Sentinels Classic Reviews - Neuauflage

mein zwei Wochen alter Sohn liegt neben mir und atmet ruhig, während ich ihn anhimmle

Das hatte ich noch gar nicht mitbekommen - ich wünsche euch von Herzen alles Glück der Welt! :top:
Das mit dem Job klingt jetzt natürlich weniger gut. Ich drücke dir ganz fest die Daumen, dass sich irgendwie alles in deinem Sinne entwickelt.
Und die anderen Sachen... Corona, Tolpan... :hmmja: Zum Glück haben wir unsere Musik - und du darüber hinaus jetzt natürlich noch ein gehöriges Stückchen mehr. :)
 
Und was du da über Robert "Todbert" Müller schreibst stimmt ebenfalls bis auf's i-Tüpfelchen. Was habe ich nur seiner Rezis wegen für geniale Bands und Alben kennengelernt ... My Dying Bride, Paradise Lost, Anathema,
Impaled Nazarene, Samael, Rotting Christ und und und ... :verehr:

Das waren so tolle Zeiten! :top: Ich hätte gerne eine Zeitmaschine...

Dein Satz mit der Honig-Analogie zu "Wildheart" gefällt mir übrigens wahnsinnig gut. Solche Aussagen liebe ich einfach total, wenn man über Musik spricht/schreibt. :)
 
Cemetary - Godless Beauty
VÖ: 05.10.1993

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1. Now She Walks The Shadows 02:22
2. The Serpent's Kiss 03:45
3. And Julie Is No More 03:48
4. By My Own Hand 04:35
5. Chain 03:20
6. Adrift In Scarlet Twilight 04:55
7. In Black 04:21
8. Sunrise (Never Again) 05:27
9. Where The Fire Forever Burns 06:54


Zum ersten Mal auf Cemetary aufmerksam wurde ich durch das Studium der Metal-Hammer-Ausgabe 8/1992, in welcher deren Debütalbum „An Evil Shade Of Grey“ von Robert Müller besprochen und mit fünf von sieben Punkten bedacht worden war. Death Metal faszinierte mich seinerzeit wie kaum etwas anderes, wodurch ich komplett Teil der potentiellen Käuferschaft war – doch, oh weh!, der ständig leere Teenager-Geldbeutel und all die vielen anderen Alben, die ebenfalls erschienen... Ergo: kein „An Evil Shade Of Grey“ im CD-Regal. Aber das Review, das habe ich oft gelesen – und das Cover, das habe ich immer und immer wieder betrachtet. In meiner Fantasie befand ich mich oft in diesem Wald, am Ufer jenes Sees – und oft habe ich die Öffnung hinein in diesen linken Baum durchquert.

Album Nummer zwei, „Godless Beauty“, landete ziemlich genau ein Jahr später ebenfalls auf sämtlichen mentalen und tatsächlich darniedergeschriebenen Einkaufslisten, doch wieder gab es das gleiche Problem: zu viel anderes, das zeitgleich veröffentlicht wurde – und zu wenig Geld, um alle diese Kultobjekte zu erwerben. Da half es nichts, dass Robert Müller sogar noch einen Punkt mehr als für das Debüt zückte und von deutlichen Paradise Lost-Einflüssen schrieb.

Erst im Herbst 1994 landete ein Cemetary-Album tatsächlich in meiner Sammlung: „Black Vanity“ - mit diesem wunderbaren Dave McKean-Cover (wieder einmal ein Volltreffer, was nach seinen vorherigen Glanztaten für My Dying Bride und Disincarnate natürlich keine Überraschung war) sowie einer Höchstnote des Herrn Müller zum absoluten und unumgänglichen Pflichtkauf für meinereiner geworden. Und oh – wie liebe ich jenes Album bis heute! Mit „Sundown“, Album Nummer 4, ging die Band dann in eine für mich damals weniger ansprechende Richtung, mindestens gut war sie aber trotzdem immer.

„Godless Beauty“ habe ich mir schließlich 1999 gekauft, als mein Geldbeutel dank Zivildienst-Gehalt PLUS weiter sprudelnden Taschengelds extrem gut gefüllt war. EMP-Katalog, 19,99 DM oder so. Dummerweise kaufte ich damals ebenso euphorisch-berauscht wie blöd mindestens zehn Mal so viel Zeug, als ich wirklich hören konnte – und „Godless Beauty“ ging fast schon logischerweise wie vieles andere auch schmählich unter. Mehr als zehn bis fünfzehn Mal lief sie nicht und war schnell als „Durchschnitt“ abgestempelt, fiel schließlich einige Jahre später – gemeinsam mit hunderten Black und Death Metal-Originalen aus den Neuzigern – ebay zum Opfer, um mein karges Studentengeld aufzubessern. Noch heute könnte ich mich ohrfeigen, wenn ich daran denke, was für Schätze ich da verramscht habe.

Zum Glück habe ich mir im Laufe der letzten Jahre das Meiste aber wieder nachgekauft, leider natürlich für haarsträubende Preise. Also landete auch „Godless Beauty“ erneut bei mir – und nun liebe ich das Album.

Es startet rau und ungestüm, man könnte auch sagen: harsch. Jegliches dieser drei Adjektive sei jedoch ausschließlich im positiven Sinne gemeint. „Now She Walks The Shadows“ ist ein fabelhaftes Lied, für mich einer der absoluten Höhepunkte des Albums. Hier hört man noch deutlich, dass Cemetary als Death-Metal-Band begonnen haben, obwohl bereits jetzt klar ist, dass man sich von diesem Genre entfernt hat. Vollkommen deutlich wird dies spätestens beim anschließenden „The Serpents Kiss“, das sich deutlich von den im Vorjahr veröffentlichten „Shades Of God“ (Paradise Lost) und „Clouds“ (Tiamat) beeinflusst zeigt. Eine Kopie sind Cemetary deswegen noch lange nicht (gewesen). Sie stehen – mit dem hier besprochenen „Godless Beauty“ und dessen herausragendem Nachfolger „Black Vanity“ – als musikalisch gleichberechtigte Größe daneben.

Großartige Brecher wie das bereits erwähnte „Now She Walks The Shadows“, „Chain“ und „Sunrise (Never Again)“ stehen in ihrer Energie und Durchschlagskraft gleichberechtigt neben emotional-berührendem wie „By My Own Hand“, das Album rutscht auch während seiner ruhigeren Momente nie in Richtung Kitsch oder Travestie ab, sondern bleibt immer sehr entschlossen, kräftig und zupackend.

Natürlich sind die Verwandtschaftsverhältnisse zu den genannten Bands eindeutig und ausnahmslos bei jedem Lied klar ausmachbar, doch da, wo Paradise Lost auf Alben wie „Shades Of God“ und „Icon“ monolithisch in ihrer architektonisch klar geplanten und massiv errichteten Burg thronten sowie die Tiamat der damaligen Jahre zärtlich versponnen halluzinierend in üppigen Wildhonigwäldern zu Werke gingen, da waren Cemetary der nebelige, regnerische Herbsttag auf spröden Äckern, von denen aus man den Krähen beim Flug zuschauen konnte.

