Dann möchte ich mal ausführlich meinen Senf zum aktuellen Output dazugeben. Erwartet bitte keine differenzierte Beurteilung, ich find' das Ding total geil.
Über Kommentare zum Review und ergänzende Hinweise zur Geschichte bin ich jederzeit dankbar!
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Vorab: Um die Geschichte der ‚Forever‘, die schließlich mit der unseren verschmilzt, so gut wie möglich zu erfassen, sei eindringlich empfohlen, die Alben
Into The Electric Castle,
The Universal Migrator (beide Teile) sowie vor allem
01011001 vorher zu hören. Musikalisch lohnt sich die Reise auch für Hörer ohne Vorwissen, ich werde allerdings vereinzelt auf Querverweise zu älteren Werken Bezug nehmen [in eckigen Klammern] und ausgiebig die Texte behandeln.
The Source gliedert sich in insgesamt vier Kapitel (
Chronicles) auf, die narrativ durch kurze Einleitungen – und mit Ausnahme von Chronicle 3 auch durch den einleitenden Gesang – des Historikers (James LaBrie) zusammengehalten werden, und fungiert als Prequel zu
01011001. So finden sich mit Simone Simons, Hansi Kürsch und Floor Jansen auch drei Gäste, die bereits auf
01011001 zu hören waren.
Das Album erzählt vom Schicksal einer hochentwickelten extraterrestrischen Lebensform auf dem Planeten ‚Alpha‘, die den Supercomputer ‚The ‘Frame‘ entworfen hat, um das Leben auf ihrem Heimatplaneten zu verbessern. Mit der Zeit übersteigt die Intelligenz von The ‘Frame allerdings die der Alpha-Bewohner und der Computer sieht die einzige Chance, die ökologischen und politischen Probleme des Planeten zu lösen darin, seine Schöpfer auszulöschen. Angesichts dieser Bedrohung beschließen 10 ‚Alphans‘ zusammen mit dem transhumanen Androiden TH-1 (Michael Mills) die Flucht an Bord der ‚Starblade‘, einem höchst fortschrittlichen und wandelbaren Raumschiff.
Jene 11 Charaktere kommen bereits im einleitenden „The Day That The World Breaks Down“ zu ihren ersten Auftritten.
Der Song startet verhalten, unterlegt von Flöten, und steigert sich mit fortschreitender Zeit zu einem typischen Ayreon-Stück mit fein austariertem Zusammenspiel aus Gitarre, Schlagzeug, Bass und Synthesizer. Der Mittelteil wird durch jazzig-groovende Basslinien und den unwiderstehlichen Gesang des Präsidenten (selbstverständlich Russel Allen!) bestimmt, bevor die Biologin (Floor Jansen) stimmgewaltig den Bogen zum Anfang zurückschlägt. Auch wenn die Einbindung aller Figuren stellenweise etwas erzwungen wirkt, beweist der Opener eindrücklich, dass uns hier Sci-Fi-Prog-Metal vom allerfeinsten erwartet. Ganz starker Auftakt!
Im anschließenden „Sea Of Machines“ werden erstmals deutliche Verknüpfungen zu anderen Geschichten des Ayreon-Universums hergestellt. Etwa wenn der Prophet (Nils K. Rue) verkündet:
I see a comet cleave the sky --> [„Ride The Comet”]
In a time beyond time
I see a realm beneath the waves --> [„Beneath The Waves”]
I see a castle, a castle deep in space --> [Album
Into The Electric Castle]
On the edge of time
Analog dazu erinnern die Industrial-Sounds im hysterisch vorgetragenen „Everybody Dies“ an „Age Of Shadows“.
Lucassen versteht es, seine Gäste äußerst geschickt einzusetzen, um Dynamik und Stimmung der Songs zu variieren. Beispielhaft seien hier der entrückt wirkende Chemiker (Tommy Rogers, der übrigens ausschließlich Klargesang anwendet) in „Star Of Sirrah“, „Condemned To Live“ und „Bay Of Dreams“, das weibliche Duett aus Ratgeberin (Simone Simons) und Biologin in „All That Was“, das treibende „Run! Apocalypse! Run!“ mit einem hektischen Raumschiffskapitän (Tobias Sammet) oder das kongeniale Zusammenwirken des Astronomen (Hansi Kürsch) mit TH-1 in „Into The Ocean“ genannt. Auch der kurze Auftritt des Predigers (Zaher Zorgati) rundet die orientalischen Einflüsse in „Deathcry Of A Race“ passend ab, wenngleich sich mir der Sinn dieser Figur nicht so recht erschließt. Trotz der häufig wechselnden Gesangsrollen wirkt
The Source kompakter, runder und weniger zerfahren als der direkte Vorgänger.
