Von Olivia Dittrich
Berlin. Fanliebe lebt auch dann oft weiter, wenn Stars massiv in der Kritik stehen. Wie im Fall der Band Rammstein. Mehrere Frauen werfen Sänger Till Lindemann Machtmissbrauch und übergriffiges Verhalten vor. Laut Medienberichten beschuldigen zwei Frauen nun auch Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz, sich grenzüberschreitend verhalten zu haben. Trotz der Vorwürfe gehen Anhänger der Band weiter auf Konzerte, beschuldigen die Frauen zu lügen und pochen auf die Unschuldsvermutung. Warum die Fans weiter eisern zu Rammstein halten, erklärt die Psychologin Martina Lackner.
Frau Lackner, was macht die Beziehung zwischen Fan und Idol eigentlich aus?
Martina Lackner: Fan-Idol-Beziehungen beginnen in der Regel in der Pubertät, wenn Jugendliche anfangen, sich von ihrem Elternhaus abzulösen. Sie suchen sich dann neue Vorbilder und Leitfiguren. Das können Musiker, Schauspieler, Sportler oder andere Berühmtheiten sein. In diesen Beziehungen entstehen dann Abhängigkeiten. Ein Musiker kann zum Beispiel über seine Songs seine Fans begeistern, aber auch manipulieren.
Viele Fans von Rammstein scheinen sich mit den Vorwürfen nicht auseinandersetzen zu wollen.
Lackner: Ich denke, dass Lindemanns Texte ausdrücken, was viele Fans selbst leben wollen oder haben möchten. Es gibt also einen Teil in ihnen, der sich mit dem identifiziert, was Lindemann auf der Bühne sagt. Eine ähnliche Haltung gegenüber Leben und Menschen. Die Verherrlichung von Gewalt zum Beispiel. Da docken, denke ich, viele männliche Fans an. Zudem herrscht eine unglaubliche Gruppendynamik. Tausende Fans, die wie eine Gemeinschaft wirken, gehen zu einem Konzert, stehen vor der Bühne. Tausende können nicht irren, denken dann viele. Unter Fans bildet sich zudem eine Gemeinschaft. Menschen sind soziale Wesen und suchen immer nach Gruppen, in denen sie sich wiederfinden und wohlfühlen können. Solche Fan-Gemeinschaften haben die gleiche Leidenschaft, ähnliche Werte. Diese Kombination aus ähnlichen Werten und Identifikation mit dem Vorbild führt dazu, dass die Fans nichts von den Vorwürfen hören wollen.
Trotz der Vorwürfe verehren weibliche Fans Lindemann weiterhin, verteidigen ihn regelrecht.
Lackner: Die Frauen verhalten sich dahingehend ein bisschen wie der verlängerte Arm des Patriarchats. Indem Frauen die Vorwürfe nicht hinterfragen, sich nicht distanzieren oder etwas dagegensetzen, sagen sie „Ja“ zu einem patriarchalen System, zu missbräuchlichen und gewalttätigen Verhaltensweisen.
Woran liegt das?
Lackner: Das hat mehrere Gründe. Das liegt zum einen daran, dass die Vorwürfe außerhalb der Vorstellungskraft mancher Frauen liegen. Das kann auf fehlende Lebenserfahrung aufgrund von einem jungen Alter zurückzuführen sein. Es gibt aber auch sehr viele Frauen, die unbewusst diese Strukturen unterstützen, weil sie einen Vorteil davon haben. Ihnen wird durch die Unterstützung zum Beispiel ein höherer Status, Geld, Zuneigung oder irgendetwas anderes zuteil.
Einige Frauen betreiben „Victim-Blaming“. Sie beschuldigen die Frauen, die Vorwürfe gegen Lindemann erhoben haben, selbst schuld an dem Erlebten zu sein. Woher kommt das?
Lackner: Diese Opfer-Täter-Umkehr ist etwas, was diese Frauen kennen. Seit Jahrtausenden gilt: Wenn jemand schuld an etwas ist, dann sind es die Frauen. Männer haben Frauen schon immer die Schuld für alles gegeben. Die Frauen, die „Victim-Blaming“ betreiben, haben die Haltung des Patriarchats übernommen. Wenn Frau etwas passiert, dann ist sie selbst schuld. „Dein Rock war zu kurz, du hast dir Sekt einflößen lassen, du warst zu blauäugig“ – das sind Schuldinduktionen, die seit Jahrtausenden so laufen.
Die Konzerte von Rammstein sind weiter ausverkauft, und die Band selbst äußert sich kaum zu den Vorwürfen. Welche Reaktionen haben Sie überrascht?
Lackner: Mich hat ehrlicherweise gar nichts überrascht. Wenn man sich länger mit den Themen Gewalt, sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch auseinandersetzt, dann merkt man irgendwann, dass es fast immer ein bestimmtes Muster gibt. Es gibt jemanden, der Gewalt ausübt und Menschen, die es zulassen und Menschen, die sich der Macht unterwerfen – das ist das Muster. Im Fall Rammstein gibt es einen Sänger, der seine Macht missbraucht, ein System dahinter, das es ermöglicht und gewaltverherrlichende Texte, die bei der Gesellschaft auf Resonanz treffen. Es gibt Studien, die zeigen, dass jede vierte Frau häusliche Gewalt erlebt hat. Frauen, die aus gewaltvollen Herkunftsfamilien kommen, docken an Männer an, die Machtmissbrauch und Gewalt ausüben. Es ist wie ein Schlüssel, der ins Schloss passt.