Das Cover ist - typisch für Cemetary - ganz und gar wundervoll und zeigt die enorme Entwicklung, welche sie innerhalb kürzester Zeit genommen haben, exemplarisch auf. Dieses Album zu hören, das ist im Übrigen, wie an der dargestellten Nabelschnur zu hängen, und der Mutterkörper sendet wohlig-wärmende Schwermut, die beruhigt und behütet; und wenn Matthias Lodmalm dann immer und immer wieder vom Tod singt (insbesondere in großartig-glühendem wie „And Julie Is No More“ und „By My Own Hand“), dann weiß man als womöglich nicht eben auf der Sonnenseite des Lebens stehender Mensch, dass man hier verstanden, gut aufgehoben und an der richtigen Stelle ist.

Wer Cemetary damals als vermeintliche Band aus der zweiten Reihe übersehen hat, aber seit Äonen gerne ein den Bandklassikern aus den Neuzigern ebenbürtiges Werk der oben mehrfach genannten Granden herbeisehnt, der sollte umdenken und – anstatt weiter ergebnislos bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag zu warten – endlich Cemetary einkaufen sowie gebührend auf sich einwirken lassen. Mindestens „Godless Beauty“ und „Black Vanity“ sind vergessene Klassiker, die die großen Werke von Paradise Lost und Tiamat einerseits sowie „Geheimtipps“ wie „Headstones“ von Lake Of Tears andererseits würdig und rechtschaffen begleiten. Wirklich eine ganz fabelhafte Band, die man einfach lieben muss – damals, heute, für immer.

(18.06.2021)
 
Zuletzt bearbeitet:
Die ganzen Cemetary-Sachen wären wirklich mal für 'n amtliches Re-Release überfällig. Da geht's mir genau wie dir, die hab' ich dämlicherweise alle mal vertickt, wie so vielen Frühneunziger-Krams. Würd' ich heute sofort wieder zurückholen, ist aber gerade bei altem Black Mark-Stoff nicht immer einfach...
 
Die ganzen Cemetary-Sachen wären wirklich mal für 'n amtliches Re-Release überfällig. Da geht's mir genau wie dir, die hab' ich dämlicherweise alle mal vertickt, wie so vielen Frühneunziger-Krams. Würd' ich heute sofort wieder zurückholen, ist aber gerade bei altem Black Mark-Stoff nicht immer einfach...

Das stimmt! Zum Glück musste ich mir nur die "Godless Beauty" erneut kaufen.
"Black Vanity" hüte ich wie meinen Augapfel, die hatte ich also immer hier. Auch die Alben danach, obwohl ich ab 1996 nicht mehr sooo begeistert war. Mit "Sundown" will ich es in absehbarer Zeit aber auf jeden Fall mal wieder versuchen.
"An Evil Shade Of Grey" ist natürlich echt so eine Sache, abgesehen von diesen russischen Pressungen, die man für einen Appel und ein Ei nachgeschmissen bekommt (aber wer kauft sich so was schon gerne?) ist die wirklich nur extrem teuer zu haben. Eine Neuauflage wäre wirklich eine extrem gute Sache, das sehe ich ganz genau so.
 
Die "An Evil Shade..." war ja IIRC vor 'ner gefühlten Ewigkeit zumindest mal auf 'ner ellenlangen Liste kommender Vinyl-Re-Releases im Death Metal-Forum gelistet gewesen. Aber nach dem Tod des BM-Labelchefs Forsberg scheint da auch nix mehr zu erwarten zu sein. Bin schon froh genug, da noch die Seance - Fornever Laid To Rest abgegriffen zu haben...
 
Die "An Evil Shade..." war ja IIRC vor 'ner gefühlten Ewigkeit zumindest mal auf 'ner ellenlangen Liste kommender Vinyl-Re-Releases im Death Metal-Forum gelistet gewesen. Aber nach dem Tod des BM-Labelchefs Forsberg scheint da auch nix mehr zu erwarten zu sein. Bin schon froh genug, da noch die Seance - Fornever Laid To Rest abgegriffen zu haben...

Ich fürchte tatsächlich auch, dass sich da auf absehbare Zeit eher nichts tun wird. :hmmja:
 
Lake Of Tears – Headstones
VÖ: später Sommer / früher Herbst 1995

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1. A Foreign Road 04:07
2. Raven Land 05:42
3. Dreamdemons 05:14
4. Sweetwater 04:33
5. Life's But A Dream 01:25
6. Headstones 05:16
7. Twilight 04:58
8. Burn Fire Burn 03:39
9. The Path Of The Gods (Upon The Highest Mountain, Part 2) 13:29


Direkt an den letzten paar Plattenbesprechungen angedockt: wer Cemetary zur „Godless Beauty“ / „Black Vanity“-Zeit liebt, der kommt auch an Lake Of Tears mit „Headstones“ nicht vorbei – und umgekehrt. Eine schöne Parallele diesbezüglich zudem, dass all dies auf Black Mark veröffentlicht wurde – seinerzeit sicherlich eines der qualitativ hochwertigsten Labels.

Die ganz große Wurzel sind jedoch auch hier Tiamat, garniert mit Mittneunziger-Paradise Lost, was wiederum in manchem Moment bis hoch hinauf auf Metallica verweist. Eine Kopie ist „Headstones“ dabei keineswegs, sondern ein archaisch-mythenhaft-versponnen, ungemein melodisch sowie vordergründig herrlich einfach agierendes Fabeltier. Ein Album, das in ein romantisches, jeglicher Komplexität ermangelndes Leben in einer besseren, nie wirklich existenten Alternativwelt einlädt sowie direkt ebenda hinein katapultiert: über eine fremde Straße mitten ins Rabenland, dort am süßen Wasser entlangschlängelnd, derweil im Zwielicht die Grabsteine auf die Rückkehr der Traumdämonen warten. Weiter, an brennenden Feuern entlang, um schließlich beim Bezwingen des höchsten Berges den Pfad der Götter zu beschreiten.

Diese Bilder werden allesamt bereits durch Songtitel und Cover vorgegeben – ein Album nicht nur als akustischer, sondern auch visueller Festschmaus. Ich liebe das Cover – dieser romantisch-verfallene Friedhof auf dem sanft erhobenen Hügel, zu dessen Füßen sich im Hintergrund unter dichtbewölktem Himmel der Fluss verheißungsvoll entlangschlängelt... In meiner Vorstellungskraft übrigens seit jeher in der hypothetisch erweiterten Landschaft des klassischen Carl Barks-Comics "Das Gespenst von Duckenburgh" angesiedelt - sofern das jemand von euch kennt. (Als optische Erweiterung sehe ich übrigens „The Curse Of The Red River“ von Barren Earth an.) Ich war sechzehn, als die Platte erschien, mein Kopf zu einem enorm großen Teil gefüllt mit Bilderwelten, welche mir Mittelerde, Osten Ard sowie Platten wie „Headstones“ beschert haben. Aus diesem Album schmecke ich noch heute die überwältigende Süße jener Zeit heraus, als die Welt verheißungsvoll war und Berufs- sowie Erwachsenenleben mit all ihren Abgründen allenfalls als undeutliche Schemen am weit entfernten Horizont lauerten.

