subcomandante
Till Deaf Do Us Part
Schaffer wurde meines Erachtens nicht in der Szene salonfähig gehalten, weil Hansi Kürsch ihm nicht öffentlich politisch widersprochen oder sich von ihm distanziert hat, sondern weil Jon Schaffer selbst über weit mehr als 30 Jahre Musik gemacht hat, welche offenbar zigtausende Fans, hunderte Magazine, unzählige Veranstalter, Labelmenschen, Musikerkollegen usw..., berührt, bewegt, unterhalten, interessiert, inspiriert und ernährt hat, und weil er in all den Jahren offenbar auch Verhaltensmuster an den Tag gelegt hat, für die ihn Menschen als Freund haben wollten. So wie nahezu jeder Mensch eben gute und schlechte Seiten hat.
Ja, klar selbst der verstahlteste Ideologe - ob Islamist, Nazi oder Stalinist usw. - mag seine Freundschaften gehegt und gepflegt und seine Brötchen rechtschaffen verdient haben. Und natürlich wird auch ein Schaffer seine vortrefflichen persönlichen Eigenschaften gehabt haben, natürlich hat Schaffer Musik gemacht, die Menschen gemocht haben - und dies mag auch dazu geführt haben, dass er in der Szene integriert war. Aber das ist vielleicht ein Grund dafür, nicht genauer hingeschaut zu haben, aber keine Entschuldigung dafür.
Viele dieser Menschen haben sich möglicherweise allenfalls marginal dafür interessiert, wie er politisch tickt, oder seine musikalischen oder vielleicht auch seine möglichen menschlichen Qualitäten als für sie wichtiger angesehen, weil sie sich dafür auch überhaupt nicht interessieren müssen. Das hiesige Grundgesetz sagt wörtlich, dass niemand wegen seiner politischen Überzeugung diskriminiert werden darf. Das heißt zwar nicht, dass man deshalb niemandem widersprechen dürfe, wenn er Dummes oder Böses sagt oder tut, oder dass man ihn (wie Baby Sinclair) trotzdem lieb haben müsse; aber das bedeutet ganz sicher, dass man keine falschen Schlüsse daraus ziehen sollte, wenn jemand es ablehnt, einen anderen wegen seiner Überzeugungen in einem Maße zu verurteilen, abzulehnen oder zu kritisieren, wie es "bessere" Menschen tun und von anderen erwarten würden, es zu tun.
Tatsächlich erwarte ich nichts von einer Szene, die sich mehr durch einen diffusen und unterentwickelten Freiheitsbegriff, durch Authentizität und Ehrlichkeit definiert als durch ein kritisches Bewusstsein, die es sich lieber mit einem rechtsextremen Spinner kommod macht, anstatt darauf zu reflektieren, inwiefern gesellschaftliche und vor allem auch subkulturspezifische Konstituenten möglicherweise die Bedingungen ermöglichen, in dem sich solche Ideologien aufgehoben oder zumindest akzeptiert fühlen und mit welchen MItteln und WEgen diesen entgegenzuhalten ist. Aber ich kann trotzdem von dieser Szene einfordern, ein kritisches Bewusstsein zu entwickeln, gerade weil die gesellschaftlichen Zeichen momentan auf Sturm stehen und wir tatsächlich mehr und mehr einen Extremismus der Mitte oder zumindest eine NOrmalisierung von politischen Extremen auf breiter BAsis erleben. Und ja - man muss tatsächlich nicht alles immer mitmachen.
Schweigen kann also in der Tat eine Bedeutung haben, aber es ist anmaßend, hieraus eine (billigende) Haltung abzuleiten, für die es keinen konkreten Anhaltspunkt gibt. Deswegen gilt Schweigen von engen Ausnahmen abgesehen juristisch auch nicht als Willenserklärung, da es ganz unterschiedliche Gründe haben kann, warum jemand schweigt. Jon Schaffer bisher nie kritisiert zu haben, kann bedeuten, dass man uninformiert war, dass man seine Meinung teilt, dass man ignorant war, dass man gleichgültig war, dass man sein musikalisches Schaffen als wichtiger ansieht als seine Meinung, dass man traurig oder gar zornig darüber ist, ihn aber aus persönlicher Freundschaft nicht öffentlich kritisieren möchte, dass man sich für ihn schämt, dass man aus wirtschaftlichem Kalkül handelt usw... Es gibt also gute und weniger gute Gründe zu schweigen und niemand hat einen Anspruch darauf, diese Gründe zu erfahren; und während er denken kann, was er möchte, sollte er sich darüber gewahr werden, dass es in gehörigem Maße menschlich unanständig und rücksichtslos egozentrisch wirken könnte, wenn er ohne konkretes Wissen andere öffentlich anklagt, sie betreffend rufschädigende Schlüsse zieht und jene verbreitet.
