No Sleep At All [Anm. von mir: ja, er schreibt es ohne Umlaut]. Es wurde im Juli auf dem Giants of Rock Festival in Hameenlinna, Finnland, aufgenommen. Aber es war ein Fehler – obwohl wir dachten der Zeitpunkt wäre günstig, schließlich waren wir in dieser Besetzung eingespielt -, denn es verkaufte sich sehr schlecht. Die Platte selbst ist in Ordnung. Sie hätte ohne Zweifel besser sein können, aber wir ließen sie von Guy Bidmead abmischen, weil wir ihm eine weitere Chance geben wollten, hauptsächlich, weil er Vic Mailes Junge war und Vic ein toller Live-Mischer war. […] Aber Guy war einfach zu nett, denn er machte, was wir wollten. Vic wusste, wann er uns sagen musste, dass wir verdammt noch mal die Schnauze halten sollten!“
Holger Stratmann schrieb in seiner Rezi in RH29 dazu: „Der Sound der Platte ist ebenfalls mehr als zufriedenstellend, eine Kaufentscheidung ist da wohl schnell gefällt.“ Götz Kühnemund bezeichnet das Album in seiner Band-History in der Rock Hard Sonderausgabe Nr.1 von 2011 mit über 20 Jahren Abstand dagegen als „die schwächste [Live-Scheibe, Anm. von mir] im Katalog der Band“ und „überhastet auf den Markt geworfen“.
1988 war geprägt von der Weiterentwicklung extremer Metal-Spielarten. Thrash Metal war mittlerweile schon beinahe „Mainstream“. Die damaligen „Big Four“ Metallica („AJFA“), Megadeth („So Far…“) und Slayer („South Of Heaven“) warfen zwei Meilensteine in die Menge, Anthrax mit „State Of Euphoria“ ein Album, das einige/viele dafür halten
Im Black/Death/Grind-Bereich brodelte es gewaltig, wie man an Bathory („Blood Fire Death“), Bolt Thrower („IBTINL“) Carcass-(„Reek..“), Death („Leprocy“) festmachen kann - und würde Motörhead-Verächter -
@Lobi hier mitlesen, würde ich noch sein Avatar-Album (Napalm Death’s „From Enslavement ..“) nennen. Tu‘ ich aber nicht
An der Live-Front haben Maiden die Nase vorn, wobei das mit einer abwechslungsreicher gewählten und leidenschaftlicher dargebotenen Setlist ausgestatte VHS-Video „Maiden England ´88“ zwar 1988 aufgenommen, aber erst 1989 veröffentlicht wurde. Gar nicht so einfache Zeiten für eine Rock N Roll-Band, deren Musik knappe zehn Jahre nach Veröffentlichung des Debüts schon irgendwie aus der Zeit gefallen klang… aber sie sollten „1916“ gewaltig zurückkehren…
Meine Beziehung zum Album: Keine wirkliche, fühle mich schon fast ein wenig schlecht deswegen...
Ich habe dieses Album über die Jahre nicht so intensiv durchgehört wie andere Live-Alben der Band. Ich weiß selbst nicht einmal woran das liegt. Vielleicht weil sie so kurz ist. Die letzten Wochen lief Nö Sleep At All zur Vorbereitung auf dieses Review einige Male. Es rockt – so wie alles, was Motörhead je veröffentlicht hat. Es reißt mich streckenweise mit. Es packt mich zwischendurch. Aber irgendetwas fehlt. Vielleicht weil die Setlist für mich persönlich nicht optimal ist. „Dr.Rock“ ist für mich kein geeigneter Opener, nicht einmal in meiner Motörhead Top50 vertreten. Sie haben später häufig mit „Iron Fist“ oder „We Are Motörhead“ eröffnet. Oder bei der letzten Tour mit „Bomber“. So darf ein Motörhead-Konzert gerne beginnen
. Mit „Traitor“ und „Dogs“ wird es leider nicht besser – wie gesagt, nur FÜR MICH, jeder andere darf gerne vor Freude ob dieses Eröffnungstriples im Dreieck springen. Außerdem fehlen mir Songs von Rock’N’Roll… „Dogs“, „Traitor“ und „Eat The Rich“ sind auch auf dem damals aktuellen Werk nicht meine Favoriten. Der Titelsong, „Stone Deaf In The USA“ oder „The Wolf“ hätten mich mehr gekickt. Und warum „Ace Of Spades“ damals relativ mittig im Set stand anstatt als Opener (Wie auf dem ersten schlaflosen Live-Album) Türen und Zähne einzutreten oder wie später im Zugabeteil…. Lemmy wird wohl gewusst haben, warum seine Setlist so und nicht anders aussah… Another Perfect Day wurde damals (noch) komplett ignoriert… darüber gab es ja zu allen Zeiten der Bandgeschichte Diskussionen unter den Fans. Lemmy’s „Setlist-Flexibilität“ war ohnehin legendär, gerade in den letzten knapp 10 Jahren der Band
Was mir jedoch sehr gefällt ist „Just ´Cos You Got The Power“ – live mit ZWEI Gitarren, einfach der Wahn! Ích habe den Song später live immer nur mit Phil alleine an der Klampfe gehört. Rockte auch ordentlich, aber das ist eine der MotörMomente, die nur mit Würzel richtig perfekt waren. Auch sind Lemmy’s Ansagen wie immer der Kracher („This One was a big hit for us – I’ve got 10.000 copies of it in my house. This is called Killed By Death“, oder wie er „Just ‚Cos…“ einführt… göttlich!) und seine Energie… er hätte damals auch „Alle meine Entchen“ spielen können – es hätte GEROCKT! Mit seinen damals 42 Lenzen galt er ja schon fast als Rock N Roll-Opa… Unter den Live-Alben, wie selbstredend auch den Studio-Alben, gibt es für mich keine wirklich schwachen Veröffentlichungen der Band. Wenn ich aber Lust auf Motörhead Live habe, greife ich lieber zum „No Sleep…“-Original oder „Everything Louder…“ – beide haben zwar 7 Songüberschneidungen, aber letzteres Album führt auch gleich 18(!) Post-„No Sleep“ auf. Aber dazu wird uns
@Sandman beizeiten noch vorweihnachtlich sämtliche Leviten lesen.
Heute wird das Album trotzdem/deswegen erneut bei mir laufen. Cheers
P.S. Ich fühle mich ja fast ein wenig schlecht, weil ich das Album nicht nach aller Regel der Kunst abfeiere... ich gelobe Besserung für Overnight Sensation. Das werde ich auf Knien besprechen