CYCLIC LAW / Dark Ambient Label (CAN)

progge

Deaf Dealer
Da der formidable Thread zu Cryo Chamber von @G0ri zweifellos zu den von einer breiten Hörerschaft kommentierten Fäden dieses Forums gehört, muss unbedingt ein weiterer Thread zu einem Dark-Ambient-Label her. (Lies: Leute, tut mir leid, ich kann einfach nicht anders.) Und wenn man von Oregon, dem Sitz von Cryo Chamber, entsprechend durchdachter numerologischer Regeln einen formschönen Azimut über den Himmelsmeridian bildet, dreimal sanft auf den Tisch klopft und Gaia um Ihre holde Gunst bittet, landet man 4000 Schattensprünge weiter als neuer Mensch in Montreal, Quebec. Logisch, nech? Hier beginnt die Geschichte von Cyclic Law. Im Jahr 2002 von Frédéric Arbour gegründet, hat es das Label seitdem auf über 100 Veröffentlichungen gebracht.

Gerüchte wollen es, dass eine Horde brunftiger Elche die Räumlichkeiten des Labelinhabers mehrfach so verwüstete, dass Arbour im Jahr 2015 frustriert nach Berlin-Friedrichshagen zog, wo er es seitdem nur noch mit den Winden der Müggelspree und dem Remmo-Clan zu tun hat, was allemal besser ist. Die Anlieferung polycarbonatesker Presserzeugnisse an Kunden des Labels erfolgt allerdings aus den französischen Pyrenäen.

Soweit der verbürgte chronistische und geographische Teil. Stilistisch haben wir es mit einem Katalog an Veröffentlichungen zu tun, die durchweg im Dark Ambient beheimatet sind. Fachleute unterschieden hierbei traditionell zwischen drei Spielarten:
1. Weichei-Dark-Ambient. Hat Melodien und Harmonien.
2. Hartei-Dark-Ambient. Besteht im Wesentlichen aus Knarzen, Zischen und Brummen.
3. Grenzgängern, die irgendwo dazwischen liegen.
Während Cryo Chamber eher die Sparte Weichei mit Ausflügen zu den Grenzgängern bedient, ist es bei Cyclic Law eher das Hartei mit Ausflügen zu den Grenzgängern. Was also auch die schlüssige Herleitung der Notwendigkeit dieses Threads aus Sicht der Genre-Vielfalt ergeben sollte, die ich indes sogleich mit der Bemerkung zerstören möchte, dass ich selbst eher zu den Weicheiern gehöre – im Dark Ambient, aber auch so, sagen manche –, mithin die Auswahl der Beiträge dieses Threads, insofern sie vom Ersteller des OP stammen, das Roster des Labels voraussichtlich nur begrenzt repräsentativ wiederspiegeln wird. Natürlich sind andere Mitglieder des Forums herzlich eingeladen, diesen Umstand mit entsprechend eigenen Beiträgen zu korrigieren.

Was hat das alles mit Metal zu tun? Nun ja. Nix. Aber: Es gibt ja nun demographisch diverse Gemeinsamkeiten. Arbour selbst, der eine Weile im Funeral Doom unterwegs war, ist ein Beispiel, Jan Roger Pettersen aka Svartsinn (ha!) aus Trondheim (ha!) kommt ursprünglich aus dem Black Metal und so könnte man die Kollegen und Kolleginnen nun alle durchgehen und würde erstaunlich viele Bezüge zur Metal-Szene vorfinden. Viele Dark-Ambient-Schaffenden sehen auch aus, wie man sich den gemeinen Metaller vorstellt und ersehnt, mit langen Haaren, Tattoos auf dem und tristen Winterlandschaften hinter dem Rücken.

Der gemeine Metaller hat nun allerdings eine Neigung zu musikalischer Struktur. Er hört Stücke, insofern sie als eine Abfolge von Teilen begriffen werden können. Das kann nach dem Schema Motörhead A-B-A-B-C-B gehen oder nach dem Schema Opeth A-B-C-D-E-F-C-B-F-E-G-H-I-A, es ändert jedenfalls nichts am grundsätzlichen Muster. Wenn man ihn vor das zwölfminütige Stück „Vemod“ (ha!) von Svartsinn setzt und um eine Strukturanalyse bittet, dürfte in etwa das rauskommen: A.