Ganz große Höhepunkte hier sind zweifelsfrei der enthusiastische Opener „A Foreign Road“, das inbrünstig vorgetragene „Dreamdemons“, der wunderschön, auch vom Klang idyllischer Kirchenglocken eingeleitete (a.k.a. eingeläutete) ruhige Titelsong sowie der mit traumhaften Panflöten beginnende, überlange Schluss mit „The Path Of The Gods (Upon The Highest Mountain, Part 2).

Eine sehr schöne Verbindung – jenseits aller ohnehin vorhandenen stilistischen Ähnlichkeit – zu „Clouds“ von Tiamat und „Godless Beauty“ von Cemetary übrigens die Affinität zum Feuer: „Headstones“ hat „Burn Fire Burn“, „Clouds“ besitzt „Forever Burning Flames“ und „Godless Beauty“ verfügt über „Where The Fire Forever Burns“ - sämtliche dieser Songs befinden sich zudem auch ganz oder ziemlich am Ende genannter Platten. Ein kleines Detail womöglich, für mich jedoch, der ich diese Alben als zusammengehörig empfinde, ein ausgemacht schönes.

(20.06.2021)
 
Zuletzt bearbeitet:
Iron Maiden – Fear Of The Dark
VÖ: 11.05.1992

(1/3)

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  1. Be Quick Or Be Dead 03:24
  2. From Here To Eternity 03:38
  3. Afraid To Shoot Strangers 06:56
  4. Fear Is The Key 05:35
  5. Childhood’s End 04:40
  6. Wasting Love 05:50
  7. The Fugitive 04:54
  8. Chains Of Misery 03:37
  9. The Apparition 03:54
  10. Judas Be My Guide 03:08
  11. Weekend Warrior 05:39
  12. Fear Of The Dark 07:19

Iron Maiden-Album Nummer Neun erschien im Mai 1992, also exakt während der großen Explosion des Grunge – als Nirvana und Pearl Jam gerade raketenmäßig durch die Decke gingen, Soundgarden und Temple Of The Dog ebenfalls in aller Munde waren und Alice In Chains im Studio letzte Hand an ihr Meisterwerk „Dirt“ legten.

Wie war das damals, Mitte 1992 – welche verwunschene, gelbe Steinstraße führte mich emotional sowie rein faktisch betrachtet hin zu „Fear Of The Dark“? Als Ende der Siebziger Jahre Geborener befand ich mich seinerzeit am Ende meines zwölften Lebensjahres und näherte mich gerade dem Ende meiner Hardrock- und Metal-Initiationsphase, welche ein Dreivierteljahr davor durch Bands wie Guns 'N Roses, Metallica, Van Halen, Skid Row oder Mötley Crüe begonnen hatte und seit Dezember 1991 Schritt für Schritt vom Grunge erweitert wurde.

Auf MTV liefen seinerzeit im Tagesprogramm die Clips zu „Be Quick Or Be Dead“ und „From Here To Eternity“, vielleicht nicht gerade in der absoluten Heavy Rotation wie zeitlich vergleichbares („To Be With You“, „Nothing Else Matters“, „Knocking On Heaven's Door“, „Lithium“, „Even Flow“, „Midlife Crisis“...) – aber doch oft genug.

Im Kinder- beziehungsweise Jugendzimmer lag die Metal Hammer-Ausgabe 6/1992, welche mich in der Folgezeit noch sehr viel Geld kosten sollte (Iron Maiden – logisch..., W.A.S.P., Paradise Lost, My Dying Bride, Napalm Death, Saigon Kick, Saint Vitus, Darkthrone, Testament, Sarcofago, The Black Crowes, Kiss, Ugly Kid Joe, Cathedral, DVC...). Iron Maiden belegten mit einem Schnitt von 4,80 Platz 4 im Soundcheck (den Platz an der Sonne hatte sich „The Crimson Idol“ erobert), als Resümee seines Reviews vergab Andreas Schöwe fünf von sieben Punkten, sechs Punkte zückten lediglich Jörg Staude sowie auch Rudolf Schenker von den Scorpions, welcher „Musiker im Soundcheck“ war. Schenker schrieb in seinen Kurznotizen: „Besser als das letzte Album. Die neue LP beginnt sehr, sehr stark, flacht dann aber etwas ab. Knappe sechs Punkte.“ „Fear Of The Dark“ tauchte leider in keiner einzigen Playlist auf, dafür waren im Heft Teil 2 eines genialen Eddie-Posters sowie selbstredend noch eine wunderschön anzuschauende, ganzseitige Werbeanzeige – nur mit dem faszinierenen Albumcover sowie erfreulich wenig, äußerst kleingedrucktem Text versehen – enthalten.

In der Schule verschoben sich zeitgleich zu meinem eigenen die Geschmäcker vieler anderer Freunde beständig weiter hin zur Gitarre... Mein persönlicher Urknall war „You Could Be Mine“ von Guns 'N Roses gewesen, im Spätsommer 1991. Mit den Januarausgaben 1992 war ich zum Metal-Hammer- und Rock Power-Leser geworden (Rock Hard, Horror Infernal etc. folgten später) und hatte mich von Beginn an in den MH-Soundcheck und die Reviewabteilung verliebt. Der Moment meines ersten Blindkaufs aufgrund eines Reviews jedoch, der hatte sich noch nicht vollzogen. Das Geld musste weise in Plattenkäufe investiert werden, folglich kaufte ich noch ausschließlich das, was ich durch Songs aus Radio und / oder Fernsehen bereits wenigstens ausschnittsweise kannte. Und nun muss ich etwas mutmaßen, denn ich weiß es wirklich nicht mehr mit hundertprozentiger Gewissheit, doch ich meine, „Fear Of The Dark“ war mein erster „echter“ Blindkauf, glaube also, dass ich die oben genannten Videos erst kurz danach auf MTV gesehen habe. (Unwahrscheinlich ist das nicht – ich bin auf dem Land aufgewachsen, und meine Eltern haben erst sehr spät eine Satellitenschüssel gekauft. Ich konnte also nur unregelmäßig bei Freunden oder meinen Großeltern MTV schauen.)

Wobei, als „echten“ Blindkauf nur aufgrund eines Reviews oder Artikels darf ich es streng genommen nicht werten. Denn der Name Iron Maiden geisterte im Freundeskreis bereits umher. Laut meiner Erinnerung fand sich die offensichtlichste Wurzel dafür bei uns im Dorf, und zwar in Form eines deutlich älteren Jungen (es mag sein, dass er bereits 17 oder 18 war) – fragt mich jetzt nicht, wie er hieß, André vielleicht, ich habe wirklich keine Ahnung – der aufgrund seiner langen Haare und Iron Maiden- oder auch Sodom-T-Shirts mächtig Eindruck bei mir und meinen Alterskameraden machte. Zwei von Ihnen waren sogar mal bei ihm zuhause, da sie nur ein beziehungsweise zwei Häuser entfernt wohnten, und schauten regelrecht zu ihm auf. So extrem war das bei mir jetzt nicht, aber als auf eine diffuse Art cool empfand ich ihn auch. Jedenfalls raunten Hans und Franz, wie ich sie jetzt mal liebevoll verfremdet hier nenne, komplett frühpubertär-beeindruckt immer wieder von den Eddie-Postern, -covern, -flaggen oder was-auch-immer, welche da im Zimmer von André (oder so) halt hingen.