Nach der waghalsigen Flucht von Alpha wird das Tempo etwas zurückgefahren, „Condemned To Live“ reduziert anfänglich Komplexität und Instrumentierung, gipfelt dann jedoch in einer Ayreon-typischen episch-ausladenden Klimax. Damit schließt die erste Hälfte des Albums.
Mit „Aquatic Race“ beginnt die eigentliche Reise der Auserwählten – es herrscht feierliche Aufbruchstimmung, die sich auch später in „Journey To Forever“ niederschlägt. Der Chemiker injiziert den Passagieren das bereits von
01011001 bekannte „Liquid Eternity“ (Synonym: „The Source“), welches die Reisenden unsterblich macht und es ihnen ermöglicht, sich mittels Telepathie zu verständigen: Die Alphans werden zu Forever.
Es geht durch die Weiten des Alls; eine abwartende, verträumte Ruhe erfüllt die folgenden Minuten, löst sich jedoch bald im Angesicht der sich nähernden, neuen Heimat auf. Hier beginnt das neue Leben der Forever, während in der Ferne alles Leben erlischt („The Dream Dissolves“, „Deathcry Of A Race“). Das straight rockende, stellenweise nahezu tanzbare (!) „Into The Ocean“ kündigt die Ankunft auf dem neuen Habitat nahe des Sterns ‚Sirrah‘ an.
Erneut ist es der Prophet, der mit eindeutigen Aussagen bezüglich der Zukunft der Forever aufwartet:
For eons to come, we will thrive beneath these seas --> [„Beneath The Waves”]
Our spirits seem free, forever
But shadows will rise, they will steal our souls away --> [„Age Of Shadows”]
Then a comet will fly, cleaving the skies --> [„Ride The Comet”]
To a world of tomorrow dreams! --> [„The Fifth Extinction“]
Die Crew landet in der „Bay Of Dreams” und tauft ihren neuen Heimatplaneten ‚Y‘.
Das letzte Kapitel wird von frappierenden Ähnlichkeiten zur modernen, vernetzten Zivilisation begleitet – mit den Worten des Kapitäns und des Diplomaten (Michael Eriksen):
We’re all connected, a never-ending synergy
We’re a collective, an infinite community,
Immortal harmony, eternal unity
Captain: I’m ready to dive into this brave new world
Diplomat: Commencing the morning of our second birth
Captain: It’s coming, the rising of a glorious age
Diplomat: It’s starting, the dawn of a superior race
Die Stimmung wechselt vom Feierlichen und Zuversichtlichen ins Nachdenkliche und Skeptische, ja Misstrauische. Im Gegensatz zu den massiven Soundwänden der ersten drei Chronicles wirkt die Musik häufiger in sich gekehrt und weniger verschnörkelt („The Source Will Flow“, „The Human Compulsion“). Obwohl die Bedrohung durch den ‘Frame vermeintlich abgewendet werden konnte, überkommen die Protagonisten Zweifel und Sorgen hinsichtlich ihrer Zukunft.
So schließen denn auch die Forever mit der Erkenntnis:
Our tale’s not over, the circle’s incomplete,
We won’t just vanish in the sea!
Die letzten Worte des Albums hingegen gehören TH-1, der Maschine. Mantra-artig wiederholt der Androide:
I will grow
Know my name
I am hope
I am the ‘Frame
I advance
Up from the deep
A new chance
The March of the Machines
Es endet, so wie „Age Of Shadows” des chronologischen Nachfolgers beginnt: Mit dem bedrohlichen Klang sich selbst fortentwickelnder Maschinen. Und wenig später heißt es „The age of shadows has begun“…
The Source ist gewohnt hochklassige Lucassen-Kost – mit Songwriting auf extrem hohem Niveau, fantastischen Gastmusikern und -sängern und unverwechselbaren Instrumental- und Gesangswänden, die hochgefahren, kunstvoll verziert, eingerissen und aufs Neue errichtet werden. Oft laut, episch und ausladend, vereinzelt leise, reduziert und behutsam – und stets dem roten Faden folgend, der die Erzählung vorantreibt und zahlreiche Anknüpfungspunkte zu den übrigen Alben des Projekts bietet. Ein selbst im Kontext des Ayreon-Kosmos herausragendes Werk. Ganz großes Kino!