Langweilig? Gar nicht mal. Dark Ambient, so die These dieser Dissertation, lebt eben weniger von Struktur als von Textur, heißt: von der vertikalen Anordnung von Elementen anstatt der horizontalen. Innerhalb dieses Teil A von „Vemod“ passiert auf der Vertikalen nämlich dann doch etwas, ein An- und Abschwellen von Nebentönen, eine Verzögerung und Beschleunigung von Akkordwechseln, eine Veränderung in den Sounds und in der Lautstärke, dazuaddierte und wieder subtrahierte Geräusche und dergleichen mehr. Der Trick hier ist, möglichst nahe an den Stillstand zu kommen, ohne ihn zu erreichen.

Nun gibt es in jedem Genre Künstler, die den Trick des Genres mal mehr, mal weniger gut beherrschen. Im Dark Ambient wird es schnell albern, wenn die Elemente der Textur kein stimmiges Ganzes ergeben: Hier ein dunkler Synthie-Akkord, da eine Triangel, dort ein Vogelzwitschern und obendrin ein Elefantenfurz - OK, liegt natürlich wie überall im Auge des Betrachters bzw. Hörers, mancher mag auch saure Gurke mit Erdbeermarmelade, mancher halt auch nicht. Wie dem auch sei, zweite Kardinalssünde des Dark Ambient: Schlechte Produktion. Also wenn die Texturelemente nicht zur Geltung kommen. Kann man durch interessante Struktur nicht wettmachen, weil: Die gibbet ja nicht.

Bevor ich mich nun aber in den Untiefen der hochgebildeten Musiktheorie verliere, soll die Musik sprechen.
"Vemod" von Svartsinn.

More to come.
 
Gerüchte wollen es, dass eine Horde brunftiger Elche die Räumlichkeiten des Labelinhabers mehrfach so verwüstete, dass Arbour im Jahr 2015 frustriert nach Berlin-Friedrichshagen zog, wo er es seitdem nur noch mit den Winden der Müggelspree und dem Remmo-Clan zu tun hat, was allemal besser ist. Die Anlieferung polycarbonatesker Presserzeugnisse an Kunden des Labels erfolgt allerdings aus den französischen Pyrenäen.

Leider ist Frédéric vor ein paar Monaten nach Frankreich gezogen...

Ich habe übrigens vor ein paar monaten mal ein kleines Interview mit ihm für den EIBENREITER gemacht. https://der-eibenreiter.de/article/frederic-arbour-von-cyclic-law-im-interview/
 
Leider ist Frédéric vor ein paar Monaten nach Frankreich gezogen...
Ich habe übrigens vor ein paar monaten mal ein kleines Interview mit ihm für den EIBENREITER gemacht. https://der-eibenreiter.de/article/frederic-arbour-von-cyclic-law-im-interview/
Lesenswertes Interview, Danke. Ich dachte, dass nur das Presswerk in Frankreich steht, weil die offizielle Adresse des Labels nach wie vor Berlin ist.