Vielleicht hätte ich mir „Fear Of The Dark“ dennoch – zumindest damals – nicht gekauft, wenn nicht noch ein weiterer Aspekt hinzugekommen wäre: das Album war als CD-Version seinerzeit – so meine ich jedenfalls und hoffe, dass es keine falsche Erinnerung ist (vielleicht kann mir das jemand von euch verifizieren?) - eines der dort auf dem Deckblatt gelisteten Sonderangebote des monatlich erscheinenden Disc Center-Kataloges, welchen ich rückblickend für einen der großartigsten und komplettesten Mailorder aller Zeiten halte. Dort gab es wirklich alles – von „Musikantenstadl“-Volksmusik (nicht, dass ich dergleichen je gekauft hätte, doch ich nenne es, um die Bandbreite aufzuzeigen) bis Death Metal; und zu fantastischen Preisen noch dazu. Sofern ich da keiner falschen Erinnerung aufliege, kostete das gute Stück also ca. 17 bis 18 Mark. Heute wäre der Kauf ein no-brainer, damals jedoch, als 12-jähriger, da musste ich gut mit meinem Taschengeld haushalten – und Fehlkäufe waren extrem ärgerlich, da sie eben allein aus monetären Gründen den Verzicht auf womöglich weit bessere Musik bedeuteten. Sollte ich mir die CD wirklich bestellen? War da nicht vielleicht doch nur Krach und Gebolze drauf?

Iron Maiden hatten aus damaliger Sicht heraus betrachtet schließlich – hauptsächlich Eddie-bedingt – eine „harte“ und „brutale“ Aura. In musikalischer Hinsicht stellten sie zu jenem Zeitpunkt meiner eigenen Geschichte für mich in etwa das Äquivalent zu „Tanz der Teufel“ dar – sagenumwoben, hinter vorgehaltener Hand raunend beflüstert, irgendwie ehrfurchterbietend und unter Umständen doch ein bis zwei Nummern zu groß. (Wenig Ahnung hatte ich da, dass nur kurz danach der Death Metal in meine Welt treten würde – wobei ich noch weiß, dass mir die damaligen Reviews zu Alben wie „The End Complete“ von Obituary bereits mächtig Appetit gemacht hatten.)

Auch das Cover – im Gegensatz zu den früheren Iron Maiden-Werken nicht von Derek Riggs, sondern von Melvyn Grant gestaltet – wirkte unheimlich und fies. Aber natürlich war gerade das auch ein ganz massiver Kaufanreiz. Durch die ganzen Äste, welche aus dem Rücken von Eddie herausragen, musste ich bei diesem Gemälde immer auch etwas an „Alien“ denken. Für mich ist Eddie hier ein großartiges Mischwesen aus Nosferatu, Troll, Zombie und Alien. Absolut faszinierend – und natürlich... ich konnte in letzter Instanz nicht widerstehen. Nach einigem gedanklichen Hin und Her mit vielen Pro- und Contra-Abwägungsprozessen wurde das Album (zum Glück) bestellt.
 
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Iron Maiden – Fear Of The Dark
VÖ: 11.05.1992

(2/3)

Das Booklet hat mich dann natürlich sofort in seinen Bann gezogen. Diese Hammer-Horror-artige Burg mit ihren mannigfachen Schauplätzen für hervorragende Fotos! Dieser grimmig dreinblickende Bruce Dickinson auf Seite 4, welcher sich mit stierem Blick wie ein Racheengel förmlich jeden Augenblick aus dem Booklet heraus auf dich zuzubewegen scheint. Oder wie Nicko McBrain da auf Seite 14 neben einem Gang steht, in welchem der größte Schrecken lauern könnte, um ihn jeden Moment hinein in die Schwärze zu ziehen. Außerdem die Treppe samt Tür im Hintergrund von Steve Harris, bei welcher ich immer an an den ersten Christopher-Lee-Dracula-Film von 1958 denken muss. Gerade auch dieses Booklet hat meine Liebe zu wundervoll gestalteten Verpackungen, insbesondere im Metal, endgültig besiegelt. Ich denke mit sehr liebevollem Gefühl an die damalige Zeit samt all ihrem verheißungsvollen Zauber, welcher regelrecht greifbar in der Luft lag, zurück – als ich immer wieder auf dem Boden vor meinem Bett saß, das Album hörte und währenddessen all diese Bilder betrachtet, ja: regelrecht in mich aufgesogen habe.

Soviel zur Verpackung, nun zum Inhalt: „Fear Of The Dark“ ist natürlich ein etwas untypisches Iron Maiden-Album. (Gut, es ist auch das längste Studio-Album bis zu diesem Zeitpunkt – mit einer Gesamtspielzeit von 58:37 Minuten.) Es ist an einigen Stellen wahrnehmbar, dass die damals gerade erst durch den Grunge abgelöst werdende L.A.-Sleaze und -Hardrock-Szene nicht komplett spurlos an der Band vorbeigegangen ist. Extrem deutlich tritt dies bei „From Here To Eternity“ ans Tageslicht, doch auch „Wasting Love“ - die Ballade – ist davon nicht unbeleckt.

So sehr, wie ich immer die Stirn darüber runzeln muss, wenn jemand „Hooks In You“ vom tatsächlich schwächelnden Vorgänger „No Prayer For The Dying“ als schlechten Song bezeichnet – denn meine persönliche Auffassung ist jene, dass er großartig ist – so klar ist für mich, dass „Fear Of The Dark“ insbesondere deshalb von Beginn an nur verlieren konnte, weil es einfach zu sehr vom ganz klassischen Iron Maiden-Sound abweicht. Ist es dadurch aber schlecht? Unfug! Derlei Schmähreden sollte man zwar ins eine Ohr rein – doch auch sofort wieder zum anderen heraus lassen.

„Fear Of The Dark“ steht insgesamt betrachtet – natürlich! – wie jedes andere Iron Maiden-Album auch mit beiden Beinen fest im Metal, jedoch scheint zumindest einer der Füße leicht gestreckt zu sein, so dass dessen Ballen nicht mehr komplett den Boden berührt, und womöglich ist gerade diese minimale Essenz mehr Hard- oder meinetwegen auch Classic Rock der entscheidende Unterschied; und damit ist eigentlich auch klar, warum viele Maiden-Fans sich mit der Platte leider etwas schwer tun. Denn das Songwriting hier allen Ernstes als schwach zu verteufeln, erscheint mir persönlich dann doch regelrecht absurd. Dergleichen findet sich nach meinem Empfinden auf dem Vorgänger „No Prayer For The Dying“ – nicht jedoch auf „Fear Of The Dark“.

