Spätestens aufgrund der Unterlassungaufforderung wäre jemand, der nur Aufmerksamkeit generieren will und falsche Behauptungen in Umlauf bringt, eingeknickt - und das war auch klar das Ziel von Till und seinem Anwaltsgeschwader.
Dass Shelby Lynn ihnen die Stirn bietet und bereit ist, das durchzuziehen (und das glaub' ich ihr) - egal was es sie kostet - das spricht absolut für die Authentizität ihrer Aussagen.
Was nun folgt bitte nicht falsch verstehen und als Relativierung von irgend etwas auslegen, sondern als (anekdotischen) Bericht von jemandem, der in der Praxis beides wiederholt erlebt hat, die versuchte Vertuschung tatsächlichen Missbrauchs, ebenso wie die falsche Verdächtigung wegen erfundenen Missbrauchs.
Weder die Öffentlichkeit einer Aussage, noch deren eidesstaatliche Versicherung lässt wirklich ernsthaft einen sicheren Schluss auf deren Wahrheitsgehalt zu, und das gilt sowohl für die Täter als auch für die Opfer, ebensowenig die Abgabe der Aussagen unter Androhung von Rechtsmitteln durch die Gegenseite. Natürlich wird eine bewusst falsche Aussage ein Stück weit unwahrscheinlicher, wenn man damit zu rechnen hat, dass diese entdeckt und dann teure oder schwere Konsequenzen hat.
Doch diese Betrachtung lässt eine gravierende Problematik außer Acht, namentlich jene, dass keiner lügt. Es gibt in der Aussagepsychologie zwei wichtige Phänomene, die stets zu bedenken sind, wenn man dem einen glauben und dem anderen nicht glauben will. Das eine ist natürlich die Verdrängung und Verharmlosung durch den (mutmaßlichen) Täter; das andere ist die auf beiden Seiten vorhandene Tendenz, sich nicht zu erinnern, sondern zu folgern, wie etwas gewesen sein muss. Das hast du auch regelmäßig bei Unfällen, dass sowohl Beteiligte als auch Zeugen nicht im Detail das tatsächlich Erlebte berichten, aber auch nicht bewusst lügen, sondern zutiefst überzeugt sind, es so erlebt zu haben, wie sie es schildern, weil ihr Gehirn Wahrnehmungs- oder Erinnerungsdefizite unterschiedlicher Ursache (Alkohol, Schock, Vergessen...) unbewusst durch Schlussfolgerungen schließt: "Ich erinnere mich an A, C und F, also muss B, D und E so gewesen sein, weil ich das immer so mache."
Beispiel:
Die Autos von A und B kollidieren im Begegnungsverkehr auf der Landstraße. Jeder wirft dem anderen vor, über die Mittellinie auf die Gegenfahrbahn gekommen zu sein, und beide leugnen, dass sie selbst es gewesen seien. Objektiv gesehen, sagt mindestens einer von ihnen nicht die Wahrheit, möglicherweise sogar beide. Gleichwohl muss subjektiv betrachtet keiner von beiden lügen, weil er es so erzählt, wie er es wahrgenommen hat, oder wie er sich erinnert.
Was ich damit sagen will ist, dass eben weil das mit dem Glauben und der Wahrheit so schwierig ist, letztlich die Unschuldsvermutung unveräußerlich sein muss, und das nicht nur im Gerichtssaal, sondern auch im medialen und im gesellschaftlichen Diskurs, denn auch wenn unser persönliches Urteil niemanden ins Gefängnis bringt, so ist doch auch das gesellschaftliche Unwerturteil oft ein unheilbarer Schaden über einen Menschen, den man nur in Kauf nehmen sollte, wenn man sich absolut sicher sein kann, dass es veranlasst ist.
Aber nun kommt der Twist:
Die Unschuldsvermutung gilt in
beiden Richtungen!
Zwar ist Rockstar nur dann als schuldig anzusehen, wenn seine Schuld bewiesen ist. Desgleichen gilt aber auch für die betroffenen und sich äußernden Frauen: Auch sie sind nur als schuldig anzusehen, wenn ihre Schuld bewiesen ist. Die Konsequenz aus der Unschuldsvermutung ist also ganz dezidiert nicht, dass man die Frauen als Lügnerinnen anzusehen hat, bis der Rockstar in den Knast geht, sondern dass auch und vor allem ihre Einlassung ernst zu nehmen ist, bis sie als nachweislich unwahr verifiziert ist.
Das führt zum nur auf den ersten Blick paradoxen Ergebnis, dass sowohl der Rockstar nicht als Sexualstraftäter zu gelten hat, als auch die Anzeigeerstatterin nicht als Verleumderin. Am Ende ist dies aber hinnehmbare und nötige Konsequenz der grundrechtlich geschützten Unschuldsvermutung, denn keiner von uns möchte in einem Staat oder in einer Gesellschaft leben, in welchem die Unschuldsvermutung nicht gilt, denn die Konsequenzen wären unvorstellbar.