SVARTSINN: Mørkets Variabler
Direkt mal auf Svartsinn gestürzt, der mit der ähnlich lautenden BM-Band m.W. nicht verwandt oder verschwägert ist. Seit der „Nord Ambience Alliance“-Kompilation wird Svartsinn hoch im Kurs gehandelt, ich selbst bin an die ersten Veröffentlichungen nie rangekommen, weil: Zuviel Hartei. Mit „Elegies of the End“ wurde es dann interessanter, weil melodischer, wovon das o.g. und unfassbar wunderschöne „Vemod“ zeugt, dessen Niveau das Album aber nicht durchgängig hält.
„Mørkets Variabler“ von 2017, das jüngste Album, geht nun wieder einen Schritt zurück zu den geräuschlastigeren Anfängen, bleibt aber auf halber Strecke stehen und nimmt dafür noch einen zur Seite. Die halbe Strecke ergibt einen klassischen Grenzgänger. Der Schritt zur Seite ist die verbesserte Produktion mit ausgewogeneren Frequenzen, viel Hall und Bums auf der einen, das zackigere Songwriting auf der anderen Seite. Ein Stück geht los und man weiß nach wenigen Sekunden, in welche Richtung es sich entwickeln wird. Wenngleich tief im Drone verwurzelt, sind die Stücke von Svartsinn sehr detailliert und hier mit allerlei Field Recordings angereichert, wobei maschinelle Klänge die Oberhand haben. Die Verwandschaft zum Industrial ist nicht zu leugnen und stimmungstechnisch viel karge Ödnis und Bitterkeit im Spiel, die süße Melancholie des Vorgängers hat sich nicht gehalten. Mir ist es noch nicht endgültig gelungen, das Album mit dem Bauch zu knacken, weil es so viel Abweisendes hat, aber ich komme doch immer wieder darauf zurück, weil es so entdeckungswürdig ist.
Das Digibook der CD ist optisch und materialtechnisch übrigens erste Sahne.
Anspieler: Yearning Part 2 (Å Kjenne På Ensomheten)
 
Ein Freund von mir ... Hentai
Ach, die Ausrede haben wir doch alle schonmal verwendet;)

MULM: The End of Greatness
Die Musik des Norwegers NORTHAUNT, die als Vertonung der norwegischen Natur gehört werden soll, hat stets etwas Karges. Wenn man sich vorstelle, er gehe mit einer Kamera durch den Winterwald und würde vor einem prächtigen Panorama an verschneiten Fichten stehen, mit sich majestätisch erhebenden Bergspitzen im Hintergrund und glitzernden Reflektionen unter der Sonne, dann hält er die Linse garantiert auf den abgestorbenen Zweig, der bereits vor einer Woche heruntergefallen ist und ergraut im Matsch liegt. Diese Herangehensweise spiegelt auch sein gemeinsam mit zwei weiteren Dark-Ambient-Protagonisten umgesetztes Projekt MULM wieder. „The End of Greatness“ ist vertonte Ödnis. Wenn in „Away“ das erste Mal so etwas wie ein kleiner Sonnenstrahl durch die Wolkendecke bricht, sind wir schon in der Mitte des Albums angekommen und warum die Ausgeburt der Trostlosigkeit im Anschluss nun ausgerechnet „Hope“ heißt, weiß der Geier. Stilistisch eher Weichei-Kost inkl. kleinerer, kaum als solcher erkennbarer Gitarren-Einlagen, ist „The End of Greatness“ in der Ausführung derart monochrom, dass es schon eine tiefere Vertrautheit mit dem Genre benötigt, um auf das Betörende, Einlullende, das dieses Album entwickelt, zu stoßen. „The End of Greatness“, das ist ein karger Holzverschlag mitten im Wald mit einem gerade noch glimmenden Glutnest für den Wanderer, dessen Schritte in „Leave Unseen“ zu hören sind. Es besteht freilich die Gefahr, dass er auf dem Weg dorthin bereits erfroren ist.
Anspieler: Night Water Reflection
 
MONOCUBE: Substratum
Genre: Hartei mit Grenzgängerambitionen
Gefühl: Furcht
Wenn ein Windhauch sanft durch dein Gesicht streicht, du jede Faser deines Körpers spürst, wie er Nase, Wangen, deinen Hals hinabgleitet; wenn du dich im Stuhl zurücklehnst und deine Augen schließt und die dich umgebenden Klänge dich einlullen; wenn du darüber beginnst hinwegzudämmern, das Licht schummriger wird; sich das Gefühl des Wegdämmerns immer tiefer in dich eingräbt, du die Kontrolle über deine Gedanken abgibst, sie dich abdriften lassen; und wenn du dann abstürzt in einen Abgrund tiefer Beklemmnis; der Stuhl zum Gefängnis und der Windhauch am Hals zum Würgegriff wird.
Ein Wolf im Schafspelz.
Anspieler: Opaque
 