Ab und an wird Bruce Dickinsons Gesang auf diesem Album kritisiert; manche sagen, er sei lustloser sowie auch weniger versiert denn zuvor gewohnt. Ich dagegen finde gerade die Stellen, welche man als etwas nachlässiger gesungen interpretieren könnte (was ich persönlich definitiv und ausdrücklich nicht so empfinde) extrem bereichernd. Bruce wird dadurch mehr als Mensch sichtbar, sein Gesang gewinnt dadurch noch an Tiefe.

Manchmal wird kritisiert, das Album wirke zerstückelt. Nun, das empfinde ich überhaupt nicht so. „Fear Of The Dark“ ist für mich ein klassisches Paradebeispiel eines echten Albums, eines wahren Gesamtkunstwerkes. Viele verschiedene Geschmacksnoten, welche sich optimal ergänzen, dabei aber niemals gegenseitig behindern oder eine wie-auch-immer-geartete Beliebigkeit verströmen.

Ganz im Gegenteil: jeder einzelne Song auf diesem Album ist wunderbar und braucht sich in keinster Weise vor irgendwem, geschweige denn hinter irgendetwas zu verstecken. Mithin hat sich auch jeder einzelne davon seine eigene Würdigung in diesem Review redlich verdient:

„Be Quick Or Be Dead“ ist nicht nur der Opener, sondern war seinerzeit auch die erste Single – und was für eine: ungewöhnlich schnell, Bruce singt spitz und pointiert, musikalisch wird die Aussage des Songtextes perfekt umgesetzt. Die Stelle „snake eyes in heaven“ hat mir ehedem besonders gut gefallen sowie tolle innere Bilder beschert – ich sah es nicht als die Metapher, welche es ist, sondern assoziierte stattdessen munter echte Schlangen vor mich hin. Ich empfand den Song übrigens als recht hart, jedoch in keinster Weise überfordernd. Womöglich war er mir persönlich der endgültige Übergangssong hin zu deutlich härterem Stoff, ein Lied also, welches die letzten Pforten aufsprengte – doch letzten Endes kann ich darüber aus nunmehr 28jähriger Distanz nur spekulieren.

„From Here To Eternity“ – zweites Lied sowie zweite Single – spinnt die Geschichte um „Charlotte The Harlot“ in einem perfekten Singalong-Song (mit lyrisch angenehm schlüpfrigen Bildern) weiter. Direkt ab den einleitenden Klängen gibt es nichts, was hier auch nur im Mindesten veränderungsbedürftig wäre. Bruce singt voller Elan („more-more-more!“), das Solo ist großartig – ich liebe das Stück! Wann immer ich es höre, steigt meine Laune; ich werde ausgeglichener und zufriedener, oft gar euphorisch. Es ist mir vollkommen unbegreiflich, wie man „From Here To Eternity“ nicht wenigstens mögen kann. Un – be – greif – lich.

„Afraid To Shoot Strangers“ – tja, da wird’s bereits langsam. „Nanu, was gibt das denn jetzt?“ – so oder zumindest so ähnlich meine erste Reaktion seinerzeit. Die Antwort darauf ist: natürlich gibt’s was fabelhaftes, das weiß hier im Forum aber sowieso jeder – natürlich ist das Lied zu Recht ein Klassiker geworden. Insbesondere die Stelle, an der Bruce „the reign of terror corruption must end“ singt, sticht für mich immer wieder heraus, damals wie heute. Seine Intonation ist fabelhaft und ungemein stimmungsvoll.

„Fear Is The Key“ startet anschließend sehr geheimnisvoll, regelrecht mystisch-vertrackt, irgendwie hätte man sich diesen Beginn so ähnlich gar irgendwo auf „Powerslave“ vorstellen können. Textlich geht es um dieses Arschloch AIDS, besonders beliebt in meinen Ohren ist die Stelle: „I remember a time / When we used and abused / And we fought all our battles in vain“. Im Mittelteil wird das Ganze immer dringlicher, bevor sich eine völlig atypische Bridge den Weg bahnt und endgültig verdeutlicht, welch großartige Wundertüte dieses Album doch einfach ist.

„Childhood's End“ ist ein Song mit einem ganz ungewöhnlichen, verspielten Rhythmus, welcher sich regelrecht kapriziös windet. Ein ungemein lebendiges und ungewöhnliches Lied, experimentell zwar, aber dennoch ganz klar Iron Maiden.

Bei „Wasting Love“ gemahnen gerade die Strophen an eine verschollene, weitere Ballade des „Slave To The Grind“-Albums von Skid Row – man stelle sich zur Konkretisierung einfach die Stimme von Sebastian Bach anstelle derjenigen von Bruce Dickinson vor. Für mich kein Problem, ganz im Gegenteil, liebe ich „Slave To The Grind“ doch von ganzem Herzen und sehe insbesondere die hier zum Vergleiche herangezogenen „Quicksand Jesus“, „In A Darkened Room“ sowie „Wasted Time“ als strahlende Meisterwerke an. „Wasting Love“ war übrigens die dritte und letzte Singleauskopplung von „Fear Of The Dark“.

Eine interessante Verbindung habe ich erst innerhalb der letzten Wochen in „The Fugitive“ ausgemacht: den gedrosselten Part inmitten des „Intros“ haben Virgin Steele einige Jahre später womöglich beim Verfassen von „Blood And Gasoline“ im Hinterkopf gehabt – zumindest assoziere ich aktuell permanent besagten Song (welchen ich sehr liebe).

„Chains Of Misery“ hat eine ganz fabelhafte Bridge („He’s seen what love is... He wants to pay you back with guilt“), einen regelrecht beschwingt daher-swingenden Refrain, welchem man sich eigentlich nicht entziehen kann sowie zudem noch ein mitreißend-dramatisch-ruhig beginnendes Solo.
 
Iron Maiden – Fear Of The Dark
VÖ: 11.05.1992

(3/3)

Mit „The Apparition“ habe ich mich seinerzeit am schwersten getan. Es beginnt extrem abrupt und unvermittelt, besteht mehr aus Rhythmus denn aus einer wirklich greifbaren Melodie und liefert zusätzlich noch Textmasse im Überfluß. Tatsächlich aber – und das konnte ich damals, im Jahr 1992, mit meinen seinerzeit noch deutlich überschaubaren Englisch-Kenntnissen beileibe nicht erkennen – ist diese Textmasse absolut lesens- sowie hörenswert. Und musikalisch ist „The Apparition“ – gerade auch aufgrund seiner initial fordernden Anders- sowie Einzigartigkeit! – extrem ansprechend und ein weiterer Höhepunkt auf einem ganz und gar nur aus Höhepunkten bestehenden Album.

„Judas Be My Guide“ liebe ich unter all diesen jedoch seit Anfang an ganz besonders. Vor allem die Gitarren zu Beginn machen mich noch immer ganz wuschig und euphorisch. Heutzutage empfinde ich allerdings zugegebenermaßen, dass der Gesang im Refrain etwas mehr Wumms gebrauchen könnte. Jedenfalls wäre es famos, hiervon eine Liveaufnahme zur Hand zu haben; leider war der Song meines Wissens nach nie in einer Maiden-Setlist enthalten. Ich erinnere mich ganz sehnsüchtig und verzückt daran, wie dieser Song seinerzeit gemeinsam mit „Bring Your Daughter To The Slaughter“ von – nein, eben nicht „No Prayer For The Dying“, sondern - meiner Vinylausgabe des „Nightmare On Elm Street V“-Soundtracks bei mir dermaßen rauf und runter lief...