Moralische oder politisceh Diskurse lassen sich nicht auf rechtliche reduzieren (prinzipiell geht man sogar von einer Vorgeordnetheit ethischer Diskurse aus), auch ändern die unterschiedlichen Intentionen zunächst einmal nichts daran, dass man nicht alleine für seine Absichten sondern auch für die sich daraus ergebenden Konsequenzen verantwortlich zeichnet. So mögen Geschäftspartner, MItmusiker, kritik- und distanzlsoe Fans zwar nicht Mitverantwortung tragen, dass Schaffer das getan hat, was er getan hat, eben weil einerseits ihre Handlungen respektive NIcht-Handlungen nicht-ursächlich für das Tun Schaffers waren und andererseits dieses Tun nicht unmittelbar absehbar war; wohl aber tragen sie Mitverantwortung, Schaffers Positionen in der Szene einen Platz angeboten zu haben, Positionen, die wie gesagt, dann in der Stürmung kulminierten; sie tragen für eine NOrmalisierung rechter Diskurse Mitverantwortung - eben weil auch die Konsequenzen, eben jene NOrmalisierung, für sie absehbar waren.
Daher ist es völlig legitim, sich einer Stellungnahme zu enthalten, ohne sich dafür vor jemandem rechtfertigen oder sich konstruierten Vorwürfen und Unterstellungen aussetzen zu müssen. Insbesondere nicht dem Vorwurf der impliziten Akzeptanz, denn eben dies sagt Schweigen nicht aus, jedenfalls nicht zwingend, da sie nur eine von vielen denkbaren Triebfedern ist. Auch wird eine Unterlassung nur dann vorwerfbares Verhalten, wenn den Unterlassenden eine Handlungspflicht trifft, welche er missachtet, doch gibt es weder eine rechtliche noch eine sittlich-moralische Verpflichtung dazu, seinen Freund öffentlich für das zu kritisieren, oder bloßzustellen, was er falsch macht, oder sich deshalb von ihm distanzieren zu müssen.
Mal davon abgesehen, dass ich nirgends eine Stellungnahme von Kürsch eingefordert habe (und diese auch nicht haben will), so existiert doch eine moralische Pflicht, sich gegen Unrecht zu wenden, selbst unter der Voraussetzung, dass man die Konsequenzen, die sich aus dem Unrecht ergeben, nicht aufhalten kann.
Nach dem Kenntnisstand, den die Öffentlichkeit derzeit hat, ist damit meines Erachtens jede Art des Vorwurfs an die Adresse von Herrn Kürsch von einem gehörigen Maß an Hybris (oder Ignoranz) befleckt. Man kann nur wieder und wieder das Neue Testament zitieren, dieses gute, alte, reaktionäre Kampfblatt zur Nächstenliebe, und den Leuten dazu raten, niemals jemanden zu verurteilen. Es kommt alles zurück. Und wenn man Pech hat, erreicht der gerechte Zorn genau das Gegenteil von dem, was man erreichen will, nämlich dass sich die Leute mit den Geächteten solidarisieren. Dass sich nun zahlreiche BG-Fans nicht nur hinter Hansi stellen, sondern ob der Angriffe auf seine Beziehung zu Jon hin, ihre Solidarität auch auf den Herrn Schaffer erstrecken werden, liegt nahe. Ich kann sie verstehen, ohne dass ich die Reaktion gut oder sinnvoll fände. Als größter Feind wird rein subjektiv immer der empfunden, der die eigenen Kreise stört.
Natürlich könnten wir Typen wie Schaffer weiter gewähren lassen, ihnen Freunschaft, einen Platz in der Szene anbieten - in der HOffnung, eine höhere Instanz möge sie dereinst richten, in Angst, wir spielen mit unserem Widerstand den falschen in die Hände. Natürlich könnten wir...