RAISON D'ÊTRE: Enthralled by the Wind of Loneliness
Classic-Review, plingpling. Interessiert keinen - egal. „Enthralled by the Wind of Loneliness“, „Within the Depths of Silence and Phormations“, „In Sadness, Silence and Solitude“, „The Empty Hollow Unfolds“, „Requiem for Abandoned Souls“ – was für herrliche Titel für fette Epic-Doom-Alben! Sie stammen allerdings von Peter Andersson, der mit Raison d'être für diverse Genre-Klassiker des Dark Ambient der 90er zuständig ist. Einige von ihnen wurden im Lauf der Jahre neu aufgelegt, darunter das ursprünglich 1994 erschienene „Enthralled …“-Album von Cyclic Law im Jahr 2018.
Raison d'être wird oft mit Mönchs-Chor-Samples in Verbindung gebracht, die es auch auf „Enthralled …“ zuhauf gibt, aber nicht nur. Andersson hat einen eher experimentellen Zugang zum Genre und mixt alles durch- und miteinander, was ihm vor das Mikro springt. Das ist auch so ein bisschen die Krux an der ganzen Sache, weil die Einzelelemente nicht unbedingt ein rundes Ganzes ergeben. „The Narrow Gate“ wird angeführt von einer Panflöte, die mit aggressiven Tribal-Drums unterlegt bzw. von diesen überlagert wird, um dann in Maschinenklänge überzugehen. Sicherlich ist das alles in seiner Gegensätzlichkeit so intendiert, aber was kümmert mich die Intention des Erschaffers? Ich kann keine Emotion entwickeln, die zu diesem unstimmigen Mix passt.
Das andere Ende der Fahnenstange markiert der gediegene Viertelstünder „Spiraal“, der sich rund um ein Chor-Thema bewegt, das mit bassigen Keyboard-Akkorden und Glockenspielklängen passend untermalt wird. Totaler Gänsehautalarm. Mit diesem Stück denkt Andersson die Wende zu einem eher monolithischen Stil, der ab „Metamorphyses“ von 2006 in sein Werk Einzug hielt, vor. Der fand dann in dem fantastischen „Mise en Abym“ von 2014 seinen bisherigen Höhepunkt, aber das ist eine andere Geschichte.
Hier bin ich also nicht ganz so angetan. Zum richtigen Versinken ist mir vieles an dem Album zu widersprüchlich. „Enthralled …“ kann aber durchaus Einiges durch seinen Überraschungsreichtum und zahlreiche schöne Melodien.
Anspieler: The Narrow Gate, Spiraal
 
DESIDERII MARGINIS: Procession
Johan Levin aka DESIDERII MARGINIS ist noch so ein Kind der 90er, gern verglichen mit raison d'être, da z.T. ebenfalls mit Chor-Elementen operierend und bis zum Dahinscheiden von Cold Meat Industry ebenfalls dort unter Vertrag. Nachdem die letzten Alben bei CMI mit Akustikgitarren und Texten experimentierten, folgte mit dem Wechsel zu Cyclic Law stufenweise der Gang in Synthie-gestützte Nebelwelten. „Procession“, das erste Album bei Cyclic Law, ist stilistisch der Zwischenschritt zwischen beiden Phasen.
Jedes Album von DESIDERII MARGINIS seit „Procession“ ist eine Klasse für sich, hat seine eigene stilistische Grundausrichtung und ist in sich konzeptionell geschlossen. „Procession“ selbst vertont anders als der Titel insinuiert keinen Trauermarsch*, generell gar nichts Sakrales** und taucht auch nicht in allzu dunkle Untiefen ab***, sondern ist von einer andächtigen, nachdenklichen Melancholie der kleinen Gesten geprägt. Das Album hat etwas von einem einsamen alten Herren, der auf seiner Terrasse sitzt, in das verregnete Feld hinausschaut und über Episoden seines Lebens sinniert. Sehr menschlich, zugewandt, intim. Und naturnah - charakteristisch sind die vielen neofolkigen Melodieanteile. Hörerinnen und Hörer dieses Lagers könnte das hier auch ansprechen.
Fantastisches, rührendes Album von einem der hochwertigsten Dark-Ambient-Projekte da draußen.
Anspieler: Land of Strangers, Silent Messenger

*Für das Thema Trauermarsch das aktuelle Album „Departed“ konsultieren.
**Für das Thema Sakrales das Album „Vita Arkivet“ konsultieren.
***Für das Thema dunkle Untiefen das Album „Hypnosis“ konsultieren.
 
