traditionelle japanische Musik

kylie

Till Deaf Do Us Part
Teil I: Gagaku

Ich habe mich in den letzten Monaten mit verschiedenen Stilen traditioneller japanischer Musik beschäftigt und dabei ganz wunderbare Hörerlebnisse gehabt. Generell bin ich in diesen musikalischen Bereichen kein Freund von modernen Mixturen. Mich interessiert vielmehr die traditionelle Aufführungspraxis.

Am meisten gefesselt hat mich dabei die Gagaku Musik. Das ist eine höfische Musik aus dem 7. Jahrhundert, entwickelt am kaiserlichen Hof mit chinesischen Vorläufern. Die Instrumentierung besteht aus einer Sho (= Mundorgel), diversen Flöten in verschiedenen Lagen, Saiteninstrumenten, sowie verschiedene Trommeln und Perkussion-Instrumente. Das Faszinierende an dieser Musik ist für mich, wie speziell die Blasinstrumente (Sho zund Flöten) zu einer Stimme verschmelzen und sich dabei Verästeln. Dabei entsteht aus einem Kollektiv heraus eine unglaublich ausdrucksstarke Stimme. Wenn dann noch die tiefen Trommeln ihre meist unvorhersehbaren Akzente setzen, bin ich völlig überwältigt.

Ich möchte da eine bestimmte CD empfehlen, die man über discogs und den amazon marketplace kriegen kann. Sie stammt aus einer 10-teiligen Reihe trad. jap. Musik vom jap. King Records Label um 1990 veröffentlicht, die im Grunde genommen durchweg zu empfehlen ist. Nicht nur die Aufführung besticht hier sehr, sondern auch die Aufnahme hat eine ganz wunderbare rähmliche Tiefenstaffelung ohne irgendwelchen künstlichen Studio-Schnickschnack.

Leider ist der Youtube-Clip hier von minderwertiger Auflösung, aber für einen Eindruck recht es doch wohl. Ich empfehle übrigens ein sehr lautes Abhören im Dunkeln. Viel Spaß beim Hören!

 
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Ich höre ja Gagaku auch ganz gern in komplementärer Allianz mit spirituellem Black Metal. Der rituelle Charakter und transzendentale Streben sind ja durchaus Parallelen, ebenso die flirrenden Höhen, ansonsten aber eben spannungsvoller Kontrast. Es gibt doch nichts Schöneres als so ein Hörabend mit Gagaku zur Eröffnung, dann Svartidaudi aufgelegt und vielleicht dazwischen noch John Coltrane's Meditations.
 
Wegen des enormen Erfolgs dieses Threads (keine Antworten und keine Likes!) bin ich hochmotiviert gleich mal eine Fortsetzung zu posten. Entsprechend habe ich den Thread-Namen verallgemeinert. Nach dem blaublütigen Start geht es im zweiten Teil working class-mäßiger zu ...

Teil II: Shamisen

Nun Shamisen ist keine musikalisches Genre, sondern ein Musikinstrument. Die Shamisen hat auch wieder chinesische Vorläufer, aber in der japanischen Form ist es ein recht jungen Instrument aus dem 16. Jahrhundert. Vereinfacht betrachtet läßt sie sich vielleicht am ehesten mit einem Banjo vergleichen. Sie wird mit einer Art Spachtel als Plektrum angeschlagen.

Mir sind da im letzten Jahr zwei wunderschöne Schallplatten in die Hände gefallen. Da ich keine japanischen Schriftzeichen lesen kann, war es gar nicht so einfach herauszufinden, um welchen Musiker es sich handelt;-) Nun es handelt sich um den Nationalhelden der Shamisen-Musik Takahashi Chikuzan. Er lebte von 1910 bis 1998. Die Shamisen-Spieler reisten traditionell als fahrende Gesellen durch's Land und spielten ihre Musik wo immer sie gerade durchreisten. "Ritual Music for the True Clochard", würden Urfaust sagen. Übrigens waren Shamisen-Spieler häufig blind, so auch Takahashi. Das Instrument wird in verschieden Genres traditioneller jap. Musik gespielt. Als Solo-Instrument herausgestellt wird es im Genre Tsugaru-jamisen, zu denen führenden Interpreten besagter Takahashi gehört. Das Instrument hat einen recht spröden Klang und die Musik ist sehr repetitiv mit aber irgendwie niemals voraussehbares Wiederholungspattern. Musikalische Verwandtschaften sehe ich beispielsweise in der Musik John Faheys. Takahashi spielt meist seine Shamisen unbegleitet, gelegentlich singt er auch mit brüchiger Stimme dazu. Ein empfehlenswertes Live-Album (unbekannten Namens) folgt hier:

Auf dem Album sind überwiegende instrumentale Stücke zu hören, gelegentlich singt er dazu und zwischendrin erzäht er ausgiebig Geschichten, die offenbar sehr witzig sein müssen, weil sein Publikum ziemlich ins Lachen kommt. Man versteht da zwar nichts von, aber der Charme des Konzerts kommt gut rüber.
 
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Das Leben von Takahasi Chikuzan wurde 1977 auch verfilmt. Er spielt sich darin selbst als Erzähler seines Lebens in Rückblenden. Der Film heißt The Life of Chikuzan, Regie führte Kaneto Shindo. Hier der Trailer:
Raue Sitten damals. Rock'n'Roll Lifestyle the Japanese way.
 
