Ob es sinnig ist, auf unkomplexere Musik hinabzuschauen, weiß ich nicht und behaupte ich freilich nicht. Aber einen qualitativen Vergleich anzustellen, ist für mich erlaubt. Wer sind denn die größten Metalbands der Welt? Metallica, Iron Maiden, Judas Priest, Megadeth, Slayer? Das sind schon einmal alles Bands, die unfassbar gute Gitarristen vorzuweisen haben. Man kann, ob die Musik schätzt oder nicht, ohne zu übertreiben behaupten, dass das musikalisch hochwertigste Musik ist. Musik von ganz außergewöhnlichen Musikern. Von nicht nur sehr übungsfreudigen, sondern zudem noch hochbegabten Menschen. Niemand würde Fußball im Fernsehen gucken, wenn da ein Spieler dreimal neben den Ball tritt, bevor er ihn schließlich halbwegs trifft. Nein, das meiste Geld machen die Vollprofis. Die Ballartisten. Nun, ich bin kein Fußballfan, aber mit Musik kenne ich mich etwas aus. Und ich rechne es Musikern an, wenn sie ihr Instrument beherrschen und nicht nur drei Lagerfeuerakkorde zupfen können. Die Musik gewinnt für mich viel mehr Tiefe und Professionalität. Warum sollte ich das nicht mitbetrachten, wenn ich Musik Qualität zuweise?
Ich sage nicht, dass man das gar nicht tun sollte, ich stelle nur in Frage ob das ein entscheidendes Kriterium sein sollte. Darum der Verweis auf Wagner: Wenn Komplexität und Technik das wichtigste Maß der Kunst wären, solltest du anfangen Wagner zu hören. Am Tristan-Akkord sitzen heute noch Leute und interpretieren daran herum. Hundert Jahre später...
Also mir persönlich sagt das vor allen Dingen, dass musikalische und technische Komplexität für mich alles andere als ein Hauptkriterium sind. Sicher ist es nett, wenn ein Künstler sein Instrument beherrscht. Das macht das dargebotene auch sicher noch um einiges spannender. Aber um etwas zu erzeugen, was mich bewegt, ist das nicht ausschlaggebend.
Den markierten Gedankengang kann ich nicht nachvollziehen. Es mag aber sein, dass ich einem etwas antiquierten Kunstbegriff ins Garn gegangen bin. Es ist mir nämlich völlig egal, ob da jemand sagt, ein zusammengeknotetes Bündel Draht mit etwas roter Farbe drüber sei "ein Sonnenaufgang". Oder das "Elend der Menschheit". Oder "Gott". Oder ein "Spaghettimonster". Für mich ist das, wenn ich dort keine handwerklichen (!) Fertigkeiten neben der Kreativität (?) erkenne, keine Kunst. Denn die kommt für mich etymologisch tatsächlich von "Können". Bin ich Künstler/Maler, wenn ich nicht einmal ein simples Porträt zeichnen könnte, aber Künstler sein will? Bin ich Fußballer, wenn ich den Ball nur auf jedes zweite Mal treffe, mich aber für einen Fußballer halte? Und bin ich Musiker, wenn ich ein paar Akkorde auswendig kann? Vielleicht nur, weil mich jemand fürs Klimpern bezahlt? Gilt das dann aber auch, wenn ich das nur Playback mache?
Du nimmst vor allen Dingen dieses plakative Beispiel von irgendwelcher plastischen Kunst, die nur einen kleinen Kreis von Menschen interessiert und in dem alten Putzfrauen-Witz mündet...
Nehmen wir mal ein anderes Medium: Nehmen wir jemanden wie Kafka. Der Mann hat letztlich und ungewollt ein eigenes Adjektiv geprägt. Hat er dafür komplizierte Reimschemata benutzt, oder irgendwelche besonderen schriftstellerischen Raffinessen? Sicherlich kann man das literaturwissenschaftlich sehr genau analysieren, aber an sich könnte jeder der schreiben kann, das schreiben was Kafka schrieb.
Der Fußballer ist im übrigen kein Künstler, sondern Sportler. Sicher heißt es Ballkünstler, aber das ganze hat keinen Ausdruck. Das Wort Kunst wird hier wirklich nur für "Können" verwendet.
Ansonsten: Ja: Du kannst Maler sein, ohne ein "simples" Porträt zeichnen zu können. Die Frage ist viel mehr: Warum solltest du als Künstler ein simples Porträt zeichnen wollen? Das ist reines Handwerk. Da liegt keine Kreativität drin. Es ist eine simple Auftragsarbeit, ohne künstlerische Absicht.