Zuletzt bearbeitet:
OK, Ihr Lieben. Es ist wieder Zeit für einen kleinen Draufblick. Ich möchte diese Antrittsvorlesung in gewohnter Konsequenz maßloser Hybris „Was heißt und zu welchem Ende hört man als Metaller Dark Ambient?“ taufen. Nachdem bereits überzeugend dargelegt wurde, was Dark Ambient und Metal unterscheidet, soll der Vergleich von Äpfeln und Birnen diesmal auf die Gemeinsamkeiten abzielen. Wo der Brotgelehrte trennt, vereinigt ja der philosophische Geist, nich wahr?

Es gibt bekanntermaßen bergeweise Metal-Bands, die Dark Ambient in ihre Musik einflechten, sei es in der Ausprägung Space Ambient (Arkhtinn, Darkspace, Midnight Odyssey), Polar Ambient (Paysage D'Hiver, Vinterriket, Battle Dagorath), Ritual Ambient (Lunar Mantra, Schammasch, Nightbringer & Nebenprojekte) oder eher in einer noisigen Variante (Reverorum Ib Malacht, Ævangelist, Gnaw Their Tongues).

Wer über diese sterbenslangweilige Listenbildung noch nicht eingeschlafen ist, hat natürlich längst bemerkt, dass alle Referenzen aus dem Black Metal stammen. Kein Zufall, denn der Anknüpfungspunkte gibt es viele:
- BM geht durch die Spielweise häufig in die Fläche – einzelne Anschläge der Gitarre verschwinden im Tremolo-Meer, das Blastbeat-Dickicht bietet einen Teppich, von irgendwelchen Synthiebergen bei bestimmten Bands ganz zu schweigen. Es entsteht sozusagen ein Sound-Kontinuum im Unterschied zu einer abgehackten Spielweise wie etwa im Thrash Metal. Erste Analogie, denn das ist im Dark Ambient natürlich genauso.
- Zweite Analogie ist der Atmosphärefaktor: Seelische Dunkelheit, die im BM Schattierungen von süßer Melancholie bis in den kaputtesten Abgrund der Psyche mitnimmt, ebenso wie – genau.
- BM weist darüber hinaus häufig das Merkmal der konzeptionellen Schließung auf. Nahezu alle der o.g. Bands verfolgen unterscheidbare, klar abgegrenzte Konzepte, beziehen sich in Ihren Vertonungen auf etwas, das sie abbilden wollen, ob es nun die Leere des Weltalls, der Zorn Gottes oder der berauschte Taumel irgendeines alten Hochkulturvolks sei. Dieser Abbildungsaspekt ist im Dark Ambient, der per se etwas Cineastisches hat, ebenfalls stark ausgeprägt, musikalisch und konzeptionell generell (wobei durch die i.d.R. fehlenden Texte die Möglichkeiten da geringer sind).
- Ein schwerer greifbares Merkmal, das mir aber wichtig ist, ist das der Andersweltlichkeit. Beide Spielarten haben oft etwas der Welt Enthobenes, eine gewisse Mystik, Alltagsferne, Geisterhaftigkeit.

