Wieviel Spaß darf Rockmusik machen?
Die Hanoi Rocks – ein kurzes Feuerwerk am Firmament des Rock n Roll
In einem für heutige Verhältnisse unvorstellbar kurzen Zeitfenster tauchten die Hanoi Rocks Anfang der 80er Jahre in der Hard-Rock Szene auf, veröffentlichten fünf Studio-Alben, zwei Live-Platten diverse Singles und Projekte, nur um bereits Anfang 1985 wieder von der Bildfläche zu verschwinden – bis zu ihrer kurzlebigen Reunion von 2002 - 2009. Die erste Phase der Band war geprägt von einer kreativen Explosion, Drogen und einer finalen Tragödie. Dabei hinterließen sie unzählige Songs von hohem Wiedererkennungswert, die auch nach vielen Jahren immer noch Spaß machen. Die Geschichten rund um die Band bieten genügend Stoff für diverse Bücher und Filme, wie sie sich Hollywood nicht besser ausdenken könnte. Dabei gelang den Hanoi Rocks trotz vieler treuer Fans, guter Kritiken und prominenter Unterstützer aus der Musikszene nie der große Durchbruch. Es ist daher höchste Zeit, sie einer Würdigung zu unterziehen. Lemmy und Fenriz können sich schließlich nicht irren, oder?
Unverzichtbar:
Hanoi Rocks - Bangkok Shocks Saigon Shakes Hanoi Rocks (1981)
1980 fanden sich in Helsinki die beiden Schulfreunde und Gitarristen Antii Hulkko (Andy McCoy) und Jan Stenfors (Nasty Suicide) zusammen, um eine Band zu gründen. Kurz darauf stießen Mattii Fagerholm (Michael Monroe) als Sänger und Saxophonist, sowie Sami Takamäki (Sam Yaffa) am Bass und Jesper Sporre (Gyp Casino) als Schlagzeuger hinzu. Nur ein paar Monate später nahmen die fünf in Helsinki ihr erstes Album auf.
Bereits damit gaben die jungen Finnen die Marschrichtung für die nächsten Jahre vor. Sie verwoben die Einflüsse ihrer großen Vorbilder wie den New York Dolls, den Rolling Stones, den Dead Boys und den Stooges zu einem punkigen Rock n Roll mit Drive und einem Hang zur Melancholie. Das Album enthält mit ‚Tragedy‘, ‚Village Girl‘, ‚Don´t Never Leave Me‘ und ‚Pretender‘ bereits einige der größten Hits, ohne die die Band bei keinem Konzert die Bühne verlassen durfte. Aber auch die weniger bekannten Songs fügen sich perfekt in das Gesamtbild der Platte ein. Seien es ‚Stop Cryin´, ‚First Timer‘, ‚Cheyenne‘ oder ‚11th Street Kids‘ – immer wieder geht es um erste Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht, verschmähte Liebe oder dem Gefühl des Verlusts. Alle 10 Songs stammen aus der Feder von Andy McCoy. Hier wird geliebt und geflennt wie es nur Teenager können. Hört man das Album, wird einem sofort klar, woher Guns ´N Roses oder auch später Skid Row die Inspirationen für ihre Songs bezogen. Schon auf diesem Album lieferten sich McCoy und Monroe immer wieder ihre typischen Duelle an Gitarre und Saxophon, die zu einem Markenzeichen der Band wurden.
Hanoi Rocks - Back To Mystery city (1983)
Back To Mystery City klingt ein wenig anders als seine drei Vorgänger und gilt bei vielen Fans als das ultimative Album der Band. Nach einem gewollt seltsamen Intro mit Vogelgezwitscher und Naturgeräuschen geht es mit ‚Malibou Beach Nightmare‘ in die Vollen. Der Song ist bis heute einer der beliebtesten der Band. Er war ursprünglich als Calypso Version von McCoy geschrieben worden und nicht zur Veröffentlichung vorgesehen. Für das Album wurde er als Rockversion neu aufgenommen. Aber auch der Rest kann sich sehen lassen. ‚Mental Beat‘ und ‚Tooting Bec Wrecked‘ – in dem Song geht es angeblich um ein rattenverseuchtes Apartment der Band - kommen etwas schroffer daher, während ‚Until I get you‘ wieder eine Ballade im schönsten Sinne ist. Auch der Abschluss des Albums hat es mit ‚Ice Cream Summer‘ und ‚Back To Mystery City‘ in sich. Man merkt der Band ihre Spielfreude an. Der optische Eindruck im Glam-Outfit passt nicht so ganz zum frischen Inhalt, ist aber wohl dem Zeitgeist geschuldet.
