MOTÖRHEAD - 1916
Eine Liebeserklärung von Eisenkanzler
Eines vorweg: Angesichts der wirklich tollen, intensiven, leidenschaftlichen Reviews der Forianer, welche vor mir dran waren, habe ich zwischendrin schon ein bisschen kalte Füße bekommen. Aber versprochen ist versprochen, also los geht's.
Rückblick auf das Jahr 1991 - das Erscheinungsjahr dieses Meisterwerks:
1991 war das Jahr, in dem ich richtig steil ging auf Death Metal. Es gab in unserem Lieblingsmagazin ein Special über dieses Jahr, in dem der Death Metal förmlich explodierte und lauter geile Scheiben rauskamen. Von den 40 vorgestellten Scheiben hatte ich - glaube ich - 37 bei mir stehen. Death Metal über alles. Rückblickend auf das ganze Jahr 1991 kann ich mich nicht erinnern, irgendwas anderes als Death Metal gehört zu haben. Wenn ich morgens vor der Berufsschule in der Raucherecke ankam, rülpste ich meist mein knappes "Moin" in die verstört blickende Vokuhila-Gemeinde, so sehr war ich auf DEATH. Aber eine Scheibe schaffte es dann doch, sich in Dauerrotation neben den Grunzbands zu etablieren: 1916. 1916 ist meine meistgehörte Motörhead-Scheibe. Und sie ist mir die liebste. Warum? Ich gehe die Scheibe mal Song für Song mit euch durch.
1916 - Die Songs
The One to sing the blues
Motörhead machen ne bluesige Nummer? Ne, eher nicht. In meinen Ohren ist hier nix bluesig, es geht gut nach vorne. Schöner Up-Tempo-Rocker.
I'm so bad (Baby I don't care
Und wieder ein schönes Stück dreckigen Rock'n'rolls!
Lemmy sagte dazu im Metal Hammer (ja, ich stehe dazu, 1991 konnte man den noch gut lesen): "Typisch Motörhead. I’m so bad – das beschreibt das, was ich auch tatsächlich am meisten bin"-
Kostprobe gefällig?
"I make love to mountain lions,
Sleep on red-hot branding irons,
When I walk the roadway shakes,
Bed's a mess of rattlesnakes,
Voodoo child, black cat bone,
Scratch your back, hear you moan,
I get up, you go down, tall building, single bound,
War and peace and love, say it if you dare,
Iron fist, velvet glove,
I'm so bad, baby I don't care"
No voices in the sky
Einer meiner All-time-faves von Motorkopf. Inhaltlich geht es um Religion und den ganzen damit zusammenhängenden Schwachsinn. Der Chorus ist für mich einer der tollsten Chorusse (schreibt man das so?) den es gibt. Simple Akkorde, aber mit toller Stimme von Lemmy. Nicht ganz so dreckig wie man ihn sonst liebt, aber hier völlig passend eingesetzt. Mein Chef, welcher durch seine Fahrgemeinschaft mit mir im 2-wöchentlichen Turnus meiner Musik ausgesetzt ist, sagt zu diesem Song: "Manche deiner Bands machen ja sogar Musik". Dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen. Einfach schön!
Going to Brazil
Das ist wieder ein Rock-Kracher wie er im Buche steht. Inhaltlich wird eine Flugreise nach Rio thematisiert. Ein Auszug aus den Lyrics mag andeuten, in welche Richtung das geht:
"All the booze is free, airline going broke,
Here come the lady with another jack and coke,
Wanna watch the movie, can't keep still,
Flying down to Rio, going to Brazil"
Nightmare/the Dreamtime
Ein untypischer Motörhead Song. Sehr langsam, getragen. So hat man das wohl nicht erwartet. Mir gefällt die Basslastigkeit in dem Song. Inhaltlich werden Alptraumthemen verarbeitet.
Love me forever
Das Lied ist eine verdammte Ballade. Alle Balladen auf diesem Planeten sollten genau so geschrieben werden. Ohne zuckergetriefe. Einfach schöne Musik. Der Gesang von Lemmy bei diesem Stück ist nicht von dieser Welt. So verletzlich, so schön. Bitte selber anhören, es gibt nicht genug Worte im Duden, um diese Stimme zu beschreiben.
Angel City
Nun wieder ein schneller Song über die Stadt der Engel. In diesem Song ist ein Saxophon zu hören. Ja, richtig gelesen. Das passt üblicherweise nicht zu Metal, aber hier passt es (und auf "Stand in the fire" von Striker, da gibt's auch einen Saxophon-Song der passt, sonst gibt es das nirgendwo, wirklich).
Make my Day
Ein typischer, schneller Motorkopf-Rocker mit einem schönen Chorus. Motörhead, wie man sie kennt und liebt.
R.A.M.O.N.E.S.
Eine Verneigung vor einer tollen Band. Der Song ist unter 2 Minuten lang und gibt mächtig Gas! Ein Spaßsong der gute Laune verbreitet.
Shut you down
Schnell, direkt, so ist auch dieser Song. Irgendwo - die Quelle kann ich nicht belegen - hat Lemmy diesen Song mal als "Macho-Song" beschrieben. Kann man so stehenlassen.
1916
Der Song, der mich am meisten berührt. Keine Gitarre, kein Bass, nur ein Keyboard und die Trommel. Und Lemmy mit einer Stimme, die so verletzlich klingt, so hoffnungslos, so zerbrechlich, so wunderwunderschön. Inhaltlich geht es um den ersten Weltkrieg und wie es ist, auf den Schlachtfeldern in Flandern zu leben bzw. zu sterben. Für mich ein Übersong. Gänsehaut galore.
Lemmy sagt zum Album in "White Line Fever"):
"Several of the Songs on 1916 - "Love me forever" and "1916", for example were very different from anything we'd have done before, but it's not like we were trying to change; we just did."
Die persönliche Bedeutung von 1916 für den im 18. Lebensjahr stehenden Eisenkanzler (damals noch Eisenprinz):
Hinrich Breuer war mein Urgroßvater mütterlicherseits. Er starb am 16.09.1975 - an meinem zweiten Geburtstag. Ich habe ihn also nie bewusst kennengelernt. Aber mein Großvater hat mir viele lebendige Geschichten von ihm erzählt. Was er alles in der Landwirtschaft erlebt hatte, wie das Leben in der "guten alten Zeit" in einem 100-Einwohner-Dorf damals so war. Aber auch von seinen Erlebnissen im ersten Weltkrieg. Mein Opa hat mir die Erlebnisse seines Vaters aus dem ersten Weltkrieg erzählt, lange bevor er sich im Stande fühlte, mir von seinen eigenen Erlebnissen aus Weltkrieg 2 zu erzählen. Ich habe mich als junger Mensch sehr intensiv mit dem ersten Weltkrieg auseinandergesetzt. Als dann 1916 erschien und ich den Song zum ersten Mal hörte, hatte ich eine Gänsehaut. Die hätte ich wohl eh gehabt, weil der Song an sich großartig ist; aber mit dem konkreten Bezug zu den Erlebnissen meines Uropas war das nochmal eine ganz andere Nummer. Das ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum 1916 für mich immer das Highlight in der Discographie der großartigen Motörhead sein wird. Die persönliche Bindung durch diesen Song und natürlich die tolle Musik.
Tja, das waren meine persönlichen Einschätzungen zu "1916". Ich hoffe, dem ein oder anderen hat's gefallen. Ich freue mich auf eure Beiträge zu meinem Geschreibe.
Yours truly
Chancellor of Iron