Bei diesen vielversprechenden Metaphern wollen wir es bewenden lassen und wandern jetzt in ein Nachbarfeld weiter. Ein Projekt wie die Finnen Tyranny sollte man gleich vom Dark Ambient her deuten und auch Nortt, Celestiial, Abysskvlt, Mesmur, Esoteric, Longing for Dawn etc. pp. sind ohne Dark Ambient nicht denkbar. Wir finden uns im Doom-Territorium wieder, im Speziellen Funeral Doom. Wem die Konsonanzen mit BM nicht reichen, der findet hier weitere.
- Zuvorderst natürlich die Langsamkeit. Schnell entwickelter Dark Ambient ist ebenso wie schnell entwickelter Doom undenkbar, und die Zeit, die bei z.B. Esoteric mitunter ein Akkord liegenbleibt, ist im Dark Ambient sogar noch als unangemessen kurz einzustufen.
- Damit verwandt: Die Informationsarmut. Unter der Hinsicht ist Doom das Gegenteil von klassischem Prog Metal wie Dream Theater, und mit den Tönen, die Petrucci in einem Lick verbaut, bastelt Nortt ein ganzes Album. Wer mal hören will, wie richtig krasse Informationsarmut im Ambient sich anhört, kann sich mal durch die „VLA“-Scheibe von Carbon Based Lifeforms quälen.
- Bedeutet auf der Wirkungsebene: Monotonie. In beiden Genres unhintergehbar und oft fälschlich negativ wertend verwendet. Abwechslungsreichtum wird total überbewertet und wenn ich in einer Rezi lese, dass auf einem Album alles dabei sein soll vom schnellen Feger über den Midtempo-Stampfer bis zur Ballade, frage ich mich, warum die Band nicht einfach ein Midtempo-, ein Speed- und ein Downtempo-Album geschrieben hat.

Was ich als gewieften Übergang zu klassischeren Spielarten nutzen möchte, gegen die ich latürnich soeben durch die Blume frotzeln meinte zu müssen. Kommen wir also zu den Gemeinsamkeiten von Dark Ambient und Iron Maiden. Es gibt keine. Wer Heavy, True, Thrash, Power, Melodic, Speed, Prog oder was weiß ich noch für Metal hört, wird beim Dark Ambient vermutlich nur landen, wenn er mal was anders hören will, während der Funeralster und Blackie u.U. im Dark Ambient etwas ähnliches sucht.

Das letzte Wort erhält natürlich die Musik aus dem Stall Cyclic Law.
"Summoning the Void" von VISIONS; es besteht eine Verbindung zu Longing for Dawn.
"Rite I" von ASHTORETH; hörbar gitarrenbasierte Kost.
 
SHRINE: Nihil
Das Wort zum Sonntag widmet sich heute Hristo Gospodinov aka Shrine, der für mich eigentlich für organische, flächige, esoterisch angehauchte Breitwandsounds, die mehr im Ambient ohne das „Dark“ davor zu verorten und durchaus lohnenswert sind, steht. Ich kenne aber auch nicht alles von ihm. „Nihil“ geht jedenfalls zum Teil andere Pfade. Thematisch wendet Gospodinov sich der Freudschen Theorie des Todestriebs zu. Freud zufolge kann sich der Wunsch nach der Vernichtung des Lebendigen gegen Andere und gegen sich selbst richten. Das in seiner Bildsprache plakative, aber künstlerisch ansprechend umgesetzte Cover lässt die Vermutung zu, dass es Shrine um die zweite Form geht, wobei neben dem Cover auch die Liedtitel einen religiösen Horizont setzen. Das Album hat viele schwere Momente des Abschieds, die auf den typischen Drones von Shrine beruhen, allerdings diese mit bitteren Melodien, Disharmonien und noisigen Anleihen ausstaffiert, letztere am augenfälligsten und naheliegenderweise in „Hellfire“. Dem steht – ebenfalls naheliegend – „Paradise“ entgegen, das die warme, einlullende Ambientwelt bietet, die ich mit Shrine eigentlich verbinde. Und „Disintegration of an Ego“ bietet auch eine Form von Erlösung im elfminütigen Stillstand eines emotional schwer zu deutenden Schlussakkords unter die tragische Ausgeburt des Schmerzes, die dieses Album dann insgesamt doch ist.
Anspieler: Shadow Puppets, Disintegration of an Ego
 