Das Album hat einen deutlich besseren Klang als sein indirekter Vorgänger. Für den Sound zeigten die beiden ex-Mott The Hoople Mitglieder Dale Griffin und Pete Watts verantwortlich. Für die Aufnahmen wurde mit Morgan Fisher erstmals ein Keyboarder rekrutiert.
Der Legende nach war dieses Album der Grund für die Jungs von Slipknot selber Musik zu machen. So zumindest haben des Corey und seine Schergen Michael bei einem ihrer Konzerte berichtet. Sachen gibt’s …
Hanoi Rocks - Two Steps From The Move (1984)
1984 war es soweit: Auf dem Höhepunkt ihrer bisherigen Karriere wechselten die Hanoi Rocks vom kleinen Label Lick Records (bzw. Johanna Kustannus für Finnland) zur großen CBS. Die Welt lag der Band zu Füßen und man durfte sich einen großen Namen als Produzenten für das fünfte Album aussuchen. Die Wahl fiel auf Bob Ezrin, der bereits mit Pink Floyd, Alice Cooper und Kiss sehr erfolgreich zusammengearbeitet hatte. Michael hat auch Jahre später nur Gutes über Ezrin zu berichten, da er aufrichtig an die Band glaubte. Eigentlich hätte das Album ‚Silver Missiles And Nightingales‘ heißen sollen, aber man entschied sich in letzter Minute für ‚Two Steps From The Move‘. Der ursprüngliche Name wurde später als Albumtitel für die kurzlebige Hanoi-Rocks-Nachfolgeband The suicide twins von Andy McCoy und Nasty Suicide recycelt.
Ezrin verlieh der Band einen härteren Sound, da er sich davon bessere Verkaufszahlen vor allem in den USA versprach. Er war auch am Songwriting von 6 der 10 Songs beteiligt. Das Album enthält einige der größten Hits der Band wie ‚Up Around The Bend‘ (sehr gelungenes CCR-Cover), ‚Underwater World‘, ‚Boulevard Of Broken Dreams‘, ‚Million Miles Away‘ und eine Neueinspielung der Ballade ‚Don't You Ever Leave Me‘ mit leicht verändertem Text. Der Sound ist hervorragend und die Band spielt ihre Stärken bestens aus. Auch Monroe äußert sich in aktuellen Interviews immer noch sehr zufrieden über das Album. Auch kommerziell war es der bis dahin größte Erfolg der Band.
Fun fact: Der Titelsong wurde kurz vor Abschluss der Aufnahmen durch die CCR-Coverversion ‚Up Around The Bend‘ ersetzt, die das Album eröffnet. Der titelgebende Song ‚Two Steps From The Move‘ fand sich erst fünf Jahre später auf der für Fans sehr interessant zusammen gestellten Kompilation ‚Tracks From A Broken Dream‘ wieder.
Leider sollte es das letzte Album dieser Band-Inkarnation und vor allem das letzte für Drummer Razzle sein.
Hanoi Rocks - Twelve Shots On The Rocks (2002)
2001 musste Monroe den Tod seiner ersten Ehefrau Jude Wilder verarbeiten. Um seine Trauer in Kreativität umzuwandeln, begann er mit den Arbeiten an einem weiteren Solo-Album.
Im Sommer des gleichen Jahres fanden sich die „Muddy twins“, wie Monroe und McCoy sich gerne nannten, für einige Konzerte in Finnland unter dem Namen „Hanoi Revisited“ wieder zusammen. Dies lief so vielversprechend, dass man sich entschloss die Hanoi Rocks zu reformieren. Da die anderen ehemaligen Bandmitglieder aus unterschiedlichen Gründen für eine Reunion nicht zur Verfügung standen, betonte Monroe, dass es sich eher um eine Art Wiedergeburt als eine echte Reunion handele. Nasty Suicide war seriös geworden und hatte eine Laufbahn als Apotheker eingeschlagen, Sam Yaffa war in New York bei seinen ebenfalls reformierten Idolen, den New York Dolls, als Bassist eingestiegen, Gyp Casino hatte die Drumsticks längst an den Nagel gehängt und Razzle … war leider immer noch tot.