„Weekend Warrior“ ist nach „The Apparition“ sicherlich das Lied, mit welchem ich seinerzeit am meisten gefremdelt habe, vor allem aufgrund des Textes, welcher mich null ansprach – Fußball hat mich nie auch nur die Bohne interessiert und Hooligan-Gehabe ist so eine Sache, welche ich nie auch nur im Ansatz verstehen oder nachvollziehen konnte. Freilich positioniert der Text sich gegen Hooligans, aber so recht klar war mir das seinerzeit nicht – ich befand mich schließlich erst im dritten Jahr des Englischlernens. Heute mag ich den Song glücklicherweise wirklich sehr gerne.

„I am the man who walks alone...“ - alleine mit diesen einleitenden Worten des Titelsongs, da haben sie mich alten Hagestolz schon, und da spielt es dann auch keine Rolle mehr, inwieweit (beziehungsweise: ob überhaupt) der Rest des Textes ebenfalls noch auf mich passt. Tut er aber natürlich trotzdem, in metaphorischer Hinsicht. Für mich hat sich das Lied – nach nun bald drei Jahrzehnten – zum Glück auch nicht abgenutzt. Man liest ja oft, das so mancher Fan es schlicht nicht mehr hören kann...

Soviel zu den einzelnen Songs. Für Martin Birch, Maidens Haus- und Hofproduzent, war „Fear Of The Dark“ eine Zäsur – stellte es doch das letzte von ihm produzierte Album dar. Nun, und dass es das vorerst letzte Iron Maiden-Album mit Bruce Dickinson war, das ist ja nun hinlänglich bekannt.

Auch bei mir galt: Iron Maiden waren nach einigen wunderbaren Monaten der Extremrotation von „Fear Of The Dark“ (sowie zeitig danach noch „Killers“ und „Live After Death“) wieder weg vom Fenster – Death Metal kam, etwas später Black Metal, außerdem natürlich all der Grunge und Alternative... Traditioneller Metal trat erst ab Anfang 1995 wieder deutlich messbar in mein Leben, vor allem bedingt durch „The Marriage Of Heaven And Hell – Part 1“ von Virgin Steele. Und so waren meine Iron Maiden-Alben Nummer 4 und 5 (im Winter 1995) lustigerweise deren tatsächliche Alben Nummer 4 und 5, also „Piece Of Mind“ und „Powerslave“. Das damals aktuelle „The X-Factor“ stand natürlich ebenfalls auf meinen Einkaufslisten, tatsächlich gekauft und gehört habe ich es jedoch erst sehr viel später. Dennoch: in den Sommermonaten 1992, als „Fear Of The Dark“ mein meistgehörtes Album gewesen sein dürfte, da war ich maximal berauscht davon.

Gemeinsam mit denjenigen von Van Halen und Metallica habe ich in meinem Leben wohl kein Bandlogo so oft auf irgendwelche Sachen gekritzelt wie das von Iron Maiden während dieser Phase. Achtung, es folgt ein totaler Nerd-Fact: besonders geil fand ich darin immer das „o“. Ich meine, dessen Form seinerzeit mit irgendeinem Detail der Stadt der dreibeinigen Herrscher aus der gleichnamigen Serie assoziiert zu haben.

Was auf jeden Fall bis heute geblieben ist, ist die wehmütige, wunderschöne Erinnerung an eine ganz besondere Zeit – gemeinsam mit Alben wie „The Crimson Idol“ von W.A.S.P. oder auch Megadeths „Countdown To Extinction“ stellte „Fear Of The Dark“ das Ende meiner Initiationszeit, in welcher vieles noch durch wunderbare Zufälle gesteuert worden war, dar. Danach war alles anders: die Magazine wurden nun nicht mehr lediglich profan gelesen, sondern regelrecht auswendig gelernt, Reviews förmlich angebetet, ständig: „Wie mag das wohl klingen?“ als magisch-verheisungsvoller Gedanke, das Ersparte wurde immer wieder gezählt sowie ausschließlich für den Kauf von Alben und Musikzeitschriften gehortet, Kauflisten erstellt, auf das Frühstück in der Schule bewusst verzichtet, um mit dem dadurch eingesparten Geld mehr kaufen zu können, Alben wurden bestellt und gehört, gespürt und zelebriert...

Sei es drum, es wird langsam Zeit für ein abschließendes Fazit: ich finde keinen echten Schwachpunkt auf „Fear Of The Dark“. Es könnte etwas kürzer sein, manche Parts hätte man straffen können. Dadurch hätte es insgesamt mehr Durchschlagskraft. Aber, wie gesagt: könnte und hätte, nicht müsste. Es ist mir einsichtig, warum man Probleme mit dem Album haben kann. Aus meiner subjektiven Warte heraus betrachtet, verstehe ich es dennoch nicht. Denn „Fear Of The Dark“ ist nicht nur kreativ und enorm verspielt, sondern hat vor allem keinen einzigen auch nur halbwegs schwachen Song. Und ja, das ist verdammt noch einmal wirklich so. Klar, was ich nun schreibe, ist auch nostalgiegestärkt und -geschwängert, aber es bleibt einfach harter Fakt: „Fear Of The Dark“ bedeutet mir mehr als jedes andere Album von Iron Maiden.

Und nö, das hat nichts mit Verklärung aufgrund all des oben Gesagten zu tun. Die Platte ist ungemein abwechslungsreich und klingt dennoch an keiner Stelle konstruiert, sondern frei und phasenweise regelrecht spontan. Es reißt mit und fließt enorm lebendig dahin. Ich schmecke an keiner einzigen Stelle Staub oder Muff, hier regiert das Leben um des Lebens Willen. Ja, vielleicht ist es sogar das, und mir wird dies gerade eben in diesem Moment zum ersten Mal bewusst: „Fear Of The Dark“ ist mir persönlich dichter am wahren Leben dran als seine Vorgänger.

Schon schade, dass das Album so deutlich unter Wert gehandelt und etwa bei Metal Archives gar von einem Rohrkrepierer wie „The Final Frontier“ überflügelt wird (wobei mir selbst dieser Rohrkrepierer aus nostalgischen Gründen zumindest eine winzige Winzigkeit bedeutet und immerhin „Where The Wild Wind Blows“ enthält), aber die Welt war nie sonderlich gerecht und zudem kann es mir persönlich natürlich auch schnurzpiepegal sein, ob andere Ohren seine Schönheit er- oder verkennen.

Ich kann nur jedem Nichteingeweihten dringend empfehlen, diesem wunderbaren Album einfach noch einmal eine unvoreingenommene Chance – mit weit offenen Ohren – zu geben. Und wenn dies erneut nicht klappt, dann ist es freilich auch nicht weiter schlimm, denn meine Liebe zu „Fear Of The Dark“ ist groß genug für dieses verkannte Stück Musikgeschichte.