KAMMARHEIT: The Nest
Wer in das Genre Dark Ambient eintaucht, stößt nach kurzer Zeit auf Kammarheit, ein Projekt von Pär Boström aus der schwedischen Provinz Västerbottens län, die geographisch in etwa so ausfällt, wie man sich Schweden eben vorstellt: Große Seen, tiefe Buchten an der Ostseeküste, weite Wälder. Warum die Herkunft wichtig ist? Für mich hat die Musik von Kammarheit etwas Ursprüngliches, Erdverbundenes. Ich denke an Wasser, Wind und Erde, an urige Felder, über die sich die Abenddämmerung legt, an dunkle Tropfsteinhöhlen, an schwarze Teiche im Wald.
Obgleich erst seit 2003 im Spiel und seitdem gerade mit geizigen drei Alben aus dem Dunkel getreten, zählt das Œuvre von Kammarheit weithin als Genre-Meilenstein, und das völlig zurecht.
Ein prägendes Merkmal der Klänge dieses Albums ist die permanente Anwesenheit von Vibration. Egal ob eher im bassigen Bereich oder in den hohen Frequenzen, das Vibrieren der Töne sorgt für einen Grundpegel an Bewegung und macht die Musik auf „The Nest“ lebendig und organisch.
„The Nest“ holt dabei nicht zu großen Panoramen auf, die gewählten Klänge haben etwas Sparsames, Fokussiertes, sehr Konkretes, aber auch Existenzielles. Jeder Ton, jeder Klang verweist auf die Zurückgeworfenheit auf sich selbst, Einsamkeit mit der Natur und die Rätselhaftigkeit des Daseins. Alles an diesem Album wirkt wie ein Symbol auf diese Themenkreise. Unfassbar schöne, den inneren Kampf mit sich selbst befriedende Oasen wie „Sphaerula“ und „Aeon“ treffen auf Meditationen über das nackte Ausgesetztsein wie „The Howl“ oder „Hypogaeum“. Pär Boström ist ein Meister im Ausdruck des Elementaren. Wer mit dem Genre noch keine großflächigen Berührungspunkte hatte, wird möglicherweise erstarren ob der oberflächlich betrachteten Ereignislosigkeit. Für mich trifft Kammarheit einen Nerv an einer Stelle, an die nur ganz Wenige rankommen. „The Nest“ gehört zum Besten und Tiefsten, was ich im Dark Ambient je hören durfte.
(Abschließend sei noch auf einige weitere Spielwiesen des Machers verwiesen: Hymnambulae, ein Projekt mit seiner Schwester Åsa, bietet warme, leicht bekiffte Klänge, die auf „Nausikaa“ mit den Gedichten von Gunnar Ekelöf unterlegt werden. Eine Kollaboration mit Atrium Carceri und Apocryphos mündete in die fantastischen Seelenwanderungen „Echo“ und „Onyx“, die im Thread zu Cryo Chamber bereits vorgestellt wurden. Hinter Cities Last Broadcast ververgen sich schwer konsumierbare, leiernde Noirkulissen. Und Altarmang … nun ja, ich verweise einfach mal auf diesen kultigen Albumtrailer)
Anspieler: The Howl, Sphaerula
 
INSTINCTS: The Mystery Visions
Dieses Album war nicht nur am 1. Januar 2002 der Startschuss von Cyclic Law und das erste Dark-Ambient-Album, mit dem Frédéric Arbour selbst als Erschaffer in Erscheinung trat, sondern auch eins meiner ersten Alben des Genres, weswegen mein Blick sicherlich von stark nostalgischen Gefühlen geprägt ist. Es verknüpft die Hallwelten des Space Ambient mit der Gothik des Dark Wave sowie ausladenden Bewegungen der Neoklassik und gehört damit eigentlich nicht in mein musikalisches Beuteschema.
Gerade die Vielgestaltigkeit ist es, die „The Mystery Visions“ so einzigartig macht. Wo findet man sonst schon eine Kombination aus bassigen Drones, hellen Trompetenmelodien und sakralem Glockenklingeln so selbstverständlich dargeboten? Das Album ist sehr melodiös und damit Weichei-Kost. In seinem Verlauf wird es düsterer als die ersten Tracks vermuten lassen, aber allein die ständigen Glocken bringen eine Grunddosis Schwung und Opulenz rein. Wer im Dark Ambient die reine Dunkelheit sucht, ist mit anderen Alben des Labels besser bedient.
Die längst ausverkaufte CD-Auflage kommt als musikalisch-bildnerisches Kollaborationsprojekt im A5-Digipack und mit einem Stapel durch den Grafiker Bustum gestalteter Postkarten daher.
„The Mystery Visions“ ist das einzige Album, dass Arbour unter dem Alias Instincts je veröffentlicht hat. Instincts wurde 2005 von dem Projekt Visions abgelöst, mit dem Arbour dann doch den Fokus stärker auf düsteren Space Ambient legte.
Anspieler: Untitled 2, Untitled 8
 
