Weil meine Kinder immer mehr dazu übergehen, mir meine Bücher wegzulesen, nehme ich mir die Freiheit, auch in ihren Regalen zu wühlen. Darum ein neuer Eintrag zum Thema
„Kinderbücher- in-die-auch-Erwachsene-gerne-mal-die-Nase-reinstecken-dürfen“ - heute mit dem durchaus Heavy Metal-kompatiblen Thema "Dinosaurier" (Pt.1).
Vorher erlaube ich mir aber eine kleine biografische Notiz: In meiner Kindheit (und darüber hinaus) hatte ich mit Büchern über Dinosaurier und andere Urzeittiere nicht nur jede Menge Spaß, sondern langfristig habe ich auch ganz erheblich von ihnen profitiert. Das lag nicht zuletzt daran, dass viele dieser Bücher nicht bloß spektakuläre Rekonstruktionen fantastischer Lebewesen boten, sondern dass sie dem jungen Lesepublikum darüber hinaus Einiges zugemutet und -getraut haben. So wurden von Anfang an immer auch z.B. Entdeckungsgeschichte, Methoden und Irrwege der Forschung problematisiert. Lehrreich war für mich rückblickend daher nicht so sehr, dass ich natürlich pflichtbewusst jede Menge komplizierte Dinosauriernamen und Untergliederungen der Erdzeitalter auswendig lernte, sondern vielmehr die Gewöhnung daran, dass Wissenschaft ein
dynamisches Unternehmen ist und dass jede noch so sicher gewähnte Erkenntnis lediglich ein vorläufiges Produkt ihrer Zeit darstellt. Der Reiz lag daher nicht darin, vorhandene Vorstellungen zu festigen, sondern sie zu korrigieren und auszuweiten. Die zu dieser Zeit stattfindenden aufsehenerregenden Paradigmenwechsel in der Dinosaurierforschung trugen sicherlich ihren Teil dazu bei, dass zahlreiche Kinderbücher in diesem Sinne problematisierend angelegt wurden.
Diese Erfahrungen prägen natürlich eine gewisse Erwartungshaltung; leider stellt sich immer wieder heraus, dass etliche Dinosaurierbücher für Kinder und Jugendliche diese Chance verstreichen lassen, ihre Leserschaft für wissenschaftliche Methode zu begeistern.
Juan Carlos Alonso und Gregory S. Paul, Das große Buch der Dinosaurier, Tessloff 2017.
Der Blick ins Inhaltsverzeichnis offenbart bereits das Killermeteoritengroße Manko dieses Buches: Lexikonartige Einträge über einzelne Tierarten werden ohne jeden thematischen Zusammenhang aufgelistet – keinerlei Einblick in frühere oder aktuelle Forschung, keine Untersuchung von Einzelproblemen, nicht einmal eine Einleitung (!) gönnt man uns. Mehr noch: Man hat sich – natürlich ohne plausiblen Grund – dazu entschieden, lediglich Arten aus der mittleren Phase der Zeit der Dinosaurier (Oberjura und Unterkreide) vorzustellen. Damit entfällt jeder Anlass, die Entstehung dieser Tiergruppe anzusprechen; und auch Ihr (weitgehendes) Aussterben spielt in diesem Buch dementsprechend nicht die geringsten Rolle.
Wer aber nicht nur Daten sammeln, sondern auch Zusammenhänge verstehen will, sollte z.B. über Grundlagen wie die Entstehung von Fossilien oder die Funktion von Evolution aufgeklärt werden. Das unterbleibt hier unverständlicherweise. Einzig ein paar vereinzelte Einblicke in Anatomie und Physiologie gestehen uns die Autoren zu.
Optisch ist das Buch allerdings ein wahres Fest und nahezu außer Konkurrenz. Dennoch besteht auch hier Grund zum Meckern: So bleibt allzu oft unklar, auf welche Basis die Illustrationen und ihre Kommentare beruhen und was demnach künstlerische und was wissenschaftliche Interpretation ist.
Matthew G. Baron und Dieter Braun, Dinosaurier: Die Welt der Urzeitriesen von A-Z, Knesebeck 2018.
Der Titel verrät es schon: Auch dieser Titel zielt auf eine positivistische Datensammelleidenschaft ab. Im Gegensatz zu Alsono und Paul hat Matthew Baron aber darauf geachtet, wenigstens ein paar Kontexte zu schaffen, bevor die LeserInnen in den Lexikonartigen Hauptteil gehen. Das sind dann z.B. ganze vier Sätze über die Entstehung von Fossilien und nur wenig mehr über das Artensterben am Ende der Kreidezeit.
Die Abbildungen sind im Scherenschnittstil gehalten – eine Spezialität des Illustrators Dieter Braun. Mir gefällt’s ganz gut. Gelegentlich wird auch mal jenseits der Einzelportraits eine Szenerie mit Flora und Landschaft gezeigt (was bei Alsono und Paul leider weitestgehend fehlt).
Emilia Dziubak, Die ganze Welt der Dinosaurier, arsedition 2019.
Dieses Buch ist durchaus witzig und eigensinnig angelegt: Wir sehen einem ebenso tumben wie hungrigen Steinzeitmenschen über die Schulter, der an eine Zeitmaschine gerät und damit in die Welt der Dinosaurier reist. Anstatt eine Reihe von Fakten vorgesetzt zu bekommen, erkunden die LeserInnen den fremden Kosmos also gemeinsam mit dem Protagonisten. Dabei geht es durchaus chaotisch zu: Die Panoramalandschaften haben leichten Wimmelbildcharakter; die Stammbäume sind weniger übersichtlich als unterhaltsam dargestellt.
Für die ganz Kleinen (ab ca. 3 Jahren) gibt es also Einiges zu entdecken, während die Erwachsenen durch eine unaufgeregte Ironie unterhalten werden. Ältere Kinder mit etwas Vorwissen zählen dagegen wahrscheinlich nicht zur Hauptzielgruppe – außerdem merken die sofort, dass die Abbildungen dem Stand der Forschung etwas hinterherhinken.