Kleine Anekdote: Vor ein paar Jahren war ich mal auf einer Japan-Reise und es verschlug uns auch für ein paar Tage auf die Insel Okinawa. In einer runtergekommenen Ecke in der eh nicht sonderliche hübschen Hauptstadt Naha, kamen wir an einer kleinen upgefuckten Bar vorbei. Da hing ein ziemlich betrunkener Typ im Unterhemd rum, der alle Leute auf der Straße anquatschte. Er griff sich dann seine Shamisen, spielte los und fing an zu singen. Offenbar machte er sich in seinem Liedchen über uns lustig, denn der Barkeeper mußte kräftig lachen. Er hatte auch so eine angenehme und charmante Rotzigkeit in der Stimme, dass es echt eine große Freude war, dort ein Schnäpschen mitzutrinken und dem Bursche eine Weile zuzuhören.
 
Oh, der Thread ist ja richtig zum Leben erweckt. Schon 6 Antworten! Hups, sind ja alle von mir selbst. Naja. Aber was ist das denn, schon zwei Likes hier. Hey @Eddie , was geht? Herzlich willkommen in der Rund. Nimm Dir nen Sake und mach's Dir gemütlich!
 
Die Gagaku Musik da oben macht mir direkt Angst, so sehr wühlt mich dieses klagende, wimmernde, geisterhafte Element darin auf. Das muss ich haben! Darf ich fragen, inwiefern diese Art von Musik einen Einfluss auf dein eigenes Schaffen mit The International Nothing hat oder hatte? Ich vermeine in diesen gleitenden, elegischen und dabei seltsam nervösen Klangbögen eine Art Geistsesverwandschaft zu vernehmen, oder bin ich da gänzlich auf dem Holzweg?
 
Die Gagaku Musik da oben macht mir direkt Angst, so sehr wühlt mich dieses klagende, wimmernde, geisterhafte Element darin auf. Das muss ich haben! Darf ich fragen, inwiefern diese Art von Musik einen Einfluss auf dein eigenes Schaffen mit The International Nothing hat oder hatte? Ich vermeine in diesen gleitenden, elegischen und dabei seltsam nervösen Klangbögen eine Art Geistsesverwandschaft zu vernehmen, oder bin ich da gänzlich auf dem Holzweg?
Ja, die gewisse Verwandschaft ist mit auch aufgefallen, aber lustigerweise kenne ich Gagaku-Musik erst seit letzten Herbst. Nun ist es aber so, dass ich seit mittlerweile 25 Jahren fast täglich japanischen Grüntee trinke. Meine Theorie ist nun, dass die japanischen Teeblätter die Klänge des Gagaku in sich aufgenommen haben, diese sich dann auf quasi-homöopathischer Basis in meinen Körper breitgemacht haben und dann unbewußt durch meine Klarinette wieder ausgestossen werden. Also anders kann ich mir das gar nicht erklären.
 
Hm, also interessant finde ich das schon. Aber zu mehr als ner Hintergrundbeschallung, wärend ich mein Kamo Maki verputze, taugt das musikalisch für mich halt leider nicht... :)
 
Hm, also interessant finde ich das schon. Aber zu mehr als ner Hintergrundbeschallung, wärend ich mein Kamo Maki verputze, taugt das musikalisch für mich halt leider nicht... :)
Fassungsvoll! Aber zum japanischen Essen hört man doch traditionell amerikanischen Bebop Jazz der 50er Jahre.
 
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Ja, die gewisse Verwandschaft ist mit auch aufgefallen, aber lustigerweise kenne ich Gagaku-Musik erst seit letzten Herbst. Nun ist es aber so, dass ich seit mittlerweile 25 Jahren fast täglich japanischen Grüntee trinke. Meine Theorie ist nun, dass die japanischen Teeblätter die Klänge des Gagaku in sich aufgenommen haben, diese sich dann auf quasi-homöopathischer Basis in meinen Körper breitgemacht haben und dann unbewußt durch meine Klarinette wieder ausgestossen werden. Also anders kann ich mir das gar nicht erklären.

Der Grüntee ist die einzige logische Erklärung und ich vermute, dass ich am anderen Ende des Spektrums, durch meinen zeitweise exzessiven und leider eher unzeremoniellen Konsum von Matcha so empfänglich für derlei Klänge bin. Better living through chemistry drinking - ich hab's schon immer gewusst...!
 
Hier noch eine sehr hübsche historische Gagaku-Aufnahme. Die Sho kommt da besondern schön raus. Etwas verrauscht das Ganze, aber nur so ist der orthodoxe Underground wirklich authentisch.
Witzig übrigens auch, die modernen Sho-Spieler sind immer unterwegs mit einer Heizdecke. Das Instrument ist extrem kälteanfällig und um das Teil auf Betriebtemperatur zu halten, wird es gern in eine Heizdecke gelegt. Auf der Bühne kommt dann gelegentlich noch eine Art Stövchen zum Einsatz. Die Warmhaltung des Instruments ist eine Wissenschaft für sich und Sho-Spieler lieben es untereinander über Heizdecken fachzusimpeln. Das ist tatsächlich keine Scherz.

P.S.: Die Sho (= Mundorgel) ist übrigens das Teil rechts im Soundcloud-Bild. Mit den Fingerkuppen werden verschiedenen Löcher abgedeckt und geöffnet um verschiedene Tonhöhen und Akkorde zu spielen.
 
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Das ist einer der interessantesten Threads, die ich hier bisher gelesen habe. Ich werde mir heute Abend auf jeden Fall die Soundbeispiele anhören. Bin jetzt noch auf Arbeit. Wenn ich das jetzt anmache, sind die hier wohl etwas verstört. Die kennen nur Scooter und Sabaton. :D
Finde die japanische Kultur schon lange äußerst faszinierend. Mit der traditionellen Musik habe ich mich bisher allerdings wenig auseinandergesetzt. Das wird nun nachgeholt. ;)
 
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