SHEDIR: Falling Time
Herbst wird. Es ist Zeit für den Blues. Funeral Doom. Und Dark Ambient, klar. „Falling Time“ ist ein gleichermaßen betörendes wie verstörendes Album. Es legt eine Basis aus mitten- und höhenlastigen Synth-Akkorden mit dezentem Ethno-Touch plus gelegentlichen hintergründige Drones und kombiniert diese mit dem Industrial entstammenden Field Recordings, die sich häufig zu Störgeräuschen entwickeln: Fiepen, Zischen, Kratzen. Oh ja, „Swarm“ wird seinem Titel sowas von gerecht. Das abgedeckte Frequenzspektrum ist groß und zum Teil anstrengend. Die Atmosphäre ist geheimnisvoll, einlullend und abgründig. „Falling Time“ ist wie ein angenehmer Schlaf, in dem sich ein unheilvolles Erwachen permanent ankündigt.
Anspieler: Away, Heart Apart
 
VISIONS: Temples
Ich bin für Hartei-Kost ja eigentlich zu sehr Softie. Aber mit VISIONS, dem Nachfolgeprojekt zu INSTINCTS, hat mich Frederic Arbour echt gekriegt. VISIONS verknüpft die beklemmenden Bässe früher LUSTMORD mit Sounds des Space Ambient. Im Unterschied zu LUSTMORD, wo einem der Horror ohne Kompromisse aufgezwungen wird, lässt die Musik hier dem Hörenden noch die Luft, eigene Gedanken und Gefühle zu entwickeln, was sie weniger beklemmend macht. Das Ergebnis ist dennoch rabenschwarz und nichts für Zartbesaitete. Alle drei bisher erschienenen Alben haben ihren je eigenen Charakter, der bei „Temples“ im Drone besteht. Jede Episode besteht aus einem Akkord, der anschwillt, bis er einem teilweise ins Ohr schreit. Für mich entsteht durch diese Kompositionsweise ein tiefes Gefühl der Verzweiflung, das dieses Album menschlicher macht, als Space Ambient es normalerweise vermag. Und ich musste heute danach etwas Vivaldi einlegen, um mich daran zu erinnern, wie schön es doch ist, auf der Welt zu sein.
Anspieler: Traces, Continuum
 
Hm. Also 2020 war eher ein schwaches Cyclic Jahr. Die ganze Tribal/Folk/Ritual-Schiene mit den Werken von BECKAHESTEN, HELIOZ, UNDIRHEIMAR u.a. gibt mir gar nichts, ARCANA, die munter weiter re-releast werden, finde ich gruselig kitschig, während die Soundkulissen von AJNA das Extrem gruselig gruselig markieren, bei dem ich mir beim Hören so in die Hosen scheißen würde, dass ich es lieber sein lasse. DAGMAR GERTOT ist Kunst-Kack und die Kollaboration „Kegaal - Pillars: Seeds of Ares“ mit u.a. NEW RISEN THRONE gehört zum Langweiligsten, was ich in dem Genre je gehört habe.
Soweit der Ableder-Part. Die Plus-Seite: Der Zweitling von SHEDIR, „Finite Infinity“, ist abermals gekonnt gebastelt und detailreich. Wie schön ist „Before The Last Light Is Blown“ nur? Der Zweitling von NERATERRÆ, „Scenes From The Sublime“, ist zumindest ganz gut, hat weniger (aber immer noch) Kompilations-Charakter als das Debüt. ULVESTAD mit seinem Debüt „Fall“ fand ich anfangs nichtssagend, aber mehr und mehr tauche ich doch in diese ätherischen, minimalistischen und irgendwie zaghaften Drones ein. Und „Thronal“ von KAMMARHEIT erscheint kurz vor Weihnachten und wird eh toll.
 
Zurück
Oben Unten