Ich fand Joker sehr gelungen. Mutig und relevant, obwohl hollywoodtauglich. Man sah auch an einem Großteil der Besucher, dass sie anderes erwarteten, einige gingen sogar mittendrin. Ich spar mir jetzt mal alles zur schauspielerischen Qualität von Phoenix, zumal ich den Film nur synchronisiert kenne, aber da sind sich ja wahrscheinlich eh alle einig.
Man kann schon sagen, dass der Film von ihm lebt bzw. dass er nicht funktionieren würde, wenn man jemand weniger begabten gewählt hätte. Ich finde aber, dass das kein Schwachpunkt ist, sondern dem Konzept insgesamt entspricht. Im Endeffekt wird ja gezeigt, was einem Individuum auf der Verliererseite einer kapitalistischen Gesellschaft im Extremfall wiederfahren kann, sozusagen die Spiegelung sozialer Missstände in einer Figur. Und das finde ich echt clever gemacht, weil Fleck sich ja explizit nicht politisch positioniert, auch nicht gegen Wayne. Das ist ja alles eine rein private Geschichte, auch am Schluss, als er in der Show anprangert, dass die Menschen da draußen einfach nicht mehr nett zueinander sind. Auch mit den Riots hat er gar nichts zu tun, die entstehen zufällig. Er selbst wird vom Leben brutalstmöglich gefickt und geht daran kaputt. Deshalb finde ich die Konzentration auf seine Figur konsequent. Meine Freundin meinte, sie hätte sich gewünscht, dass bei soviel Wahnsinn auch die Erzählung selbst deutlich weniger geordnet sein dürfte und mehr Leerstellen lassen sollte. Sicherlich ein berechtigter Einwand. Was auf jeden Fall schade ist, wenn es auch glücklicherweise nicht zu häufig vorkommt: Das an-die-Hand-nehmen, damit jeder Depp auch ja alles versteht. So z.B. der letzte Witz, den der Joker in der Show erzählt und der quasi seinen Werdegang nochmal erklärt, oder seine Nachbarschaftspsychose (die selbst fand ich übrigens überraschend). Da hätte man mutiger sein können. Dennoch: Popcornkino geht anders.
Völlig befremdlich finde ich die Bedenken hinsichtlich der Gewaltdarstellungen. Ist das zumutbar? Ist das Selbstzweck? Ich finde, die Gewalt wird sehr pointiert und effektiv eingesetzt. Das sind halt die Situationen, in denen die Demütigung so hart überkocht, in denen Fleck es nicht mehr erträgt, wie wenig Beachtung ihm zukommt. Und dann der Hinweis des FBI, es könnte Nachahmer geben oder der Joker könne ein ungesundes Identifikationspotential bieten. Sachma geht's? Das ist doch genau das Problem. So will sicher niemand sein, aber es gibt nun mal Menschen, die sich in vergleichbaren Situationen befinden. Und da man sich schon längst an das Versagen der Sozialdemokratie gewöhnt hat, heißt es nicht: "Ach ja, diesen Menschen wollten wir ja irgendwann mal helfen, was ist da eigentlich schiefgelaufen?" Sondern: "Jetzt gebt denen bloß nicht noch einen Film, der sie bestätigt." Blanker Zynismus. Holger Heiland bemerkt in der
jungle world dann sogar noch clever, dass "Joker" durch die Vorfälle des letzten Batmanfilms der Erfolg an den Kinokassen gesichert sei. Was bitte soll damit angedeutet werden?
Was ich beim Lesen der JW-Besprechung bereits dachte, ist die traurige Relevanz, die der Film hinsichtlich der Vorfälle in Halle erfährt. In einem
Gastbeitrag für den Tagesspiegel verweist der Psychiater Joachim Bauer auf neurologische Erkenntnisse (kenn ich mich nicht aus mit, nur mal so), nach denen der Mensch süchtig nach gesellschaftlicher Anerkennung ist und in irgendeiner Form durchknallt, wenn er sie nicht bekommt. Das wirft zwar keine neuen Fragen hinsichtlich der Leistungsgesellschaft auf, in der wir leben, rückt aber vielleicht wieder in den Fokus, was durch zunehmende soziale Spaltung und damit einhergehende sozialchauvinistische Tendenzen seit den 00er-Jahren aus dem Diskurs verdrängt und aufgrund vermeintlich alternativloser Sachzwänge nicht einmal mehr gedacht wird.
Deshalb finde ich auch die Frage am Ende des JW-Arikels völlig irre(levant) (hihi), ob und warum hier schon wieder eine männliche Rachegeschichte erzählt werden muss. Ich bin ja selbst völlig genderwahnsinnig verschwult, aber das ist hier einfach eine völlig unangebrachte Kritik. Als ob Fleck jetzt irgendwelchen hypermaskulinen Allmachtsphantasien eine Projektionsfläche bieten könnte. Im Gegenteil: die sogenannte "toxische Männlichkeit" (wenig brauchbarer Begriff, aber ok) wird doch gerade durch das Mackertum im Umfeld Thomas Waynes und diesen selbst dargestellt. Hier geht es um einen Menschen, der bis zur maximalen Entfremdung marginalisiert wird, da hätte es wohl wenig Unterschiede gemacht, wenn man ein anderes Geschlecht gewählt hätte.