Überhaupt hat das realistische "Abmalen" von der Wirklichkeit mit der Erfindung des Fotoapperats an Bedeutung für die Kunst seine Bedeutung so ziemlich verloren. Die Leute brauchten niemanden mehr, der das malt. Eine Maschine konnte also viel viel besser und schneller, was der Mensch gemacht hat. Ist das jetzt immer noch große Kunst? Oder eigentlich nur Können? Mich persönlich kannst du mit klassizistischen Gemälden zuschmeißen. Hinhängen würde ich mir davon wohl eher kaum eins. Dagegen diverse Comicwallpaper...
Ich meine, dass was Sin City so unfassbar geil aussehen lässt, ist nicht der ultra komplexe Zeichenstil, sondern vor allen Dingen dieses radikale Schwarz/Weiss-Design und Spiel mit Schatten und Licht. So zeichen können tausende andere auch. Aber das ist nicht das wichtige.
Da du mir jetzt vermutlich widersprichst, kannst du dir denken, dass wir in Sachen "Kunstbegriff", der ja bei unserer Diskussion über Musik eine zentrale Rolle spielt, wahrscheinlich nicht zusammenkommen werden. Und das ist auch gar nicht schlimm. Führende Wirtschaftsweise streiten sich über die für uns profansten Dinge. So ist das eben.
Ansonsten würde mich jetzt echt einmal ein Beispiel für "komplexen" Rap interessieren. Ich habe im Leben schon so oft dazugelernt. Warum nicht auch diesmal?
Ich stelle einfach mal diesen Part von Toni-L hier herein ohne groß was dazu zu sagen:
"Wir sind das Musterpaar der Oldschooler, ja
Stellen uns cooler dar als dein Rapsuperstar aus den USA
Heute der Presse fremd, was dein Interesse hemmt
Doch wer grüne Pässe kennt, der erkennt unsre Fressen denn
Wir sind die Unbestechlichen, Vergessenen, nicht zu Verwechselnden, Zuhörerfesselden, du kannst es testen, wenn
Durch die Besessenen, best Rappenden
Jedes Mal jeder Saal wie ein Kessel brennt
Wir metzelten immer wieder Lieder, wie die da, nieder
Doch die Masse fand`s prima, wollte es lieber primitiver
Es brach aus das MTVIVA Videofieber
Doch unsere Lyrics wurden tiefer, die Musik innovativer
Heute bist du Rapstar, ich Rentner, berühmtester Bettler
Du speist im Grand Hotel, ich an der Snackbar
Nun denkst du etwa wer rapt da, du checkst klar
Ich rock den Track weg ja, wie die Lava des Ätna
Toni-L der Funk Joker, mit mir ist der Soul da
Fett wie ein Wholecar, es ist wohl war
Dass Advanced Chemistry groß war
Du liest es auf jedem Legendären HipHop-Jam-Poster
Oh ja so sah sogar dieser oder jener uns als Oberväter jeder Meter
360 000 Kilometer später
Wird weiter gerockt, nonstop kein Thema
Bis zum letzten Lied
Weil ich schon die besten Texte schrieb
Als die meisten noch nicht wussten, dass es Sätze gibt
Alles andere muss zu deinem Komplex gehör`n
Denn nicht mein Text zu hören ist wie beim Sex zu stören
Tja ohne uns wären die Hip Hop Yards
Wie die Charts ohne Stars
Wir rocken wie Feuer und Gas das war´s"
Ansonsten noch mal das Ding hier:
Ein Ronaldo wird man nicht, nur weil man Fußballstar werden möchte. Man muss hochbegabt sein. Und um komplexe Musik zu arrangieren, die dennoch kreativ und eingängig ist, die dennoch in sich stimmig aus kleineren Teilen etwas Größeres erschafft, muss man das eben auch sein. Für mich ist also komplexe Musik Musik, die nicht jeder spielen oder gar komponieren kann. Auch nicht jeder, der sich ernsthaft daran versucht. So deprimierend das ist. Und so simpel das klingt.
Ach ist das so:
https://www.realtotal.de/ronaldos-auto-war-taeglich-das-erste-und-letzte-auf-dem-parkplatz/
Ronaldo ist vor allen Dingen Ronaldo, weil er trainiert hat wie ein Berserker.
Komplexität hat also nichts damit zu tun, das die keiner spielen können kann. Das ist dann vor allen Dingen unsinnige Komplexität. Du kannst einen Musicmaker auch ganz leicht Riffs einprogrammieren die kein Musiker zu spielen schafft Ist das dann gut? Komplexität ist nur dann gut, wenn sie erforderlich ist. Wenn man damit etwas bestimmtes ausdrücken will.
Maiden, Priest und so weiter kann letztlich jeder spielen. Das sind die Songs zum Gitarre lernen. Natürlich nicht jeder Song! Aber Maiden, ACDC, Sabbath, Priest, etc. haben alle sehr sehr simple Songs im Repertoire, die wir alle genauso feiern. Obwohl die jeder Gitarrenschüler lernen und schreiben könnte. Manchmal ist das einfachste Riff eben doch das beste.