Ich muss abschließend noch sagen, dass ich dankbar für diesen Thread bin, denn ohne ihn hätte ich „Fear Of The Dark“ gewiss nicht für mich wiederentdeckt – jedenfalls nicht in diesem Jahr 2020. Gerade auch in Kombination mit der – leider durch den Tod von Eddie bedingten – Renaissance des Backkatalogs von Van Halen bei mir plus der ebenfalls zufälligen Wiederentdeckung von Metallicas „...And Justice For All“ bin ich weit in die Ursuppe meiner Metal- und Hardrock-Initiationsphase zurückgereist. Die damaligen Tage, diese einstige Welt – es fühlt sich an wie der sprichwörtliche Himmel im Vergleich zur Lebenswirklichkeit des noch immer neuen Jahrhunderts respektive Jahrtausends. Man reiche mir bitte eine Zeitmaschine dahin zurück – und schnell! Bis dahin jedenfalls bade, erquicke und verliere ich mich weit mehr als lediglich anachronistisch-nostalgisch verzückt in Alben wie „Fear Of The Dark“ – welches tatsächlich sowie ohne jeden Zweifel eines der wichtigsten Alben meines Lebens ist.

(25.11.2020)

Anmerkungen: Einige hier werden es bereits kennen, da ich dieses Review im vergangenen Herbst schon im "Maidenmonth"-Thread veröffentlicht habe. Selbstredend gehört es aber auch hierher - ebenso wie "The Book Of Souls", das ich irgendwann auch noch einfügen werde (ursprünglich ohnehin sowohl bei XXL-Rock als auch in meinem nicht von mir gelöschten "2015-Review"-Thread veröffentlicht [wenngleich für den "Maidenmonth" natürlich generalüberholt]). Sofern es mich überkommt, verfasse ich womöglich eines Tages weitere Texte zu anderen Iron-Maiden-Alben. Eine Kristallkugel müsste man haben... ;)
 
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Iron Maiden – The Book Of Souls
VÖ: 04.09.2015

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1. If Eternity Should Fail 08:28
2. Speed Of Light 05:01
3. The Great Unknown 06:37
4. The Red And The Black 13:33
5. When The River Runs Deep 05:52
6. The Book Of Souls 10:27
7. Death Or Glory 05:13
8. Shadows Of The Valley 07:32
9. Tears Of A Clown 04:59
10. The Man Of Sorrows 06:28
11. Empire Of The Clouds 18:05


Was da fürwahr im September und Oktober 2015 im Wochentakt auf uns danieder prasselte, all die Veröffentlichungen solch vieler lebender Legenden – W.A.S.P., Slayer, Queensryche, Motörhead und Saxon; Hand in Hand mit legendärem wie Satan, Praying Mantis und Savage: schön war's, toll war's – ich erinnere mich gerne daran zurück. Da fühlte man sich wohlig an längst vergangene Zeiten zurückerinnert, zumal einiges davon gar das jeweils beste Material seit vielen Jahren darstellte. Die alten Helden feuerten im Spätsommer und Frühherbst 2015 wahrlich ein Feuerwerk nach dem nächsten ab – angeführt vom größten Namen jenes illustren Reigens, nämlich Iron Maiden. Auftritt: „The Book Of Souls“!

Ich war früher meist kein Freund von Alben mit Überlänge (erst während Corona-Lockdown Nummer Eins hat sich dies verändert) – und erst recht nicht von Doppelalben. Und musste 2015 noch sehr lange in der Musikgeschichte zurückdenken, um das letzte Album dieser Art auszumachen, welches mich persönlich wirklich überzeugt hatte – das war 1995, den Namen der Band spare ich hier aus, da sie musikalisch nichts mit den oben gelisteten Größen gemeinsam hat; es war das Doppelalbum einer Band mit glatzköpfigem Sänger, welcher zu jener Zeit oftmals in Shirts mit dem Aufdruck „Zero“ gesehen ward, sinnigerweise der Titel eines Songs jenes hier im Raum schwebenden, doch unausgesprochenen Werkes. Melancholie, unendliche Traurigkeit... Soviel dazu; egal.

Wenig verwunderlich hätte ich seinerzeit im Traum nicht erwartet, dass Iron Maiden mit „The Book Of Souls“ ein derartiger Durchlauf gelingen würde. Das vielzitierte „progressive“ Songwriting, welches spätestens seit dem Comeback mit Bruce allgegenwärtig ist, wurde hier so songdienlich gemeistert wie kaum jemals zuvor – und hält hoffentlich genügend anderen lauschenden Musikern des Genres vor Augen, dass lange Songs nicht nur des Gefühls und der Sehnsucht, sondern auch des Handwerks und der Arrangierkunst bedürfen. Zehn oder zwanzig Minuten irgendwie dahin dudeln kann fast jeder; dies allerdings in richtige Songs gießen – da wird es schon erheblich schwieriger. Iron Maiden können das und leben es hier sogar in oftmals beängstigender Perfektion aus. Auf dem Vorgänger „The Final Frontier“ hatte es diesbezüglich phasenweise doch gehapert, aber zumindest ein glänzendes Epos – „Where The Wild Wind Blows“ – hat das Album abgeworfen. „The Book Of Souls“ offenbarte dagegen eine weit größere Nachhaltigkeit.

Das Paradebeispiel, die Kür schlechthin, ist hier das 18-minütige Monumentalwerk „Empire Of The Clouds“, welches das Album furios beschließt und zu welchem ich am Ende dieser Besprechung nochmals zurückkehren werde. Ohnehin sind es die überlangen Songs, welche samt und sonders vor Brillianz schier zu zerbersten scheinen: „If Eternity Should Fail“, „The Red And The Black“ und „The Book Of Souls“. Ihre Größe offenbart sich sofort, ihre Vielschichtigkeit und überbordende Kreativität erschließt man sich danach, berauscht und beseelt ob dieser akustischen Gaumenfreuden, mit immer weiter steigender Begeisterung. Diese Harmonien, diese Melodien, diese nie das große Ganze aus den Augen verlierende, meisterhafte Arrangierkunst musste im Jahr 2015 keine Konkurrenz fürchten. Wer schafft das schon noch, ungeheuer spielfreudig, verschnörkelt, inmitten eines Königreichs akustischer Ornamente aufzuspielen, dabei aber trotzdem immer ungeheuer geradlinig und zielgerichtet zu klingen? Und gerade die angesprochenen Ornamente und versteckten Zitate sind reichhaltig und verblüffend: ab der Mitte versteckt sich in „The Red And The Black“ beispielsweise gar ein Element aus dem „Labyrinth“-Soundtrack.