Neue Leute mussten also her. Die fand man schnell in Monroes Solo Band: Kari „Lacu“ Lahtinen übernahm die Drums, Timpa Laine den Bass. Als zweiter Gitarrist wurde Costello Hatamäki von der finnischen Rock-Band Popeda gewonnen.
Während man zu touren begann, kamen Monroe und McCoy überein, diesmal das Songwriting gleichwertig aufzuteilen, da Monroe sich in den zurück liegenden Jahren seiner ersten Solokariere zu einem erstklassigen Songwriter entwickelt hatte. 2002 war es dann soweit. Man hatte genügend Songs zusammen und Twelve Shots On The Rocks wurde aufgenommen und veröffentlicht. Wieder einmal waren beide mit dem Ergebnis nicht wirklich zufrieden, ließen das Album neu mixen und 2003 mit weiteren Songs erneut veröffentlichen. Somit existieren zwei Versionen des Albums. Eine erste Version mit 12 Songs + Intro und eine weiter mit 16 Songs + Intro. Beide Versionen haben zudem eine abweichende Songreihenfolge. Und die zweite Version müsste eigentlich Sixteen Shots … heißen.
Musikalisch geht die Band diesmal deutlich hardrockiger zu werke, was erstmal anders klingt, aber dem Sound in keiner Weise schadet. Im Gegenteil. Man hört dem Album an, dass es ein echtes Wunschkind ist und mit viel Begeisterung und Spielfreude gefüttert wurde. Der Sound ist ein Mix aus alten Hanoi Rocks und Monroes Solo Alben. Lediglich das großartige ‚A Day Late, A Dollar Short‘ klingt wie ein verschollenes Überbleibsel aus den 80ern, im neuen Gewand. Daneben punktet die Band mit Hits wie ‚People Like Me‘ und ‚Obscured‘. Monroe liefert einige seiner schönsten Saxophon Soli ab. Ein rundum gelungener Wiedereinstand.
Während all dem kümmerte sich Monroe parallel noch um die Vollendung eines seiner stärksten Solo-Alben. Watcha want, erschien 2003 fast parallel zu Twelve Shots On The Rocks. Wie früher lieferte man unter Druck die besten Leistungen ab.
Hanoi Rocks - Street Poetry (2007)
Die beiden Jahre 2005 und 2006 verbrachte die Band auf Tour und besann sich dabei auf ihre Stärken. Man nahm sich seine Demos aus den 80ern vor und vollendete einige alte Rohversionen. Zudem durften sich erstmals alle anderen Bandmitglieder am Songwriting beteiligen. Ein Novum in der Bandgeschichte. Die Mühen zahlten sich aus, denn Street Poetry, das achte Album der Band, wurde nicht nur ein kommerzieller Erfolg, es ist mit Songs wie ‚Fashion‘, ‚Teenage Revolution‘ und ‚This One´s For Rock´N´Roll‘ die beste Scheibe seit der Reunion und auch eine der besten in der gesamten Diskographie – je nach individueller Vorliebe und Tagesform.
Der Titel des Albums soll sich auf die Anfangstage der Band in London beziehen, wo sie einen Obdachlosen in einer U-Bahn-Station kennen lernte, der seine täglichen Eindrücke in Gedichten festhielt.
Den Schwung des Albums nahm man erneut mit auf Tour. Zwar verließ Lacu Anfang 2008 die Band in Richtung Popeda, aber er konnte durch den Schweden George Atlagic ersetzt werden. Die damaligen Konzerte der Band waren ein echter Traum für alle zu spät Geborenen. Live blieben keine Wünsche offen, man zeigte sich äußerst spielfreudig und zog viele neue Fans an. Ich denke immer noch gerne an den Auftritt im Kölner Underground zurück. Der kleine Club war proppenvoll, die Songauswahl perfekt und dementsprechend alle in bester Feierlaune. Das sprang auch auf die Band über, die eine Zugabe nach der anderen gab und die Bühne gar nicht mehr verlassen wollte.
Umso überraschender kam kurz nach der sehr erfolgreichen Tour die Ankündigung von Monroe und McCoy, dass man die Band soweit gebracht hätte, wie möglich und daher das endgültige Ende beschlossene Sache sei. Eine Band, die auf der Höhe ihres Erfolges würdevoll abtritt. Und wieder verging das Feuerwerk schneller als es gekommen war. Und diesmal wohl für immer. Zumindest bis zu Michaels 60. Geburtstag, an dem man sich in der 80er Originalbesetzung für ein tolles Konzert in Helsinki noch einmal kurz zusammenfand.