Dysangelium live in Kassel
29.10.2022
Ach Leute,
*eine der Musterbands, wenn es um den Gesangsstil geht, dem diese Enzyklopädie sich widmet,
*mit ihrem einzigen Konzert A.D. 2022,
*wenn mich nicht alles täuscht dem ersten seit dem letzten, das im Herbst 2019 lag,
*in jedem Fall aber meinem ersten.
Kurz: Es muss ein Livebericht her.
Um mir fünfsechs Stunden Fahrt Leipzig-Kassel hin und zurück zu sparen, haben wir unseren Herbsturlaub in die Umgebung von Kassel gelegt, klaro. Tagsüber Toben auf dem Kinderspielplatz und Blättersammeln im Wald, abends die orthodoxe Keule. Was für eine neblige Gegend in den Tälern! Ein Flecken Erde, wo auf jedes Haus auch ein Schild mit dem roten Dreieck und einem springenden Geißbock darinnen kommt und ich die letzten zehn Minuten meiner nächtlichen Rückfahrt nicht einem weiteren Auto … – aber ich schweife ab. Wo wollte ich hin? Wo bin ich überhaupt? Ach so, Thread Würstchenbude. Dysangelium live also.
Sie spielten
im Auestadion in der Goldgrube, einem Kellerclub in einer piekfeinen Gegend im Norden von Kassel. Platz bietet er für vielleicht 80 Leute, gekommen sind per Augenmaß 60.
Dysangelium sind Watain in besser. Schuld daran – neben einigem Anderen, das aber nicht so sehr ins Gewicht fällt – ist die nervenzerfetzende Stimme von Sektarist 0. Dessen von allen guten Geistern verlassenes Gossenröhren kommt live wegen suboptimaler Soundbedingungen nur halb so gut, aber das reicht allemal, zumal Mimik, Gestik und Klamotte das akustische Paket passend rahmen. Hingabe. Der Rest der Band überlässt weitestgehend dem Wahnsinnigen das Feld, und natürlich den Songs. Was „Thánatos Áskēsis“ betrifft, verklangen meine sinistren Gebete ungehört, so das „Consecrated By Light“, „Words Like Flames“ und „Aries“ zugunsten schwächerer Kaliber wie „Obelisk Of The Sevencrowned Son“ im Köcher blieben. Dafür fräste sich abgesehen von „The Great Work“ und „Through Henbane Nebulah“ das ganze „Death Leading“-Album durch den Club und hinterließ nur feinste Sägespäne. Hochgenuss: Der Titeltrack. Der Gesangseinsatz: „Million lives of sanctity and order“ – brutaler geht nicht. Höchstgenuss: „Venus Inverse“. Anhören
hier. Was. Für. Ein. Track. Lyrics, die sich wie orthodox verbrämter Liebesschmerz lesen. Und wenn dieses endgeile Riff, das die zweite Liedhälfte dominiert, und darauf der Brunftschrei „Torn Between Two Worlds / I sit in regression / You haunt me in my solitude“ einsetzt, öffnet sich der Abgrund. Ihr wisst schon, dieses Nietzsche-Zitat zum Abgrund.
Zweidrei Songs habe ich nicht erkannt, was wahlweise Rückschlüsse auf meine zweifellos minderwertige Gedächtnisleistung erlaubt oder auf Neulinge hoffen lässt. Angeblich waren sie ja im Mai 2021 schon bei der Beendigung der Aufnahmen.
Randnotiz: Im Crustpunkkontext funktioniert die Stimme auch. Nahezu besetzungsgleich mit Dysangelium sind
Kommando.