Geddy erzählt das überall, ich hab´s schon oft gelesen. In dem Buch "Contents Under Pressure" von (wieder mal) Martin Popoff ist das "Presto"-Kapitel das traurigste des ganzen Buchs. Autor und Ged machen Kleinholz aus der Scheibe, sogar von einer "Fingerübung für die nachfolgende RollTheBones" ist da die Rede (diese Bemerkung stammt vom Autor).
Neil hat die Sache wieder mal auf sein ihm eigenes Level gehoben, indem er sagte (ich paraphrasiere das möglichst nahe am Original): "Presto" habe als Album sein eigenes Potential nie ganz erreicht, nicht das, das die Band eigentlich hatte, noch das des Songmaterials (?). Dann fährt Neil ungewohnt angriffslustig fort, es sei sinnlos darüber zu debattieren, denn irgendwer käme immer um die Ecke und würde die Band in Rechtfertigungsnot zu bringen versuchen. Das sei eine Lektion, die er schon lange gelernt habe - nie die eigene Arbeit zu kritisieren, denn das gäbe immer Ärger mit irgendwem. Und Neil schließt seine Herzensergießung mit einem spürbar stoßgeseufzten: Ok, Ihr wißt es eh besser...!
Ja, tun wir in dem Fall auch, Neil.
Wir Presto-Fans zumindest. Ich meine, Goethe hat seine "Farbenlehre" für sein wichtigstes Werk gehalten. Heute lacht man über diese Arbeit. "Presto" ist für mich persönlich das Rush-Album, das mich am allermeisten berührt. Das privat-erfüllendste sozusagen. Da kann Geddy sagen, was er möchte. Es ist ja ohnehin klar, daß viele Musiker ihre Alben eher nach den Vibes bewerten, die bei der Entstehung herrschten. Gut, bei "Presto" ist Geddy mit gar nix zufrieden, das ist sein gutes Recht, aber worin der Sinn besteht, denjenigen Fans, die dieses Album heiß und innig lieben, durch so ein jahrzehntelanges Autodafé das Leben und Liebhaben unnötig schwer zu machen, das verstehe ich auch nicht so wirklich.
Was mich übrigens an dem hier verlinkten Geddy-Interview am meisten überrascht hat, ist seine mehrfache The-Who-Referenz. Hätte da eher Led Zep erwartet. In einer erst kürzlich erschienen dt.sprachigen Zeitschrift läßt Geddy sich über "Led Zeppelin I" als sein absolutes Lebensalbum aus. Da freut einen doch fast die Hinwendung zu "Who´s Next" und generell zu den Who. Was hat Townshend nicht daran gelitten, nach dem Wegbruch der Beatles von Zep auf dem Weg zur größten Band der Welt eingesackt zu werden. Townshend hat ja bekanntlich ein mehr als angespanntes Verhältnis zu der Arbeit von Page&Co und sich mehrfach sehr abfällig über deren Werk geäußert.
Ich kann heute keine der beiden Bands mehr hören, sie sind zu sehr mit meiner frühen Jugend verknüpft, bei "Quadrophenia" habe ich Clerasil-Geruch in der Nase und bei der ersten vier Zep-Alben wieder Blasen an den Fingerkuppen. Nur eines ihrer ganzen Alben steht noch in meinem Plattenschrank, "Houses Of The Holy", trotz des fürchterlichen Covers.
Is ja auch egal, bezgl. "Presto" sage ich und sage mit Neil: Okay, Geddy, Ihr wißt es ja eh immer besser...