Weniger verborgen zeigt sich dagegen der „Appetite For Destruction“-artige Beginn von „Speed Of Light“. Guns 'n Roses sind hier in der Tat eine interessante Referenz – allerdings mehr hinsichtlich „Chinese Democracy“. Die Parallelen sind phasenweise nicht von der Hand zu weisen – sofern man mit offenen Ohren durch dieses akustische Wunderland schreitet. Die Refrains von „Shadows Of The Valley“ oder „The Book Of Souls“ hätten sich beispielsweise hervorragend irgendwo zwischen „Street Of Dreams“ und „Catcher In The Rye“ auf „Chinese Democracy“ eingefügt – ebenso große Teile von „Empire Of The Clouds“.

Ein klein wenig unglücklich ist, dass es nach „Man Of Sorrows“ auf Bruce Dickinsons großartigem „Accident Of Birth“-Album mit „The Man Of Sorrows“ hier einen nahezu identisch betitelten, von ihm gesungenen Song gibt – aber geschenkt. Zudem glänzt „The Man Of Sorrows“ mit einigen der emotional herausragendsten Gitarrenparts des Albums, was auch darüber hinweghilft, dass das Lied zu Beginn im Gesamtkontext des Albums etwas unscheinbar wirkt – ein klassischer Grower, veredelt mit emotional anregenden Zeilen: „Cast the dream aside / Like throwing a pebble into the ocean tide / And I’m feeling so alone again“.

Überhaupt, noch etwas über die Texte: Bruce gewährt – nach dem vorherigen Absatz wenig verwunderlich – hie und da Einblicke in seine Gefühlswelt („All out of luck again / How many chances can anyone
have (...) There in the wrong place and at the wrong time / I need somebody to save me“ [„The Red And The Black“]), vor allem aber katapultiert er das bereits erwähnte „Empire Of The Clouds“ durch seinen plastischen, bildgewaltigen Text fürwahr in die darin besungenen Höhen. Wenn es nicht so grauenhaft verkopft klingen würde, würde ich dieses Epos regelrecht als Hörspiel bezeichnen – das Musikhören wächst ohne Wenn und Aber zum mentalen Kinobesuch heran. Man sieht vor dem eigenen inneren Auge, über wen und was Bruce da singt – man sieht den Zeppelin, von außen wie von innen, man sieht die noblen Passagiere, mehr noch: man kennt sie! Auftritt: der besonnene Steuermann („Sir, she's heavy, she'll never make the flight“), der unnachgiebige, störrische Kapitän („Damn the cargo! We'll be on our way tonight!“); man spürt die heraufziehende Tragödie, alles wirbelt umher und dreht sich, Puls und Herzschlag beschleunigen sich, man erlebt die Katastrophe hautnah mit – und ist am Ende so erschüttert wie nach dem Genuss eines Katastrophenfilms ohne Happy End („Now a shadow on a hill, the angel of the east / The empire of the clouds may rest in peace / And in a country churchyard, laid head to the mast / Eight and fourty souls who came to die in france“).

Rein gefühlsmäßig betrachtet ist „The Book Of Souls“ eine Höchstnote. Allerdings ist der qualitative Unterschied zwischen den oben genannten Longtracks einerseits sowie manch anderem wie etwa „When The River Runs Deep“ nicht komplett von der Hand zu weisen; noch immer ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass ein 77-Minüter packender gewesen und ein, zwei „nur“ sehr gute Songs im Gesamtbild nicht um jeden Preis nötig gewesen wären. Man beachte dennoch, dass ich von ausnahmslos mindestens die Kriterien sehr guter Songs erfüllenden Liedern spreche – weshalb ich wirklich ganz und gar glücklich über dieses Album war, bin und ohne Frage auch immer sein werde.

(14.01.2021)

Anmerkungen: Aus meinem soeben noch getippten "irgendwann" in den "Fear-Of-The-Dark"-Anmerkungen oben wurde nun spontan doch ein "jetzt gleich" - beide Reviews also auf einen Schlag. Und mir fiel außerdem ein, dass ich noch ein Originalreview aus dem Jahr 1997 zu "Accident Of Birth" von Bruce Dickinson in einem meiner alten Notizbücher auf Lager habe - doch das kommt hier wirklich erst ein anderes Mal zum Zuge. ;)

Ach so: natürlich meinte ich "Mellon Collie And The Infinite Sadness" der Smashing Pumpkins, als ich von "diesem Doppelalbum aus dem Jahr 1995" schwadroniert habe. Die werden hier im Thread natürlich auch noch ihre Würdigungen erhalten, insbesondere natürlich für "Siamese Dream" - seit seinem Erscheinen einer meiner Alltime-Top-10-Klassiker.
 
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@Sentinel
Obwohl meine IM Phase seit SSOASS beendet ist, also mtlw. mehr as drei Jahrzehnte, hat mir das Lesen, v.a. über FOT, Deineer beiden IM Reviews wirklich Spaß gemacht.
Gewürzt mit der persönlichen Note über Deine Initiationszeit, gewinnen die Reviews zusätzliche Spannung und Tiefe.
Wie gesagt, ich bin kein IM Fan mehr und kann den Kult um diese Band nicht verstehen, aber solche Reviews lese ich gerne und lieber als Bestätigungen meiner oder einer Konsensmeinung.
Meine IM LPs bleiben trotzdem in der Sammlung, denn sie waren damals auch ein bedeutender Teil meiner Initiation in die Metal-Welt.
Mach weiter so. :top:
 

Ich danke dir für dieses schöne Feedback! :)

Diesen Mega-Kult um die Band teile ich übrigens auch nicht. Die DF-Titelstory über ein Leben nach Iron Maiden etwa habe ich bis heute nicht gelesen, weil mich das nicht angesprochen hat.
Persönlich mache ich mir mehr Gedanken über ein Leben nach Fleetwood Mac, Judas Priest, den Eagles, Kiss und Ozzy Osbourne. Im Gegensatz zu den eben Genannten habe ich Iron Maiden auch noch nie live gesehen. Ich habe natürlich alle ihre Alben hier, und sie gehören felsenfest dazu, sind auch Minimum eine meiner Alltime-Top-20-Metal-Bands. Aber den absoluten Platz ganz oben an der Sonne, den teilen sich bei mir andere.
 
Persönlich mache ich mir mehr Gedanken über ein Leben nach Fleetwood Mac, Judas Priest, den Eagles, Kiss und Ozzy Osbourne.
Das wird sicher nicht schön.
Mein Leben nach Death ist um einiges truriger geworden, Motorhead fehlen auch und v.a. fehlt mir Piggy.
Ich könnte noch ein paar mehr aufzählen (wenn ich nur an so einige Blues Musiker denke).
Ich gehe jetzt mal ins stille Kämmerlein heulen ... :hmmja:
 
Das wird sicher nicht schön.
Mein Leben nach Death ist um einiges truriger geworden, Motorhead fehlen auch und v.a. fehlt mir Piggy.
Ich könnte noch ein paar mehr aufzählen (wenn ich nur an so einige Blues Musiker denke).
Ich gehe jetzt mal ins stille Kämmerlein heulen ... :hmmja:

Oh ja, wir haben schon so viele unserer Helden verloren. :hmmja: Für mich am schlimmsten war und ist es bei Layne Staley und Eddie Van Halen, kurioserweise läuft gerade in diesem Moment "Women And Children First" bei mir.
 
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